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Archiv "Kassenärzte erfüllen gemeinschaftlich ihre soziale Verantwortung" (01.06.1978)

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Ein Rückblick auf die Ereignisse der vergangenen Monate läßt er- kennen, in welch hektischem Tem- po sich vielschichtige Entwicklun- gen vollzogen haben und wie kompliziert die Bewältigung der damit verursachten Probleme ge- worden ist.

Die im Rahmen der sozialen Kran- kenversicherung durchzuführen- de kassenärztliche Versorgung, zu deren Sicherstellung das Gesetz die Kassenärztlichen Vereinigun- gen der Länder und die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung ver- pflichtet, hat in der jüngsten Ver- gangenheit durch die Gesetzge- bung des Bundes eine in ihrer endgültigen Auswirkung auch heute noch nicht absehbare Ver- änderung erfahren.

Die Gesellschaft befindet sich in einem Wandel ihrer Strukturen und ihrer Bedürfnisse, die Medizin verändert ihre Erkenntnisse und ihre Möglichkeiten.

Ideologische Zielvorstellungen be- einflussen Leistungsart und -um- fang der sozialen Krankenversi- cherung in einem je nach politi- scher Mehrheitslage unterschied- lichen Tempo, und das Machbare ist auch im Bereich der sozialen Sicherung insgesamt von der Wirt- schaftslage unseres Volkes, das heißt von der Finanzierbarkeit ab- hängig.

Die Erkenntnis, daß nichts bestän- diger sei als der Wandel, und das uralte „panta rhei" haben in der heute so schnellebigen und fort-

schrittshungrigen Zeit mehr denn je ihre grundsätzliche Berechti- gung.

Zwar steht Gesundheit als privates wie als öffentliches Gut im ersten Rang unserer gesellschaftlichen Werte, und die persönliche Frei- heit und Verantwortlichkeit des In- dividuums wird in der Politik ebenso stark betont wie weltweit die Wahrung der Menschenrechte.

In einem erschreckenden Gegen- satz hierzu jedoch bedroht gleich- zeitig ein ungeheures Potential der Vernichtung die gesamte Menschheit. Politische Spannun- gen weltweiten Ausmaßes sowie soziale Umschichtungen und For- derungen nach staatlichen Garan- tien lassen keine Ruhe aufkom- men. Humanität scheint mehr und mehr einer Barbarei und einem Terror weichen zu müssen, welche den Wert des Menschen immer ge- ringer einschätzen, seine Würde mißachten und größere Anstren- gungen zur Vernichtung der Men- schen unternehmen als zu ihrer Erhaltung und zur Linderung ihrer sozialen Nöte.

Solche auch in unserem Lande nicht zu verkennenden Entwick- lungen werden durch die wach- sende Unsicherheit über die wirt- schaftliche und soziale Zukunft verschärft und erschweren eine nüchterne und sachliche Beurtei- lung sowie die Herstellung der po- litisch so dringlich notwendigen Harmonie all derer, denen die Er- haltung unseres demokratisch- freiheitlichen Staatswesens am Herzen liegt.

Auf unseren sp3ziellen Aufgaben- kreis bezogen, verbindet sich mit diesen Entwbklungen die Er- kenntnis, daß Systeme und Ein- richtungen d€r sozialen Sicherung und Versicherung dazu neigen, kollektivistische Tendenzen zu verstärken und sowohl die Freiheit des Patienten als auch die Freiheit der ärztlichen Berufsausübung einzuschränken. Damit wird das persönliche Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und dem Kran- ken gestört und so eine wesentli- che Voraussetzung für eine gute und individuelle Medizin nach und nach abgebaut.

I

Die schwierigen

Aufgaben entschlossen anpacken

Es mag die Schärfe und die Be- drohlichkeit des skizzierten Bildes mildern, wenn man feststellt, daß solche Entwicklungen in der Pen- delbewegung der Geschichte nicht neu sind. Dies sollte die Hoff- nung und den Willen aller Kräfte — auch die der deutschen Ärzte — stärken, in Bejahung unseres Staates und unserer Demokratie mit politischem Engagement für eine Änderung bestehender Trends einzutreten und Individua-

lität und Menschlichkeit wieder in den Mittelpunkt aller Bemühun- gen zu stellen.

• Packen wir unter dieser Flagge die auf den genossenschaftlichen Zusammenschluß der Kassenärzte im Rahmen der neuen gesetzli- chen Regelungen zukommenden schwierigen Aufgaben entschlos- sen an. Dabei sollten wir den Mut zu der Feststellung haben, daß nicht alles gut, was neu, und nicht alles schlecht, was alt ist.

• Wir sollten das Bewährte stand- haft zu bewahren trachten, gleich- zeitig aber aufgeschlossen für Neuerungen sein, wenn sie Ver- besserungen darstellen. Man soll- te — und dafür möchte ich werben

— die Vorzüge unserer immer noch freiheitlichen sozialen Kranken- versicherung bewußt machen und

Kassenärzte erfüllen gemeinschaftlich

ihre soziale Verantwortung

Bericht zur Lage, erstattet von dem Ersten Vorsitzenden

der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Hans W. Muschallik, vor der KBV-Vertreterversammlung am 22. Mai 1978 in Mannheim

(2)

Die Information:

Bericht und Meinung

durch eigene Bemühungen dazu beitragen, diese auch in der Zu- kunft zu verteidigen und sowohl unsere Bürger als auch unsere Po- litiker auf die Erhaltung des be- währten, gegliederten Systems der deutschen sozialen Krankenversi- cherung zu verpflichten und sie dafür zu begeistern.

• Wir sollten vom Staat weniger Dirigismus durch eine perfektio- nierte Gesetzgebung und keine Ausweitung staatlicher Aufsichts- rechte fordern und bei unseren Mitbürgern um Verständnis dafür werben, daß Gesundheit und so- ziale Sicherung nur in Grenzen auf Dauer vom Staat garantiert wer- den können und es heute mehr denn je der aktiven Mitarbeit und der Mitverantwortung des einzel- nen bedarf, damit Freiheit und Selbstverantwortung nicht zu lee- ren Phrasen werden.

Zur Beurteilung der mit der jüng- sten Gesetzgebung, dem Kran- kenversicherungs-Weiterentwick- lungsgesetz und dem Krankenver-

sicherungs-Kostendämpfungsge- setz, verbundenen Auswirkungen bedarf es des Erkennens beste- hender Abhängigkeiten und Ver- knüpfungen, um deutlich zu ma- chen, wie stark das bisher noch intakte System der gemeinsamen Selbstverwaltung bedroht ist und welche Vielzahl von Schwierigkei- ten mit diesen Gesetzen geschaf- fen wurden. Für die Kassenärzte sind mit dieser Gesetzgebung Pro- bleme grundsätzlicher Art verbun- den, bei deren Lösung sehr sorg- sam die von ihnen ausgehenden Langzeitwirkungen bedacht wer- den müssen.

Solche Überlegungen und dabei auch das Problem der Arztzahl- Entwicklung sowie die Beachtung der aktuellen Situation unserer Volkswirtschaft und eine realisti- sche Einschätzung der derzeitigen politischen Gewichtungen haben bei den Beratungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und der Kassenärztli- chen Bundesvereinigung, aber auch bei der Abstimmung mit den

Dr. Hans Wolf Muschallik während sei- nes Referates vor der Vertreterver- sammlung der KBV am Vormittag des 22. Mai in Mannheim

übrigen relevanten ärztlichen Gruppierungen eine entscheiden- de Rolle gespielt und uns veran- laßt, die erste Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen nicht schei- tern zu lassen, sondern an ihren Beschlüssen mitzuwirken.

I

Zahl der Kassenärzte von 1970 bis 1977 um 18 Prozent gestiegen

Zur Vermeidung von Mißverständ- nissen oder Fehlinterpretationen sowie zur Darstellung der vom ein- zelnen Kassenarzt in den Jahren 1978/79 zu erwartenden Auswir- kungen soll ein kurzer Überblick auf gesundheits- und sozialpoli- tisch relevante Daten die derzeiti- ge Situation verdeutlichen:

> Die Einwohnerzahl in der Bun- desrepublik Deutschland hat sich

von 1970 bis 1977 bei rund 61 Mil- lionen relativ konstant gehalten;

Trendprognosen sagen bis zum Jahr 2000 ein Absinken auf ca. 56 Millionen voraus. Demgegenüber nimmt die Weltbevölkerung jähr- lich um 70 Millionen zu.

> Das Zahlenverhältnis der am Arbeitsprozeß aktiv Teilnehmen- den zum Rentneranteil in der Be- völkerung soll sich nach Trend- prognosen schon ab 1985 deutlich verschlechtern. Der zukünftige Beitragssatz in der Rentenversi- cherung soll nach einer Prognos- Analyse bis zum Jahre 2000 je nach der Bevölkerungs- und der allgemeinen Wirtschaftsentwick- lung allein für die Rentenversiche- rung minimal 23 und maximal mehr als 30 Prozent betragen.

