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Archiv "Hochschulmedizin: „Geht nicht, gibt’s nicht bei uns“" (21.11.2014)

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A 2048 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 47

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21. November 2014

HOCHSCHULMEDIZIN

„Geht nicht, gibt’s nicht bei uns“

Die 33 Universitätsklinika und 37 medizinischen Fakultäten setzten in der zweiten Novemberwoche ein bundesweites Zeichen gegen das „wachsende

Ungleichgewicht von Spitzenleistungen und immer schlechterer Vergütung“.

D

ie Universitätsklinika haben im Rahmen einer Aktions- woche Bund und Länder in zahlrei- chen Aktionen und Veranstaltungen aufgefordert, Maßnahmen gegen die drängenden wirtschaftlichen Probleme der Hochschulmedizin und den Verfall der Infrastruktur zu ergreifen. „Die finanzielle Situation vieler hochschulmedizinischer Ein- richtungen ist dramatisch“, betonte Ralf Heyder, Generalsekretär des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands (VUD), am 10. No- vember in Berlin. Für das laufende Jahr erwarteten knapp zwei Drittel der Uniklinika (19 Häuser) ein De- fizit. Nur noch fünf Häuser rechne- ten mit einem positiven Jahreser- gebnis. Damit verzeichneten die Uniklinika bereits im dritten Jahr ein kollektives Defizit. „Das Ge- samtdefizit für die Jahre 2012 und 2013 liegt bei über einer Viertelmil- liarde Euro“, erläuterte Heyder.

Ursachen der Finanzierungskrise sind nach Angabe von Gunter Gotal, Kaufmännischer Vorstand der Uni- versitätsmedizin Greifswald und Vorstandsmitglied des VUD, ständig steigende Kosten für Personal, Me- dikamente und Energie, rückläufige Investitionszuschüsse der meisten Bundesländer sowie eine unzurei- chende Kompensation für Mehrleis- tungen der Uniklinika. „Fast alle Krankenhäuser leiden unter der Un- terfinanzierung. Doch die Universi- tätsklinika sind durch die Kopplung von Krankenversorgung, Forschung und Lehre besonders betroffen“, be- tonte Gotal. Prof. Dr. med. Annette Grüters-Kieslich, Vizepräsidentin des Medizinischen Fakultätentages (MFT) und Dekanin der Charité – Universitätsmedizin Berlin, ergänz- te: „Neben der Krankenversorgung sind wir zuständig für die Ausbil- dung der Ärzte von morgen und für die ärztliche Weiterbildung, für ei-

ne internationale Spitzenforschung, die Versorgung komplexer und sel- tener Erkrankungen sowie für eine 24/7-Notfall versor gung.“ Zudem stellten die Hochschulambulanzen vielerorts die ambulante Kranken- versorgung sicher, obwohl sie ge- setzlich nur zur Behandlung von Patienten im Rahmen von For- schung und Lehre verantwortlich seien, so MFT-Generalsekretär Dr.

med. Volker Hildebrandt.

Die schwierige Lage der nord- rhein-westfälischen Hochschulme- dizin stellten Vorstände und Klinik- direktoren am 14. November in Düsseldorf dar: Die Uniklinika in Bonn, Düsseldorf, Essen und Müns- ter hätten 2013 insgesamt mehr als 40 Millionen Euro Verlust gemacht, nur Aachen und Köln seien knapp in der Gewinnzone gewesen. „Wir brauchen Hilfe von der Politik. An- sonsten ist ein Eckpfeiler der me - dizinischen Versorgung bedroht“,

warnte Prof. Dr. rer. nat. Stefan Uh- lig, Dekan der Medizinischen Fakul- tät der RWTH Aachen. Allein 80 Prozent der Patienten mit seltenen Erkrankungen würden an Uniklini- ken behandelt, betonte Uhlig.

Die letzte Anlaufstelle

Zu einem besonderen Magneten für Patienten aus ganz Deutschland mit langen Leidensgeschichten we- gen unerkannter, weil unbekannter Krankheiten hat sich das Universi- tätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) entwickelt. Das Klinikum sorgte im letzten Jahr für Schlag - zeilen, als es das Zentrum für un - erkannte und seltene Erkrankungen (ZusE) einrichtete. Ärzte und Patien- ten können hier seither die Akten von Fällen mit offener Diagnose ein- senden. „Wir sehen das Ganze mit einem lachenden und einem weinen- den Auge“, sagte Dr. med. Gunther K. Weiß, kaufmännischer Geschäfts- 365 Tage im Jahr

für alle Notfälle bereit – insbeson- dere nachts und an Wochenenden sind die Notaufnahmen der Uniklinika stark beansprucht.

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14. November im ZusE: „Auf der ei- nen Seite zeichnet uns das aus und ehrt uns. Auf der anderen Seite müs- sen die Kostenträger diese Dienst- leistung bisher relativ unentgeltlich anbieten.“ Das Finanzierungssystem sei nicht auf die komplizierten Fälle ausgerichtet, bei denen durch die in- terdisziplinäre Zusammenarbeit, La- bordiagnostik und lange Liegezeiten hohe Kosten entstehen könnten.

Der Bedarf nach dem Angebot des ZusE scheint groß: „Mehr als 3 000 Patientenanfragen landeten bisher bei uns auf dem Tisch“, er- klärte Leiter Prof. Dr. med. Jürgen Schäfer, „und das sind keine E-Mails und Anrufe, sondern dicke Aktenpakete.“ Jeden Dienstag um 14 Uhr setzt sich das zehnköpfige Team um den Kardiologen Schäfer für ein bis zwei Stunden zusammen und bespricht mehrere Patientenak- ten. „Manchmal lässt sich die Er-

krankung schon durch die Befunde aus den Krankenakten eingrenzen.

