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Archiv "Ulzera im oberen: Magen-Darm-Trakt" (30.03.2001)

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E

s besteht unter den Fachleuten kein Zweifel, dass eine der umfassend- sten Änderungen in der Therapie der Krankheiten des Menschen in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Ul- kuserkrankungen des Magens und des Duodenums erfolgt ist (1). Die chirurgi- sche Intervention, die früher oft als die unausweichliche Therapie der Erkran- kung zu betrachten war, wird heute mehr oder weniger nur noch dann ein- gesetzt, wenn die Ulzera auch nach län- gerer medikamentöser Behandlung im- mer wiederkehren (Blutung) oder ein Durchbruch der Ulzera in die Bauch- höhle zu einer chirurgischen Interven- tion zwingt.

Das therapeutische Ziel ist, den Pati- enten schmerzfrei zu stellen, die Ab- heilung der Ulzera zu beschleunigen und das Wiederauftreten der Ulzera zu verhindern (Rezidivprophylaxe) oder doch wenigstens zeitlich so zu verzö- gern, dass in der Zwischenzeit eine auch vom Patienten akzeptierte Lebensqua- lität resultiert. Die Behandlungssche-

mata zielen alle auf die Unterdrückung der Produktion des sauren Magensafts ab (2). Schmerzlinderung wird von den Patienten berichtet, die einen pH-Wert des Magensaftes größer als 3,5 aufwie- sen (5).

Diese Angaben stammen noch aus der Zeit, in der die Beeinflussung des pH-Wertes des Magensaftes vorrangig mit so genannten Antacida durch- geführt wurde, die oral eingenommen eine Neutralisation der Magensäure bewirken, wie sie etwa im Reagenz- glas zur Neutralisierung von Salzsäure mit Natronlauge durchgeführt werden könnte.

Die Umwandlung von Pepsinogen in das enzymatisch aktive Pepsin erfolgt pH-abhängig, das heißt vornehmlich in einem sauren Milieu unterhalb von pH 3. Deshalb ist es folgerichtig, dass die ul-

zerageschädigte Schleimhaut vor autoly- tischen Verdauungsvorgängen oberhalb eines pH-Wertes von 3,5 soweit ge- schützt wird, dass die Patienten schmerz- frei sind (Grafik 1b).

Zur regelrechten Anwendung der heute verfügbaren Prinzipien zur Hem- mung der Säureproduktion im Magen ist die Kenntnis der Funktion und ihrer Regulation des Magens bei der Produk- tion des sauren Verdauungssafts eine wichtige Voraussetzung. Das heutige Wissen über diese Zusammenhänge ist in den Grafiken 1 und 2zusammenge- fasst.

Aus der schematischen Darstellung geht bereits hervor, dass die Magen- saftproduktion durch verschiedene pharmakologische Einflüsse moduliert werden kann, jedoch eine totale Blockade erst nach Hemmung der Pro- tonenpumpe erreicht wird. Aus dieser einfachen Überlegung sind wichtige Schlussfolgerungen für die Pharmako- therapie der Ulkuserkrankung zu zie- hen.

Ulzera im oberen Magen-Darm-Trakt

Pharmakologische Grundlagen der Behandlung Olaf Adam

1

Hans Dörfler

2

Wolfgang Forth

3

Zusammenfassung

Das therapeutische Ziel bei der Behandlung der Ulkuskrankheit beinhaltet Schmerzfreiheit, beschleunigte Abheilung der Ulzera und Ver- hinderung eines Rezidivs. Mit den so genann- ten Protonenpumpeninhibitoren (PPI) stehen sehr effektive Pharmaka zu Verfügung, die die Sekretion von sauren Valenzen in den Magen- saft wirksam unterdrücken. Ihr Angriffspunkt ist direkt an der H+-K+-ATPase, die die Protonen generiert, zu suchen. Ihr Nebenwirkungspo- tenzial ist bei ärztlicher Kontrolle gering. Mit diesen Stoffen kann mit großer Sicherheit Schmerzfreiheit und ein beschleunigtes Abhei- len der Ulzera erzielt werden. Anschließend er- folgt die antibiotische Nachbehandlung mit dem Ziel der Eradikation des Helicobacter pylo- ri, der allgemein als Verursacher der möglichen Rezidive betrachtet wird. Kommt es nach einer derartigen Behandlung zu einem Wiederauf- treten der Ulkuskrankheit, ist die Behandlung in enger Kooperation mit den Vertretern der chirurgischen Fächer abzustimmen. Im Rahmen der medikamentösen Therapie der Ulkuskrank-

heit werden die Histamin-H2-Rezeptor-Antago- nisten (H2-Blocker) nur noch am Abend ange- wendet, weil sie vor allem die nächtliche Hy- persekretion hemmen. M1-Rezeptorenblocker aus der Reihe der Acetylcholin-Hemmstoffe spielen nur noch als Reservemittel eine Rolle.

Antacida sind hauptsächlich für den Freihand- verkauf der Apotheker zur Selbstmedikation bei gelegentlichen Übersäuerungen zu emp- fehlen.

Schlüsselwörter: Magenulkus, Duodenalulkus, Protonenpumpeninhibitor, substituierte Ben- zimidazole, H2-Blocker

Summary

Ulcus Disease in the Upper Gastrointestinal Tract

The therapeutic aims in the treatment of ulcus disease are pain relief, accelerated healing of the ulcer and prevention of recurrence. Now- adays, effective proton pump blockers are available that exert their effect by inhibiting

the H+-K+-ATPase in the mucosal cell of the stomach. Side effects of these substituted ben- zimidazoles are very rare, especially when the treatment is supervised by a physician. Pain relief and an accelerated healing of the ulcer can thus be obtained successfully. After this measure antibiotic treatment should be affiliated in order to prevent relapse. This treat- ment aims at the eradication of Helicobacter pylori which is regarded the most important cause of ulcus disease, gastritis and even cancer of the stomach. When a relapse occurs despite of antibiotic treatment further efforts must be carried out in close co-operation with the sur- geons. Treatment using histamine-H2-receptor antagonists (H2-inhibitors) should be limited to the administration in the evening since it is most effective in preventing hypersecretion at night.

The so-called M1-inhibitors of cholinoceptors must be regarded as reserve drugs. Antacids may play a role in self-medication in occasional hypersecretion of the stomach.

Key words: gastric ulcer, duodenal ulcer, pro- ton pump inhibitor, substituted benzimidazo-

1 Walther Straub-Institut für Pharmakologie und Toxiko- logie (Direktor: Prof. Dr. med. Peter Eyer), München

2 Medizinische Poliklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Detlef Schlöndorff), Klinikum der Universität München

3 München

(2)

Sekretion der

Verdauungsenzyme

Das wichtigste Verdauungsenzym des Magensaftes ist Pepsin, das in den Hauptzellen der Magendrüsen als Pepsinogen gebildet und dort gelagert wird. Unterhalb eines pH-Wertes von 4 des Magensaftes wird das Pepsino- gen aus den Hauptzellen durch im Ma- gensaft vorhandenes Pepsin proteoly- tisch aktiviert. Man geht davon aus, dass in 24 Stunden durchschnittlich 200 mg Pepsinogen gebildet und sezer- niert werden. Diese Sekretionsrate wird durch die Provokation der Nah- rungsaufnahme auf 0,5 bis 1 g/Tag gesteigert. Neben Pepsin enthält der Magensaft geringe Mengen an Lipase, deren Aktivität sich vor allem auf Fettsäuren der Größe C8 bis C10 er- streckt.

Sekretion von Schleim und Bicarbonat

Es wird veranschlagt, dass die Schleim- schicht des Magens runde 180 µm dick ist. Sie besteht aus einem zähen, dem Mukosaepithel anhaftenden Schleim.

Auf dieser Schicht liegt ein dünnflüssi- ger Schleim, der sich durch eine beson- dere Gleitfunktion auszeichnet. Der Schleimschicht insgesamt kommt eine physikalisch-chemische Schutzfunkti- on für das Mukosaepithel zu. Der Schleim enthält anionische Gruppen und vermittelt so den Austausch von Protonen des Magensaftes gegen Na+- Ionen. Außerdem bildet der Schleim ein Diffusionshindernis und ermög- licht, dass durch die Sekretion von Bi- carbonat-Anionen an der Oberfläche der Mukosa ein pH-Wert von 7 auf- recht erhalten wird. An der Oberfläche der Schleimschicht kann ein pH-Wert von 1 bis 2 herrschen. Die Produktion von Schleim und Bicarbonat kann als der wichtigste protektive Faktor für die Magenschleimhaut betrachtet werden.