> Der heutigen Stagnation und der voraussichtlichen Abnahme der Gesamtbevölkerung in der Zu- kunft steht eine gegenläufige Ent- wicklung der Zahl der Ärzte ge- genüber. Von 1970 bis 1977 ist die Zahl der zugelassenen und betei- ligten Kassenärzte mit heute ca.

56 000 um rund 18 Prozent gestie- gen, und sie steigt weiter an.

> Die Zahl aller berufstätigen Ärzte von gegenwärtig rund 125 000 wird sich nach einem Gut- achten des Instituts für Gesund- heits-System-Forschung bis zum Jahr 2000 fast verdoppeln. Damit würden auf jeden berufstätigen Arzt dann nur noch 262 Einwohner entfallen. 1976 betrug dieses Ver- hältnis 1:482.

Daß dies keine Phantasierechnun- gen sind, beweist die Zahl der für das Fach Humanmedizin immatri- kulierten deutschen Studenten.

Derzeit sind es fast 44 000, was gegenüber dem Wintersemester 1970/71 einer Zunahme um mehr als ein Drittel entspricht.

> Bei der Entwicklung der Zahl der Zahnärzte wird dagegen nicht mit wesentlichen Veränderungen gerechnet; die Zahl schwankt bis zum Jahre 2000 um etwa 31 000.>

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1285

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Diese Unterschiedlichkeit zwi- schen der Entwicklung des Zah- lenverhältnisses bei den Zahnärz- ten und uns Ärzten, die manchen überraschen mag, findet ihre Er- klärung darin, daß durch das Ge- setz über die Vereinheitlichung der Zahnheilkunde aus dem Jahre 1952 die Ausbildungsstätten für rund ein Drittel, nämlich die aus der damaligen Dentistenschaft stammenden, geschlossen wur- den, womit die Ausbildungskapa- zität der zahnärztlichen Universi- tätsinstitute nur für etwa zwei Drit- tel des gesamten zahnärztlichen Berufsstandes ausreichte. Diese Kapazität hat sich nur verhältnis- mäßig langsam steigern lassen.

Die Zahl der Studenten der Zahn- medizin beträgt zur Zeit 6800; ver- glichen mit 1970, ist sie nur um 9,2 Prozent gestiegen.

— Die Zahl der abgerechneten Krankenscheine hat sich von rund 182 Millionen im Jahr 1970 auf rund 260 Millionen im Jahr 1977 erhöht und ist damit um etwa 40 Prozent gestiegen.

— Strukturveränderungen bei den Mitgliedern der Krankenversiche- rung, Entwicklung der Morbidität und die Einführung neuer Leistun- gen sind hierbei kausal von ent- scheidender Bedeutung.

— Die Zahl der Mitglieder in der gesetzlichen Krankenversiche- rung hat sich in dem genannten Zeitraum um 10 Prozent erhöht, und dabei ist der Anteil der Rent- ner, bei denen der Leistungsbe- darf bekanntlich 48 Prozent höher liegt als bei den Allgemeinversi- cherten, allein um ca. 25 Prozent gestiegen.

— Die Morbidität der Bevölkerung, das heißt die Zahl der Behand- lungsfälle je Mitglied, ist von 1970 bis 1977 um etwa 15 Prozent ge- stiegen.

— Die Einführung der Vorsorge- und Früherkennungsprogramme im Jahr 1971 zusammen mit den dabei zusätzlich erkannten Krank-

heitszuständen steigerten bis heu- te die Fallzahl jährlich um etwa 12 Millionen.

— Der Gesamtumsatz der Kassen- ärzte aus kassenärztlicher und vertragsärztlicher Tätigkeit im Bundesgebiet hat sich von 1970 mit 5,3 Mrd. DM auf knapp 12,5 Mrd. DM im Jahr 1976 entwickelt, was einer Zunahme um 136 Pro- zent entspricht.

I

Gegen Schauermärchen über die

Einkommensentwicklung Da die Zahl der an der kassenärzt- lichen und vertragsärztlichen Ver- sorgung mitwirkenden Ärzte von 1970 bis 1977 um ca. 18 Prozent zugenommen hat, ergibt sich eine dementsprechend geringere Ent- wicklung des Durchschnittsum- satzes des einzelnen Kassenarz- tes. Da endgültige Abrechnungs- ergebnisse für 1977 noch nicht vorliegen, nenne ich der Genauig- keit wegen die des Jahres 1976:

Der Durchschnittsumsatz des Kas- senarztes betrug im statistischen Mittel 213 144 DM.

Auf diesen statistischen Durch- schnittsumsatz des Kassenarztes entfielen nach Feststellung des Zentralinstituts für die kassenärzt-

liche Versorgung im selben Jahr 1976 Praxiskosten in Höhe von 94 000 DM, was einem prozentua- len Kostenanteil von 44 Prozent entspricht.

In dem Zeitabschnitt von 1970 bis 1976 betrug die prozentuale Stei- gerung des statistischen Durch- schnittsumsatzes aus der sozialen Krankenversicherung je Kassen- arzt 91 Prozent; die prozentuale Steigerung der Praxiskosten er- reichte jedoch ca. 117 Prozent.

Dies bedeutet, daß der Nettoum- satz des Kassenarztes von 1970 bis 1976 um 67 Prozent stieg.

Die Bruttolöhne und -gehälter der abhängig Beschäftigten stiegen demgegenüber im gleichen Zeit- raum im Durchschnitt um 75 Prozent.

— Die Gesamtausgaben der sozia- len Krankenversicherung im Bun- desgebiet betrugen im Jahr 1976 66,6 Mrd. DM, denen Einnahmen in Höhe von 70,2 Mrd. DM gegen- überstanden.

Die wesentlichen Ausgabenfakto- ren der sozialen Krankenversiche- rung im Bundesgebiet betragen heute, gemessen an den Gesamt- ausgaben:

Krankenhaus-

sektor ca. 28,9 Prozent Ambulante kassenärztliche Versorgung ca. 17,9 Prozent Arzneimittel ca. 14,5 Prozent Zahnbehandlung einschließlich Zahnersatz ca. 14,5 Prozent Verwaltungs-

kosten ca. 4,5 Prozent Der Rest entfällt auf sonstige Lei- stungen wie Krankengeld, Mutter- schaftsgeld, Hauspflege, Kuren und Heil- und Hilfsmittel.

All diese Zahlen und Fakten, die natürlich bei den Beratungen mit unseren Vertragspartnern und in der Konzertierten Aktion präsent waren, habe ich der nun folgenden Darstellung der mit den RVO- Krankenkassen auf Bundesebene getroffenen Vereinbarungen so- wie der Empfehlung der Konzer- tierten Aktion vorangestellt, um für alle Beteiligten die Realitäten zu verdeutlichen, um der Wiederho- lung von Schauermärchen über die angebliche überproportionale Einkommensentwicklung des Kas- senarztes vorzubeugen und um ungeschminkt aufzuzeigen, wel- che ökonomischen Entwicklungen in der voraussehbaren Zukunft vom Kassenarzt zu erwarten sind.

Das Krankenversicherungs-Ko- stendämpfungsgesetz (KVKG) hat mit einigen wenigen Nuancen — einschließlich der ursprünglich als Alternative zu ihm entwickelten Konzertierten Aktion — mit einem Mehrheitsvotum die politische Zu- stimmung sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat erhalten.

Diese Tatsache in Form der heute geltenden gesetzlichen Bestim- mungen kann der genossen-

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Die Information:

Bericht und Meinung

Außer den Delegierten hatte eine ungewöhnlich große Zahl von Gästen, Pressevertretern und Beobachtern im Stamitzsaal des Mannheimer "Rosengarten" und auf der Empore Platz genommen, um Dr. Hans Wolf Muschalliks Bericht zur Lage zu hören

schaftliehe Zusammenschluß der Kassenärzte in Körperschaften öf- fentlichen Rechts nicht unbeach- tet lassen. Die Kasseflärztliche Bundesvereinigung hat sich auch deshalb nach sorgfältiger und alle Details berücksichtigender Kon- sultation mit den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und den übrigen rek·vanten ärztlichen Gruppierungen ,:ntschieden,

~ die Lösung einiger aktueller, mit den neuen gesetzlichen Be- stimmungen verbundener Schwie- rigkeiten nicht von einem langwie- rigen, im Ergebnis nicht vorher- sagbaren Rechtsstreit und auch nicht von ungewissen Schieds- amtsentscheidungen abhängig zu machen,

~ und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, daß die Konzertierte Aktion

uns nicht etwa ihre "Marschzahl"

aufdrückt, sondern die Empfeh- lungen zur Weiterentwicklung der kassenärztlichen Gesamtvergü- tung durch vorhergehende Sach- entscheidungen in den Selbstver- waltungsgremien der Krankenkas- sen und der Kassenärzte vorge- prägt wurden.

