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Archiv "Finanzielle Krisenzeit: Gefahr für unsere Gesellschaftsstruktur" (26.11.1981)

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Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Finanzielle Krisenzeit:

Gefahr für unsere

Gesellschaftsstruktur

Sitzung der

Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am 16. November in Berlin Hans Wolf Muschallik, Erster Vorsitzender der KBV, vertritt den Standpunkt der

Kassenärzteschaft gegen eine

Politik staatlicher Reglementierungen

Die Sitzung der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung, am 16. November in einem besonderen Rahmen in Berlin veranstaltet, war eine eindrucksvolle Demonstration der ein- mütigen Haltung aller demokratisch legitimierten Repräsentanten der Kassenärzteschaft gegenüber den jüngsten Versuchen, die Sozialversicherung reglementierend zum Instrument politischer Herrschaft zu machen, — Versuche, die seit der Verkündung der

„Kaiserlichen Botschaft" am 17. November 1881 gang und gäbe sind. Zahlreiche Ehrengäste nahmen an dieser Sitzung der KBV- Vertreterversammlung — am Tage vor dem Festakt des Arbeitsmini- steriums — teil. Offizielle Vertreter der Bundestagsfraktionen spra- chen Grußworte: Dr. Gerhard Braun, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit; Hans- heinrich Schmidt (Kempten), Vorsitzender des Arbeitskreises Sozial- politik der FDP-Bundestagsfraktion; Eugen Glombig, Vorsitzender des Arbeitskreises Sozialpolitik der SPD-Bundestagsfraktion.

Nach der Überreichung der Ehrengabe der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung an Bundesminister a. D. Walter Arendt (siehe Seite 2269 dieses Heftes) erstattete der Erste Vorsitzende der KBV, Dr.

Hans Wolf Muschallik, einen „Bericht zur Lage", der deutlich das Vorhaben brandmarkte, die Krankenversicherung, die Patienten genau so wie die Kassenärzte zunehmend staatlichen Zwangsrege- lungen zu unterwerfen. Wiederholter außerordentlich starker Beifall unterstrich die Entschlossenheit der Vertreterversammlung, die die gesamte Kassenärzteschaft repräsentiert, in gemeinsamer Verant- wortung und in partnerschaftlichem Zusammengehen mit den Kran- kenkassen die freiheitliche soziale Krankenversicherung und die freiheitliche kassenärztliche Versorgung unserer Bevölkerung auch für die Zukunft zu erhalten (siehe den nachstehenden Kurzbericht und die einstimmig gefaßte Resolution auf Seite 2265 dieses Heftes).

Solche Geschlossenheit kam auch in der Nachmittagssitzung der Vertreterversammlung zum Ausdruck, in der Sprecher der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker und der Arzneimittelhersteller erstmals gemeinsam ihr Wirken für unser Gesundheitssicherungssystem dar- stellten und ihren Willen zu dessen Erhaltung bekräftigten. DÄ

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Kassenärzte gegen staatliche Reglementierung

ln einem historischen Rückblick machte Dr. Muschallik deutlich, daß Versuche des Staates, die So- zialversicherung zum Instrument politischer Herrschaft zu mißbrau- chen, sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der sozialen Krankenversicherung ziehen.

Die Kaiserliche Botschaft, die Bis- marck am 17. November 1881 im Weißen Saal des Berliner Schlos- ses verlas und die später sozialro- mantisch verklärt worden ist, ent- hielt, eingebettet zwischen den Eintritt der Freien Stadt Harnburg in das deutsche Zollgebiet und den Versuch zur Einführung eines Tabakmonopols, den Hinweis auf eine Vorlage, "welche sich eine gleichmäßige Organisation des gewerblichen Krankenkassenwe- sens zur Aufgabe stellt". Der Red- ner erhielt am Schluß nicht das geringste Zeichen des Beifalls von den Reichstagsabgeordneten.

Verständlich, denn bei vielen Par- lamentariern gab es erhebliche Widerstände gegen die Bestre- bungen, das Sozialwesen einer von Bismarck geplanten Reichs- versicherungsanstalt und dem bü- rokratischen Apparat des Staates auszuliefern.