Sie wird durch die Innervation über den Vagus und durch Prostaglandine aktiviert. Weitere wichtige Botenstof- fe, die die Schleim- und Bicarbonatse- kretion beeinflussen, sind die Peptid- hormone Sekretin, Gastrin und Chole- zystokinin (CCK) (9).

Therapeutisches Ziel

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, besteht das therapeutische Ziel bei der Behandlung der Ulkuskrankheit zu- nächst in einer Schmerzlinderung mit dem Ziel, für den Patienten Schmerz- freiheit zu erzeugen. Daneben soll das Ulkus rascher abheilen und schließlich soll das Wiederaufflammen der Ulkus- krankheit verhindert werden.

Betrachtet man das Tagesprofil der Säureproduktion (Grafik 3), dann fällt

auf, dass während der aktiven Tageszeit die Säureproduktion um die Uhrzeiten herum ansteigt, an denen gewöhnlich ei- ne Nahrungseinnahme zu verzeichnen ist. Eine Ausnahme davon ist der An- stieg der Säureproduktion in der Nacht- zeit nach 24 Uhr, in der die Patienten in der Regel keine Nahrung aufnehmen.

Das hat dann auch zu einer ganz allge- meinen Angleichung der Einnahme von Arzneistoffen gegen die Säureprodukti- on vor allem zur Nachtzeit geführt. Aus der Grafik 3 wird auch verständlich, dass sich mit einem PPI wie Omeprazol

die Säureproduktion über den ganzen Tag reduzieren lässt, wenn dieser jeweils um 9 Uhr vormittags eingenommen wird. Dabei scheint eine Dosis von 20 oder 30 mg pro Tag oft ausreichend zu sein. Eine gute Schmerzlinderung des Patienten kann offensichtlich mit einer Dosis täglich erreicht werden.

Die Anwendung von Omeprazol ist heute nach wie vor teuer. In der Zwi- schenzeit sind Nachfolgepräparate wie Pantoprazol oder Lansoprazol auf den Markt gekommen, ohne dass dadurch

aber eine durchgreifende Besserung der Preissituation eingetreten wäre. Die Handelsnamen für Omeprazol, Panto- prazol, Lansoprazol und Rabeprazol sind sehr zahlreich, weil es nach dem Er- löschen des Patentschutzes zu vielfälti- gen Nachahmerprodukten gekommen ist. Deshalb empfiehlt sich, Informatio- nen über die Handelsnamen aus den blauen Seiten der jeweils gültigen Roten Liste einzuholen. Die Situation wird noch dadurch kompliziert, dass die zur Verfügung stehenden Alternativen, bei- spielsweise aus der Gruppe der Hista- 100

80 60 40 20 0

0 1 2 3 4 ph Schleimzellen

Schleimzellen Parietalzellen

Endokrine Zelle (Parakrine Zelle) Hauptzellen

Maximale Pepsinaktivität (%) (b)

(a) Grafik 1

a) Schematische Darstellung einer Magensaft produzierenden Drüse des Magens (6). Eine so ge- nannte Magendrüse ist vom Boden der Krypte bis zum Aufgang mit Schleim produzierenden Zellen besetzt, deren Hauptaufgabe darin besteht, dass ein Schleim mehr oder weniger ständig produziert wird, der die Zellenoberflächen vor der Einwirkung des sauren Magensafts und seiner Verdauungs- enzyme bewahren soll. In diesen Zellrasen sind die Säure produzierenden Parietalzellen eingestreut und am Kryptengrund die so genannten Hauptzellen, deren Aufgabe darin besteht, die im Magensaft vorhandenen Verdauungsenzyme, das heißt die proteolytischen Enzyme zu produzieren. Außerdem sind endokrine Zellen dargestellt, bei denen es sich zum Teil um parakrine Zellen handelt, zum Bei- spiel Mastzellen, die zur Produktion und Abgabe von Histamin in der Lage sind, beziehungsweise um Zellen, die neben Gastrinrezeptoren auch Rezeptoren für Cholezystokinin beziehungsweise Soma- tostatin enthalten. Wenn man berücksichtigt, dass die stärkste Anregung, die die Produktion des Ma- gensafts stimulieren kann, aus dem Zentralnervensystem über den Vagusnerv verläuft, dann ist of- fenkundig, dass die Regulation der Funktion des Magens nicht nur nervös, sondern auch durch Ver- mittlung von Botenstoffen erfolgt, die über den Blutweg an die Magendrüsen gelangen können (9).

b) pH-Abhängigkeit der Bildung von proteolytisch aktiven Pepsin im Magensaft (Berstad, A: Scand J Gastroenterol 1970; 5: 343–348, A 3331.)

(3)

minrezeptorenblocker, angesichts der nötigen Dosierung, auch wenn sie nur zur Nachtzeit erfolgen sollte, ebenfalls keinen nennenswerten Spareffekt auf- weisen, weil die nötige Dosierung der möglichen Alternativen, zum Beispiel von geeigneten H2-Blockern, vergleich- bar teuer wird wie die Behandlung mit den Nachfolgepräparaten von Omepra- zol. Das lässt darauf schließen, dass die Preisbildung sich im Wesentlichen an der Indikation orientiert und weniger mit der Berechnung der Entwicklungs- und Her- stellungskosten der einzelnen Präparate in Verbindung zu bringen ist. Die Konse- quenzen, die daraus abgeleitet werden, müssen die Hersteller abschätzen.

Aus medizinischen Überlegungen wäre ohne weiteres den PPI der Vorzug zu geben. Wenn es gelingt, mit der ein- maligen Einnahme einer täglichen Do- sis die Säureproduktion für 24 Stunden stillzulegen, dann wäre auf diese Weise den Patienten bestmöglich geholfen.

Die unerwünschten Wirkungen der PPI in dieser Dosierung sind vor allem dann, wenn keine anderen Medikamen- te gleichzeitig gegeben werden, leicht erträglich. Omeprazol hat die Pharma- kokinetik von Diazepam, Carbama- zepin, von Warfarin oder Phenytoin verändert. Dies wurde auf eine Interak- tion bei der Bindung der infrage kom- menden Medikamente durch Omepra- zol am Zytochrom (CYP2Cmeph) zurückgeführt. Diese Wirkung sollen Pantoprazol und Lansoprazol nicht oder in geringerem Umfang haben (4).

Hier ist daran zu erinnern, dass gene- rell die Gesamtbelastung des Organis- mus mit Arzneimitteln als Problem zu betrachten ist, weil Interaktionen bei der Verstoffwechselung der Arzneistof- fe unausweichlich sind (3).

Aufgrund von Tierversuchen wird befürchtet, dass bei der Langzeitan- wendung, das heißt von mehr als acht Wochen, Karzinoidtumoren in der Ma- genschleimhaut auftreten können. Sie sind auf die durch Gastrin vermittelte Aktivierung so genannter entero- chromaffiner Zellen zurückzuführen.

Die gesteigerte Sekretion von Gastrin ist die Folge der gehemmten Produkti- on der Magensäure. Die Ausbildung von Karzinoidtumoren im Magen- Darm-Trakt ist vor allen Dingen bei der zwingenden Langzeitanwendung hoher

Dosen von Omeprazol zu befürchten.

Sie ist beim Zollinger-Ellison-Syndrom indiziert, bei dem bis zu zweimal 60 mg Omeprazol täglich eingenommen wer- den müssen (8). Karzinoidtumoren sind allerdings beim Menschen nach über 600 Millionen Behandlungen und einer Dauertherapie von bis zu zwölf Jahren nicht beobachtet worden, da es nur zu einem Gastrinanstieg auf das Zwei- bis maximal Vierfache des Ausgangswer- tes kommt, während zum Beispiel bei der Perniziosa diese nicht metastasie-

renden Histamin produzierenden ECL- Karzinoide in fünf bis sieben Prozent gefunden werden.

Hinsichtlich der therapeutischen Zie- le, die bereits 1980 klar und eindeutig formuliert worden sind (2), ist nur wenig anzumerken. Prinzipiell ist sicherlich an den bewährten Therapieschemata der einzelnen Patienten, soweit sie unter

ärztlicher Aufsicht stehen, überhaupt nichts zu ändern. Hier ist nur der Hin- weis darauf erlaubt, dass die Zukunft der Therapie von Magen- und Duodenalul- zera wohl den PPI gehören dürfte. Das hängt mit ihrer eindeutigen Überlegen- heit der Hemmung der Säureproduktion zusammen und wird wohl im Wesentli- chen auch durch die Abwesenheit von schwerwiegenden unerwünschten Wir- kungen während der Therapie unterstri- chen. Hier ist erneut der Hinweis darauf anzubringen, dass sorgfältig auf die In-

teraktionen mit Begleitbehandlungen zu achten ist, weil, soweit es Omeprazol be- trifft, die Interaktion dieses Arzneimit- tels mit den abbauenden Monooxygen- asen für andere Arzneimittel schwierig werden kann (4).