I

Einvernehmliche Lösung mit RVO-Bundesverbänden statt Konfrontation

Das so zustande gekommene Ver- handlungsergebnis einschließlich der Empfehlungen der Konzertier- ten Aktion ist schon in vielen Ver- öffentlichungen dargestellt wor-

den. Es scheint mir aber dennoch

geboten, im Hinblick auf jüngste

Diskussionen und Entwicklungen seine Schwerpunkte noch einmal anzusprechen und dabei noch ein- mal zu begründen, warum sich die Kassenärztliche Bundesvereini- gung in Übereinstimmung mit den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder um eine einvernehmli- che Lösung mit den Bundesver- bänden der RVO-Krankenkassen im Verhandlungswege bemüht und nicht den Weg der Konfronta- tion und damit der Gerichte und Schiedsämter gewählt hat.

An folgenden drei Problemen, die aus dem KVKG resultieren und die ein Gesamtpaket bilden, lassen sich die grundsätzlichen Gedan- kengänge, die zu dieser Entschei- dung geführt haben, wie ich mei- ne, allgemeinverständlich erläu-

~m. ~

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 22 vom 1. Juni 1978 1287

(5)

> Erstens bestimmt das KVKG in seinen Übergangs- und Schluß- vorschriften, daß die Vergütungs- regelungen des Jahres 1977 bis zum 30. Juni 1978 fortgelten.

I> Zweitens schreibt es die Ein- führung eines neuen einheitlichen Bewertungsmaßstabs für kassen- ärztliche Leistungen ab 1. Juli 1978 zwingend vor, und

I> drittens bindet das KVKG in der Kombination der §§ 368 f und 405 a RVO die Weiterentwicklung der kassenärztlichen Gesamtvergü- tungen — unbeschadet der fortbe- stehenden Zuständigkeit der Lan- des-KVen — zumindest mittelbar wegen der präjudizierenden Wir- kung bei Durchführung von Schiedsamtsverfahren an die Empfehlung der Konzertierten Ak- tion im Gesundheitswesen, der Daten zugrunde zu legen sind, welche die Aussagen im Jahres- wirtschaftsbericht der Bundesre- gierung berücksichtigen.

Zum ersten Problem — dem gesetz- lich verordneten Weitergelten der Vergütungsregelungen des Jahres 1977 für das erste Halbjahr 1978 — bestand sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene ein tiefgrei- fender Meinungsdissens zwischen den Partnern der Verträge. Die Krankenkassen beharrten, ge- stützt auf diese Vorschrift, auf ei- nem Einfrieren ihrer Zahlungen an die Kassenärztlichen Vereinigun- gen nach dem Stande des Jahres 1977.

Diesen Rechtsstandpunkt konnten wir nicht hinnehmen. Eine rechtli- che Klärung dieses Meinungsge- gensatzes hätte bei Nichtzustan- dekommen einer einvernehmli- chen Regelung nur auf dem So- zialgerichtsweg, womöglich bis zum Bundessozialgericht erfolgen können, das heißt in etwa zwei bis drei Jahren.

Dies wiederum hätte bedeutet, daß die Entscheidung über die endgül- tige Höhe der kassenärztlichen Gesamtvergütung des ersten Halbjahres 1978, die bekanntlich

die Ausgangsbasis für die Weiter- entwicklung im Jahr 1979 ist, für mindestens diese zwei bis drei Jahre hätte offenbleiben müssen.

I

Befürchtungen wegen eines „Kopfpauschales"

völlig unbegründet

Nach langen und schwierigen Ver- handlungen einigten sich die Par- teien des Bundesmantelvertrages schließlich zur Vermeidung aller aus dieser Lage möglicherweise resultierenden Schwierigkeiten auf folgende Übereinkunft:

O In gemeinsamer Auslegung der Übergangs- und Schlußvorschrif- ten zum KVKG gelten die im De- zember 1977 gezahlten Zuschläge zu den Sätzen des BMÄ für die einzelnen ärztlichen Leistungen bis zum 30. Juni 1978 unverändert fort.

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Derjenige Teil der Gesamtver- gütung, der im ersten Halbjahr 1978 auf Laborleistungen entfällt, kann um bis zu 4 vom Hundert im Vergleich zum 1. Halbjahr 1977 an- wachsen.

O Die kassenärztliche Gesamt- vergütung selbst kann im ersten Halbjahr 1978 ebenfalls um bis zu 4 vom Hundert gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigen.

• Die bisherigen Ausnahmebe- stimmungen über die besondere Behandlung von Epidemien, Prä- vention, sonstigen Hilfen und Dia- lyse gelten im 1. Halbjahr 1978 weiter.

Um festzustellen, ob die vereinbar- te Zuwachsquote sowohl auf dem Sektor der Laborleistungen als auch bei der Gesamtvergütung eingehalten oder überschritten wurde, werden die getrennt ermit- telten Anforderungen an Leistun- gen für Allgemeinversicherte und für Rentner zusammengeführt, und damit wird unserer Forderung nach einem Ausgleich — häufig auch Saldierung genannt — ent- sprochen.

Auch für die Lösung des zweiten Problems, die zum 1. Juli diesen Jahres gesetzlich vorgeschriebene Einführung eines neuen einheitli- chen Bewertungsmaßstabes mit Punktwerten, kamen die Gremien der Vertragsparteien in den Ver- handlungen zu der Überzeugung, daß nur mit einer einvernehmli- chen Lösung die hier besonders großen Schwierigkeiten vermie- den werden konnten.

Der neue, für alle Krankenkassen einheitliche Bewertungsmaßstab für die kassenärztlichen Leistun- gen darf bekanntlich kraft Geset- zes, abweichend vom bisherigen

„Bewertungsmaßstab Ärzte", kei- ne DM-Gebührenwerte mehr ent- halten, sondern muß das in Punk- ten ausgedrückte Wertverhältnis der einzelnen abrechnungsfähi- gen ärztlichen Leistungen zuein- ander fixieren. Nach der entspre- chenden Übergangsvorschrift des KVKG war bei seiner Aufstellung insbesondere von der Ersatzkas- sen-Adgo auszugehen. Dieses be- deutet für den RVO-Bereich eine so grundsätzliche Umstrukturie- rung der Grundlagen des Lei- stungsbedarfs, daß eine Voraus- bestimmung des Punktwertes als Grundlage für eine Berechnung der Gesamtvergütung nach Ein- zelleistungen unmöglich war. Es kann nämlich nicht mit der not- wendigen Genauigkeit vorausbe- rechnet werden, wie sich ein für den Punkt geschätzter DM-Betrag auf die Höhe der Gesamtvergü- tung auswirken würde.

Für einen begrenzten Zeitraum mußte aus diesem Grund allein ein neues System der Errechnung der Gesamtvergütung gewählt wer- den, um aus deren Verteilung mit der notwendigen Exaktheit den Punktwert als Ausgangsbasis für die weitere Entwicklung ermitteln zu können und um so eventuelle schwere ökonomische Risiken zu vermeiden.

Nach dieser Übergangszeit soll nach dem gemeinsamen Willen der Partner des Bundesmantelver- trages die Errechnung der Ge-

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samtvergütung wieder wie bisher nach Einzelleistungen erfolgen.

Nach sorgfältiger Prüfung aller sich anbietenden Lösungsmög- lichkeiten waren wir uns mit den Krankenkassen darüber einig, daß sich auch aus technischen Grün- den zur Erreichung dieses ge- meinsamen Ziels für den Über- gangszeitraum von vier Quartalen die Errechnung der Gesamtvergü- tung nach einem Kopfpauschale am besten eignen würde.

~ Da bereits das Wort "Kopfpau- schale", welches seit 1931 bis heute unverändert als Terminus technicus in der RVO enthalten ist, offenbar bei manchen Ärzten schon reflektorisch unberechtigte Assoziationen in Richtung auf eine damit verbundene pauschale Ho- norierung der ärztlichen Leistun- gen herzustellen vermag, betone ich mit Nachdruck, daß mit einem Kopfpauschale nichts anderes be- zeichnet ist als die Methode der Errechnung der von den Kranken- kassen an die KVen zu zahlenden Gesamtvergütung mit einem Be- trag pro Mitglied im Kalenderquar- tal, der an den tatsächlichen Aus- gaben für ambulante ärztliche Lei- stungen eines vorausgegangenen Zeitraums abgegriffen wird.

e

Eine solche Regelung für die Errechnung der Gesamtvergütung ist keineswegs gleichbedeutend mit dem System der Vergütung der Leistungen des Kassenarztes. Die bisherige Verteilung der Gesamt- vergütung an die Ärzte nach deren erbrachten Einzelleistungen wird voll beibehalten und nicht etwa durch eine letztlich leistungsfeind- liche Pauschalhonorieru ng abge- löst! Sachlich betrachtet, ist es so- gar eine zwingende Vorausset- zung für die erstmalige Ermittlung des Punktwertes im Übergangs- zeitraum, daß die nach einem Kopfpauschale errechnete Ge- samtvergütung an die Kassenärzte nach wie vor nach Einzelleistun- gen auf der Grundlage des Hono- rarverteilungsmaßstabs verteilt wird. Seine einzelnen ärztlichen Leistungen stellt der Kassenarzt dabei seiner Kassenärztlichen Ver-

em1gung unter Anwendung des neuen einheitlichen Bewertungs- maßstabs in Rechnung.

