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Archiv "Differente Therapieformen" (09.01.1995)

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MEDIZIN

1 Differente Therapieformen

Die Ausführungen von Kissling sind zum Teil erheblich zu kritisie- ren, das heißt, zu korrigieren und zu ergänzen: Bei „der" Schizophrenie handelt es sich um Krankheitsfor- men, zu unterscheiden nach Mani- festationsalter, Symptomatologie, Verlauf und Prognose. Dement- sprechend different ist die Thera- pie. Die Randpsychosen zum Bei- spiel (K. Leonhard), wie die soge- nannten unsystematischen, episodi- schen Schizophrenien (Motilitäts- psychosen), meist prognostisch gün- stig, klingen nach einer Kurzzeitbe- handlung regelhaft ohne Residuen ab. Bei den Kern- oder systemati- schen Schizophrenien (Hebephreni- en, Paraphrenien) differiert die im- mer mehrdimensionale Therapie unter anderem mit Neuroleptika (Zielsymptome!) nach Art, Schwe- re und Dauer der Psychose erheb- lich und ist nicht zu schematisieren.

Es gibt viele zur Chronifizie- rung tendierende schizophrene Ver- läufe, bei denen sich — durchaus Monate nach der Manifestation er- kennbar — auch bei optimaler kom- binierter Langzeit-Pharmako- und Soziotherapie allenfalls eine Modi- fizierung des Erscheinungsbildes und eine bessere Anpassung an die Umwelt erreichen lassen. Diese Beispiele zeigen, daß eine (Vorab)- Identifizierung möglich sein kann, und bei keineswegs allen Schizo- phrenien eine neuroleptische Lang- zeitbehandlung notwendig (sinn- voll) ist. Pauschale, der (unzurei- chenden) Medikation anzulastende Rückfallquoten bei nicht ausrei- chend definierten Erst- und Mehr- facherkrankten gibt es nicht. Die Dauer einer sinnvollen Rezidiv- prophylaxe ließe sich statistisch annähernd verzerrungsfrei nur für

DISKUSSION

Zu dem Beitrag von Dr. med. Werner Kissling in Heft 50/1993

sorgfältig definierte Subpopulatio- nen prospektiv bestimmen

Für vollremittierte Kranke, das heißt, wenn psychotische Erlebnisse bei echter Krankheitseinsicht feh- len, reicht eine zweijährige systema- tische Behandlung mit Neurolepti- ka ohne Rücksicht auf die Zahl der Krankheitsepisoden meist aus.

Auch das Gros mehrdimensional ambulant betreuter, chronisch wahnhafter (sozial integrierter) Pa- tienten kann nach zwei Jahren mit einer kontrollierten Reduktion der Neuroleptika dann rechnen, wenn keine stationäre Wiederaufnahme erfolgte. Daß Schizophrene nach ei- ner neuroleptischen „Mindestbe- handlungszeit" von fünf Jahren über eine eventuelle Verlängerung der „Prophylaxe" entscheiden sol- len, ist abzulehnen. Neuroleptika unter Umständen unbegrenzt zu verordnen, wenn aus der Vorge- schichte Fremd- beziehungsweise Selbstgefährlichkeit bekannt sind, mutet makaber an: Bei kompeten- ter Pharmako-, Psycho- und Sozio- therapie ist dies kein Kriterium für eine unbegrenzte Medikation, die nebenwirkungsreicher ist als ange- geben! Mit einer „mittleren" Ha- loperidol-Dosis von 15 mg/d oral über Monate ist die Wahrschein- lichkeit hoch, daß sich persistieren- de Hyperkinesen entwickeln: Viel öfter als ein „Entlassungsstreß" er- fordert Wahn eine Dosis von etwa 3 bis 5 (bis 10) mg/d unter feinmotori- scher Kontrolle. Der Referent regi- strierte bei 5 Prozent aller chronisch

Schizophrenen eines Bezirkskran- kenhauses nach einer Langzeitthe- rapie mit (Depot-)Neuroleptika in mittlerer Dosierung schwere und ir- reversible Spätdyskinesien. Die Zu- gabe von Anticholinergika kann de- pressive Syndrome und Hyperkine- sen unerwünscht kaschieren. Zu prüfen ist immer die eventuelle temporäre Kombination eines Neu- roleptikums mit einem Antidepres- sivum: Eine pharmakogene Depres- sion, die morbogen beziehungswei- se erlebnisreaktiv mitdeterminiert sein kann (Suizidgefahr), manife- stiert sich besonders initial unter hochpotenter Neuroleptika-Thera- pie (Haloperidol-Typ!) in 20 bis 30 Prozent der Fälle (1). Solche Befun- de mahnen zur Vorsicht. Unklar ist, wie „Frühwarnzeichen" drohenden Rückfalls dem Schizophrenen (!) — oft ohne ausreichendes Krankheits- bewußtsein — zu vermitteln sind.

