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Archiv "Patient Lenin: ein Übermensch?" (06.03.1975)

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Patient Lenin: ein Übermensch?

Sein Leiden und sein Eingang

in die medizinische „Mausoleumsgeschichtsschreibung" (Trotzki)

Günter Hesse

Die Veröffentlichungen, die 1974, im 50. Todesjahr von Lenin, über Krankheit und Tod und über die Rolle der deutschen Ärzte des kommunistischen Staatsmannes erschienen sind, haben alle Betei- ligten, den Patienten und seine Ärzte, in strahlendem Licht gezeigt.

Der Autor indes ist sehr viel skeptischer, vor allem seit er im Mai 1974 vom letzten noch lebenden Arzt Lenins, Folke Henschen, in Stockholm erfahren hat, daß der als Wissenschaftler hochverdiente Neurochirurg Otfrid Foerster, der den offiziellen Obduktionsbericht mitunterzeichnet hat, sich u. a. über Lenins wahrscheinlich vom Va- ter ererbte epileptische Anfälle ganz und gar ausgeschwiegen

hat. Außerdem hat Foerster als Krankheit und Todesu'rsache Lenins der vom sowjetrussischen Gesundheitskommissar Semaschko un- ter die Leute gebrachten „Abnützungsklerose" seinen medizini- schen Segen gegeben, obwohl die Anamnese und die Obduktions- befunde in ganz andere Richtung deuten. Eklatant ist auch, daß die Sektion des Leichnams, die den Anschein eines bestuntersuchten Krankheitsfalles erweckt, sich lediglich als makroskopische De- monstration abgespielt hat ohne histologische Verifikation und che- mische Analyse! Bis heute vertuscht blieb außerdem eine Jod-Sal- varsan-Kur in den letzten Lebensjahren 1922/23. Die Tochter des

Neurologen Strümpell, Frau Dr. Klaphek, Düsseldorf, hat in einem Leserbrief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Tagebuch- Eintrag ihres Vaters publiziert: „... Behandlung kann nur spezifisch sein...". Sie hat diese Formulierung dem Autor bestätigt und zu- gleich versichert, daß von der Diagnose „Endarteriitis luetica" nicht nur Strümpell, sondern das ganze Team damals überzeugt gewesen sei. Ihr Vater habe diesen Consensus omnium lediglich als Doyen des konsiliarischen Korps den Russen vorgetragen. Unter diesen neuen Gesichtspunkten durchleuchtet der Autor nochmals die Fak- ten und die Lobpreisungen, die 1974 einem verherrlichten Patienten und seinen Ärzten zuteil wurden. DÄ Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Zum 50. Todestag Lenins erschien in einer bekannten deutschen Ta- geszeitung ein Artikel unter dem Titel „Lenin: Das Sterben eines Re- volutionärs" von Georg Siegmund'), der u. a. behauptete, Lenins Krank- heitsfall sei der am besten unter- suchte unseres Jahrhunderts.

Davon kann keine Rede sein. Zwar wurde an das Krankenbett unge- fähr ein Schock medizinischer Ka- pazitäten des In- und Auslands ge- rufen, bisher jedoch fehlt eine

gründliche und umfassende Dar- stellung seiner Krankengeschichte.

Siegmunds Artikel interpretiert ohne Rücksicht auf Lenins wirkli- che Vita das Hirnleiden des „Pro- metheus des 20. Jahrhunderts" aus der Sicht jener „Mausoleumsge- schichtsschreibung" (Trotzki), die den Diktator prompt nach seinem Tode zum Übermenschen mit einem schier unfaßbaren Arbeitspensum, überragendem Intellekt und der russischsten schirokaja natura ka- nonisiert.

Selbst die Vertreter der nüchternen Schulmedizin sind nicht faul, in sei- ner Hirnarchitektonik die Kriterien eines Genies zu entdecken. Über- wältigt von der Einmaligkeit seiner großen Ganglienzellen in der 3.

Schicht, erhebt ihn der bekannte deutsche Hirnforscher Oskar Vogt zum „Assoziationsathleten".

Noch ergriffener, ja geradezu ehr- fürchtig bestaunt angesichts des fast total zerstörten Hirns der lei- tende Arzt in der Zeit vom Mai 1922 bis Mai 1923, der Neurochirurg Foerster aus Breslau, Lenins, wie ihm scheint, ungebrochene geisti- ge Regsamkeit bis zum letzten Atemzug als „Wunder" (Possony), das sich wissenschaftlicher Erklä- rung entziehe.

