Deutsches Ärzteblatt
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20. September 2013 641M E D I Z I N
DISKUSSION
Pünktlichkeit aus Respekt
Die Arbeit der Autoren stellt ein weit verbreitetes Phä- nomen an deutschen Krankenhäusern dar. Die wirt- schaftlichen Auswirkungen der verlorenen Zeit hoch- gerechnet auf alle Krankenhäuser in Deutschland sind sicher erheblich. Interessant wäre es zu wissen, ob die Wechselzeiten ebenfalls mit dem Beginn der ersten Operation korrelieren, was das Problem potenzieren würde. Korreliert der OP-Beginn positiv oder negativ mit der Position der Ärzte?
Nach 30 Jahren operativer Tätigkeit an fünf Kran- kenhäusern (kommunal, Universität, privat), sehe ich, ebenso wie die Autoren, den Teufelskreis von erwarte- ten Verzögerungen als den Kernpunkt der Problematik an. Der Anästhesist fängt später an, weil der Operateur später kommt, der später kommt, weil der Anästhe- sist nicht pünktlich ist (negative Rückkopplung).
Abhilfe schafft aus meiner Sicht hier nur gegenseiti- ges Vertrauen und eine Umkehrung des Prozesses. Wenn die Anästhesie weiß, dass der Operateur pünktlich ist, dann ist sie ebenfalls pünktlich (positive Rückkopplung).
Mit diesem Modell beginnen 87 % unserer Operationen im Zeitraum zwischen − 20 und + 10 Minuten um den geplanten Beginn. Dieser Wert ist nahezu identisch mit dem von den Autoren in der Arbeit genannten Wert, den sie nach Modifikation aller Maßnahmen in einer unver- öffentlichten Studie erzielt haben. Gegenseitiges Vertrau- en bedeutet aber im Einzelfall auch eigene Interessen (Telefonate, E-Mails, Besprechungen etc.) anders zu priorisieren oder zu organisieren. Eventuell muss man persönliche, lieb gewonnene Abläufe verändern, um im Sinne des gemeinsamen Ziels zur Lösung zu kommen.
Letztendlich ist für mich ein pünktlicher OP-Beginn eine Frage des Respekts gegenüber allen Mitarbeitern, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Operations- saales – Respekt gegenüber den Personen, der Leistung aber auch Respekt gegenüber ihrer persönlichen Zeit.
Aus vielen Studien zur Arbeitszufriedenheit wissen wir, dass ein respektvoller Umgang miteinander eine wich- tige Basis für die Arbeitszufriedenheit ist. Der pünktli- che OP-Beginn ist für mich ein Teil dieser Kultur.
Den respektvollen Umgang miteinander zu schulen ist eine wichtige Führungsaufgabe. Das gilt auch für den Beginn der ersten Operation. Speziell hier sollten die führenden Personen ein positives Beispiel geben.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0641a
Sollzeiten unstimmig
Den Autoren ist für ihre Arbeit zu danken, weil sie einer scheinbar banalen Beobachtung, die in unseren OP-Berei- chen täglich gemacht werden kann, durch ihre systemati- sche Auswertung neues Gewicht verleiht. Offen bleibt al- lerdings die Frage, wer aufgrund welcher Daten/Tatsachen die Sollzeit festlegt. Bei über 70 % verspäteten OP-Anfän- gen in der Allgemeinchirurgie liegt die Vermutung nahe, dass die Sollzeit nicht stimmt. Bei der Analyse der Ursa- chen kann aber auch mangelnde Abstimmung des Arbeits- zeitbeginns der beteiligten Berufsgruppen eine Rolle spie- len, ebenso wie die mangelhaft ausgeübte Vorbildfunktion der Führungspersonen. Prospektiv bleibt die Frage offen, was wir – Zielerreichung vorausgesetzt – mit 14 bis 20 Minuten pro OP-Saal letztendlich anfangen wollen.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0641b
LITERATUR
1. Schuster M, Pezzella M, Taube C, Bialas E, Diemer M, Bauer M:
Delays in starting morning operating lists—an analysis of more than 20 000 cases in 22 German hospitals. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(14): 237−43.