Hier soll nicht verschwiegen wer- den, dass auch die Alternativen zur Hemmung der Säureproduktion be- Die Steuerung der Funktion einer Pa-

rietalzelle (4). Der stärkste Stimulus zur Magensaftsekretion ist die Vagu- serregung. Sie wird durch cholinerge Erregungsübertragung vermittelt. Als zweiter Bote (second messenger) die- nen dabei Ca2+-Ionen. Dieser Stimula- tionsweg kann durch Nikotin- bezie- hungsweise durch Muscarinrezeptor- Antagonisten, zum Beispiel Piren- zepin, unterbrochen werden. Piren- zepin, ein selektiver M1-Muscarinre- zeptor-Antagonist, greift vornehmlich im ganglionären Nervenzellensystem an. An den Parietalzellen befinden sich M3-Muscarinrezeptoren. Über Ca2+- Ionen wird auch die durch Ga- strin ausgelöste Steigerung der Proto- nensekretion vermittelt. Proglumid, ein Antagonist des Gastrins bezie- hungsweise des Cholezystokinins, blockiert den Gastrinrezeptor. Hi- stamin, das aus einer Hista- min-speichernden parakrinen Mast- zelle beziehungsweise einer endokri- nen Enterochromaphin-haltigen Zelle der Magendrüse stammt, aktiviert

den H2-Rezeptor. Der zweite Botenstoff ist in diesem Fall cAMP. Die durch Histamin ausgelöste Akti- vierung der Magensaftsekretion kann durch H2-Rezeptorenblocker unterbunden werden. Am glei- chen System wirken Prostaglandine (PGE, PGI). Sie aktivieren den inhibierenden Rezeptor (Ri), der ein inhibierendes Guanyl-Nukleotid-bindendes Protein aktiviert (Gi). Gemeinsame Endstrecke dieser Wirkung ist wie beim Histamin die Adenylatcyclase, die durch Prostaglandine gehemmt, durch Hi-

stamin aber aktiviert wird.

Die zweiten Boten, das heißt Ca2+-Ionen beziehungsweise cAMP, führen über verschiedene Reak- tionsketten im Zellstoffwechsel zur Aktivierung von Proteinkinasen. In der Folge dieser Wirkung bil- den sich aus den Vesikeln mit der Protonenpumpe (H+-K+-ATPase) die kanalikulä- ren Membranteile der Belegzellen. Der Protonengenerator für die H+-K+-ATPase ist die Carboanhydrase, die die Bildung von Kohlensäure (H2CO3) aus H2O und CO2katalysiert. Ohne die Ein- wirkung dieses Enzyms dissoziiert die Kohlensäure spontan zu Protonen und Bicarbonat-Anionen, die über einen Anionenaustauscher durch die basolaterale Membran die Zelle verlassen können. Ein Bei- spiel für die heute verfügbaren blockierenden Stoffe der H+-K+-ATPase ist Omeprazol.

Vagus

Pirenzepin

H2-Rezeptorblocker Gastrin

ATP

Carboanhydrase H2O+CO2 H2CO3

Proglumid

Proteinkinasen

Histamin

2.Bote:Ca2+ cAMP Ca2+

Lumen der Fundusdrüse Blutseite

baso- laterale Membran K+

Na+

K+

K+ H++H2CO3

Ri M3 M1

H Rs Gs Gi

CI-

CI-

HCI Prosta-

glandine

parakrine Zellen, z. B. Mastzellen

ATP-abhängige Pumpe Austauscher Hemmung ACh

3 4

2

5

6 1

Grafik 2

(4)

merkenswert gut verträglich sind. So sind die modernen Histamin-H2-Re- zeptor-Antagonisten (H2-Blocker) in der Regel gut verträglich. Zuweilen klagen die Patienten über subjektive Beschwerden wie Müdigkeit, Kommu- nikationsschwäche, Antriebsarmut, Apathie, Unruhe und Halluzinatio- nen. Derartige Klagen kommen vor al- len Dingen bei Patienten vor, die eine eingeschränkte Leber- oder Nieren- funktion haben. Anders ausgedrückt beruhen diese Wirkungen wohl eher

auf einer unbeabsichtigten Überdosie- rung infolge eingeschränkter Elimina- tionsfähigkeit über den Arzneistoff- wechsel beziehungsweise der Nieren.

Zuweilen kommen bei männlichen Pa- tienten endokrine Störungen zustande, die unter der Überschrift Gynäkoma- stie zusammengefasst werden können.

Sie gehen mit einem Verlust der Libido und einer Verringerung der Spermato- zoenzahl im Ejakulat einher. Im Plas- ma steigt die Prolaktinkonzentration an. Die antiandrogene Wirkung von Ranitidin soll wesentlich schwächer ausgeprägt sein als bei anderen H2- Blockern. Erneut ist daran zu erin- nern, dass auch derartige Störungen im

Wesentlichen auf eine unbeabsichtigte Überdosierung bei eingeschränkter Nierenfunktion zurückzuführen sind.

In Einzelfällen wird unter diesen Um- ständen auch eine Erhöhung der Kon- zentration der Transaminasen im Plas- ma (SGOT, SGPT) berichtet. Sie sol- len nach Dosisreduktion zurückgehen.

Vereinzelt ist ein cholestatischer Ikte- rus aufgetreten.

Wie bei allen Arzneimitteln kom- men in Einzelfällen auch wahrschein- lich allergisch bedingte Neutropenie,

Thrombozytopenie oder sogar Agra- nulozytose vor. Unter Cimetidin wur- de beobachtet, dass Nierentransplan- tate rascher abgestoßen wurden. Hier vermutet man eine Stimulation der im- munologischen Reaktionen. Insge- samt treten Überempfindlichkeitsre- aktionen durch H2-Blocker selten auf.

Dazu gehören Urtikaria, anaphylakti- sche Reaktionen, das Quincke-Ödem, ein Bronchialkrampf oder gar Schock.

Zur allgemeinen Berücksichtigung der Schwierigkeiten bei der Hem- mung der Magensäureproduktion ist daran zu erinnern, dass je perfekter die Säuresekretion gehemmt wird, de- sto eher damit zu rechnen ist, dass es

zu einer bakteriellen und/oder durch Pilze verursachten Besiedelung des Magens kommen kann. Darauf wird beispielsweise die vermehrte Bildung von Nitriten und Nitrosaminen im Ma- gensaft erklärt. Derartige Stoffe gel- ten als Auslöser von Karzinomen.

Auch für den einen oder anderen H2-Blocker sind Interaktionen beim Arzneimittelabbau zu befürchten. So soll Cimetidin eine besonders dauer- hafte Verbindung mit Zytochrom P-450 (Monooxygenase) eingehen. Auf die Folgen derartiger Interaktionen hat Forth (1990) in dieser Zeitschrift hin- gewiesen.

Rezidivprophylaxe

Im Rahmen der Strategien, die der Re- zidivprophylaxe dienen, spielt die Era- dikation des Helicobacter pylori eine wichtige Rolle. Sie ist der Anlass dafür, dass die Ulkuspatienten oft in Kombi- nation mit der die Säureproduktion hemmenden Behandlung eine antibio- tische Therapie erhalten.

Man geht heute davon aus, dass 95 Prozent aller Ulcera duodeni und 70 bis 80 Prozent aller Magengeschwüre auf dem Boden einer chronischen Helico- bacter-pylori-Gastritis entstehen. Be- reits bei der Akuttherapie führt die Zu- gabe eines Antibiotikums zu einer Be- schleunigung der Ulkusheilung. Ent- scheidend ist jedoch, dass offensichtlich die Rezidivneigung des chronischen Ul- kusleidens durch die H.-pylori-Gastritis mitverursacht wird. Mit der Sanierung dieser Infektion lässt sich erstmals in der Medizingeschichte die Ulkuskrank- heit zur Ausheilung bringen, sieht man von der früher üblichen operativen Vorgehensweise (Magenteilresektion) einmal ab. Die Rezidivrate, die noch nach den Daten der Ruder-Studie trotz einer H2-Blocker-Dauertherapie bei 25 Prozent innerhalb von zwei Jahren lag, sinkt auf unter ein Prozent ab, wobei es sich meist um eine Rekrudeszenz der Erreger handelt und nicht um eine Re- infektion.

Die routinemäßige Suche nach H.

pylori ist heute Standard bei der endo- skopischen Ulkusdiagnostik; lässt er sich nicht nachweisen, handelt es sich fast immer um ein ASS/NSAR-Ulkus.

