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Archiv "Hernienchirurgie: Die Qualität hängt am Chirurgen, nicht an der Technik" (03.10.2008)

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A2080 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008

M E D I Z I N R E P O R T

W

enn Hernienchirurgen über die beste Operationsmetho- de, die Frage nach dem offenen oder endoskopischen Zugangsweg, über das Für und Wider alloplastischer Implantate und über das optimale Netzmaterial diskutieren, dann erin- nert ihr Diskurs häufig eher an einen Glaubenskrieg als an einen wissen- schaftlichen Dialog. Auch beim Wil- helmsburger Herniensymposium in Hamburg waren sich die Teilnehmer nicht immer einig über den Gold- standard zur optimalen Versorgung von Leistenhernien.

Allerdings mehren sich die Hin- weise darauf, dass all diese externen Faktoren in der Vergangenheit über- bewertet wurden. Zwar treten seit dem Einsatz von Netzmaterialien nach Leistenbruchoperationen ins- gesamt weniger Rezidive auf, doch Grundvoraussetzung für eine niedri- ge Komplikations- und Rezidivrate ist: Ein erfahrener Chirurg operiert,

der seine Technik beherrscht. Für die Netzimplantation bei Hernien- operationen bedeutet dies zum Bei- spiel, dass der Operateur das Netz mit ausreichender Überlappung über den Bruch platziert, wie Prof. Dr.

med. Parviz Amid (Lichtenstein Hernia Institute, Los Angeles/USA) berichtete.

Amid zufolge erkennt man den technisch versierten Chirurgen mehr noch an seinem schonenden Um- gang mit den Leistennerven: Auf keinen Fall dürfe das Netzmaterial direkt auf einen Nerv gelegt wer- den. Ebenso obsolet seien Nähte durch den inneren schrägen Bauch- muskel (M. obliquus internus) oder gar durch einen der drei Leistenner- ven. Das klingt selbstverständlich, spiegelt jedoch leider nicht die gän- gige Praxis wider, wie Amid erläu- terte: „Nur etwa ein Drittel der Chir- urgen schenkt bei einer Hernienope- ration den Nerven überhaupt ihre

Aufmerksamkeit – und in den USA sind es sogar noch viel weniger.“

Über die Wahl des geeigneten Netzmaterials hingegen machen sich Operateure oft weit mehr Gedanken.

Doch wer als Chirurg gewissenhaft nach wissenschaftlichen Belegen für die Biokompatibilität und Komplika- tionsraten der verschiedenen Mate- rialien recherchiert, ist rasch überfor- dert angesichts der Fülle aktueller Studien mit teilweise konträren Er- gebnissen. Priv.-Doz. Dr. med. Dirk Weyhe vom Oldenburger Pius-Hos- pital führte dazu aus: „Es gibt so viele Produkte und noch viel mehr Vergleichsstudien, sodass man leicht die Übersicht und Orientierung ver- lieren kann.“ Wissenschaftlich gesi- chert sei dennoch kaum mehr als die Daten zur Porengröße von Netz- materialien: „Je kleiner die Poren, desto mehr Komplikationen.“

Idealerweise sollte ein Netzim- plantat aus monofilamentärem Poly- propylen bestehen, möglichst groß- porig sein und weniger als 40 Gramm pro Quadratmeter wiegen, forderte Prof. Dr. med. Ferdinand Köcker- ling vom Berliner Vivantes-Klini- kum Spandau, „außerdem sollte es nach der Implantation um maximal 15 Prozent schrumpfen“.

Postoperative Schmerzen Für die schlechtere Biokompatibi- lität kleinporiger Netze machte er in erster Linie die heftige Entzün- dungsreaktion und die vermehrte Bil- dung von Narbengewebe bei klein- porigen Netzen verantwortlich: „Die starke Fremdkörperreaktion führt da- zu, dass das Netz schrumpft und Wel- len oder Kanten bildet, die dann Schmerzen auslösen können.“ Kaum verwunderlich also, dass chronische HERNIENCHIRURGIE

Die Qualität hängt am Chirurgen, nicht an der Technik

Netzimplantate sind aus der Versorgung von Leistenhernien nicht mehr wegzudenken.