Resümee: Es geht nicht um

„breitere Indikationsstellung" für eine Rezidivprophylaxe mit Neuro- leptika bei Schizophrenen, viel eher um den gezielten und vertretbar konsequenten Einsatz von Psycho- pharmaka nach der Regel: Das rich- tige Medikament zum Beispiel vom Perazintyp (auch Carbamazepin) in richtiger Dosierung (gestrecktes Applikationsintervall parenteral) für den richtigen Patienten (mit Mischpsychose). Der Behandlungs- zeitraum orientiert sich am und wird limitiert durch das Krankheits- bild. Das individuell zu ermittelnde Nutzen-Risiko-Verhältnis muß in das Kalkül eingehen.

Bis heute gilt unter Berücksich- tigung der Lebenssituation: Bei op- timaler Aufmerksamkeit eines schi- zophrenen Patienten in einer struk- turierten und anregenden, aber emotional neutralen sozialen Um- gebung sind eher weniger Neuro- leptika nötig. Bei sozial störenden Ereignissen oder zu belastendem Druck der sozialen Umgebung ver- ringert die Beibehaltung der Medi- kation die Rezidivgefahr (2). Eindi- mensionales, schematisiert-thera- peutisches Denken überzeugt den kritischen Leser nicht, da einige Zahlen unzuverlässig sind (Dauer der Rezidivprophylaxe in Jahren), und angegebene Häufigkeiten (Pro-

Schizophrenie:

Rückfallverhütung durch Neuroleptika

A-56 (58) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 1/2, 9. Januar 1995

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MEDIZIN

zentsätze bei Rezidivraten) nicht die wirklichen, differenzierten Ver- hältnisse widerspiegeln. Der simpli- fizierende, wissenschaftlich unhalt- bare Titel erinnert an das Schlag- wort: „Verordnete Anpassung".

Literatur:

1. Heimchen H, Hippius H: Depressive Syn- drome im Verlauf neuroleptischer Thera- pie. Nervenarzt 1967; 38: 455-458

2. Wing JK: Eine praktische Grundlage für die Soziotherapie bei Schizophrenie. In:

Huber G (Hrsg.): Therapie, Rehabilitation und Prävention schizophrener Erkrankun- gen. Schattauer, Stuttgart—New York 1976;

43-44

Prof. em. Dr. med. L. W. Diehl Arzt für Psychiatrie und Neurologie Höhenstraße 25

51588 Nümbrecht

2 Rezidivprophylaxe gerade bei jugendlichen Schizophrenen

Herr Kollege Kissling verweist zu Recht auf die Notwendigkeit ei- ner konsequenteren Rezidivpro- phylaxe bei schizophrenen Patien- ten. Dies gilt insbesondere für die Gruppe der schizophrenen Erkran- kungen, die vor dem 18. Lebensjahr (etwa acht Prozent aller Schizo- phrenien) beginnen, weil diese wahrscheinlich eine ungünstigere Verlaufsprognose aufweisen (1);

daran könnte die höhere Hemm- schwelle der Verantwortlichen ge- genüber einer längerfristigen Neu- roleptika-Medikation beteiligt sein, die mit der gesteigerten Vulnerabi- lität Jugendlicher für Neuroleptika- Nebenwirkungen begründet wird.

Ansonsten noch zwei Anmerkun- gen:

1. In Tabelle 2 werden die Re- zidivraten nach Absetzen der Neu- roleptika-Medikation aus sieben Studien präsentiert. Diese Studien unterscheiden sich durch die Zahl der eingeschlossenen Patienten (n = 14 bis 70), die rezidivfreie Zeit vor Absetzen der Medikation (ein bis fünf Jahre) und die Katamnesedau- er nach Absetzen (6 bis 24 Monate).