Gewiß, man veranstaltet eine Sek- tion — und beläßt es gleichzeitig bei bloßer makroskopischer De- monstration: Generalisierte Arte- riosklerose, Hirnschrumpfung und Erweichungsherde. Bedeutsame Befunde, die andererseits nicht einmal die verschiedenen physi- schen Krankheiten des „Erzrevolu- tionärs" (Kuhlendahl) 2), geschwei- ge denn sein Leben, Wesen und seine Persönlichkeit widerspiegeln.

Weshalb die Geheimniskrämerei um Krankheitsverlauf, Behandlung differentialdiagnostische Erwägun- gen, Medikation usw.? Woher die Widersprüche und offenkundigen Unwahrheiten ä la „lswestija"- Nachricht vom 22. 1. 1924: „Am 21.

Januar entwickelte sich aus bis da- hin bestehender Gesundheit von Wladimir Iljitsch Lenin eine plötz- liche Verschlechterung ..."

Tatsächlich siecht Lenin seit über zwei Jahren dahin. Aus welcher Räson tischt man den Massen die Mär vom jähen Tod des Führers auf? Warum beschwört im gleichen Sinne die „Prawda" ein singuläres Leiden: „... Die Befunde der Sek- tion klärten daher auf, daß bei Wla- 1) Frankfurter Allgemeine Zeitung

vom 9. März 1974

2) Hans Kuhlendahl: Der Patient Le- nin, DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 25/1974, Seite 1857 ff.

682 Heft 10 vom 6. März 1975

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Patient Lenin

dimir Iljitsch ein einheitlicher Krankheitsprozeß in den Gefäßen bestand, welcher trotz aller Heil- mittel unmittelbar zum verhängnis- vollen Ende führen mußte..."

(Prawda vom 24. Januar 1924) Der Prawda-Artikel ist unterzeichnet von Foerster, Ossipow, Aprikossow, Feldberg, Weissbrod, Djeschin, Semaschko. Eigentümlicherweise steht Feldbergs Name nicht im Sek- tionsprotokoll.

Lenins Obduktion

„Bericht über die pathologisch- anatomische Untersuchung des Leichnams von Wladimir Iljitsch UI- janow (Lenin), durchgeführt am 22.

Januar 1924, begonnen um 11 Uhr 10 Minuten vormittags und abge- schlossen um 3 Uhr 50 Minuten.

Die Untersuchung wurde von Pro- fessor A. I. Aprikossow vorgenom- men, anwesend waren Profes- sor 0. Foerster, Professor W. N.

Ossipow, Professor A. A. Deschin, Professor B. S. Weissbrod, Profes- sor W. W. Bunak, Dr. F. A. Gue- tier, Dr. N. I. Jelistratow, Dr. W. N.

Rosanow, Dr. W. A. Obuch und der Gesundheitskommissar der UdSSR.

N. A. Semaschko.

Äußere Untersuchung

Körper eines älteren Mannes von normalem Wuchs, ausreichend er- nährt. Kleine Pigmentflecken auf der Innenseite des Brustkorbs (Akne). Leichenflecken auf der Un- terseite des Rumpfes und der Glie- der. Strichförmige Narbe von 2 cm Länge an der Haut über dem proxi- malen Anteil des Schlüsselbeins;

unregelmäßig geformte Hautnarbe von 2 cm auf 1 cm im Bereich der linken Schulter; eine runde Narbe von etwa 1 cm Durchmesser para- vertebral über dem Schulterblatt.

Die Umrisse der Skelettmuskeln treten ziemlich stark hervor. Am linken Schlüsselbein zwischen dem unteren und mittleren Drittel eine

leichte Verdickung des Knochens (Knochennarbe). Darüber läßt sich im unteren Teil des Deltamuskels ein fester rundlicher Körper abta- sten. Bei Inzision an dieser Stelle wurde eine deformierte Kugel ge- funden, eingeschlossen in einer Kapsel von Bindegewebe an der Grenze zwischen subkutanem Fett- gewebe und Deltamuskel.

Innere Untersuchung

Die Schädelknochen sind unverän- dert. Bei Ablösen der Schädeldek- ke ist eine feste Verschmelzung der Dura mater mit der inneren Oberfläche der Hirnschale festzu- stellen, vor allem im Verlauf des Längssinus. Die äußere Oberfläche der Dura ist stumpf, blaß; Pigmen- tirrung von gelblicher Tönung im

Bereich der linken Schläfen- und zum Teil in der Stirngegend. Der vordere Teil der linken Großhirnhe- misphäre scheint im Vergleich zu dem entsprechenden Teil der rech- ten Halbkugel ein wenig eingefal- len zu sein. Der Längssinus enthält eine kleine Menge flüssigen Blutes.