Eine ausreichende Abdeckung der Bruchlücke, nervenschonendes Operieren und der Einsatz großporiger Netze halten die Komplikationsrate niedrig.

Die Hernienchir- urgie macht etwa zehn Prozent des Arbeitsaufkommens eines Allgemein- und Viszeral- chirurgen aus.

Foto:Caro

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A2082 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 40⏐⏐3. Oktober 2008

M E D I Z I N R E P O R T

Schmerzen nach der Operation mit einer Inzidenzrate von etwa zehn Prozent zu den häufigsten Kompli- kationen in der Leistenhernienchir- urgie zählen. Sie können die Lebens- qualität der Betroffenen massiv be- einträchtigen, wie Dr. med. Eske Aasvang vom Kopenhagener Rigs- hospital berichtete.

Bislang wenig beachtet sei die Tatsache, dass chronische Leisten- schmerzen auch zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und bei der Eja- kulation führen können. Nur die wenigsten Männer sprechen jedoch offen über ihre gestörte Sexual- funktion infolge des Leistenschmer- zes: „Gerade einmal zwei Prozent der Betroffenen konsultieren ihren Hausarzt oder Operateur wegen die- ser Probleme“, erklärte Aasvang. Er riet auch seinen Kollegen anderer Fachrichtungen, ihre Patienten in der postoperativen Nachbetreuung aktiv auf dieses Tabuthema anzusprechen.

Der dänische Hernienspezialist empfahl qualitative sensorische Tests, um das Ausmaß der chronischen Schmerzen zu diagnostizieren: Die individuelle Reaktion auf Kälte oder Wärme, Druck oder andere taktile Reize sage mehr über die Lebens- qualität des Patienten aus als andere Messmethoden, wie etwa visuelle Analogskalen.

Auch Amid forderte in einem wei- teren Referat dazu auf, chronische Leistenschmerzen ernst zu nehmen:

„Manche Patienten sind aufgrund ihrer Schmerzen sogar suizidgefähr- det.“ Im Rahmen einer differenzier- ten Anamnese sollte der Arzt nicht nur pauschal nach dem Leisten- schmerz, sondern auch nach einer möglichen Ausstrahlung zum Skro- tum oder zum Schenkeldreieck, nach Parästhesien, Allodynie oder Hyper- pathie fragen, riet der Chirurg.

Amid erinnerte jedoch daran, dass postoperative Schmerzen erst sechs Monate nach dem Eingriff als chronisch und behandlungsbedürftig gelten: „Im ersten halben Jahr nach der Operation sind Schmerzen bis zu einem gewissen Grad normal.“ Bei persistierenden Beschwerden sei ei- ne Triple-Neurektomie der drei Ner- ven N. iliohypogastricus, N. ilioin- guinalis und Ramus genitalis die Methode der Wahl. „Die besten Er-

gebnisse lassen sich mit einer Triple- Neurektomie nach anteriorer Her- nienreparatur erzielen“, so Amid.

Weniger Erfolg versprechend sei die Methode nach laparoskopischer Operation oder nach Implantation einer Netzplombe (Plug).

In diesem Zusammenhang wies Dr. Cidegem Berger vom Wilhelms- burger Krankenhaus Groß-Sand in Hamburg darauf hin, dass alle drei Leistennerven in ihrem Verlauf eine große Variabilität aufwiesen. Berger und ihre Kollegen hatten in einer Studie zur retroperitonealen Anato- mie an 30 fixierten Leichen unter- sucht, inwieweit sich die Eintritts- und Austrittspunkte des N. iliohy- pogastricus, des N. ilioinguinalis sowie des Ramus femoralis und ge- nitalis individuell unterscheiden.

Verschwindet der Schmerz unter Epiduralanästhesie?