Dr. med. Hans-Georg Braun Anaesthesist
Ortenau-Klinikum Wolfach braun.hg@t-online.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Fachdisziplinen berücksichtigen
In ihrem Resümee schreiben die Autoren, dass ein verzö- gerungsfreier OP-Beginn am Morgen in durchschnittlich über 50 % der Fälle nicht erreicht wird. Diese besorgniser- regenden Zahlen machen es nötig das jeweilige OP-Ma- nagement kritisch zu hinterfragen.
Aus unserer Erfahrung sind schon bei den definierten Zielvorgaben die unterschiedlichen Fachdisziplinen zu be- rücksichtigen. So kann die Vorbereitung einer Ösophagus- resektion nicht mit der einer Tonsillektomie gleichgesetzt werden. Dies muss bei der Zieldefinition Berücksichti- gung finden, damit es im Ergebnis zur Formulierung rea- listischer Ziele kommt. Die Festlegung und Durchsetzung zu dem Beitrag
Verzögerungen beim morgendlichen
Operationsbeginn: Analyse von mehr als 20 000 Fällen in 22 deutschen Krankenhäusern
von PD Dr. med. Martin Schuster, Marco Pezzella, B.A., Dr. med.
Christian Taube, MBA, Dr. med. Enno Bialas, Matthias Diemer, MBA, Prof. Dr. med Martin Bauer in Heft 14/2013
LITERATUR
1. Schuster M, Pezzella M, Taube C, Bialas E, Diemer M, Bauer M:
Delays in starting morning operating lists—an analysis of more than 20 000 cases in 22 German hospitals. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(14): 237−43.
Prof. Dr. med. Peter Hahn Handchirurgie
Vulpius Klinik Bad Rappenau peter.hahn@vulpiusklinik.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
642 Deutsches Ärzteblatt
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20. September 2013M E D I Z I N
von realistischen Zielzeiten, die für jede Abteilung unter- schiedlich sein können, ist Aufgabe des OP-Manage- ments.
Der OP ist das Herzstück einer operativ tätigen Kli- nik. Das OP-Management hat dabei eine wichtige Schlüsselposition. Es muss eine gute Organisations- struktur mit einer verbindlichen Geschäftsordnung für den kompletten OP etablieren. Diese sollte nicht nur die Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen, son- dern auch die Rolle des OP-Managers vor allem in Kon- fliktsituationen klar regeln. Die Fähigkeit des OP-Mana- gers, auch unpopuläre Entscheidungen durchsetzen zu können, ist essenziell.
Dafür benötigt das OP-Management die rückhaltlose Unterstützung der Geschäftsführung, denn in letzter Kon- sequenz müssen Sanktionen für den Fall der Nichteinhal- tung allgemein vereinbarter Ziele auch durchgesetzt wer- den.
Letztlich ist es wichtig, jedes Krankenhaus einzeln zu betrachten. Was für die einen gut und richtig ist, muss in anderen Häusern nicht zwangsläufig ebenfalls funktionie- ren. Individuelle Abläufe, die Ausprägung der verschiede- nen Fachdisziplinen und die Gesamtgröße eines OPs sind entscheidende Faktoren.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0641c
LITERATUR
1. Schuster M, Pezzella M, Taube C, Bialas E, Diemer M, Bauer M: De- lays in starting morning operating lists—an analysis of more than 20 000 cases in 22 German hospitals. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(14): 237−43.
Dr. med. Mario Santamaria Prof. Dr. med. Michael Möllmann
Klinik für Anästhesie und operative Intensivmedizin St.-Franziskus-Hospital Münster
mario.santamaria@sfh-muenster.de Dipl.-Kfm. Burkhard Nolte
Geschäftsführung des St.-Franziskus-Hospital Münster
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Schlusswort
Wir möchten uns bei den Autoren der Leserbriefe sehr herzlich für ihre Anmerkungen und Ergänzungen bedan- ken. Prozesse in der Medizin kritisch zu hinterfragen, führt häufig zu einer reflexhaften Abwehr und dem offe- nen Vorwurf, dass die ärztliche Freiheit auf dem Altar der Ökonomisierung geopfert werde. Der Kollege Hahn be- tont in seinem Kommentar – unserer Meinung nach sehr zu Recht – dass „ein pünktlicher OP-Beginn eine Frage des Respekts gegenüber allen Mitarbeitern“ ist und er ver- weist auf die bedeutende Rolle, die hierbei die Leitenden Ärzte als Vorbilder haben. Dies entspricht genau der Inten- tion unserer Arbeit. Die von ihm aufgeworfene Frage, ob eine Häufung von verzögertem morgendlichem Beginn auch mit längeren Wechselzeiten assoziiert ist, ist nach der aktuellen Datenlage nicht eindeutig zu beantworten. Die Prozesse während der Wechselzeiten sind noch deutlich komplizierter als beim morgendlichen Beginn. Es gibt al- lerdings Hinweise aus der Literatur, dass Verzögerungen
innerhalb der Wechselzeit und beim morgendlichen OP- Beginn sehr oft auf die gleichen Gründe zurückzuführen sind (1, 2).