8 7 6 5 4 3 2 1 0

08:00 12:00 16:00 20:00 00:00 04:00 08:00

Tagesablauf (Uhrzeit) pH-Wert

Pantoprazol Ranitidin Placebo Grafik 3

Zeitlicher Verlauf des medianen intragastrischen pH-Werts von zwölf gesunden Probanden am sieb- ten Tag der Behandlung mit Pantoprazol 40 mg vor dem Frühstück beziehungsweise Ranitidin 300 mg vor dem Zubettgehen. Frühstück um 9, Mittagessen um 13 und Abendessen um 20 Uhr (nach Reill et al., zitiert nach Londong, Aliment Pharmacol Ther 1994; 8 [Suppl 1]: 42).

(5)

Zur Sanierung der H.-pylori-Infekti- on haben sich weltweit zwei Behand- lungsstrategien durchgesetzt, die je- weils über eine Woche laufen:

Die von Bazzoli entwickelte italieni- sche Tripeltherapie, bestehend aus

❃ 2 ⫻1 PPI in Standarddosierung

❃ 2 ⫻250 mg Clarithromycin

❃ 2 ⫻400 mg Metronidazol oder Ti- nidazol

und die von Lamouliatte entwickelte französische Tripeltherapie, bestehend aus

❃ 2 ⫻1 PPI in der Standarddosierung

❃ 2 ⫻500 mg Clarithromycin (zum Beispiel Biaxin HP)

❃ 2 ⫻1 000 mg Amoxicillin.

Die Kosten dieser Therapie liegen bei 210 beziehungsweise 250 DM und bringen Eradikationsraten von über 90 Prozent. Weniger erfolgreich ist die englische Therapie aus 2 ⫻1 PPI, 3 ⫻400 mg Metronidazol und 3⫻750 mg Amo- xicillin. Bei Therapieversagern wegen Antibiotikaresistenz kann eine PPI-ge- steuerte Quadruple-Therapie (PPI plus Wismut plus Tetracyclin plus Metro- nidazol) oder eine zweiwöchige Dualtherapie versucht werden. Als Al- ternative verbleibt immer noch die Langzeittherapie mit PPI in der halben therapeutischen Dosis, die – eine ent- sprechende Compliance des asympto- matischen Patienten vorausgesetzt – die Ulkusdiathese weitgehend zu unter- drücken vermag.

Die H.-pylori-Durchseuchung in der westlichen Welt nimmt rapide ab, wohl dank der verbesserten hygienischen Verhältnisse, weniger als Therapieer- folg, während die Zahl der H.-pylori- negativen Ulzera ansteigt, ohne dass in jedem Fall eine ASS/NSAR-Einnahme zu eruieren ist. Folge der H.-pylori-Era- dikation ist aber möglicherweise, zu- mindest bei Patienten mit Ulcus duode- ni, eine Zunahme der Refluxkrankheit der Speiseröhre, die als „reines Säure- problem“ wiederum eine Langzeitbe- handlung mit Säureblockern erforder- lich macht.

Als Anleitung für die Praxis ist da- von auszugehen, dass zunächst ein Versuch mit Omeprazol oder einem der Nachfolgepräparate, zum Beispiel Pantoprazol beziehungsweise Lanso- prazol in einer Dosis von 20, 30 bezie- hungsweise 40 mg gemacht wird. Ge-

gebenenfalls sind die Tagesdosen indi- viduell anzupassen, das heißt auf 15 beziehungsweise 20 mg zu erniedri- gen. Dabei hat sich herausgestellt, dass zum Beispiel der PPI Lansopra- zol, morgens eingenommen, einen aus- reichenden Schutz über den ganzen Tag gewährleistet. Gegebenenfalls muss am Abend eine zusätzliche Me- dikation mit einem H2-Blocker erfol- gen, da die nächtlichen Sekretions- schübe der Magensäure besonders gut mit H2-Blockern unterdrückt werden können.

Die M1-Rezeptorenblocker sind als Reservemittel zu betrachten. Die uner- wünschten Wirkungen, die dabei auf- treten, sind in der Regel nicht lebensbe- drohlich, für den betroffenen Patienten aber enorm störend. Dazu gehört Mundtrockenheit, gelegentlich auch Tachykardien, infolge der Hemmung des parasympathischen Einflusses am Herzen auf Reizbildung und Reizlei- tung.

Die Verfasser sind Prof. Dr. med. Wolfgang Rösch für um- fangreiche Diskussionen und Vorschläge zu Verbesserun- gen des Manuskripts zu großem Dank verpflichtet.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 840–844 [Heft 13]

Literatur

1. Arnold R: Ulkus-Therapie im Wandel? Dt Ärztebl 1981; A-1767–1773 [Heft 38].

2. Forth W: Pathogenese und Therapie von Magen- und Duodenalulcera. Dt Ärztebl 1980; 1848–1849 [Heft 30].

3. Forth W: Das Problem großer Dosen in der Pharmako- logie. Dt Ärztebl 1990; A-1624–1628 [Heft 20].

4. Forth W, Rummel W: Pharmakotherapie im Gastroin- testinaltrakt. Pharmaka zur Beeinflussung der Funk- tion des Magens. In: Forth W, Henschler D, Rummel W, Starke K, eds.: Allgemeine und spezielle Pharma- kologie und Toxikologie. 7. Auflage. Heidelberg:

Spektrum Akad Verlag 1996; 513–527.

5. Holtermüller K-H: Renaissance der Antacida? Dt Ärz- tebl 1979; A-3117–3123 [Heft 47].

6. Ito S: Functional gastric morphology. In: Johnson LR, ed.: Physiology of the gastrointestinal tract. New York: Raven Press 1983; 1: 519.

7. Lauritsen K, Rune SJ, Bytzer P et al.: Effect of omepra- zole and cimetidine on duodenal ulcer. N Eng J Med 1985; 312: 958–961.

8. Wolfe M, Jensen RT: Zollinger-Ellison syndrome. Cur- rent concepts in diagnosis and management. N Eng J Med 1987; 317: 1200–1209.

9. Wolfe M, Soll AH: The physiology of gastric acid secre- tion. N Eng J Med 1998; 26: 1707–1713.

Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Wolfgang Forth Volpinistraße 54, 80638 München

Evidenz nicht eindeutig

Prof. Jöckel betont zu Recht, dass die gesundheitsgefährdende Wirkung des Passivrauchens kontrovers diskutiert wird. Die vorliegenden epidemiologi- schen Daten sind teilweise in sich wi- dersprüchlich und lassen viele Fragen offen, die auch von Jöckel leider nicht beantworten werden. Ein Blick in die Daten von BIPS- und GSF-Studie lie- fern Belege für die Inkonsistenz der Daten. So führt bei der Hälfte der Ex- positionsquellen eine als relevant be- zeichnete Belastung zu einer Senkung des Odds Ratio, was nach Meinung der Autoren (3) auf eine Exposition hin- deutet, die das Erkrankungsrisiko er- niedrigt. Das scheint nicht plausibel.

Eine befriedigende Antwort auf die Frage, warum so viele Studien, auch zum großen Teil die von BIPS und GSF keine statistische Signifikanz errei- chen, ist nicht zu erkennen. Das wird noch deutlicher an den wohl besten je- mals durchgeführten Studien der Inter- nationalen Krebsforschungsagentur LARC (1). 650 Lungenkrebsfälle bei Nichtrauchern aus zwölf Kollaborati- onszentren in acht europäischen Staa- ten gelangten in die Auswertung. Die relativen Risiken lagen zwischen 1,116 bei häuslicher Exposition, 1,17 bei Ar- beitsplatzbelastung und 1,14 bei der Kombination beider, kein Ergebnis er- reichte statistische Signifikanz. Hinzu kamen erhebliche Differenzen der Ri- siken zwischen den einzelnen Studien- zentren. Während beispielsweise in Stockholm bei kombinierter Expositi- on fast eine Verdopplung des Lungen- krebsrisikos ermittelt wurde, lag es in den drei Zentren Bremen/Frankfurt,

zu dem Beitrag

Gesundheitsrisiken durch Passivrauchen

von

Prof. Dr. rer. nat.

Karl-Heinz Jöckel in Heft 43/2000

DISKUSSION

(6)

Paris und Turin unter 1,0. Schwer er- klärbar ist ein weiterer Befund. Tabak- rauchexposition während Kindheit und Jugend suggeriert gar einen protekti- ven Effekt. In neun der zwölf Zentren wurde ein relatives Risiko von unter 1 ermittelt, wobei dieses Ergebnis als einziges statistische Signifikanz er- reichte. Bestätigt wurden diese Befun- de durch eine spätere Studie von Bofet- ta et al. Diese ergab keine Risikoer- höhung durch Passivrauchen zu Hause und eine nicht signifikante nach Bela- stung am Arbeitsplatz (2). Einen weite- ren Hinweis auf die Problematik der Bewertung epidemiologischer Daten aus dem Bereich der Low-risk-Asso- ziation liefert die jüngst publizierte Auswertung zum Zusammenhang von Passivrauchen und Brustkrebs (2), die keine Erhöhung des Risikos finden konnte, nachdem eine Zeit lang von ei- nem schon gesicherten Risiko ausge- gangen wurde.