Um die Leistennerven im Zuge ei- ner Triple-Neurektomie erfolgreich aufzufinden, sollte man daher einen retroperitonealen Zugang wählen, schloss Berger aus ihren Ergebnis- sen. „Denn im weiteren Verlauf kann das Auffinden dieser Nerven sehr mühsam sein.“

Bevor man mit einer Neurektomie das Übel an der Wurzel packt, gilt es zu klären, ob tatsächlich Nervenpro- bleme die Ursache für die chroni- schen Leistenschmerzen sind. Am Kreiskrankenhaus Gifhorn haben die Chirurgen es sich daher angewöhnt, vor einer operativen Schmerzbe- kämpfung zunächst mithilfe einer Pe- riduralanästhesie (PDA) die Erfolgs- aussichten der Triple-Neurektomie

zu testen: „Wenn der Schmerz unter einer PDA verschwindet, dann ist ei- ne Neurektomie sinnvoll“, erklärte Dr. Matthias Rohr. Bleibe der chroni- sche Leistenschmerz auch unter PDA bestehen, könnten Nervenprobleme kaum die Ursache sein. In diesen Fäl- len sei vielmehr eine diagnostische Laparoskopie indiziert, um ein mög- liches kleines Rezidiv aufzuspüren.

Am Knappschaftskrankenhaus Dortmund wiederum sorgten sich die Hernienchirurgen in den vergan- genen Jahren weniger um Rezidive oder chronischen Leistenschmerz, sondern beschäftigten sich vielmehr mit der Frage, ob der Einsatz von Kunststoffnetzen bei männlichen Patienten vermehrt zur Infertilität führt. Wie Priv.-Doz. Dr. med. Karl- Heinz Bauer erläuterte, sind Netzim- plantate in seiner Klinik aus dem Versorgungsalltag nicht mehr weg- zudenken: Bei direkten Leistenher- nien bevorzugen die Knappschafts- Chirurgen die totalextraperitoneale Netzimplantation (TEP). Hierbei verstärken sie den Bruch über den endoskopischen Zugang gern mit ei- ner doppelten Lage Netzmaterial.

Der großzügige Einsatz alloplasti- schen Materials scheint die Frucht- barkeit ihrer Patienten nicht zu beein- trächtigen, wie Bauer in zwei kleinen Studien zeigen konnte. Zunächst re- trospektiv (n = 38), dann auch in ei- ner prospektiven Studie (n = 21) un- tersuchte er die Fertilität seiner Pati- enten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren vor und drei Monate nach der endoskopischen Hernienoperation.

Weder in Bezug auf das Ejakulat- volumen noch bei den Parametern Hodengröße, Spermienzahl, Flussrate oder Hormonstatus wichen die ope- rierten Männer vom Normbereich ab.

Damit widersprach Bauer den Chirurgen Shin et al., die vor eini- gen Jahren vor der Gefahr einer ob- struktiven Azoospermie infolge ei- ner Hernienversorgung mit Netzim- plantat gewarnt hatten (Ann Surg 2005; 241: 553–8): „Die Hernien- versorgung mit der TEP-Methode beeinflusst weder die Spermatoge- nese noch den Fluss oder den Hor- monstatus. Die Gefährdung geht wohl nicht so sehr vom Netz aus, sondern eher vom Chirurgen.“ I Antje Soleimanian

REZIDIVE NACH HERNIEKTOMIE

Eine aktuelle Studie zur Rezidivrate wurde kürzlich in „Hernia“

publiziert (2008; 12: 385–9). Hierfür wurden 365 Patienten mit einseitiger Leistenhernie in fünf Gruppen randomisiert und entweder mit einer Nahttechnik (Shouldice oder Bassi- ni), mit spannungsfreier Netzreparatur nach Lichtenstein oder endoskopisch (mit TEP oder TAPP) operiert. Drei Jahre nach dem Eingriff lag die Rezidivrate nach Bassini bei 3,4 Prozent, nach Shouldice bei 4,7 Prozent, nach Lichten- stein-Netzplastik bei null Prozent, nach TEP bei 5,9 Prozent und nach TAPP bei 4,7 Prozent. Unberücksichtig blieb bei der Studie die Plug-Technik, die sich insbesondere im am- bulanten Bereich großer Beliebtheit erfreut. AS

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