Aus den Rezidivraten der einzelnen Studien (in Prozentwerten angege- ben) wird durch einfache Mittel- wertbildung eine mittlere Rezidiv-

DISKUSSION

rate von 73 Prozent errechnet. Die- ses Vorgehen ist aus zwei Gründen unexakt:

a) Trotz der unterschiedlichen Stichprobengrößen gehen alle Rezi- divraten mit dem gleichen Gewicht in diese Berechnungen ein. Besser ist deshalb, die mittlere Rezidivrate auf der Basis der absoluten Zahlen- werte zu berechnen; so ergibt sich eine mittlere Rezidivrate von 70 Prozent.

b) Diese Mittelwertbildung läßt aber die unterschiedliche Ka- tamnesedauer der einzelnen Studi- en unberücksichtigt, setzt also die Rezidivrate nach halbjähriger Ka- tamnese der nach zweijähriger gleich. Alternativ bietet sich die Be- rechnung des mittleren Rezidivrisi- kos bezogen auf einen bestimmten Zeitraum nach Absetzen der neuro- leptischen Medikation an: Für ein Jahr ergibt sich so ein mittleres Re- zidivrisiko von 60 Prozent, für zwei Jahre beträgt es 98 Prozent. (Dabei wird unterstellt, daß das Rezidivri- siko linear mit der Zeit ansteigt).

2. Aus Compliance-Gründen wird die Rezidivprophylaxe mit De- potneuroleptika dann empfohlen, wenn von dem gewählten Neuro- leptikum eine Depotform zur Ver-

3 Konsensbildung mit dem Patienten

Die Konsensbildung unter Fachleuten und die weite Verbrei- tung dieser Ergebnisse ist zweifellos von großer Bedeutung, insbesonde- re die Hinweise, daß auch niedrige Dosierungen schon guten Rückfall- schutz bewirken können. — Aber das ist nur die eine Seite des Pro- blems. Genau so wichtig ist die Konsensbildung mit dem Patienten.

Und das ist ein wesentlich komple- xerer Vorgang als die rationale In- formation des Patienten über die Ergebnisse der Konsensbildung un- ter Fachleuten. Die unzureichende Compliance ist nicht nur ein Pro- blem der Patienten, sondern zunächst eines der behandelnden Therapeuten. Es geht darum, den Patienten bei seinem subjektiven Erleben seiner psychotischen Er- krankung „abzuholen" sowie seine

fügung steht. Dies trifft aber, zu- mindest im Jugendalter, häufig nicht zu, weil in der Akutbehand- lung wegen der höheren Vulnerabi- lität für neuroleptische Nebenwir- kungen auch Substanzen eingesetzt werden müssen, für die keine De- potform zur Verfügung steht (bei- spielsweise Clozapin). Beim Über- gang von der Akutbehandlung zur Rezidivprophylaxe steht der Be- handler dann vor der Aufgabe, das Risiko eines Substanzwechels gegen das einer oralen Langzeitmedikati- on abzuwägen. Empirische Daten liegen dazu nicht vor. Nach eigener klinischer Erfahrung überwiegt bei jugendlichen Patienten häufiger der Vorteil einer Depotmedikation das Risiko eines Substanzwechsels.

Literatur:

Schmidt MH, Blanz B, Dippe A, Koppe T &

Lay B: The course of patients diagnosed as having schizophrenia during the first episode occurring under age 18. European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 1994

PD Dr. B. Blanz

Leitender Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik Zentralinstitut

für Seelische Gesundheit J5 68159 Mannheim

Fähigkeiten zu fördern, zwischen krankheitsbedingten psychischen Veränderungen und sonstigen Be- findlichkeitsstörungen zu unter- scheiden. Es kommt darauf an, daß der Patient selber bei sich die Wir- kungen und Nebenwirkungen wahr- nimmt, und daß die Therapie nach seinen eigenen Zielen und Maßstä- ben für ihn Sinn macht. Dabei ist zu berücksichtigen, daß das Krank- heitsverständnis, die (Vor-)Urteile über Therapie und die Verände- rungsziele des Patienten stark be- einflußt werden von den für den Pa- tienten wichtigen Bezugspersonen (Angehörige, Freunde . . .) sowie anderen Therapeuten, an die der Patient sich wendet.

Der Beitrag erweckt den Ein- druck, als ob nur Medikamente die Wahrscheinlichkeit von Rückfällen mindern könnten. Damit wird nicht auf die seit den 70er Jahren empi- risch gut belegten Erkenntnisse ein- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 1/2, 9. Januar 1995 (61) A-57

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