Es ist Jöckel zuzustimmen, wenn er zu dem Ergebnis gelangt, dass die bis- lang vorgelegte wissenschaftliche Evi- denz eindeutig mehr Hinweise für die Gesundheitsschädlichkeit des Passiv- rauchens als gegen sie erkennen lässt.

Hinweise sind aber noch keine Bewei- se. Zudem gilt dies allenfalls für eine ex- trem hohe und langjährige Belastung.

Unter dieser Annahme sind Maßnah- men zu befürworten, die Nichtraucher insbesondere am Arbeitsplatz vor sol- chen Belastungen schützen. Hierfür ei- nen Grenzwert zu finden, dürfte nicht einfach sein. Gegen wen sollten sich im Übrigen Schadensersatzforderungen richten? Den Verursacher, also Arbeits- kollegen, den Arbeitgeber, die Politik?

Literatur

1. Bofetta P et al.: Multicenter case-control study of ex- posure to environmental tobacco smoke and lung cancer in europe. Natl Cancer Inst 1998; 90:

1440–1449.

2 Bofetta P et al.: Exposure to environmental tobacco smoke and risk of adenocarcinoma of the lung. Intern J Cancer 1999; 83: 635–639.

3. Jöcke, KH et al.: Lungenkrebsrisiko durch berufliche Exposition. Landsberg: ecomed 1998; 34.

4. Wartenberg D et al.: Passive smoking exposure and female breast cancer mortality. J Natl Cancer Inst, 2000; 92: 1666–1673.

Dr. med. Klaus Zapka Gneisenaustraße 42, 30175 Hannover

Aussagen und Daten nicht übereinstimmend

Wir müssen Jöckel danken, dass er sei- ne Originalzahlen veröffentlicht hat. Es handelt sich um zwei Fall-Kontroll-Stu- dien bei lebenslangen Nichtrauchern, die nach ihrer Exposition gegenüber Passivrauchen beim Partner und am Arbeitsplatz klassifiziert worden sind.

In der PISP-Studie sind von 71 Fällen mit Lungenkrebs 30 niemals gegenüber dem Passivrauchen exponiert gewesen, das sind rund 42 Prozent. In der GFS- Studie sind von 304 Fällen mit Lungen- krebs 158 niemals exponiert gewesen, das sind rund 52 Prozent. Bei diesen Zahlen ist das Passivrauchen keine genügende und keine notwendige Be- dingung für die Manifestation des Lun- genkrebses. Ein Verbot des Passivrau- chens schützt also niemanden, weder Raucher noch Nichtraucher. Zugleich bestätigen Jöckels Zahlen die minde- stens 100-jährige ärztliche Erfahrung:

Lungenkrebs ist ein anlage- und alters- bedingtes Leiden.

Das relative Risiko ist kein Maß für die Stärke der Gefährdung; es ist viel- mehr ein Maß für die Altersunterschie- de zwischen Exponierten und Nichtex- ponierten und/oder Fällen und Kon- trollen (3). Das beste Beispiel liefern Bofetta et al. In ihrer Studie über das Passivrauchen ist die Altersverteilung bei

Fällen und Kontrollen gleich; die acht relativen Risiken schwanken zwischen 0,71 und 1,26 (1). In der Studie über Zi- garren- und Pfeifenrauch sind die Fälle im Schnitt zwölf Jahre älter als die Kon- trollen; die relativen Risiken liegen zwi- schen 8 und 9 (2).

Aus den gleichen Gründen muss man bei jeder Metaanalyse fragen: Sind die Altersverteilungen in allen erfas- sten Studien vergleichbar? Zwar ver- sucht man, Altersverteilungen zu adju- stieren oder zu standardisieren; die Al- terswirkung bei der Manifestation des Lungenkrebses verschwindet dadurch nicht. Viel schlimmer ist die „Publikati- onsverzerrung“. Negative oder kriti- sche Manuskripte erscheinen nicht im Druck.

Die Passivrauch-Doktrin ist also nicht begründet; man erhält sie nur da- durch am Leben, dass man sie vor jegli-

cher Kritik bewahrt.

Literatur

1. Bofetta P et al.: Multicenter case-control study of ex- posure to environmental tobacco smoke and lung cancer in europe. J Natl Cancer Inst 1998; 90:

1440–1449.

2 Bofetta P et al.: Cigar and pipe smoking and lung can- cer: a multicenter study in europe. J Natl Cancer Inst 1999; 91: 697–701.

3. Immich H: Versicherungsmedizin 1999; 51: 83–87 Prof. (em.) Dr. med. Herbert Immich

Sandkamp 9 d 25826 St. Peter-Ording

Sachlich fragwürdig

Die Abhandlung fordert mich als Ar- beitsmediziner zu einigen Anmerkun- gen heraus. Abgesehen davon, dass der Artikel gewisse sachliche Fragwür- digkeiten enthält, dies insbesondere hinsichtlich des ausgewählten Schrift- tums, lässt der zum Schluss abgehan- delte Aspekt der sozialmedizinischen Konsequenzen spannende Erwartung aufkommen: Wie wird man in Anbe- tracht der sowohl durch aktives als auch durch passives Rauchen verur- sachten Schadstoffaufnahmen künftig mit dem im Berufskrankheitenrecht vorgesehenen unvergleichbar höheren Belastungskonzept 100 ([mg/m3] ⫻Jah- re) als Voraussetzung für die Anerken- nung eines Lungenkarzinoms als Be- rufskrankheit umgehen? Dieser Wert wird von einem Passivraucher erst in einigen Hundert oder Tausend Jahren erreicht.

Prof. Dr. med. habil. Alfred Manz Pathologische Anatomie Arbeitsmedizin Alter Achterkamp 61 22927 Großhansdorf

Grundlegende Irrtümer

Die herangezogenen Daten diverser Studien machen laut Jöckel „eine lun- genkarzinogene Wirkung der ETS-Be- lastung höchst wahrscheinlich“ (1).

Dies könnte geschlossen werden, wenn die genannten Studien tatsächlich ver- gleichbar gewesen wären. Dies ist nicht der Fall (2). Es gibt bislang nicht einmal eine Norm für ETS-Belastung, keine anwendbaren/vorgeschriebenen Mess-

(7)

verfahren, folglich in den Studien häu- fig keine oder nur vage Angaben über Expositionen. Ob nun diese oder jene Arbeit Missklassifikationen enthalten hat, ist aufgrund des beschriebenen grundlegenden Mangels fast zu ver- nachlässigen.

Seine Wertung hat Jöckel dem Text der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) (3) entlehnt (4).

Die MAK hatte 1998 („nicht kürz- lich“) „Passivrauchen“ als „erwiesen- ermaßen krebserregend für den Men- schen“ in die neu geschaffene Katego- rie 1 (bei Jöckel falsch „III/1“) einge- stuft (5).

Die Kommission hatte sich bei ihrer Sachstandsbeschreibung auf zwei Ar- beiten der US-Environmental Protec- tion Agency (EPA) gestützt (6). Die EPA hatte den „bulk of the scien- tific evidence“ (7) aus unvergleichbaren Quellen abgeleitet. Diese Feststellung bezieht sich auf fehlende ETS-Messun- gen und viele weitere Elemente wie die Vermischung von Daten über ETS- Wirkung auf Hamster, Hunde, Katzen, Mäuse, Ratten mit solchen von huma- nen Populationen (8).

Neben grundlegenden Irrtümern über die Vergleichbarkeit unterliegen alle Genannten einem weiteren: Sie be- werten „signifikante Korrelationen“

per se als kausale (9).

Von Wissenschaftlern sollte erwartet werden können, dass sie ihre politi- schen Ansichten – wie ehrenwert diese auch sein mögen – nicht mit Sachdar- stellungen verquicken; Jöckel tut dies in verschiedenen Passagen seines Textes (10).

Literatur beim Verfasser

Hans-Joachim Maes

Wissenschaft + Dokumentation GmbH Saatwinkler Damm 42 a

13627 Berlin

Über das Ziel hinaus

Prof. Jöckel kommt in seinem Beitrag (5) zu dem Ergebnis, dass insbesondere die epidemiologischen Studien eine lungenkarzinogene Wirkung der ETS- Belastung (ETS, environmental to- bacco smoke) höchst wahrscheinlich

machen. Dies ist eine vorsichtige Beur- teilung, wenn man bedenkt, dass ein solcher Zusammenhang von anderen in der Öffentlichkeit längst als bewiesen dargestellt wird. Trotzdem ist fraglich, ob selbst diese zurückhaltende Bewer- tung einer wissenschaftlichen Kritik standhalten kann. Jöckels Antworten auf folgende Fragen, die sich alle auf Arbeiten beziehen, an denen er selbst mitgewirkt hat, erlauben es dem Inter- essierten, sich darüber ein eigenes Ur- teil zu bilden.