Die innere Oberfläche der Dura mater ist glatt, glänzend-feucht und läßt sich von der darunterliegen- den weichen Hirnhaut leicht ablö- sen, jedoch nicht an den Stellen, die an die Pfeilnaht angrenzen. Die Dura der Gehirnbasis ist normal;

die Hohlräume (Sinus) an der Basis enthalten flüssiges Blut. Gehirn:

Das Gewicht beträgt unmittelbar nach Auslösung und Ablösung der Dura mater 1340 Gramm. In der lin- ken Hemisphäre:

1. im vorderen Anteil der zentralen Gehirnwandung; 2. im Gebiet des Schläfen- und Hinterhauptpols; 3.

im Gebiet der Fissura paracentralis und 4. im Gebiet der hohen Gehirn- wandungen deutliche Anzeichen für ein Einsinken der Gehirnober- fläche. In der rechten Hemisphäre an der Grenze zwischen den Schläfen- und Hinterhauptpolen ebenfalls zwei benachbarte Erwei- chungsherde im Bereich der Ge- hirnoberfläche. Über den beschrie- benen Gebieten ist die Spinnwe-

benhaut matt, weiß-gelb gefärbt. In manchen Gebieten oberhalb der Furchen, einschließlich einiger Stellen, wo äußerlich keine Verän- derung am Gehirn feststellbar ist, sind Abschnitte zu bemerken, in denen die Spinnwebenhaut hart ist und bei der Sektion verdickt er- scheint.

Blutgefäße der Gehirnbasis. Beide Wirbelsäulenarterien und auch die Basilararterie sind verdickt, ihre Wandungen hart, unregelmäßig verdickt und von weißlicher und stellenweise gelblicher Farbe. Bei der Sektion erweist sich ihre Lich- tung stellenweise oft schlitzförmig verengt. Entsprechende Verände- rungen auch in den Abzweigungen der betreffenden Arterien (aa. ce- rebri posteriores) festgestellt. Die inneren Kopfschlagadern und auch die vorderen Gehirnarterien sind ähnlich verhärtet und weisen eine unregelmäßig verdickte Wand mit stellenweise hochgradig verengter Lichtung auf. Die linke innere Kopf- schlagader hat in ihrem intrakra- niellen Verlauf eine völlig verstopf- te Lichtung und sieht wie ein ho- mogenes, festes weißliches Band aus. Die linke A. cerebri media (mittlere Gehirnarterie) ist sehr dünn, verhärtet, mit verengter Lich- tung.

Eine Inzision in den Kleinhirnwurm der Kleinhirnwindungen läßt kei- nerlei Veränderungen des Gehirn- gewebes erkennen.

Die vierte Hirnkammer ist ohne pa- thologischen Befund.

Die Sektion des Gehirns nach Fles- sing ergibt, daß die Hirnkammern, insbesondere auf der linken Seite erweitert sind und eine klare Flüs- sigkeit enthalten.

Im Bereich der Hirnerweichungs- herde finden sich zystenähnliche, mit einer trüben Flüssigkeit gefüllte Gebilde. Die Stellen der Erwei- chung haben sowohl die weiße als auch die graue Gehirnsubstanz er- faßt. An anderen Teilen des Ge- hirns ist das Gewebe blaß. Das Ge- fäßgeflecht, über den Corpora qua-

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Dserschinskij und Woroschilow am Sarge Lenins Foto: Staatsbibliothek Berlin Spektrum der Woche

Aufsätze Notizen Patient Lenin

drigemina, weist Anzeichen einer frischen Blutung auf.

Bei Ablösung der Haut des Rump- fes wurde der gute Zustand der Subkutan- und Fettgewebe festge- stellt. Die Muskulatur ist ausrei- chend entwickelt, das Muskelgewe- be kastanienbraun gefärbt.

Die Lage der Organe in der Bauch- höhle ist normal, mit Ausnahme des Wurmfortsatzes, der etwas hö- her liegt als üblich. Das Netz und Mesenterium sind fettreich. Das Zwerchfell verläuft in Höhe der vierten Rippe auf der rechten Seite bis zum vierten Zwischenrippen- raum auf der linken Seite. Im Be- reich der Lungenspitzen sind bin:

degewebige Verwachsungen mit der rechten Pleura-Kuppe festzu- stellen. Auch im Bereich der linken Pleura im unteren Abschnitt Ver- wachsungen mit dem Zwerchfell.

Der Herzbeutel ist ohne pathologi- sche Veränderungen. Das Media- stinum unauffällig.