Die Bedeutung der aus der Kaiser- lichen Botschaft hervorgegange- nen Einrichtungen zur sozialen Si- cherung solle nicht verkleinert werden, sagte Dr. Muschallik.

"Man sollte andererseits aber auch bedenken, daß manche der Probleme, mit denen wir es heute in der Gesetzlichen Krankenversi- cherung zu tun haben, perinataler Art sind." Die damalige Opposi- tion, geführt von den Liberalen und den Sozialdemokraten, wollte

"keine staatlich gelenkte Wohl- fahrt, keine königlich preußische Caritas, sondern Rechtsansprü- che und eine von Unternehmern wie von Bürokraten unabhängige Selbstverwaltung".

Die Liberalen waren zwar für eine Versicherungspflicht, aber gegen eine Pflichtversicherung. "Wir Kassenärzte sollten uns an diesem Tage fragen, ob wir nicht in man-

'' Klare Ablehnung der Einheitsversicherung

Diese Grundsätze (des Kassenarztrechts) sind keineswegs unumstritten gewesen.

Immer wieder hat es bis heute Bestre- bungen gegeben, die Rechtsstellung der Kassenärzte zu unterminieren. Immer wieder wurde behauptet, zum Turnier zwischen Ärzten und Krankenkassen trä- ten die Ärzte mit "den längeren Spie-

ßen" an, und wenn möglich, wollte man

nicht deren Schaft verkürzen, sondern die Spitze abbrechen.

ln der Vergangenheit ist es gelungen, solche Versuche, die weniger sachlich begründet als ideologisch programmiert waren, abzuwehren. Hierbei haben wir ... die Krankenkassen meist auf un- serer Seite gehabt. Logischerweise, denn - sehen wir einmal von den priva- ten Krankenkassen ganz ab, deren Toten- glöckchen im Namen der Gleichheit ein- geläutet worden wäre- den Ersatzkassen hätte man gern schon beim Erlaß der Reichsversicherungsordnung von 1911 den Garaus gemacht. Auch die Ortskran- kenkassen haben bei einem Blick auf staatlich mehr oder minder ferngelenkte Einheitsversicherungen anderer Län- der ... wenig Veranlassung, die Besei- tigung des Kassenarztrechts herbeizu- sehnen. Sie würden alle mit unserem dann sinkenden Schiff untergehen. Von dem Wohle der Patienten im Rahmen solcher Entwicklungen ganz zu schweigen!

'

eher Hinsicht den Gedanken der liberalen Opposition heute, nach hundert Jahren, näher stehen als der Bismarckschen Intention", sagte Dr. Muschallik. "Auch wir sind ja von dem (Krankenversiche- rungsgesetz) Betroffene, ja, wir sind gleichsam ein Produkt dieses Gesetzes." Für die Versicherten, so sagte der KBV-Vorsitzende,

"enthielt das System der Kranken-

versicherung schon damals als Folge des Kompromisses zwi- schen Regierung und Reichstag jene Mischstruktur, die sie zu ei- nem Zwitter von Versicherung und Versorgung machte".

2264 Heft 48 vom 26. November 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Den umfassenden Regelungen für die Versicherten stand ein rechtli- ches Vakuum bezüglich der Ärzte gegenüber. ln jahrzehntelangen Kämpfen konnte sich die Ärzte- schaft erst eine Rechtsposition schaffen, die ihr eine eigenständi- ge Selbstverwaltung, Vertragsau- tonomie und den Auftrag zur Si- cherstellung der kassenärztlichen Versorgung gewährleistete. Sie hat allerdings diese Rechtsstel- lung immer wteder gegen politisch motivierte Versuche verteidigen müssen, die kassenärztliche Selbstverwaltung staatlicher Ord- nungsgewalt zu unterwerfen.

Was man lange als ideologische Planspiele von Kritikern des Ge- sundheitssystems abgetan hat, hinter denen nur kleine, mehr oder weniger einflußlose Gruppen stan- den, "das wird jetzt zu der Jahr- hundertfeier des deutschen So- zialversicherungswesens zu einer realen Gefahr. Politische Kräfte benutzen die desolate Wirtschafts- lage dazu, ihre Vorstellungen von einem durch staatliche Mechanis- men gesteuerten System der Ge- setzlichen Krankenversicherung durchzusetzen."