~ Mit der vorübergehenden Er- rechnung der Gesamtvergütung nach einem Kopfpauschale ist also entgegen geäußerten Befürchtun- gen grundsätzlich keine Vermin- derung der Vergütung für die kas- senärztlichen Einzelleistungen verbunden. Im Gegenteil! Die mit den Vertragspartnern auf Bun- desebene vereinbarte und in den Empfehlungen der Konzertierten Aktion enthaltene Regelung bringt ausdrücklich eine Erhöhung des Honorars für die Einzelleistung des Arztes mit sich.

I

Auf dem "gläsernen Tablett der Nation" ...

Damit komme ich zum dritten Pro- blemkreis, nämlich der Konzertier- ten Aktion im Gesundheitswesen.

Sie ist eine im Verlauf des politi- schen Tauziehens um das KVKG aus einer politischen Alternative neu entwickelte gesetzliche Ein- richtung, in der quasi auf dem

"gläsernen Tablett der Nation"

Empfehlungen zur Weiterentwick- lung der Ausgaben im Gesund- heitswesen erarbeitet werden sol- len. Eine den Stand der medizini- schen Wissenschaft berücksichti- gende bedarfsgerechte Versor- gung und eine ausgewogene Ver- teilung der Belastungen bezeich- net § 405 a RVO als Ziel der Arbeit dieses Gremiums. Die für die Bera- tung erforderlichen Daten stellt dabei der Bundesminister für Ar- beit und Sozialordnung unter Be- rücksichtigung des Jahreswirt- schaftsberichts der Bundesregie- rung zur Verfügung. Unter diesen Daten kommt der Entwicklung der Löhne und Gehälter wegen ihrer Auswirkung auf die Entwicklung der Grundlohnsumme und damit des Potentials der Krankenkasse zur Beitragsschöpfung besondere Bedeutung zu.

~ Wer hieraus aber im politi- schen Raum- und ich betone dies

mit Nachdruck - die angebliche

Die Information:

Bericht und Meinung

gesetzliche Fixierung einer aus- schließlich einnahmenorientierten Ausgabenpolitik der Krankenkas- sen ableitet und zur Maxime er- hebt, der verhindert nicht nur eine den medizinischen Fortschritten entsprechende Leistungsentwick- lung, sondern der gefährdet die Aufrechterhaltung des bisherigen Leistungsniveaus in der kassen- ärztlichen Versorgung!

Diese Feststellung verstärkt meine Überzeugung, daß die Konzertier- te Aktion im Gesundheitswesen auf Zeit und Dauer kein Instrument zur Stärkung der Funktionen der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen sein kann und wird. Dennoch, den Beratungen in diesem gesetzlich vorgeschriebenen Gremium hät- ten wir uns nur unter der Gefahr entziehen können, ohne unsere Einflußnahme und ohne unsere Zustimmung zustande kommende Empfehlungen in Kauf zu nehmen, die dann zwar nicht verbindlich, aber dennoch bei schiedsamtli- ehen Auseinandersetzungen in gewissem Umfang wirksam gewe- sen wären.

Nach meiner Überzeugung, die von der überwältigenden Mehrheit der KV-Vorsitzenden geteilt wird, mußten wir in Vertretung der Inter- essen der Kassenärzte und als Verantwortliche für die Sieherstel- lung der kassenärztlichen Versor- gung versuchen, das Beste aus und in der Konzertierten Aktion zu machen. Salopp formuliert: wir mußten uns bemühen, die Konzer- tierte Aktion zu gebrauchen, um nicht von ihr mißbraucht zu wer- den. Dies mußten wir besonders auch deswegen tun, um die Rege- lung des Gesamtpakets in einer Vereinbarung mit den Kranken- kassen nicht wegen desjenigen Teils, der gesetzlich in die Kompe- tenz der Konzertierten Aktion fällt, zu gefährden. Dabei scheint es mir im Interesse aller Beteiligten er- strebenswert zu sein, den Erhalt und die mögliche Weiterentwick- lung der gegliederten Krankenver- sicherung und die Sorge um die auf Dauer gesicherte Finanzier-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1289

(7)

Am Vorstandstisch von links: Dres. Jens Doering, Josef Schmitz-Formes, Hans Wolf Muschallik, Eckart Fiedler (Hauptgeschäftsführer), Gerhard Loewenstein, Ernst- Eberhard Weinhold, Friedrich Kolb

barkeit dieses Systems einschließ- lich von uns zu entwickelnder Al- ternativlösungen demnächst in der Konzertierten Aktion ebenso zu diskutieren wie das Problem der Entwicklung der Arztzahl, das schon im Herbst dieses Jahres zur Diskussion ansteht.

Dies war der Hintergrund, vor dem es zu einer Einigung über die Pro- zentsätze für die Weiterentwick- lung der Gesamtvergütungen im zweiten Halbjahr 1978 und für das erste Halbjahr 1979 kam. Daß bei einem alternativ möglich gewese- nen Streitfall und damit einer Ver- lagerung der Verhandlungen auf die Länderebene angesichts der inzwischen vorliegenden neuesten wirtschaftlichen Entwicklungsda- ten überall ein entsprechendes Gesamtergebnis erreicht worden wäre, ist mir nicht vorstellbar.

Das ursprüngliche Ziel eines Wirt- schaftswachstums von 3,5 Prozent zum Beispiel ist inzwischen von skeptischen Sachverständigen an- gesichts der allgemeinen Wirt- schaftsentwicklung bereits nach unten korrigiert worden; man

rechnet zur Zeit nur mit 2,5 Pro- zent und erwägt deshalb neue konjunkturpolitische Maßnahmen.

— Der Kaufkraftverlust wurde von 3,5 Prozent auf unter 3 Prozent korrigiert; das Lohn- und Gehalts- wachstum wird mit 5,5 Prozent er- wartet.

— Nach Berechnungen des Bun- desarbeitsministeriums wird die Steigerung der Gesamteinnahmen der Krankenversicherung — Über- schüsse aus der allgemeinen Krankenversicherung und Defizite aus der Rentnerkrankenversiche- rung zusammengerechnet — unter 2 Prozent liegen.

Wie konnte angesichts solcher Da- ten und Prognosen, die uns ge- nauso betreffen wie jeden anderen Bürger auch, sowohl bei den Ver- handlungen mit den Vertragspart- nern als bei den Beratungen in der Konzertierten Aktion ein besseres Ergebnis erwartet und erreicht werden als die Steigerung der Ge- samtvergütung in Analogie zur voraussichtlichen Grundlohnsum- menentwicklung.

Auch zu der gesetzlich vorge- schriebenen Weiterentwicklung des Arzneimittelhöchstbetrages hat die Konzertierte Aktion nach vorausgegangenen Beratungen zwischen Krankenkassen, Ärzten und pharmazeutischer Industrie eine Empfehlung abgegeben. Das Wachstum der Ausgaben für Arz- neimittel darf im zweiten Halbjahr 1978, bezogen auf den Halbjahres- durchschnitt des ganzen Jahres 1977, 3,5 Prozent betragen. Dies müßte nach den Erfahrungen der letzten Monate bei normalen Mor- biditätsverhältnissen ausreichen, um eine den medizinischen Erfor- dernissen Rechnung tragende Verordnung von Arzneimitteln zu sichern und damit jeden Arzt, der das allgemeine Wirtschaftlich- keitsgebot der RVO beachtet, vor der Sorge von Regressen wegen seiner Verordnungsweise bewah- ren.

i

Mit aller Entschiedenheit gegen jede Einschränkung der Verordnungsfreiheit Das Problem der Arzneimittelver- sorgung wird uns aber aus ande- ren Gründen noch länger beschäf- tigen. Dies ergibt sich einmal aus der Verpflichtung des Bundesaus- schusses der Ärzte und Kranken- kassen zum Erlaß von Richtlinien über die Verordnung zu Lasten der Krankenkassen von solchen Arz- neimitteln, welche in der Regel nur bei geringfügigen Gesundheits- störungen Anwendung finden, und zum anderen aus der gesetz- lich vorgeschriebenen Erweite- rung der Arzneimittelrichtlinien um einen Preisvergleich und die Auswahl therapiegerechter Ver- ordnungsmengen. Beide Aufga- ben sind aus ärztlicher Sicht mehr als problematisch und gleichen fast der Quadratur des Kreises. Ei- ne ausschließlich auf den Preis- vergleich beschränkte Liste muß fast zwangsläufig einige für die Wirkung von Arzneimitteln wichti- ge Charakteristika unberücksich- tigt lassen. Zum Beispiel die Bio- verfügbarkeit des Arzneimittels und die Standardisierung der je-

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weiligen Wirkungsdosis. Eine sol- che Liste bringt ferner die Gefahr einer mittelbaren Einschränkung der Therapiefreiheit mit sich, weil sie dem Kassenarzt das Gefühl vermittelt, jeweils nur das billigste Arznei mittel verordnen zu sollen, wenn er jedweden Schwierigkei- ten mit den Prüfinstanzen aus dem Wege gehen will.