Organbefunde

Herz: Maße: in der Diagonale 11 cm; im Längsschnitt 9 cm; im Durchmesser 7 cm. Die Oberfläche des Epicards ist glatt und glän- zend; unterm Epicard, vorwiegend

im Bereich der linken Herzkammer, fleckenartige Fetteinlagerungen.

Die Semilunarklappen sind an ih- rem Ursprung geringgradig ver- dickt. Die Mitralis zeigt an ihren Rändern einige Verdickungen und weißliche Flecken an der vorderen Klappe auf. Die Klappen des rech- ten Herzens zeigen keine besonde- ren Veränderungen.

Das Innere der aufsteigenden Aor- ta enthält eine kleine Anzahl kon- vexer gelblicher Flecken. Die Stär- ke der linken Kammerwand beträgt 1 3/4 cm und die der rechten 1 /2 cm. Die Koronararterien klaffen beim Einschneiden; die Gefäßwän- de sind sehr hart und verdickt, die Gefäßlichtung deutlich verengt.

Die Innenfläche der absteigenden Aorta sowie die Innenflächen der

großen Arterien zeigen zahlreiche, in die Gefäßlichtung ragende gelb- liche Flecke auf, die teils geschwü- rig aufgebrochen, teils verkalkt sind.

Lungen: Die rechte Lunge ist von normaler Größe und normalem Bau, weich und fühlt sich schwam- mig an. Beim Einschneiden ist das Lungengewebe mit Blut und schau- miger Flüssigkeit gefüllt. Im Be- reich der Lungenspitze rechts eine kleine sklerosierte Narbe. Die linke Lunge ist ebenfalls weich und von der üblichen Größe und Form. Im hinteren unteren Anteil des Ober- lappens eine Narbe, die von der Oberfläche 1 cm in das Lungenge- webe hineinreicht. An der Lungen- spitze eine kleinflächige Pleuraver- dickung.

Die Milz ist leicht vergrößert und beim Einschneiden mäßig mit Blut gefüllt. Form und Umfang der Le- ber sind normal. Der Rand des lin- ken Lappens ist scharf, die Ober- fläche glatt. Auf der Schnittfläche deutliche Läppchenzeichnung in mäßigem Umfang. Die Gallenblase und die Gallenwege ohne patholo- gische Veränderungen.

Der Magen ist leer, die Magenwand eingesunken, die Schleimhaut re- gelrecht gefältelt. Im Bereich des Darmes keine Besonderheiten.

Die Nieren sind von normaler Grö- ße, die Rinde läßt sich von der Markschicht deutlich unterschei- den. Die Oberfläche der Nieren ist bis auf einzelne kleine narbige Ein- ziehungen glatt. Die Lichtungen der Nierenarterien klaffen nach dem Einschneiden.

Die Bauchspeicheldrüse ist von normaler Größe, auf der Schnittflä- che keine pathologischen Verände- rungen.

Drüsen innerer Sekretion

Die Hypophyse weist keine beson- deren Veränderungen auf. Beson- ders die linke Nebenniere er- scheint kleiner als normal. Die Rin- densubstanz ist bei beiden Orga- nen vom Mark deutlich abgesetzt.

Anatomische Diagnose

Allgemeine Arteriosklerose und Cerebralsklerose.

684 Heft 10 vom 6. März 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche

Aufsätze ·Notizen

Patient Lenin

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Links: Fahndet der betagte Hirnforscher Vogt auf diesem - laut Leif Geiges - Hirnschnittbild Lenins immer noch nach den "rassenmäßigen Besonderheiten der Leninschen Persönlichkeit" (Oskar Vogt, 1. Bericht über die Arbeiten des Moskauer Staatsinstituts für Hirnforschung, Journal für Psychologie und Neurologie, Bd. 40, S. 111)? {Übrigens wieder ein Rätsel.

Denn nach Vogts Verabschiedung von den Sowjets sollen keine Materialien über Lenins Hirn in Deutschland verblieben sein.) - Rechts: Und hier d"as ganze Ergebnis jahrelanger aufwendiger Untersuchungen: ein von Artefakten gestelltes Ganglienschema mit auf Kosten der IV. luxurierter 111. Schicht. Die anatomische Apotheose zum "Assoziationsathleten" ohne Gefäße, Glia und sonstige Strukturen. Man beachte: die Uniformität der Schichten V, VI, Vlla und Vllb bis in minuziöse De- tails bei ordinären Sterblichen. Gleichgültig, ob normal, Mörder oder asozial. Lenins elitäres Encephalon hingegen sticht - wer hätte es anders erwartet - auch darin ab

Zahlreiche teils frischere, teils cy- stisch veränderte Hirnerweichungs- herde im Bereich der linken Hemi- sphäre.