..,. Einerseits werden den Kran- kenkassen systematisch Mittel entzogen, andererseits belastet man sie zusätzlich mit Aufgaben, die im Grunde kassenfremd sind.

Dr. Muschallik kritisierte die Wi- dersinnigkeit, die Ausgaben der Krankenkassen an Richtwerte zu binden, "die mit Krankenstand und ärztlicher Versorgung so we- nig zu tun haben wie der Dollarkus mit der Behandlung von Herz- rhythmusstörungen", und ein Ver- sagen des Systems zu beklagen, wenn dann die Ausgaben mit den willkürlich gewählten Richtwerten nicht übereinstimmten.

"Man gewinnt den Eindruck", sag- te Dr. Muschallik unter anhalten- dem Beifall, "die Regierung rücke immer als Freiwillige Feuerwehr mit Blaulicht und Martinshorn an, um Brände zu löschen, die durch ihre eigene Fahrlässigkeit entstan- den sind."

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Einer dieser Brände war der Ab- zug von zwei Milliarden D-Mark aus den Mitteln der Krankenversi- cherung zur Stützung der kran- kenden Rentenversicherung im Jahre 1977. Wenn dennoch der Beitragssatz vier Jahre lang annä- hernd stabil gehalten werden konnte, war das eine Leistung, zu der allerdings das Gesetz am we- nigsten beigetragen habe.

Die Kassenärzte, obwohl sie nur einen verhältnismäßig kleinen An- teil an der Ausgabenmasse der Krankenkassen haben, machten durch maßvolle Honorarpolitik diese Beitragssatzstabilität mög- lich, "schon ehe es ein reglemen- tierendes Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetz und die Empfeh Iungen einer Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen gab".

Dr. Muschallik nannte zum Beweis einige Zahlen:

Die Grundlohnsumme stieg in den Jahren 1976 bis 1980 um 37,2 Pro- zent, der Aufwand der Kranken- kassen für die ambulante kassen- ärztliche Versorgung nur um 29,9 Prozent. Im selben Zeitraum hat- ten die abhängig Beschäftigten ei- nen Einkommenszuwachs von jährlich 6,1 Prozent, die Kassen- ärzte um 2,9 Prozent.

"Für eine solche Entwicklung

beim einzelnen Kassenarzt um Verständnis zu werben, das ist ei- ne Aufgabe, die, weiß Gott, nicht leicht ist. Sie wird aber nachgera- de unmöglich, wenn man durch Nennung von eindeutig überhöh- ten Einkommensdurchschnitten - wie jüngst wieder vor dem Deut- schen Bundestag geschehen- die Kassenärzte in ein schiefes Licht stellt", um durch Erweckung von Neidgefühlen die Position der Ärz- te zu schwächen.

Als 1980 die Ausgaben der Kran- kenkassen je Mitglied die Einnah- men überstiegen, einigten sich Ärzte und Krankenkassen auf eine Stärkung der ambulanten Versor- gung, weil diese am wirtschaftlich-

Eigenverantwortung, Selbstbestimmung, partnerschaftliches Zusammenwirken!

Resolution der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am 16. November in Berlin

Die Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung bekennt sich an läßlich des 100.

Jahrestages der Kaiserlichen Bot- schaft zu den unserer sozialen Krankenversicherung zugrundelie- genden Prinzipien: Eigenverantwor- tung, Selbstbestimmung, partner- schaftliches Zusammenwirken. ln Anerkennung dieser Prinzipien sind die Kassenärzte gemeinsam mit Zahnärzten, Apothekern und phar- mazeutischen Herstellern bereit, al- les in ihren Kräften Stehende zu tun, um der gegliederten so~Jalen Krankenversicherung bei der Uber- windung ihrer Schwierigkeiten in den nächsten Jahren zu helfen.

Um so mehr erwartet die Vertreter- versammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung ein gesund- heits- und sozialpolitisches Umden- ken von Gesetzgeber und Regie- rung.