..,.. Schon diese wenigen Beispiele zeigen die kaum überbrückbaren Schwierigkeiten und machen vor allem deutlich, daß wir Ärzte einer unmittelbaren oder mittelbaren Einschränkung der Verordnungs- freiheit des Arztes im Interesse des Versicherten keinesfalls zustim- men können! Wer um den diffizi- len Wirkungsmechanismus der medikamentösen Therapie ein- schließlich der individuellen Ver- träglichkeit und Reaktion weiß, der muß diesen unseren Stand- punkt teilen.

..,.. Man möge mich an dieser Stel- le nicht dahingehend mißverste- hen, als ob ich etwa ein Gegner einer wirtschaftlichen, das heißt rationellen Arzneiverordnung wä- re - ganz im Gegenteil! Ich bin aber ein überzeugter Gegner je- den Listenschematismus', und das auch bei der Arzneiverordnung!

Ich hoffe sehr, daß dieser Stand- punkt, den wir kürzlich dem Herrn Bundesarbeitsminister und Abge- ordneten des Deutschen Bundes- tages anläßlich einer Veranstal- tung in unserem Berliner Seminar deutlich dargelegt und begründet haben, das notwendige politische Verständnis findet.

• Die bisherigen Darlegungen zu- sammenfassend, lassen Sie mich meine Überzeugung dahin präzi- sieren, daß es mir trotz aller Schwierigkeiten durchaus gelun- gen zu sein scheint, im Rahmen eines Gesamtpakets eine in Anse- hung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung annehmbare Lösung gefunden zu haben.

• Daß keine Seite ihre gesteckten Ziele hierbei voll erreichen konnte,

Die fuformation:

Bericht und Meinung

KBV-Vorsitzender Dr. Hans Wolf Muschallik am Rednerpult bei der Erstattung des Berichts zur Lage. Im Hintergrund (von rechts) Dr. Kolb, Dr. jur. Bösche, Dr.

Weinhold, Dr. Loewenstein, Dr. Fiedler, Sanitätsrat Dr. Schmitz-Formes

entspricht der Natur der Sache, und natürlich kann man im nach- hinein trefflich darüber streiten, ob eine Konfrontation bessere Er- gebnisse ermöglicht hätte und ob die erreichte Weiterentwicklung ausreicht, um trotz Praxiskosten- entwicklung, Inflationsrate und Entwicklung der Zahl der Kassen- ärzte das durchschnittliche Real- einkommen je Kassenarzt zu er- halten oder gar zu verbessern.

I

Weitgehend erreichte Beit. ragsstabilität darf nicht mißbraucht werden Für falsch würde ich es allerdings halten, die in der Presse aus ver- ständlichen Gründen so spektaku- lär behandelte Beitragssenkung bei einzelnen Krankenkassen oder Kassenarten als Argument gegen die gefundene Vereinbarung zu benutzen. Wenn Krankenkassen, wie häufig geschehen, die Bei- tragssätze dem Anstieg ihrer Aus- gaben prospektiv angepaßt haben und sich in den Jahren 1976 und 1977 dann erwies, daß diese Ein-

schätzung der realen Ausgaben- entwicklung in fast allen Berei- chen vorauseilte, dann sind jetzt durchgeführte Beitragssatzkor- rekturen nichts anderes als eine ökonomisch selbstverständliche Folge des Vorhandenseins realer Daten. Ebenso selbstverständlich war es doch, wenn die Beitrags- sätze wegen einer Zunahme von Leistungen und damit Ausgaben der Krankenkassen erhöht werden mußten.

Mit Nachdruck muß ich. aber ande- rerseits die folgende Feststellung treffen:

• Alle bisherigen Kostendämp- fungsbemühungen der Beteiligten müßten in vollem Umfang als in ihrer sozialpolitischen und allge- meinwirtschaftlichen Begründung unglaubwürdig, ja pervertiert er- scheinen, wenn die heute weitge- hend erreichte Beitragsstabilität bei den Krankenkassen etwa dazu mißbraucht würde, der Kranken- versicherung nun erneut sach- fremde Lasten aufbürden zu wol- len. So war die Mitwirkung aller an

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1291

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den Maßnahmen zur Dämpfung des Kostenanstiegs weiß Gott nie gemeint! Wer diese Bemühungen zu Täuschungen ummünzt, der gefährdet das wichtige gegenseiti- ge Vertrauen in die Aufrichtigkeit von Aussage und Handlung an der Wurzel! Bei solchen Tendenzen müßten allerdings alle weiteren Bemühungen zur Kostendämp- fung illusorisch werden. Ich sähe dann keinerlei Möglichkeit, von den Kassenärzten etwa weiterhin erwarten zu wollen, eine Einkom- mensstagnation oder gar eine rea- le Minderung ihrer Einkünfte ge- gen sich gelten zu lassen.

..,.. Wenn die Ersatzkassen, die uns gegenüber bei den Beratun- gen über die Honorarregelung für 1978 in den ersten Wochen dieses Jahres erklärten, ihre Beitragssät- ze im Falle des Abschlusses mög- licherweise stabil halten zu kön- nen, jetzt ankündigen, daß sie auf breiter Front ihre Beiträge senken können, sollten sie sich darüber im klaren sein, daß dies für uns den Fortfall der Grundlage für die getroffene Absprache bedeuten muß.

e

Abgesehen von diesen Feststel- lungen, die ich glaube in dieser Öffentlichkeit treffen zu müssen, halte ich bei sachlicher Betrach- tung und nüchterner Wertung aller heute vorliegenden politischen und gesamtwirtschaftlichen Fak- ten einschließlich der Impondera- bilien die für das Gesamtpaket ge- fundenen Lösungen für den ein- zelnen Kassenarzt - nicht zuletzt wegen der erreichten Rechtssi- cherheit - zurnutbarer als jahre- lange, in ihrem Ausgang unsichere Rechtsstreite und Schiedsamts- ausei nandersetzungen.

Die mit den Bundesverbänden der Krankenkassen - unter teilweisem Placet der Konzertierten Aktion - getroffenen Vereinbarungen ha- ben folgenden Inhalt:

O

Einvernehmliche Regelung über die Honorierung im 1. Halb- jahr 1978 mit 4 Prozent Spielraum für den Leistungszuwachs, Durch-

führung einer Saldierung zwi- schen Allgemeinversicherten und Rentnern und Herausnahme der Präventionsleistungen und des Epidemierisikos.

8

Anhebung der Honorierung der einzelnen ärztlichen Leistung ab 1.

Juli 1978.

t) Garantie eines Honorarzu- wachses für einen weiteren An- stieg der Inanspruchnahme ärztli- cher Leistungen bis Juni 1979.

8

Möglichkeit für die Vertrags- partner, im Gesetz festgelegte, weitere wichtige Neuerungen in- nerhalb laufender Verträge durch- zuführen.

8

Errichtung einer soliden Basis für Forderungen zur Weiterent- wicklung der kassenärztlichen Ge- samtvergütu ng.

(:) Grundsätzliche Feststellung, daß nach Ablauf einer notwendi- gen Übergangsperiode die Errech- nung der Gesamtvergütung wie- der nach Einzelleistungen erfol- gen wird.

• Wenn diese Ergebnisse unserer Bemühungen von offensichtlich Unwissenden oder Böswilligen da- hin ausgelegt werden, die KBV be- schreite den Weg der Pauschalie- rung und schädige so die Interes- sen der gesamten Ärzteschaft, dann halte ich das nicht nur für bedauerlich, sondern stelle fest, daß es rundheraus falsch ist.

I

Nicht einer "Politik der vollen Straßenbahn"

das Wort reden

Dennoch kann natürlich ebenso wie zu früheren Zeiten eine end- gültige Aussage über die Auswir- kungen dieser Vereinbarungen bei jedem einzelnen Kassenarzt nicht gemacht werden. Zu viele zukünf- tige Entwicklungen sind ungewiß.

