Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 6½½½½9. Februar 2001 AA273
S E I T E E I N S
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inen Fortschritt bei der Behinder- ten- und Rehabilitationspolitik sieht die Bundesregierung in der Neukodifizierung des Rehabilitati- ons- und Schwerbehindertenrechtes im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX).Bereits Anfang der Achtzigerjahre hatte die frühere Bundesregierung eher halbherzige Anläufe in dieser Hinsicht unternommen.
Der für Rehabilitation zuständige Bundesminister für Arbeit und So- zialordnung, Walter Riester (SPD), hat Ende vergangener Woche beim
„Rehabilitationsforum“ der Bun- desversicherungsanstalt für Ange- stellte in Berlin verdeutlicht, inwie- fern die SGB-IX-Kodifizierung auch materiell-rechtlich Tiefgang haben wird. Ziel ist es, die Selbstbestim- mung und gleichberechtigte Teilha- be behinderter Menschen und von Behinderung bedrohter Mitbürger
nachhaltig zu fördern. Der Entwurf, der am 19. Januar in erster Lesung im Bundestag behandelt wurde, soll bereits am 1. Juli 2001 in Kraft tre- ten. Die bisherigen Grundsätze der Rehabilitationspolitik sind unverän- dert: Prävention vor Rehabilitation;
Rehabilitation vor Rente und Pfle- ge; Selbsthilfe vor Fremdhilfe; am- bulante und semistationäre Rehabi- litation vor stationärer Versorgung und so viel Normalität, so wenig Bürokratie wie möglich.
Dies sind allesamt hochlöbliche Postulate, die auf Zustimmung der Behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen stoßen werden.
Riester will an dem gegliederten Sy- stem der Rehabilitation festhalten.
Übertriebenen Autonomie- und Se- parationstendenzen der Träger der Rehabilitation trat der Minister ent- gegen: „Es ist nicht daran gedacht,
neue Behörden aufzubauen.“ Auch bedeute die Einrichtung gemeinsa- mer Servicestellen lediglich ein zu- sätzliches Angebot für die Betroffe- nen. Mühsame Behördengänge müss- ten ausgeschaltet und mehr Transpa- renz geschaffen werden. Die Service- stellen könnten bestehende Struktu- ren, etwa die Auskunfts- und Bera- tungsstellen der Reha-Träger, wie bis- her nutzen. Gestärkt werden sollen die Wahlrechte der Behinderten. Das neu zugeschnittene Zuständigkeits- erklärungsverfahren soll dazu beitra- gen, die Leistungen ziel- und zeitge- recht zu erbringen – ohne dass der Betroffene in das Kompetenz- und Kostengerangel der Träger gerät.
Über die finanziellen Belastungen schwieg sich Riester aus. Allein auf die Krankenkassen dürften jährlich 250 bis 500 Millionen DM Mehrausga- ben zukommen. Dr. rer. pol. Harald Clade
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önnen durch Arzneimittel hu- manpathogene Prionen direkt in den menschlichen Körper ge- langen? Werden Medikamente, auf die Patienten angewiesen sind, zu einer potenziellen „BSE-Falle“?Nein, meinen sowohl das Bundes- institut für Arzneimittel und Medi- zinprodukte (BfArM) als auch die Deutsche Pharmazeutische Gesell- schaft. BSE-Fälle durch die Anwen- dung von Medikamenten könnten mit hoher Wahrscheinlichkeit ausge- schlossen werden.
Prinzipiell denkbar wären jedoch verschiedene Übertragungswege: So ist beispielsweise Gelatine ein un- verzichtbarer Grundstoff für die Herstellung von Kapseln oder Plas- maersatzmitteln. Fötales Kälberse- rum wird bei der Gewinnung von Impfstoffen zur aktiven Immunisie-
rung gegen Virusinfektionen ver- wendet. Einige Medikamente wer- den sogar direkt aus tierischen Pro- dukten hergestellt: Thrombin aus Rinderblut, Aprotinin aus Rinder- lunge.
Das BfArM und die Pharmazeu- ten beruhigen: Die Gelatine, die zu pharmazeutischen Produkten ver- arbeitet wird, stamme aus mark- und fettfreien Knochen von Tieren aus als BSE-frei geltenden Ländern, wie den USA, Australien und Neu- seeland. Zudem werde die Pharma- gelatine einem besonderen Verfah- ren unterzogen, das hypothetisch vorhandene Prionen zerstören soll.
Über zehn bis vierzehn Tage werde die Gelatine mit Natronlauge be- handelt. Eine Expertenkommission der WHO stufe diese Gelatine als sicher ein. Auch das BfArM er-
klärte, dass die deutschen Arznei- mittel aufgrund eines bereits 1994 eingeleiteten Stufenplanverfahrens
„grundsätzlich“ sicher seien. Für ei- ne BSE-Übertragung durch Blut oder Plasma gäbe es bisher keine Anhaltspunkte.
Ob die Möglichkeit einer Infek- tion auf diesem Wege ausgeschlos- sen oder noch nicht ausreichend un- tersucht ist, bleibt dennoch offen.
Bekannt ist allerdings, dass Prionen durch Transplantation von mensch- lichen Hirnhäuten und durch In- jektion von Hypophysenhormonen übertragen worden sind. Auch Cat- gut-Nahtmaterial wird vielfach be- reits nicht mehr verwendet. Weitere Forschung ist dringend notwendig.
Sich in (falscher?) Sicherheit zu wie- gen ist ebenso unangebracht wie Panikmache. Dr. med. Eva A. Richter