..,.. Versuche, den Spielraum der Selbstverwaltung in ein staatli- ches Raster von vorgeschriebenen Vertragslaufzeiten, Richtwerten, Höchstbeträgen und Therapiestan- dards zu pressen, sind sozial- und gesundheitspolitisch schädlich und daher ebenso abzulehnen wie das ständige Bestreben, mit Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung

sten ist. Die Abrechnungsergeb- nisse im ersten Halbjahr 1981 ha- ben das bestätigt, besonders durch die Abflachung des Kosten- zuwachses bei der Krankenhaus- behandlung durch verminderte Einweisungen, aber auch bei den

Heil- und Hilfsmitteln. Die Aufrufe

an die Kassenärzte und die Ermah- nungen zu verstärkter Beachtung der Bestimmungen über Notwen- digkeit und Wirtschaftlichkeit kas- senärztlicher Leistungen haben ihre Wirkung nicht verfehlt.

Finanzlöcher im Bundeshaushalt oder in Haushalten anderer Sozial- versiehe ru ngszweige zu stopfen.

Wer diese Art von Sozialpolitik be- treibt und zusätzlich der gesetzli- chen Krankenversicherung durch Festlegung neuer, zumeist kranken- versicherungsfremder Leistungen zusätzlich Lasten aufbürdet, der trägt maßgeblich dazu bei, das fi- nanzielle Gleichgewicht der Kran- kenversicherung empfindlich zu stören und die ihr zugrundeliegen- den Solidar- und Versicherungs- prinzipien auszuhöhlen. Auf Dauer muß das zu einem Abbau von Ei- genverantwortung und Leistungs- bereitschaft sowohl bei den Lei- stungsträgern als auch bei den Ver- sicherten führen.

..,.. Deshalb fordert die Vertreter- versammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung eine Sozialpoli- tik, die zur Stärkung der Eigenver- antwortung beiträgt und das part- nerschaftliche Zusammenwirken al- ler Beteiligten und Verantwortlichen im Gesundheitswesen fördert. Nur so wird es möglich sein, unser lei- stungsfähiges Gesundheitssiche- rungssystem auf Dauer in Freiheit und Solidarität zu bewahren und weiterzuentwickeln.

D

.,Es gibt", so betonte der KBV-Vor- sitzende, "unter den gegenwärti- gen Umständen zu dieser Politik keine brauchbare Alternative."

Aber gerade in Anbetracht der er- folgreichen Bemühungen um die Erhaltung einer bürgernahen und finanzierbaren kassenärztlichen Versorgung habe man den Refe- rentenentwurf zum Krankenversi- cherungs-Kostendämpfungs-Er- gänzungsg·esetz (KVEG) "als ei- nen Schlag ins Gesicht empfinden

müssen". [>

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Kassenärzte gegen staatliche Reglementierung

Mit dem dort geforderten Honorar- deckel sowie einer Kürzung und

"Einfrierung" bis 1983 wäre das Maß dessen, was der ärztlichen Selbstverwaltung an reglementie- renden Beschränkungen zugemu- tet werden könne, übergelaufen.

Beim KVEG - inzwischen vom

• • Dank und Bitte an alle Kassenärzte

Die Aufrufe und Informationen, mit de- nen die Kassenärzte seit Beginn des Jah- res zu verstärkter Beachtung der Bestim- mungen über Notwendigkeit und Wirt- schaftlichkeit kassenärztlichen Handeins ebenso angehalten wurden wie die Versi- cherten, haben zu den erwarteten Ergeb- nissen geführt ...

~ Ich möchte allen Kassenärzten, die durch Einsicht in die politischen und öko- nomischen Sachzwänge zum Erfolg un- serer Strategie einer intensivierten ambu- lanten kassenärztlichen Versorgung bei- getragen haben, meinen ganz besonde- ren Dank aussprechen.

~ Ich verbinde damit aber auch erneut die Bitte, in dem gemeinsamen Bemühen um eine umfassende hochwertige und zugleich sparsame medizinische Diagno- stik und Therapie - manchen Widrigkei- ten zum Trotz - auch zukünftig nicht nachzulassen.