Vor allem ist dabei heute von Be- deutung, daß als Folge von Ent- wicklungen auf dem Kranken- haussektor sowie als Konsequenz

einer unkritischen Hochschulpoli- tik nicht nur davon ausgegangen werden muß, daß die Gesamtzahl der Ärzte zunimmt, sondern daß vor allem mit einer Zunahme der Zahl solcher Kolleginnen und Kol- legen gerechnet werden muß, die ihre berufliche Existenz in der freien Praxis suchen werden und suchen müssen. Bei dieser Ent- wicklung werden sich die ange- strebte Senkung der Zahl der Krankenhausbetten um etwa ein Sechstel und die gleichzeitigen Bemühungen zur Dämpfung der Kostenentwicklung im Kranken- haus in der Wirkung vermutlich addieren.

e

Zur Vermeidung von Fehldeu- tungen und Mißverständnissen möchte ich mit Nachdruck beto-

nen, daß für mich auch unsere zu-

künftigen jungen Kollegen ohne Einschränkung zu unserer Arztfa- milie gehören. Ich bin nicht der Meinung, daß es uns freiberuflich tätigen Ärzten heute gut anstünde, nunmehr einer Politik der vollen Straßenbahn das Wort zu reden. Dabei bin ich mir natürlich dar- über im klaren - und auch das betone ich mit aller Deutlichkeit an die Adresse unseres ärztlichen Nachwuchses -. daß die sich ab- zeichnende Entwicklung die Exi- stenzchancen für den einzelnen keineswegs mehr so attraktiv er- scheinen läßt, wie es vielleicht in der jüngsten Vergangenheit gese- hen wurde. Dennoch wäre es nach meiner Überzeugung ein nicht wiedergutzumachender gesell- schaftspolitischer Fehler, wenn wir daraus den Schluß zögen, we- sentliche Elemente der Freiberuf- lichkeif ärztlicher Tätigkeit in der sozialen Krankenversicherung op- fern zu sollen. Ich sehe auf dem Gebiet des Gesundheitswesens durchaus Möglichkeiten für eine zusätzliche ärztliche Tätigkeit, zum Beispiel auf dem weiten Feld der Rehabilitation, der Arbeitsme- dizin, der gesundheitlichen Auf- klärung der Bevölkerung, aber auch bei der wünschenswerten Beseitigung von zugegebenerma- ßen unverändert bestehenden

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Die Information:

Bericht und Meinung

Am 21. Mai, dem Tage vor der Sitzung der Vertreterversammlung, trafen sich in der Mannheimer Kunsthalle die Mitglieder des Länderausschusses der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zu einer vorbereitenden Beratung

Engpässen in der ärztlichen Psychiatrie und Psychotherapie.

Hiervon aber abgesehen, ist und bleibt es dringend erforderlich, die Zahl der Studienplätze in der Me- dizin mit der selbstverständlichen Forderung nach einer qualifizier- ten und praxisbezogenen Ausbil- dung und ihrer Erfüllung in Über- einstimmung zu bringen.

Auch muß unter Berücksichtigung des künftigen Wegfalls der Vorbe- reitungszeit auf die kassenärztli- che Tätigkeit nach EG-Recht ge- prüft werden, durch welche Maß- nahmen sichergestellt werden kann, daß den jungen Ärzten die für eine Tätigkeit in der freien Pra- xis erforderlichen praktischen Er- fahrungen vor der Niederlassung vermittelt werden.

Aber besonders vordringliche Auf- gabe bleibt es dabei — und hierzu sind alle aufgerufen —, zum Bei- spiel durch die Einrichtung und den Ausbau von sogenannten

„Wechselassistentenstellen" am Krankenhaus und die verstärkte Mitwirkung niedergelassener Ärz- te bei der Weiterbildung dazu bei- zutragen, den Anteil von Allge- meinärzten in der kassenärztli- chen Versorgung schnellstens zu erhöhen.

I

Andere Ausgangslage für die

Kassenzahnärzte

Zurück zum eigentlichen Thema:

In der Öffentlichkeit ist — ausgelöst durch journalistische Darstellun- gen — leider der Eindruck entstan- den, daß es zwischen Ärzten und Zahnärzten wegen der Ergebnisse der Beratungen der Konzertierten Aktion zu einer Konfrontation zu kommen drohe. Ich bedaure die- sen Eindruck genauso, wie es Herr Kollege Zedelmaier in seiner Ei- genschaft als Vorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesver- einigung schriftlich mir gegenüber getan hat.

Es sollte für keinen Sachkenner ein Zweifel daran bestehen, daß wegen der in vielen Punkten sehr unterschiedlichen Ausgangslage die von uns für annehmbar gehal- tene Lösung keineswegs mit den entsprechenden Überlegungen der Zahnärzte verglichen werden darf. Es gibt bei den Zahnärzten zum Beispiel das Problem einer umstrittenen Gesetzesbestim- mung über das Weitergelten der Honorarregelung von 1977 im er- sten Halbjahr 1978 nicht, denn für diesen Zeitraum bestehen dort

gültige Verträge. Auch das Pro- blem der Einführung eines Punk- tebewertungsmaßstabs entfällt, da unsere zahnärztlichen Kollegen ei- nen solchen bereits seit vielen Jahren haben. Für die Zahnärzte ist auch kein überproportionaler Zugang zum Beruf als zusätzliches Problem zu erwarten.

Natürlich gilt aber trotz all dieser unterschiedlichen Gegebenheiten für Kassenzahnärzte und für Kas- senärzte die gleiche gesetzliche Regelung der RVO, und es wäre angesichts der wünschenswerten grundsätzlichen Gemeinsamkeit aller Heilberufe völlig unsinnig, sachbezogene Verschiedenheiten zu leugnen. Auch kann nicht etwa der eine des anderen Lehrmeister sein wollen, sondern es muß ein- vernehmlich eine Kompatibilität der gemeinsamen Interessenlage hergestellt werden, damit die An- gehörigen der freien Heilberufe in der Öffentlichkeit ein einheitliches Bild darstellen und in der Konzer- tierten Aktion, in der sie sowieso stark unterrepräsentiert sind, ge- meinsam agieren.

Ich betone deshalb ausdrücklich, daß die Schilderung des Inhalts des Verhandlungspakets und die Darlegung unserer Beweggründe

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1293

(11)

natürlich ausschließlich unseren kassenärztlichen Bereich betra- fen. Unterschiedliche rechtliche Ausgangspositionen, andere Ge- gebenheiten und differente Wer- tungen von zukünftigen volkswirt- schaftlichen Entwicklungen mö- gen, wie dies bei den Zahnärzten der Fall war, zu anderen Schluß- folgerungen Anlaß sein, als wir sie nach bestem Wissen und Gewis- sen gezogen haben.

e

Nach meiner Überzeugung ha- ben wir das Mögliche erreicht, und man sollte bei kritischen Äußerun- gen auch nicht übersehen, um welche finanziellen Größenord- nungen es sich bei unserem Ge- samtpaket handelt. Dies scheint mir ganz besonders angesichts der Debatten um die jüngste Ent- wicklung der Finanzlage in der Rentenversicherung geboten.

Die soziale Krankenversicherung und mit ihr die kassenärztliche Versorgung hängen in ihrem Be- stand und in ihrer Leistungsfähig- keit auf Dauer von der Entwick- lung unserer Volkswirtschaft und ihrer materiellen Grundlagen ab.

Wie diese heute einzuschätzen

sind, habe ich anhand einiger Ana-

lysen und Prognosen erwähnt.

e

Das Problem der Arbeitslosig- keit und die infolge der Verände- rung der Bevölkerungsstruktur schwierige Erfüllung des Genera- tionenvertrages können auch auf die Lage in der Krankenversiche- rung nicht ohne Auswirkung blei- ben. Wer dies leugnet oder nicht sehen will, der läuft Gefahr, als unglaubwürdig empfunden zu werden. Wer sich auch nur dem Verdacht eines puren Eigennutzes aussetzt, dessen Chancen, zu ei- nem dauerhaften Erfolg zu kom- men, erachte ich für gering.

e

Nur eine kühle, reale Einschät- zung der politischen und gesamt- wirtschaftlichen Gegebenheiten und hierauf basierende Entschei- dungen können den im Interesse unserer Bürger so wichtigen so- zialen Frieden im Bereich der am- bulanten kassenärztlichen Versor-

gung wahren und eine Ver- schlechterung der rechtlichen Stellung des einzelnen Kassenarz- tes und seiner Selbstverwaltung verhindern.

I

Das Schwergewicht

"menschliche Sphäre"

wiedergewinnen

Zur Vervollständigung des Bildes gehört eine Bestimmung des Standortes der ärztlichen Betreu- ung aus medizinischer Sicht. Die Beratungen des diesjährigen ln- ternistenkongresses, insbesonde- re die Ausführungen des von mir hoch geschätzten Kongreß- vorsitzenden, Professor Groß, zei- gen deutlich den Wandel von der Überbewertung des Technisch- Apparativen und des Herstellbaren in der Medizin zur Wiedergewin- nung des Schwergewichts der menschlichen Sphäre der ärztli- chen Tätigkeit. Selbstverständlich ist dabei der Technik der Raum belassen, der ihr als wichtigem Hilfsinstrument des Arztes in Dia- gnostik und Therapie zukommt.

Eine weitere Ernüchterung war bei der Einschätzung der Möglichkei- ten und Erfolgschancen der Vor- sorgemedizin zu registrieren.

~ Alles deutet zum Beispiel bei den Herz- und Kreislaufkrankhei- ten darauf hin, daß sich Erfolge gegen diese an erster Stelle ste- hende Todesursache nur dann er- zielen lassen, wenn es gelingt, das Gesundheitsbewußtsein, die Ge- sundheitsverantwortung und da- mit das Gesundheitsverhalten des einzelnen Menschen positiv zu be- einflussen. Gelingt dies nicht, sind alle Vorsorgebemühungen ver- geblich.