Der Kollege Braun verweist auf das Problem der Fest- legung der Sollzeiten. Die beteiligten Mitarbeiter in jeder Klinik müssen letztlich einen Konsens finden, welche Prozesszeitpunkte und -dauern für sie wünschenswert und realistisch sind und ihre Prozessplanung und Arbeitszeiten darauf anpassen. Jede Organisation sollte sich an diesen eigenen Vorgaben selbst messen, da sonst die ganze Pro- zessplanung nutzlos wird. Und nochmals ist zu betonen, dass nicht eingesparte Minuten das letztendliche Ziel dar- stellen, denn der ökonomische Effekt ist vermutlich eher gering. Das Ziel sollte es sein, die Zufriedenheit der Mitar- beiter mit den gelebten Abläufen im Operationssaal si- cherzustellen.
Dr. Santamaria und Kollegen weisen auf die Bedeutung des OP-Managements bei der Umsetzung der Prozesspla- nung hin. Es ist ihnen vollkommen zuzustimmen, dass ein OP-Management nur dann erfolgreich sein kann, wenn es entsprechende Kompetenzen und Entscheidungsmöglich- keiten hat. Oft wird insbesondere von der Krankenhauslei- tung erwartet, dass der OP-Manager notwendige Verände- rungen realisiert und eine gemeinsame Verpflichtung der Beteiligten auf den gemeinsamen Prozess sicherstellt. Zu- gleich werden aber durch die Krankenhausleitung hiervon differierende Absprachen mit einzelnen Prozessbeteiligten getroffen, beziehungsweise dem OP-Management die Möglichkeit genommen, auf die Verweigerung einer ge- meinsamen Prozessplanung zu reagieren. Dies kann für die Organisation als ganzes zu keinem befriedigenden Ergebnis führen. Wie Verantwortlichkeiten und Kompe- tenzen in den einzelnen Häusern ausgestaltet werden, ist in der Tat stets eine lokale Herausforderung. Verantwort- lichkeiten und Kompetenzen müssen aber stets kongruent sein: Das OP-Management kann nur für das verantwort- lich sein, was es in letzter Konsequenz auch entscheiden kann.
LITERATUR
1. Unger J, Schuster M, Bauer K, Krieg H, Müller R, Spies C. Zeitverzöge- rungen beim morgendlichen OP-Beginn. Anästhesist 2009; 58:
293–300.
2. Schuster M, Wicha LL, Fiege M, Goetz AE. Auslastung und Wechselzeit als Kennzahlen der OP-Effizienz. Anästhesist 2007; 56: 1058–66.
3. Schuster M, Pezzella M, Taube C, Bialas E, Diemer M, Bauer M: Delays in starting morning operating lists—an analysis of more than 20 000 cases in 22 German hospitals. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(14): 237−43.
PD Dr. med. Martin Schuster, Prof. Dr. med. Martin Bauer
AG Prozess- und Kostenmanagement, Forum für Qualitätsmanagement und Ökonomie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten
martin.schuster@kliniken-lk.de Marco Pezzella BA, Dr. med. Enno Bialas
digmed Datenmanagement im Gesundheitswesen GmbH, Hamburg Dr. med. Christian Taube, Matthias Diemer MBA
Verband für OP-Management e.V., Hannover
Interessenkonflikt
PD Dr. Schuster und Prof. Bauer sind als Vertreter des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten, Dr. Taube und Diemer MBA als Vertreter des Verbands für OP-Ma- nagement Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Benchmark-Programms.
Pezzella BA und Dr. Bialas sind Mitarbeiter der digmed GmbH.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0642