••

Bundestag mit der Koalitions- mehrheit verabschiedet - habe man derartige Eingriffe noch ver- hüten können, aber schon stehe, spätestens für 1984, ein neues Ge- setz bevor, das eine "Reform" der Krankenkassenstruktur bringen soll. Dr. Muschallik traf dazu war- nend eine Reihe von Feststel- lungen:

CD

Eine Bindung der Ausgaben- entwicklung für die ambulante kassenärztliche Versorgung an die Grundlohnsumme würde das En- de der Politik "Soviel ambulant wie möglich!" bedeuten. Kosten-

intensive Leistungen würde der

Kassenarzt zwangsläufig in den wesentlich teurer arbeitenden sta- tionären Bereich verlagern, wo- durch die Krankenhauskosten sprunghaft in die Höhe gehen müßten.

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Die Kassenärzte bekennen sich zu kostenbewußtem Handeln, leh- nen es aber ab, sich und ihre Pa- tienten dafür mißbrauchen zu las- sen, Löcher im Bundeshaushalt oder in Haushalten anderer Soziai- versicherungszweige zu stopfen.

Dr. Muschallik ging in diesem Zu- sammenhang auf Erwägungen ein, die Krankenkassen zugunsten der Bundesanstalt für Arbeit und durch Streichung verschiedener Bundeszuschüsse, die der Bund zu leisten hat, zu belasten. Insge- samt sollen den Krankenkassen Einnahmen in Höhe von mehr als einer halben Milliarde entzogen werden.

[> "Es erscheint mir geradezu

grotesk", sagte Dr. Muschallik,

"daß der Staat mit beiden Händen in den Beitragstopf der Kranken- kassen greift und uns dann teils salbungs-, teils vorwurfsvoll Spar- samkeit und Beitragssatzstabilität predigt."

Der Versuch des Staates zur Om- nipotenz über alle Zweige der So- zialversicherung bildet nach Auf- fassung des Ersten Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesver- einigung die größte Gefahr für die Eigenständigkeit der einzelnen Sozialleistu ngsträger.

@ "Die wirtschaftliche Gesund- heit der Krankenkassen liegt min- destens ebenso in unserem Inter- esse wie im Interesse jener, die morgens mit dem Schlagwort ,Bei- tragssatzstabilität' im Munde auf- stehen und abends mit dem Schlagwort ,Kostendämpfung' zu Bett gehen." So wie vor 150 Jah- ren Friedrich List die Kaschierung handfester merkantiler Interessen in Kolonialgebieten mit dem Wort entlarvte: "Sie sagen Christus und meinen Kattun", so könnte man heute abgewandelt feststellen:

"Sie sagen Kostendämpfung und 2266 Heft 48 vom 26. November 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

meinen Einheitsversicherung".

Mit dem Referentenentwurf wäre keine Kostendämpfung erreicht worden. Es ging schlicht darum, Teile der geplanten Strukturre- form vorwegzunehmen.

, Krisenzeiten werden ja gern dazu benutzt, gesellschaftliche Struktu- ren zu verändern. Niedergelasse- ne Kassenärzte, als Fremdkörper in einer Arbeitnehmergesellschaft, sollten noch stärker als bisher ...

in ein Raster staatlicher Lenl<ung gepreßt werden, mit vorgeschrie- benen Laufzeiten ihrer Verträge,

Der Staat greift in den Beitragstopf!

Zu kostenbewußtem Handeln bekennen wir Kassenärzte uns vorbehaltlos. Eine Grenze finden diese Bemühungen aber an dem, was gesicherte medizinische Er- kenntnisse und ärztliche Verpflichtung gegenüber dem Patienten von uns ver- langen.

Entschieden müssen wir es ablehnen, unsere Arbeit im Rahmen der Gesetzli- chen Krankenversicherung dafür miß- brauchen zu lassen, Löcher im Bundes- haushalt zu stopfen oder Komplizen einer Art Bilanzverschleierung zu werden, bei der Mittel zwischen verschiedenen Zwei- gen der Sozialversicherung hin- und her- geschoben werden.