Bei der Standortbestimmung der ärztlichen Betreuung darf auch ein Wort zu den Laborautomaten und zu der Laboratoriumsmedizin als Ganzem nicht fehlen. Es ist noch gar nicht lange her, daß es bei Politikern, die sich mit Gesund- heitsproblernen befaßten, als Be-

weis für besondere Progressivität, für fortschrittlich/rationelles Den- ken galt, das wesentliche Heil der zukünftigen Entwicklung in der Medizin von der sogenannten Ap- paratemedizin zu erwarten.

Als frühzeitige Warner vor einer Überbewertung des Technischen in der Medizin haben wir leider damals nicht immer die erhoffte Unterstützung durch die Wissen- schaft erfahren, im Gegenteil! Im Zuge der Sub-Sub-Spezialisierung waren offenbar zeitweilig die vor- aussahbaren Konsequenzen einer Überbewertung alles Technischen und technisch Machbaren im All- tag der Medizin aus dem Blickfeld geraten.

Es ist nur kurze Zeit her, daß erste vorsichtige Stimmen aus der Wis- senschaft uns in unserer Auffas- sung zu bestärken begannen und wir nicht mehr nur als die hoff- nungslos antiquierten Verfechter einer technisch ungenügenden Medizin dastanden.

~ Wenn Professor Groß und sei- ne Fachkollegen zum Beispiel die Wichtigkeit der Erhebung einer eingehenden Anamnese durch den Arzt wieder in das ärztliche und das öffentliche Bewußtsein gerückt haben; wenn sie unterstri- chen haben, welch große Bedeu- tung der körperlichen Untersu- chung des Patienten durch seinen Arzt für die Beurteilung des Zu- standes, das Finden der Diagnose und die einzuschlagende Therapie zukommt, dann kann man es im Interesse des Patienten und seiner psychophysischen Einheit nur dankbar begrüßen, daß die Ent- wicklung vom "Check-up" weg wieder hin zur gezielten, auf das individuelle Krankheitsgeschehen gerichteten ärztlichen Diagnostik gelenkt werden soll. Kein vernünf- tig Denkender wird den Labor- automaten deswegen etwa nun schlechthin aus der Medizin ver- bannen wollen; er muß aber auf den Platz verwiesen werden, der ihm als ein Hilfsmittel des Arztes bei seiner Tätigkeit am einzelnen Menschen gebührt!

(12)

Die Information:

Bericht und Meinung

Der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung trat zu seiner Sitzung vor den Beratungen im Länderausschuß und in der Vertreterversammlung auf Einladung des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Pfalz, Dr. Julius Weber (rechtes Bild, zweiter von rechts), am 20. Mai im Ärztehaus Neustadt a. d. Weinstraße zusammen Fotos (8): Bohnert-Neusch

Die Laboratoriumsmedizin ist während der letzten zwei bis drei Jahre auch in unseren Gremien heftig diskutiert worden. Anlaß hierzu waren die Zunahme des An- teils der Laboratoriumsleistungen am Leistungsbedarf, die Bildung von Apparategemeinschaften und moderne technische Möglichkei- ten zur Gewinnung von Untersu- chungsergebnissen. Die jüngste Diskussion hat sich besonders mit der Auslegung des § 368 n Abs. 8 beschäftigt. In zwei Arbeitstagun- gen hat die Vertreterversammlung für die weitere Tätigkeit der KBV wertvolles Grundlagenmaterial ge- schaffen, und die beschlossene Kommission wird sich mit der Wei- terentwicklung aller Gedanken und Vorstellungen zu einem kon- kreten Ergebnis in Kürze zu be- schäftigen haben. Dabei wird jeder unserer Schritte immer wieder daraufhin zu überprüfen sein, ob in Gang befindliche Entwicklun- gen medizinisch-wissenschaftlich haltbar sind und dem Patienten dienen.

I

Schutz intimer

gesundheitlicher Daten hat Vorrang

Zu den Überlegungen für die nahe Zukunft gehören auch die zur Zeit in der öffentlichen Diskussion lei- der nur allzu wenig beachteten Pläne zur Einführung eines ein- heitlichen Versichertenausweises in der Krankenversicherung.

• An unseren bisherigen sehr kri- tischen Stellungnahmen zu die-

sem Problem hat sich nichts geän- dert, und ich möchte auch im In- teresse der Versicherten noch ein- mal betonen, daß wir der geplan- ten Einführung eines nach dem Vorbild der Kreditkarten gestalte- ten Ausweises nur dann zustim- men werden, wenn

C) die notwendige Gewähr für die völlige Wahrung der Intimsphäre des Patienten gegeben ist, wenn C die unbestreitbare Gefahr einer unkontrollierten Kostenauswei- tung gebannt wird und

0 ein Rationalisierungseffekt auch beim Kassenarzt nachweis- lich eintritt.

In diesem Zusammenhang wird er- neut unter allen Beteiligten ganz offen und ehrlich zu prüfen sein, ob es bei der geplanten Sammlung von Gesundheits- und Krankheits- daten tatsächlich in erster Linie um das Wohl des Versicherten geht. Schon mehrfach habe ich vor Ihnen die Auffassung vertre- ten, daß ich es nicht für angängig halte, angesichts der klaren Ableh- nung der gesetzlichen Einführung eines Personenkennzeichens im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages ein solches Kennzei- chen im Ergebnis dann durch Rechtsverordnung des Bundesar- beitsministers aber doch Wirklich- keit werden zu lassen.

• Wer das Grundrecht des Bür- gers auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Überzeugung

vertritt, der muß, wie ich meine, bei einer Abwägung der Rechtsgü- ter mit uns darin übereinstimmen, daß die gesundheitliche Intim- sphäre des einzelnen Menschen Vorrang vor der Sammlung von Daten über Gesundheit und Krankheit hat.

• Wer trotz verbaler Bekenntnis- se zu dem Grundrecht des Bürgers auf Unverletzlichkeit seiner Per- sönlichkeit in diese Intimsphäre einzudringen sucht, der wird un- wiederbringliches Vertrauenskapi- tal verspielen!

• Es kann und darf nicht das Ziel der Bemühungen um die Siche- rung der Qualität der ärztlichen Betreuung sein, durch Integration immer neuer Generationen von Computern als Schlußpunkt der Entwicklung den in seiner körper- lichen und seelischen Sphäre elektronisch-nackten Menschen anzustreben. Im Gegenteil, ange- sichts der zunehmenden Isolie- rung des einzelnen Menschen in seiner technisierten Umwelt soll- ten alle Maßnahmen an dem Wert für die Erhaltung seiner Individua- lität und dem gesetzlichen Grund- recht auf freie Entfaltung der Per- sönlichkeit gemessen werden.

• Im inneren Zusammenhang mit diesen Gedanken steht meine Überzeugung, daß Selbstordnung und Selbstverantwortung wieder mehr Bedeutung und mehr Ver- trauen gewinnen müssen und daß unter Festigung des gegliederten Krankenversicherungssystems ei-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1295

(13)

ne funktionsgerechte Verteilung zwischen Autonomie und zentraler Steuerung das sozialpolitische Gebot der Stunde sein sollte.

Dabei verstehe ich unter kassen- ärztlicher Selbstverwaltung nicht die Wahrnehmung mittelbarer Staatsaufgaben, sondern die le- bendige, genossenschaftliche Au- tonomie an Stelle staatlicher In- stanzen!

I

Versuch einer üblen Manipulation der öffentlichen Meinung

Lassen Sie mich meine Ausfüh- rungen nicht abschließen, ohne zu einem Medienbericht der jüngsten Vergangenheit ein Wort zu sagen.

Ich halte es schlechthin für den Versuch einer üblen Manipulation der öffentlichen Meinung, wenn in einer Fernsehsendung der mit Ro- bin Hood verglichene Repräsen- tant eines Landesverbandes der Ortskrankenkassen so tut, als sei es den Krankenkassen unter dem derzeit geltenden Recht erlaubt, einseitig Eigeneinrichtungen zum Beispiel für die Gewinnung von Laboratoriumsresultaten zu er- richten oder zu betreiben. Wer

ei -

nen noch nicht beendeten Rechts.

streit dazu benutzt, der Öffentlich- keit gegenüber den Eindruck zu erwecken, als gelte das Kassen- arztrecht nicht mehr, wonach Ei- geneinrichtungen der Kranken- kassen nur mit Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigungen errichtet werden können, und als gelte auch die höchstrichterliche Rechtsprechung hierzu nicht mehr, der sollte keinen Anspruch auf unser Vertrauen als Vertrags- partner in der Krankenversiche- rung erheben!

Es tut mir leid, daß der zuständige Bundesverband bis heute zu die- sem Vorgang geschwiegen hat;

das ist der Sache der gemeinsa- men Selbstverwaltung und der von allen immer wieder beschworenen Vertragspartnerschaft nicht dien- lich.