Warum geht die ETS-Belastung in der Kinderzeit – wie in der Studie von Boffetta et al. (3) gefunden, aber von Jöckel mit keinem Wort erwähnt – mit einer signifikanten Abnahme des Lun- genkrebsrisikos auf 0,78 (95 Prozent CI

= 0,64–0,96) einher? Wenn dieser eine von nur zwei in der Gesamtstudie erhal- tenen statistisch signifikanten Befun- den nichts anderes als ein Zufallswert ist, was sehr wahrscheinlich ist, muss doch die Frage erlaubt sein, warum die vielen anderen nichtsignifikanten Be- funde Belege für eine kausale Bezie- hung zwischen Passivrauchen und ei- nem erhöhten Lungenkrebsrisiko sein sollen. Schließlich gibt es dafür, wie Jöckel selbst aufzeigt, eine Reihe ande- rer Erklärungen

Wie kann sichergestellt werden, dass das in derselben Studie (3) durch Metaanalyse von zwölf Einzelstudien erhaltene Lungenkrebsrisiko von 1,14, das dem Passivrauchen zu Hause und am Arbeitsplatz zugeschrieben wird, nicht ebenfalls ein reiner Zufallsbe- fund ist? Immerhin spricht die Schwankungsbreite der in den ver- schiedenen Zentren erhaltenen Risi- kowerte, die zwischen 0,72 und 2,29 liegen, für eine enorme Inkonsistenz der der Metaanalyse zugrunde liegen- den Datensätze.

Warum ist das in derselben Studie (3) gefundene Lungenkrebsrisiko durch Passivrauchen in den Einzelstudien so stark abhängig von der Bildungs- und Sozialschicht der Fälle? Eine genauere Analyse der von Boffetta et al. (4) zu- sätzlich veröffentlichten Daten ergibt, dass das Lungenkrebsrisiko durch Passivrauchen umso geringer ist, je größer der prozentuale Anteil der Fälle mit dem höchsten Sozialstatus ist und umgekehrt umso höher ist, je größer

der Anteil der Fälle mit dem niedrig- sten Sozialstatus ist.

Wie wirkt sich auf das durch Passiv- rauchen am Arbeitsplatz angeblich verursachte Lungenkrebsrisiko die Tat- sache aus, dass ETS-exponierte Nicht- raucher die ETS-Belastung zu Hause und am Arbeitsplatz offensichtlich un- terschiedlich bewerten? Aus einer früheren Studie von Becher, Jahn und Jöckel (2) ergibt sich, dass am Arbeits- platz ETS-exponierte Personen die Belastung, die mittels Messung der Kotininausscheidung im Urin recht ge- nau erfasst werden kann, im Vergleich zur häuslichen ganz erheblich über- schätzen (1).

Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist auszuschließen, dass das bei Metaana- lysen übereinstimmend gefundene er- höhte Lungenkrebsrisiko durch Passiv- rauchen eher auf Bias und Confound- ing als auf das Passivrauchen zurückzu- führen ist? Immerhin werden in Meta- analysen, in denen die Ergebnisse meh- rerer Studien zusammengefasst wer- den, auch die Fehler dieser Studien wei- tergegeben, was zur Folge hat, dass die erwiesene Konsistenz der Fehler eine Wertigkeit der Ergebnisse vortäuschen kann, die nicht gegeben ist.

Aus theoretischen Erwägungen ist natürlich nicht auszuschließen, dass das Lungenkrebsrisiko durch Passivrau- chen geringfügig ansteigt. In dem Bemühen, diesen gegenwärtig nicht be- weisbaren Zusammenhang wenigstens höchst wahrscheinlich zu machen, wird offensichtlich weit über das Ziel hinaus- geschossen.

Literatur:

1. Adlkofer F: Abschätzung der inneren Belastung durch Tabakrauch mittels Biological Monitoring. VDI Berich- te 888. VDI-Verlag 1991, 499–516.

2. Becher H, Jahn I, Jöckel K-H: Passivrauchen als Ge- sundheitsrisiko. Eine Untersuchung über Schwerpunk- te der Exposition. Bremer Institut für Präventivfor- schung und Sozialmedizin. Ministerium für Arbeit, Ge- sundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfa- len (cd.). Herford: Busse Druck 1987.

3. Boffetta P et al.: Multicentre case-control study of ex- posure to environmental tobacco smoke and lung cancer in europe. J Natl Cancer Inst 1998; 90:

1440–1450.

4. Boffetta P et al.: European multicentre case-control study of lung cancer in non-smokers. JARC Techn Rep 33, 1998.

5. Jöckel K-H: Gesundheitsrisiken durch Passivrauchen.

Dt Ärtzebl 2000, 97: A-2852–2857 [Heft 43].

(8)

Prof. Dr. med. Franz Adlkofer Parallelstraße 18

12209 Berlin

Zu kurz gesprungen

Als Ziel des Beitrags wird angegeben,

„die neuere wissenschaftliche Evidenz zur gesundheitsschädlichen Wirkung von Passivrauchen darzustellen und den Stellenwert der methodischen Ar- gumente zu beleuchten“.

Dieser Zielvorgabe wird Jöckel bedauerlicherweise nicht gerecht, da er sich fast ausschließlich auf epi- demiologische Daten bezieht und toxi- kologische Befunde gar nicht oder nur rudimentär berücksichtigt. Seine Fest- stellung: „Die vorliegenden toxikologi- schen Daten, die Ergebnisse von Tier- experimenten, die Kanzerogenitätsun- tersuchungen in Körperflüssigkeiten, . . . machen eine lungenkarzinogene Wirkung der ETS-Belastung höchst wahrscheinlich“, ist zu dürftig, um als wissenschaftlicher Diskussionsbeitrag zur Toxikologie des Passivrauchens ge- wertet zu werden, zumal jeder Hinweis auf die relevante Literatur fehlt. Die wissenschaftliche Literatur hierzu ist in Wirklichkeit extrem widersprüchlich.

In einem Übersichtsartikel des einen von uns (1) wird ausführlich auf den aus toxikologischer Sicht wichtigen Dosis- aspekt beim Passivrauchen eingegan- gen. Aus dem dort Dargestellten geht hervor, dass die durch Passivrauchen aufgenommene Dosis nahezu aller toxi- kologisch relevanter Schadstoffe im Be- reich oder nur geringfügig über der Hintergrundbelastung für Nichtraucher liegt.

Im Übrigen sind in dem erwähnten Review mehr als 30 Arbeiten zitiert, die in unserem Labor und anderswo mit Mitteln der Tabakindustrie zu dieser Thematik durchgeführt wurden. Der Vorwurf von Jöckel, die Zigarettenin- dustrie habe nicht versucht, durch fun- dierte Studien diesem Problem auf den Grund zu gehen, ist also unhaltbar. Von denen durch die Tabakindustrie finan- zierten Studien nennt er lediglich die Untersuchungen von Phillips et al., die er als „methodisch fragwürdig“ be- zeichnet. Jöckel wirft einer dieser Stu- dien die Nennung falscher NO2-Kon- zentrationen vor, lässt aber völlig un-

berücksichtigt, dass diese Werte bei der Erörterung der ETS-Belastung durch die Autoren nicht die geringste Rolle spielen.

Fazit: Beim Versuch, die neuere wis- senschaftliche Evidenz zur gesundheits- schädlichen Wirkung von Passivrau- chen darzustellen, ist Jöckel entschie- den zu kurz gesprungen.

Literatur

1. Scherer WD, Adlkofer F: Tabakrauch in der Raumluft – Erfassung der Schadstoffbelastung durch Passiv- rauchen zur Bewertung des gesundheitlichen Risi- kos. Gefahrstoffe – Reinhaltung der Luft 1999; 59:

435–443.