Es scheint mir geradezu grotesk, daß der Staat mit beiden Händen in den Beitrags- topf der Krankenkassen greift und uns dann teils salbungs-, teils vorwurfsvoll Sparsamkeit und Beitragssatzstabilität predigt und uns die Schuld für Beitrags- satzerhöhungen in die Schuhe schiebt.

mit Richtwerten, Höchstbeträgen und Therapiestandards."

Wenn es gelang, den Referenten- entwurf mit Hilfe der F.D.P. zu ent- schärfen, dann trug die Bereit- schaftserklärung zur Verlänge- rung der laufenden Honorarverträ- ge bis Ende 1982, die Dr. Muschal-

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Vorstand, Länderausschuß und Vertreterversammlung verantworten die (auf die- sen Seiten skizzierte) Politik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Das Bild aus der Vertreterversammlung am 16. November zeigt am Vorstandstisch (v. I. n. r.): Dres. Helmut Adamek, Gert Rusche, Jens Doering, Josef Schmitz-Formes (Zweiter Vorsitzender), Eckart Fiedler (Hauptgeschäftsführer), Gerhard Löwenstein, Ernst-Eberhard Weinhold, Friedrich Kolb; am Rednerpult: Hans Wolf Muschallik

Delegierte und Ehrengäste der Vertreterversammlung, — aufmerksame Zuhörer beim Bericht zur Lage. Der Beifall für Dr. Muschallik demonstrierte unmißverständ- lich die Übereinstimmung mit der KBV-Politik der Vernunft

lik im Einvernehmen mit dem Län- derausschuß der KBV abgegeben hatte, entscheidend dazu bei.

Der Redner verschwieg nicht, daß dieses Vorgehen bei manchen Ärzten auf Kritik gestoßen ist und man ihm den Götz von Berlichin- gen (nicht wegen seines Angebo- tes an den Kaiserlichen Haupt- mann, sondern wegen der eiser- nen Faust) als leuchtendes Vorbild hingestellt habe. Er betrachtete es aber als zweifelhaft, ob man durch eine Politik vermeintlicher Stärke mehr erreicht haben würde als durch diesen „Sieg der Vernünft".

® Kein Kassenarzt werde in Zei- ten einer wirtschaftlichen Talfahrt große Wachstumsraten für sein Einkommen fordern und erwarten, sagte Dr. Muschallik, das habe auch das Honorar-Stillhalteab- kommen bewiesen. „Umso mehr habe ich es bedauert, daß promi- nente Politiker ... anklagend be- haupteten, die Ärzte seien wieder einmal ungeschoren davonge- kommen."

Wenig Chancen für das Krankenhaus- Kostendämpfungsgesetz

Dem Entwurf des Krankenhaus- Kostendämpfungsgesetzes gab Dr. Muschallik wenig Aussichten im Bundesrat. Die in diesem Ent- wurf vorgesehene Anbindung der Pflegesätze an die Grundlohnsum- menentwicklung sei im übrigen genauso abzulehnen wie die Dek- kelung der kassenärztlichen Ge- samtvergütung. „Eine individual- bezogene medizinisch sachge- rechte Versorgung läßt sich nicht allein an den Kriterien gesamtwirt- schaftlicher Entwicklungen mes- sen. Sie hat vielmehr dem komple- xen Zusammenspiel der medizini- schen Notwendigkeiten des ein- zelnen Behandlungsfalles, dem je- weiligen medizinischen Erkennt- nisstand und den aufzuwenden- den Kosten Rechnung zu tragen."

Darum sei auch die Erwartung, daß der Ausgabenzuwachs in der

ambulanten Versorgung „im Ein- klang mit der Grundlohnsummen- entwicklung" liegen werde, nicht als gesetzliche Anbindung der Ge- samtvergütung an die Grundlohn- summe anzusehen. Man werde

aber die Ausgabenentwicklung — darüber bestehe Einvernehmen mit den Krankenkassen — frühzei- tig analysieren und den Ergebnis- sen entsprechende Maßnahmen ergreifen.