Wie angeblich Adenauer, könnte man sagen: Hast Du mit der Presse Kummer — morgen kommt 'ne neue Nummer. Wer will, der mag aber auch einige historische, nicht durch Fernsehserien geschönte Betrachtungen über die wirkliche Rolle des zitierten Robin Hood zu seiner Zeit anstellen — ich versage mir das, denn nach dem Broök- haus war er ein wohltätiger Stra- ßenräuber!

Aber manche Publizistik hält sich zur Zeit dran: An Verdrehungen und Manipulationen kann es mit dem zitierten Fernsehbeitrag der jüngste „stern-Report" bequem aufnehmen! Der für sein unge- wöhnliches Maß an „Objektivität"

bei Angelegenheiten, welche Ärzte betreffen, sattsam bekannte

„stern" hat es nicht verabsäumt, die Veranstaltungen im Zusam- menhang mit dem Deutschen Ärz- tetag nach seinem Gusto einzuläu- ten.

Was da alles vollmundig durchein- andergemischt wird:

— Inzwischen längst richtigge- stellte, falsche Angaben über die monatlichen Durchschnittsein- kommen der Ärzte;

rlip 78h1 2n!Anlir.h der

Revolu- tion von 1848 in Baden steckbrief- lich gesuchter Kollegen;

— die Gründung des Hartmann- bundes im Jahr 1900 und ihre Folgen;

— unrichtige Angaben über den Aufbau der Ärztekammer;

— noch unrichtigere über ihre an- gebliche Auflösung im Jahre 1945;

— ebenso unrichtige über ihre an- gebliche „Neugründung";

— die angebliche Verantwortung der organisierten Ärzteschaft für Mißstände in der Ausbildung zum Arzt;

— Gebührenordnungspositionen aus der E-Adgo — die offenbar Neidinstinkte wecken sollen;

— angebliche Deckung „schwar- zer Schafe" durch die ärztlichen Organisationen;

— angebliche Äußerungen von Kassenfunktionären, daß die kor- rekte Abrechnung — gemeint ist wohl die des Kassenarztes — eine Ausnahme sei;

— Zitate der uns gegenüber stets besonders „wohlwollend" einge- stellten Herren Wollny, Dr. Lüth und der Arbeitsgemeinschaft un- abhängiger Ärzte und anderes mehr bis hin zu einem Zitat von Herrn Kollegen Häussler, der sich in dieser Nachbarschaft wahr- scheinlich wenig wohl fühlen wird;

das alles ist in dem klebrigen Brei, um nicht zu sagen dem Kakao ver- mischt, durch den der „stern" die Ärzte pauschal zieht. Mit Erich Kästner möchte ich dem „stern"

versichern, daß wir ganz bestimmt nicht so tief sinken werden, von dem durch seine Redaktion ge- brauten Kakao auch noch zu trin- ken! Ich kann zu diesem journali- stischen Machwerk nur sagen:

Ganz niedrig hängen, aber immer daran denken!

I

Ehrliche Partnerschaft - und mehr denn

je Geschlossenheit!

Versucht man, aus alle dem unter Wertung der bisher vorliegenden Ergebnisse, die aus Zeitgründen nur nach Schwerpunkten umris- sen werden konnten, ein Resümee zu ziehen, dann wäre es falsch zu glauben, daß etwa eine Atempause für die kassenärztliche Selbstver- waltung eintreten würde. Die ge- sellschafts-, gesundheits- und so- zialpolitische Lage und die Situa- tion in unserer Volkswirtschaft bleiben angespannt und damit das berufspolitische Klima aufgewühlt und brisant.

• Nach meiner Überzeugung muß

es dennoch unser Ziel bleiben — so

wie wir es durch unser Verhalten

in den vergangenen Jahren deut-

lich gemacht haben —, auf eine

ehrliche Partnerschaft zwischen

(14)

Die Information:

Bericht und Meinung

Grußworte an die

Vertreterversammlung der KBV

Krankenkassen und Ärzten, die Positives gedeihen läßt, ständig hinzuwirken, den hohen Standard in der ambulanten ärztlichen Ver- sorgung zu erhalten und dabei so- wohl die Notwendigkeit einer ge- samtwirtschaftlich vertretbaren Kostenentwicklung als auch das Recht und die Verpflichtung zur Wahrung der ökonomischen Inter- essen der Kassenärzte nicht aus den Augen zu verlieren.

• Da sich heute in unserer Gesell- schaft fast nur noch große und festgefügte Blöcke gegenüberste- hen, bedarf es bei der Verwirkli- chung jedweder gesellschafts-, gesundheits- und sozialpoliti- schen Vorstellungen mehr denn je der Geschlossenheit in der Ärzte- schaft, ja darüber hinaus unter al- len Angehörigen der freien Heilbe- rufe.

• Jeder einzelne Arzt sollte er- kennen, daß sich unbestreitbar vorhandene und für die Zukunft abzeichnende kollektivistische Tendenzen und Trends weder von den wenigen berufspolitisch aktiv wirkenden Kolleginnen und Kolle- gen erfolgreich bekämpfen noch mit dem Schließen der Praxistür etwa aussperren lassen.

• Eine intensive Gegenwirkung gegen Nivellierung und Verein- heitlichung, gegen die Verbrei- tung unwahrer und tendenziöser Darstellungen über die Tätigkeit des einzelnen Arztes sowie die Handlungsmotive der kassenärzt- lichen Selbstverwaltung sollte — mag es uns finanziell kosten, was es wolle — sichergestellt und be- schleunigt realisiert werden. Sonst kommen wir keinen Schritt weiter.

• Soziale Verantwortung in der einzelnen Praxis als persönliche Aufgabe zu erkennen und zu erfül- len genügt heute nicht mehr. In unserer pluralistischen Gruppen- gesellschaft muß die soziale Ver- antwortung verstärkt auch kollek- tiv übernommen und als politische Rolle beherrscht werden! Dieser neuen Dimension sollten wir uns in Zukunft ständig bewußt sein.

Zur Einleitung der Vertreterver- sammlung in Mannheim hatte Dr.

Muschallik Grußtelegramme und ein Fernschreiben von Repräsen- tanten der im Bundestag vertrete- nen Parteien verlesen. Sie sind nachstehend im Wortlaut wieder- gegeben.

Hermann Rappe (SPD)

Der Vorsitzende des Bundestags- ausschusses für Arbeit und Sozial- ordnung, Hermann Rappe (SPD):

„Vertreterversammlung der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung, zu Händen Herrn Dr. Muschallik.

Ich wünsche Ihrer Tagung Erfolg und guten Verlauf. Nehme am DGB-Kongreß Hamburg teil. Be- danke mich bei dieser Gelegenheit für sachliche und gute Zusam- menarbeit. Besonders beachtens- wert ist das verantwortungsvolle Verhalten Ihres Verbandes in der Konzertierten Aktion und den da- mit verbundenen Verhandlungen.

Ihr Hermann Rappe MdB Vorsitzender

Ausschuß für

Arbeit und Sozialordnung"

Heinz Franke (CDU)

Der Vorsitzende des Arbeitskrei- ses Sozial- und Gesellschaftspoli- tik der CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion, Heinz Franke (CDU):

„An den Vorsitzenden der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung, Herrn Dr. Hans Wolf Muschallik.

Lieber Dr. Muschallik,

aus Anlaß Ihrer Vertreterversamm- lung übermittele ich Ihnen und al- len Delegierten meine besten Wünsche.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht versäumen, Ihnen für Ihre Bemühungen bei der Durchfüh- rung von notwendigen Maßnah- men zur Dämpfung der Kosten im Gesundheitswesen zu danken. Un- verkennbar ist, daß insbesondere durch die Anstrengungen der ärzt- lichen Selbstverwaltung schon vor der Verabschiedung des soge- nannten Krankenversicherungs- Kostendämpfungsgesetzes das Ausmaß der Kostendämpfung spürbar zurückgegangen ist. Es gilt daher, auch für die Zukunft eine funktionsfähige ärztliche Selbstverwaltung zu erhalten.

Ich wünsche Ihrer Veranstaltung einen erfolgreichen Verlauf.

Ihr Heinz Franke MdB

Vorsitzender des Arbeitskreises Sozial- und Gesellschaftspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfrak- tion"

Hansheinrich Schmidt (FDP)

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Hansheinrich Schmidt (Kempten):

„Dr. Hans Wolf Muschallik, Vorsit- zender, Kassenärztliche Bundes- vereinigung.

Aus Anlaß der Vertreterversamm- lung der Kassenärztlichen Bun- desvereinigung ist es mir ein Be- dürfnis, Ihnen und der KBV einmal persönlich, aber auch namens der FDP-Bundestagsfraktion herzliche Grüße zu übermitteln, verbunden mit Dank und Anerkennung für Ih- re seit Jahren bewiesene sachliche und verantwortungsbewußte Ar- beit. Mit den im Vorfeld der Kon- zertierten Aktion abgeschlossenen Vereinbarungen mit den Kranken- kassenverbänden haben Sie be- wiesen, daß die durch die KBV ver-

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 1. Juni 1978 1297

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