Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 40|
7. Oktober 2011 A 2061RANDNOTIZ
Nicola Siegmund-Schultze
Seit 1906 wurde in der Schweiz das Eszet stufenweise durch Doppel-s ersetzt, seit 2006 ist es auch aus dem amtlichen Schriftverkehr ver- schwunden. In Wörtern wie „Buß- schreiben“ schafft es nun keine ge- dankliche Mitte mehr. Man muss das
„Bussschreiben“ erst in sinngemäße Einzelteile zerlegen, bevor man seine Bedeutung versteht. Angeblich hat
die Verbreitung der Schreibmaschine zu dieser Entwicklung beigetragen.
Nun könnten die neuen Medien dem Eszet im übrigen deutschen Sprachraum den Rest geben. Befür- worter des Abschaffens argumentie- ren, der Schriftverkehr erfolge zuneh- mend über das Internet, und auf den wenigsten Tastaturen mit lateinischer Sprache befindet sich ein ß. Auch auf den schweizerischen Computertasta- turen existiert es nicht mehr.
Für den Arzt wäre eine solche Änderung unbedeutend, könnte man meinen. Schließlich kommuniziert er beruflich in Kodes, verschlüsselt Krankengeschichten wie das Mam- makarzinom zum Beispiel in pT1c pN1a M0, G2, L1, V0, R0.
In Analogie zum Pragmatismus der Bundeskanzlerin, die ihren der Unredlichkeit beim Promovieren be- zichtigten ehemaligen Minister mit den Worten in Schutz nahm, sie ha- be keinen wissenschaftlichen Assis- tenten angestellt, ließe sich argu- mentieren: Solange eine Recht- schreibreform den Arzt nicht beim Kodieren und Dekodieren stört, kann sie ihm egal sein. Aber schon bei zu Guttenberg hat sich letztlich eine ganzheitlichere Sicht des Problems durchgesetzt. Den Verlust des ß wür- de der Arzt vielleicht erst spüren, wenn er dem Patienten, jenseits des Kodes, ein paar Verhaltensregeln aufschreibt. Dann nämlich macht es einen Unterschied, ob es heißt: „Al- kohol in Maßen“ oder „in Massen“.
Der Verlust des Eszet
Das „Hammerexamen“ am Ende des Medizinstudiums soll bald Ge- schichte sein. Das Bundesgesund- heitsministerium (BMG) legte jetzt einen Referentenentwurf vor, mit dem die ärztliche Approbationsord- nung geändert werden soll. Die Ver- ordnung soll etwa zeitgleich mit dem Versorgungsstrukturgesetz um- gesetzt werden.
Der BMG-Entwurf setzt die Vor- schläge von Bundesgesundheitsmi- nister Daniel Bahr um. Er hatte bereits im Juni angekündigt, den Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung (das „Hammerexamen“) wieder zu splitten, das schriftliche Examen vor das praktische Jahr (PJ) zu setzen und durch eine mündliche Prüfung das im PJ erworbene klini- sche Wissen und Können zu prüfen.
MEDIZINSTUDIUM
Hammerexamen soll bald Geschichte sein
Auch der Medizinische Fakultäten- tag sprach sich bereits für eine dies- bezügliche Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung aus. Durch sie sollen sich die angehenden Ärz- tinnen und Ärzte während des PJ auf die klinisch-praktische Tätigkeit kon- zentrieren können, ohne sich gleich- zeitig auf die schriftlichen Prüfun- gen vorbereiten zu müssen.
Ferner sollen Studierende künf- tig das PJ auch an anderen Häusern als den ihrer Heimatuniversität zu- geordneten Lehrkrankenhäusern ab- solvieren können. Auch Teilzeitar- beit im PJ soll möglich sein. Um die Allgemeinmedizin zu stärken, schreibt der Entwurf für das Block- praktikum in der Allgemeinmedizin eine Dauer von zwei Wochen statt bisher einer Woche vor. ER
Der Vorschlag von Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr (FDP), die Krankenkassen zu verpflichten, bei der bevorstehenden Ausgabe der elektronischen Gesundheitskar- te über Organspenden zu informie- ren und um eine Entscheidung zu bitten, stößt bei der Ärzteschaft auf
Unterstützung. „Wir müssen die Menschen abholen, die sich für die Organspende aussprechen, aber ih- re Bereitschaft noch nicht doku- mentiert haben“, betonte der Präsi- dent der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. med. Frank Ulrich Montgo m - ery. Bahrs Vorstoß decke sich mit den BÄK-Vorschlägen zur Erhö- ORGANSPENDE
Beifall für Bahrs Vorstoß
hung der Organspendebereitschaft.
Es sei unerlässlich, dass eine Erklä- rung zur Organspende regelmäßig nachgefragt werde. Für die Erklä- rungslösung hatte sich jüngst auch der Bundesrat als Ergänzung des Transplantationsgesetzes ausgespro- chen. Menschen sollten aber nicht
zu einer Entscheidung ge- zwungen werden.
Einer Widerspruchslösung bei der Organspende, wo- nach nur dann auf die Ent- nahme von Organen ver- zichtet werden soll, wenn die Person vor ihrem Tod ei- ne Spende ausdrücklich ab- gelehnt hat, erteilte Bahr ei- ne Absage. Sie setze auf die Faulheit der Menschen.
Einen Antrag, der die Wi- derspruchslösung favorisiert, wol- len Parlamentarier um Fritz Rudolf Körper und Christoph Strässer (bei- de SPD) in den nächsten Wochen in den Bundestag einbringen. Zeit- gleich formulieren Abgeordnete von Union und SPD einen gemeinsa- men Gruppenantrag, der die Erklä- rungslösung präferiert. ER Die Menschen
sollen sich er- klären, sie müssen dies aber nicht, meint Minister Daniel Bahr.
Foto: ddp