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Kassenärzte gegen staatliche Reglementierung

Einstimmig (ohne jede Gegenstimme oder Enthaltung) verabschiedete die Vertre- terversammlung der KBV am 16. November in Berlin eine Entschließung (Wortlaut auf Seite 2265), welche die Grundsätze der kassenärztlichen Sozial-, Gesundheits- und Berufspolitik bekräftigt Fotos (7): story-press/Jochen Clauss

Dr. Muschallik gab seiner Über- zeugung Ausdruck, daß durch ei- ne sachgerechte Ansprache der Versicherten wie der Kassen- und Vertragsärzte die notwendige Ko- stenbalance erhalten werden könne.

Im nächsten Jahr:

Neue Fachinformation über Arzneimittel

Im Arzneimittelbereich soll diese Ansprache durch eine neue Fach- information zu Beginn nächsten Jahres erleichtert werden. Für je- des Arzneimittel werden die wich- tigen Angaben, einschließlich des Preises, systematisch gegliedert auf einem Normblatt zusammen- gestellt. Der Arzt heftet in einem Ordner die Blätter jener Mittel ab, die er verordnet oder für verord- nenswert hält und schafft sich so eine Art „persönlicher Positiv- liste".

Der KBV-Vorsitzende ging dann auf die anstehende Labor-Um- strukturierung ein, über die das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT bereits in Heft 47, Seite 2215, berichtet hat. Er betonte in diesem Zusam- menhang nochmals, daß für den

Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung jede Ausrich- tung von Honoraren für klinisch- chemische Laborleistungen an der Erbringung in Großserien

„an eine gleichzeitige Stärkung der hausärztlichen Tätigkeit ge- knüpft" sei.

Zur Abgrenzung des rechtlich amorphen Begriffes „Hausarzt"

sagte Dr. Muschallik: Nach Berufs- bild und Weiterbildungsinhalt sei darunter „in erster Linie der Allge- meinarzt, zu einem Teil noch der Internist" zu verstehen. Das schließe aber nicht aus, daß der Patient „im Rahmen der Fachge- bietsgrenzen" nicht auch einen anderen Arzt mit der Hausarzt- funktion betrauen könne.

Dringend warnte er vor einer „in- nerärztlichen" Spaltung. „Die Angst, einen Patienten an den Spezialisten-Kollegen zu verlieren, sollte es ebensowenig geben wie die Angst der Spezialisten, durch mangelnde Überweisungen von den Hausärzten ausgehungert zu werden. Die Konzentration von ärztlichem Sachverstand und technischen Hilfsmitteln ist ja ge- rade einer der Vorzüge der ambu- lanten kassenärztlichen Versor-

gung. Diesen Vorzug gilt es durch innerärztliche Kooperation zu be- weisen und zu bewahren."

Der KBV-Vorsitzende verschwieg nicht, daß—wirtschaftlich wie poli- tisch gesehen — die kommenden Jahre den Kassenärzten wie jedem Bürger materiellen Verzicht und viel Mühen um die Erhaltung der Freiheit von Arzt und Patient, die unteilbar ist, bringen werde. „Das sollte für uns aber kein Grund sein, zu resignieren oder aus Zu- kunftsangst in Alternativen zu flüchten, die keine sind, ob sie sich reaktionär oder revolutionär anbieten."

Die Erkenntnis gemeinsamer Ver- antwortung und ein partnerschaft- liches Zusammengehen mit den Krankenkassen bieten, so unter- strich Dr. Muschallik, die beste Gewähr zur Stabilisierung der Krankenversicherung und zur Ver- meidung einer immer weiter um sich greifenden staatlichen Regle- mentierung. Nicht Nihilismus, son- dern ein vernünftiger Optimismus werde es möglich machen, unse- rer freiheitlichen sozialen Kran- kenversicherung auch für die Zu- kunft Bestand zu geben. sch

Die im Vorjahr gestiftete Ehrengabe der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, eine große Plakette mit der symbolhaf- ten Darstellung von Arzt und Patient (Ausführungen Dr. Muschalliks bei der Überreichung der Ehrengabe an Bun- desminister a. D. Walter Arendt auf Sei- te 2269) Reproduktion: Hoenow

2268 Heft 48 vom 26. November 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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