Priv.-Doz. Dr. rer. pol. Wolf-Dieter Heller Priv.-Doz. Dr. rer. nat. Gerhard Scherer Analytisch-biologisches Forschungslabor Goethestraße 20, 80336 München

Schlusswort

Wie bereits im Artikel dargestellt, er- scheint kaum ein Artikel zum Risiko von Passivrauchen ohne nachgehende kritische Leserbriefe, die versuchen, vermeintliche oder wirkliche Mängel der vorgetragenen Studie aufzu- spießen. Zapka und Adlkofer beklagen, dass in der IARC-Studie (3) die in den einzelnen Zentren ermittelten Risiken eine erhebliche Heterogenität aufwei- sen, verschweigen aber, dass diese nicht statistisch auffällig ist, beispielsweise p

= 0,82 für Exposition am Arbeitsplatz und durch den Ehepartner. Die von Adlkofer monierte Sozialschichtabhän- gigkeit der gefundenen Risiken beruht auf einem ökologischen Fehlschluss (ecologic fallacy): Er korreliert auf der Basis von Zentren Risiken mit Sozial- beziehungsweise Bildungsschichtindi- katoren. Wenn man, wie in der Publika- tion (3) geschehen, korrekt die Indivi- dualdaten berücksichtigt, ergibt sich praktisch keine Veränderung der ge- fundenen Risiken durch die Berück- sichtigung der Sozialschicht.

Dass in der genannten Studie kein Zusammenhang mit der Passivrauchbe- lastung in der Kindheit gefunden wer- den konnte, steht in guter Übereinstim- mung mit anderen Befunden der Lite- ratur. Ob dieser Befund real ist oder an- dere Faktoren, wie die Schwierigkeit des Erinnerns kindlicher Expositionen,

Zeit seit letzter Exposition oder andere Effekte hierfür verantwortlich sind, mag dahingestellt sein. Interessant ist aber, dass in der BIPS-Studie (5) für Personen, die selbst ein gelegentliches Rauchen (wie anlässlich von Feiern) verneint haben, die höchste Expositi- onskategorie ein Risiko von 2 (nicht signifikant) aufweist. Die von Adlkofer zitierte Studie (1) auf der Basis von 93 Messwerten zeigt auch für die Arbeits- platzexposition eine positive, allerdings nicht statistisch signifikante Korrelati- on zum Kotiningehalt im Urin. In der sehr viel größeren internationalen Stu- die an 1 300 Frauen aus 13 Zentren (6), deren Teil die oben genannte war, war der Arbeitsplatz der stärkste Prädiktor für die Kotininkonzentration nach der Belastung durch den Ehepartner.

Über die generelle Geeignetheit von Metaanalysen lässt sich trefflich strei- ten, jedoch ist anders als bei vielen an- deren Untersuchungen die Konsistenz dieser Metaanalysen mit den Befunden großer und aussagekräftiger Studien beeindruckend. Zu der von Immich geäußerten Kritik ist anzumerken, dass ich keinesfalls das Passivrauchen als genügende und/oder notwendige Be- dingung für die Manifestation des Lun- genkrebses darstellen wollte. Das in den verschiedenen Studien gefundene erhöhte Risiko ist allerdings nicht auf den Effekt des Alters zurückzuführen, da für dieses über das Design der Studi- en oder durch die Art der statistischen Auswertung kontrolliert wurde. Dass eine anlagebedingte Mitverursachung des Lungenkrebses höchstwahrschein- lich ist, haben wir in eigenen Untersu- chungen (4) zeigen können.

Wie Heller und Scherer zu Recht er- kennen, gehe ich nicht sehr ausgiebig auf die rein toxikologische Beweislage ein, sondern beziehe mich auf die von der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe herausgegebene Bewertung – auch ei- ne Konsequenz der für eine solche Übersichtsarbeit verfügbaren Platzres- sourcen. Nicht nachzuvollziehen ver- mag ich allerdings die Behauptung, dass die aufgenommene Dosis nahezu aller toxikologisch relevanten Schad- stoffe im Bereich oder nur geringfügig über der Hintergrundbelastung für Nichtraucher liegt. Die Autoren des

(9)

Editorials zu (3), Blot und McLaughlin, von denen zumindest der letztere ei- nem kausalen Zusammenhang kritisch gegenüber stand, halten jedenfalls eine 7- bis 28-prozentige Erhöhung des Lungenkrebsrisikos durch Passivrau- chen auf der Grundlage von Extrapola- tionen für möglich (2). Es besteht aber ein weitreichender Konsens darüber, dass ausschließlich toxikologische Überlegungen zur Beurteilung des Ri- sikos nicht ausreichen. Hierfür sind vielmehr Beobachtungen am Men- schen erforderlich, die auch Aussagen zum Endpunkt Lungenkrebs zulassen.

Solche Studien sind in der Tat bislang nicht von der Zigarettenindustrie fi- nanziert worden.

Die Ausführungen von Maes stellen eher auf formale denn auf inhaltliche Aspekte ab, so beispielsweise „Katego- rie III/1“ statt „Kategorie 1 des Ab- schnitts III“ (sic!), und werden damit der sehr komplexen Beweislage nicht gerecht. Hierauf ist er auch bereits durch den Vorsitzenden der Senats- kommission der Deutschen For- schungsgemeinschaft, Prof. W. Greim, bei seiner Kritik an der MAK-Begrün- dung hingewiesen worden. Absolut un- haltbar ist der Vorwurf, bei der Bewer- tung würden signifikante Korrelationen mit kausalen gleichgesetzt. Es gehört zu den Präliminarien jedes epidemiologi- schen Standardlehrbuches, auf diese Problematik hinzuweisen. Welche poli- tischen Ansichten mir Herr Maes un- terstellt, vermag ich ebenfalls nicht nachzuvollziehen.

Das Spektrum der Leserbriefe war, wie bereits eingangs gesagt, zu erwar- ten. Es bleibt dem geneigten Leser überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Aus meiner Sicht jedenfalls führt an der Tatsache, dass zum gegen- wärtigen Zeitpunkt eher mehr als weni- ger für eine kausale Beziehung zwi- schen Passivrauchen und Lungenkrebs spricht, kein Weg vorbei. Es sollte auch deutlich geworden sein, dass eine sim- ple Übertragung des Konzepts aus dem Berufskrankheitenrecht, wie von Manz vermutet, mit einer Belastung von min- destens 100 Benzo(a)pyren-Jahren ((µg/m3) ⫻Jahre) sicherlich nicht der wissenschaftlichen Datenlage zum Pas- sivrauchen gerecht würde.

Literatur

1. Becher H, Jahn I, Jöckel K-H: Passivrauchen als Ge- sundheitsrisiko. Eine Untersuchung über Schwer- punkte der Exposition. Bremer Institut für Präventi- onsforschung und Sozialmedizin. Ministerium für Ar- beit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein- Westfalen (ed.). Herford: Busse Druck 1987.

2. Blot WJ, MacLaughlin JK: Passive smoking and lung cancer: What is the Story now? Editoiral. J Natl Cancer Inst 1998; 90: 1416–1417.

3. Boffetta P, Agudo A, Ahrens W et al.: Multicenter case-Control study of exposure to environmental tobacco smoke and lung cancer in Europe. J Natl Cancer Inst 1998; 90: 1440–1450.

4. Bromen K, Pohlabeln H, Jahn I, Ahrens W, Jöckel K-H:

Aggregation of lung cancer in families: Results from a population-based case-control study in Germany.

American Journal of Epidemiology 2000; 152: 497–

505.

5. Jöckel K-H, Pohlabeln H, Ahrens W, Krauss M: Envi- ronmental tobacco smoke and lung cancer. Epidemio- logy 1998b; 9: 672–675.

6. Riboli E, Preston-Martin S, Saracci R et al.: Exposure of nonsmoking women to environmental tobacco smo- ke: a 10-country collaborative study. Cancer Causes and Control 1990; 1: 243–252.

Prof. Dr. rer. nat. Karl-Heinz Jöckel Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie Hufelandstraße 55, 45122 Essen

Immuntherapie mit IL-2 und Interferon De-facto-Standard

Der Autorengruppe ist für die sorgfäl- tige Zusammenstellung der Daten zur Immuntherapie des Nierenzellkarzi- noms zu danken. Diese Entwicklun- gen haben in den letzten zehn Jahren

zweifellos zu den erlebbaren Verbes- serungen in der Behandlung beigetra- gen. Interleukin-2 und Interferone sind Teil des klinischen Alltags, zu Recht: Spontanremissionen beim me- tastasierten Nierenzellkarzinom sind mit weniger als einem Prozent ausge- sprochen selten. Ansprechraten durch Interleukin-2 und Interferon unter- scheiden sich hiervon eindeutig. Dies hat für den Patienten unmittelbar Be- deutung. Atemnot verschwindet bei pulmonaler Remission, Schmerzen verschwinden bei Remission von Kno- chenmetastasen. Das mediane Über- leben aller Patienten mit metastasier- tem Nierenzellkarzinom ohne Im- muntherapie beträgt weniger als me- dian sieben Monate (1). Ein Überle- bensvorteil durch Immuntherapie mit Interferon beim metastasierten Nie- renzellkarzinom ist belegt. Für Inter- leukin-2 ist ein Überlebensvorteil wahrscheinlich (2), bislang aber we- gen fehlender abgeschlossener Studi- en prospektiv nicht belegt. Retrospek- tiv zeigte sich in einer vergleichenden Analyse von 670 Patienten aus 24 ver- schiedenen klinischen Studien im Ver- gleich zu Chemo- oder Hormonthera- pie (3) ein besseres Ergebnis (medianes Überleben bei günstiger Prognose 27 Monate statt 15, bei mittlerer Prognose 12 Monate statt 7, bei ungünstiger Pro- gnose 6 statt 3 Monate). Lokale Appli- kationsverfahren von Zytokinen sind richtungsweisend in der Verbesserung der Lebensqualität (4–6). Die Inhalati- on von Interleukin-2 erhält bei pulmo- naler Metastasierung die Lebensqua- lität langfristig (im Mittel 13,4 Monate) (7). Daher ist bei Studienkonzepten ei- ne Randomisierung gegen einen Nullarm (Arm ohne Immuntherapie) zweifellos – auch – ein ethisches Pro- blem. Eine zurzeit von der Universität Hamburg durchgeführte Umfrage be- stätigt, dass die ambulante Immunthe- rapie mit IL-2 und Interferon in Deutschland einen De-facto-Standard darstellt. Sie wird – laut Umfrageergeb- nis – von Ärzten wegen ihrer Effekti- vität eingesetzt.