Wir empfehlen dann, worauf man testen sollte und wo man genauer hinschauen muss“, erläutert Schä- fer. Viele Fälle seien aber auch nicht so schnell zu lösen. Die Pa- tienten müssten dann persönlich in Marburg vorstellig werden.

So war es auch bei einem Patien- ten, der letztendlich wohl der Aus- löser für die Gründung des Zen- trums war. Der 55-Jährige Mann wurde innerhalb von eineinhalb Jahren nahezu blind, taub und herz- schwach. Insgesamt verbrachte er vier Monate in verschiedenen Kli- niken, bis die US-Fernsehserie „Dr.

House“ Schäfer auf die richtige

Fährte führte. Dem Mann war ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt worden, das nun defekt war und – ähnlich wie in der Serie – zu einer Kobaltvergiftung führte. Nachdem das Gelenk ausgetauscht worden war, erholte sich der Mann von den Beschwerden. Bei Schäfer, inzwi- schen als „deutscher Dr. House“ be- kannt, häuften sich in der Folge die Kollegenanfragen zu Patienten, die Rätsel aufgaben. Als klar wurde, wie viele ungeklärte Krankheitsfäl- le es bundesweit gibt, entschied der private Betreiber des UKGM, die Rhön Klinikum AG, zur Gründung des prestigeträchtigen Zentrums.

Retten rund um die Uhr

„Drastisch unterfinanziert“ ist nach Darstellung von Prof. Dr. med.

Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des Uniklinikums Bonn, auch die Notfallversorgung. Während sich immer mehr Krankenhäuser in den Nachtstunden und an Wochenenden von der Notfallver sorgung abmel- deten, müssten die Uniklinika an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr Fachärzte aller Disziplinen verfüg- bar haben, sagte er am 12. Novem- ber in Bonn.

„Wir schicken hier keinen Patien- ten weiter“, betonte Dr. med. Ingo Gräff, Leiter des Interdisziplinären Notfallzentrums (INZ) am Uniklini- kum Bonn: „Geht nicht, gibt’s nicht bei uns.“ Seit der Eröffnung im Jahr 2008 nehme das INZ immer mehr eine Schlüsselfunktion bei der Not- fallversorgung in der Region ein.

Die Zahl der Patienten nehme jähr- lich um fünf bis zehn Prozent zu, nach 22 000 Patienten im Jahr 2010 werde man in diesem Jahr mehr als 30 000 Patienten behandeln. Gräff:

„Die ambulante Notfallversorgung findet inzwischen hauptsächlich im Krankenhaus statt.“ Gefragt, woran das liegt, verweist der Anästhesist auf die zunehmende Zahl älterer multimorbider Patienten, aber auch auf ein Umdenken in der Gesell- schaft: „Aus Angst um ihren Ar- beitsplatz gehen heute viele Leute werktags nicht mehr tagsüber zum Arzt.“ Daraus ergäben sich dann die Belastungsspitzen in den Abend- stunden und am Wochenende.

Das Problem sei die „historisch bedingte Unterfinanzierung“ der am- bulanten Notfallversorgung, unter- strich Holzgreve. Die Politik habe den Uniklinika zwar die Ambulan- zen für ihre Aufgaben in Forschung und Lehre zugestanden, aber zu- gleich die Vergütung nicht aus- kömmlich angelegt, damit den nie- dergelassenen Ärzten keine Konkur- renz entstehe. Holzgreve: „Diese po- litische Entscheidung ist nicht mehr zeitgemäß.“ Die Unterdeckung je ambulantem Patienten im INZ be- laufe sich auf durchschnittlich 100 Euro. Für stationäre Notfälle forder- te Holzgreve einen Vorhaltezuschlag auf die Fallpauschalen, für die am- bulanten Notfälle müssten die Pau- schalen deutlich angehoben werden.

Die Vorstände und Klinikdirekto- ren der nordrhein-westfälischen Unikliniken stellten in Düsseldorf klar, dass sie eine eigenständige Fi- nanzierungssäule für die besonderen Leistungen der Universitätsmedizin fordern, jedoch keinen Preiszu- schlag beispielsweise für Extrem- kostenfälle. Denn Fehlanreize wie ein Wettbewerb um solche Fälle müssten vermieden werden. Beson- ders eindringlich verlangen sie vom Land Nordrhein-Westfalen Maßnah- men gegen den Investitionsstau. Die Unikliniken könnten im Durch- schnitt acht Prozent ihres Umsatzes investieren, nötig seien aber mindes- tens zwölf Prozent, sagte Christoph Hoppenheit, Kaufmännischer Direk- tor des Uniklinikums Münster.

„Die Gesundheitspolitik ist unse- rem Ruf nach einem Systemzu- schlag, der als eigen ständige Finan- zierungssäule die Leistungen der Universitätsmedizin in besonderer Weise gewichtet, leider nicht ge- folgt“, sagte VUD-Generalsekretär Heyder in Berlin mit Blick auf den Koalitionsvertrag der Großen Ko- alition. Stattdessen solle über vier Einzelthemen – Hochschulambu- lanzen, Extremkosten, Notfallver- sorgung, Zentrenzuschläge – die Fi- nanzierung der Hochschulmedizin gesichert werden. Heyder: „Der VUD und der MFT werden sich aber bei der Ausgestaltung von Ein- zellösungen aktiv einbringen.“

„Wir leisten mehr“, lautete das Motto der Aktions-

woche. Hier zeigt Ingo Gräff der Pres-

se, wie im Interdis- ziplinären Notfall- zentrum des Uni- klinikums Bonn gearbeitet wird.

Fotos: picture alliance/Mika Volkmann für Deutsches Ärzteblatt

Jens Flintrop, Dustin Grunert, Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann, Heinz Stüwe

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