In diesem Zusammenhang missver- ständlich erscheint die Forderung, dass Immuntherapien mit Interleukin-2 und IFN alpha-2a nur im Rahmen eines The- rapieoptimierungsvergleiches durchge- zu dem Beitrag

Immuntherapie des Nierenzellkarzinoms

von

Priv.-Doz. Dr. med.

Claus G. Fischer

Dr. med. Ralph Oberneder Prof. Dr. med. Jens Altwein Prof. Dr. med. Manfred Wirth Prof. Dr. med. Kurt Miller in Heft 42/2000

DISKUSSION

(10)

führt werden soll. Patienten können und müssen durchaus mit regelhaften Therapieprotokollen (8) – ohne Zwang zur Teilnahme an der Studie – behan- delt werden. Jede Aufklärung zur klini- schen Studie informiert Patienten, dass aus Nichtteilnahme kein Nachteil ent- steht. Eine effektive Behandlung darf daher nicht verweigert werden.

Es besteht kein Grund die Therapie an die personelle und finanzielle Ver- fügbarkeit GCP-gerechter Studienbe- gleitung im Therapiezentrum zu kop- peln. Dies ist von den Autoren so si- cher nicht beabsichtigt. Unterstreichen darf man die Forderung der Autoren, die Behandlungen unter kontrollierten und somit qualitätssichernden Bedin- gungen durchzuführen. Eine Exper- tenstellungnahme der Deutschen Ge- sellschaft für Immuntherapie e.V. zur Immuntherapie kann im Internet über www.dgfit.de abgerufen werden.

Literatur beim Verfasser

Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Edith Huland Klinik und Poliklinik für Urologie

Vorstand Deutsche Gesellschaft für Immuntherapie e.V.

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Martinistraße 52, 20246 Hamburg

Schlusswort

Offensichtlich ist die Situation der Im- muntherapie des Nierenzellkarzinoms in Deutschland so komplex, wie wir sie in unserem Artikel beschrieben haben – die obige Stellungnahme von Frau Kollegin Huland zeigt dies. Die darin ergänzten Daten sind bekannt, tragen jedoch kaum zur Lösung der Probleme bei. Wir wissen, dass Interleukin-2 und Interferon-alpha-2a zu kompletten Re- missionen und auch zu signifikanten Lebensverlängerungen führen können.

Müssen wir deshalb jedem Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzi- nom diese teure Behandlung anbieten, wohlwissend, dass nur ein Teil der Kranken davon profitieren wird? Aus ethischen und rechtlichen Gründen wohl schon – aus wirtschaftlichen Über- legungen heraus wohl eher nicht? Diese Frage wird in naher Zukunft viele Juri- sten beschäftigen. Wie konnte es dazu kommen?

Die Therapie mit Interleukin-2 und Interferon-alpha-2a ist ein De-facto- Standard in der Therapie des metasta- sierten Nierenzellkarzinoms. Der Groß- teil dieser Patienten erhält ein Inter- leukin-2-basiertes Behandlungsschema.

Die Substanz ist für diese Indikation in der intravenösen Applikationsform zu- gelassen, wird aber aufgrund der unzu- mutbaren Nebenwirkungen weltweit fast nur in der subkutanen, teilweise auch in Kombination mit einer inhalati- ven Darreichungsform verabreicht.

Diese sind praktisch äquipotent, neben- wirkungsärmer und kostengünstiger.

Das ist der medizinische Wissensstand.

Damit beginnen aber, zumindest in Deutschland, die eigentlichen Schwie- rigkeiten: Müssen unsere Patienten un- erträgliche, potenziell lebensbedrohen- de Nebenwirkungen erleiden, weil diese Erkenntnis noch keinen Eingang in die Rote Liste gefunden hat? Nach der An- sicht einzelner Kostenträger schon, nach unserer Meinung nicht.

Es gibt ein zweites Problem. Wir wis- sen nicht genau, welchen Patienten die- se Therapie helfen wird. Wir wissen nicht, ob die Kombination mit anderen Substanzen wirkungsvoller sein kann und ob diese Immuntherapie auch im adjuvanten Bereich nutzen kann. Des- halb brauchen wir klinisch-prospektive Studien, deren Ergebnisse überzeugen können. Dazu gehört für uns auch das Führen eines Nullarms, eben weil der prospektiv erbrachte Beweis einer Le- bensverlängerung durch die Immunthe- rapie noch aussteht. Den angesproche- nen ethischen Problemen wird in un- serem Therapieoptimierungsvergleich durch die freie Zuordnung in einen Behandlungs- beziehungsweise den Nullarm begegnet. In der aktuellen kli- nischen Forschung zum fortgeschritte- nen Nierenzellkarzinom werden daher alle Qualitätsanforderungen berück- sichtigt, die formal und inhaltlich für kli- nische Studien sinnvoll sind. Trotzdem werden in Deutschland Gerichte über diese Therapie entscheiden. Wir sind gespannt, ob im Sinne der Patienten.

Priv.-Doz. Dr. med. Claus G. Fischer Urologische Klinik

Krankenhaus Hohe Warte Hohe Warte 8, 95445 Bayreuth

MRT beim

Rektumkarzinom zuverlässig

Der tumorfreie Resektionsrand beim Rektumkarzinom kann einer nieder- ländischen Untersuchung zufolge mit- hilfe der hochauflösenden Magnetreso- nanztomographie (MRI mit Phased- Array-Spule) genau und zuverlässig vorausgesagt werden. Dies ist klinisch zur Abschätzung des Rezidivrisikos und zur Planung einer erweiterten Ope- ration und/oder einer präoperativen Radiotherapie bedeutsam. Die konven- tionelle MRI-Diagnostik galt bislang gegenüber der endorektalen Ultraso- nographie als unterlegen.

In der Untersuchung befundeten zwei Radiologen unabhängig voneinander die Aufnahmen von 76 Patienten mit der Erstdiagnose Rektumkarzinom. Dazu maßen sie den geringsten Abstand des äußeren Tumorrandes bis zur Fascia me- sorectalis. Diese Messungen entsprachen sehr gut den postoperativ ermittelten Angaben zum äußeren Resektionsrand.

Bei allen zwölf Patienten mit T4-Tumor wurde die chirurgisch nicht zu erreichen- de lokale Tumorfreiheit in jedem Fall korrekt vorausgesagt. Zutreffend war auch die Voraussage, wenn der histopa- thologisch ermittelte Resektionsrand mehr als 1 cm ausmachte. Betrug der in der hochauflösenden MRT gemessene Randabstand mindestens 5 mm, konnte mit großer Wahrscheinlichkeit eine R0- Resektion vorausgesagt werden.

Die Einschätzung der Größe des Primärtumors gelang aufgrund der to- mographisch oft nur schlecht einschätz- baren fibroplastischen Reaktion dage- gen nur mäßig genau. Die beiden Be- funder sagten das korrekte pT-Stadium des Tumors in 83 beziehungsweise 67 Prozent der untersuchten Fälle richtig

voraus. brm

Beets-Tan R G H, Beets G L, Vliegen R F A et al.: Accuracy of magnetic resonance imaging in prediction of tumour- free resection margin in rectal cancer surgery. Lancet 2001; 357: 497–504

Dr. Beets-Tan, University Hospital of Maastricht, Depart- ment of Radiology, P Debyelaan 25, NL-6202 AZ Maas- tricht, Niederlande. E-Mail: rbe@rdia.azm.nl

Referiert

Referenzen

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