Frische Blutung im Gebiet des Ge- fäßgeflechts über der Vierhügel- piaUe (corpora quadrigemina).

Atherosklerose und Atheromatose der gesamten Aorta.

Hypertrophie der rechten Herzkam- mer.

Knochennarbe im Bereich des lin- ken Schlüsselbeins.

Bindegewebig eingekapselter Fremdkörper (Projektil} an der lin- ken Schulter.

Schlußfolgerung

Das Grundleiden des Verstorbenen bestand in verbreiteter Arterioskle- rose der Gefäße, die auf einer vor- zeitigen Abnutzungssklerose be- ruhte. Die Verengung des Hohlrau- mes der Gehirnarterien und die Störung der Blutzufuhr zum Gehirn führte zu einer fokalen Erweichung

des Gehirngewebes, das alle Symptome der Krankheit aufzuwei- sen vermag (Paralyse, Sprachstö- rung). Die unmittelbare Todesursa- che war 1. die Erschwerung der Blutzirkulation im Gehirn und 2.

Bluterguß in der Pia mater der Spinnwebenhaut im Gebiet der Corpora quadrigemina.

Gorki, 22. Januar 1924

Prof. A. I. Aprikossow, Prof. Foer- ster, Prof. W. Ossipow, Prof. W. Bu- nak, Prof. A. Deschin, Prof. B.

Weissbrod, Dr. W. Obuch, Dr. Jeli- stratow, Dr. W. Rosanow, N. Se- maschko."

Das Super-Cerebrum pathologisch?

Die Tendenz ist evident: Jede Dis- kussion über sonstige morbide lm- pikationen wird im Keime erstickt.

Ebenso bedeutsam wie die "Abnut- zungssklerose" war doch wohl die eminente Hirnatrophie mit Erwei- chungsherden und kompletter Ver- ödung der linken Hemisphäre infol- ge der Verkalkung, die ausschließ-

lieh die Hirnversorgung betrifft, also die beiläufig notierte Zerebral- sklerose. Schließlich wird das The- ma Lenin-Hirn zur Gänze ver- drängt.

Zwar war man anfangs mit großem Aplomb an die Beforschung von Lenins Cerebrum herangegangen und am 10. Januar 1929 hatte der deutsche Hirnforscher Vogt ver- kündet:

"Und daneben waren Sie (Semasch- ko) sich mit uns der ungeheuren Verantwortung bewußt, mit der uns die Bearbeitung des Gehirns Le- nins nicht nur vor der Wissen- schaft, auch nicht nur vor dem rus- sischen Volk, sondern vor der gan- zen Weit belastet. Und doch unter- ließen Sie etwas! Sie drängten nicht! Dafür gebührt Ihnen unser besonderer Dank!" (Oskar Vogt, 1.

Bericht über die Arbeiten des Mos- kauer Staatsinstitutes für Hirnfor- schung, Journal für Psychologie und Neurologie, Bd. 40, 1930, S.

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Wir warten noch heute auf die Er- gebnisse. Warum? Weil Stalin und

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Im November 1974 hatte ich Gele- genheit, in Santiago de Chile mit mehreren Kollegen privat und in Kliniken ihre Situation zu erleben und zu diskutieren. Sie bedrängten mich, darüber in Deutschland zu berichten, weil sie verzweifelt über die Einstellung der deutschen Ent- wicklungshilfe waren und glaubten, dies könne nur die Folge einer Fehlinformation bei uns sein. Jetzt, wo sie voller Hoffnung seien und alles langsam besser werde, könne man sie doch nicht im Stich lassen, war das Argument, mit dem mich die Kollegen in San Juan de Diös, einem der fünf Schwerpunktkran- kenhäuser Santiagos, immer wie- der bestürmten.

Sie zeigten mir jeden Winkel der Klinik, ich konnte überall fotogra- fieren, mit jedem sprechen, ohne daß mein Besuch vorher avisiert war, so daß meine Gesprächspart- ner sich hätten vorher absprechen können. Professor Raül Vasquez, der Angiologe des Hauses, fuhr mit mir sogar in eine der zehn Außen- stellen der Klinik etwa 30 Kilometer entfernt, damit ich mich überzeu- gen konnte, wie die ärztliche und medikamentöse Versorgung der Bevölkerung abläuft und daß tat- sächlich alles Notwendige vorhan- den ist. Man ließ mich sogar in der Apotheke schnüffeln, wo ich erheb- liche Mengen Antibiotika, Antikon- zeptiva, Cortisonderivate und vie- les mehr sah. Das einzige, was et- was fehle, meinten die Kollegen, seien Zytostatika, aber darüber sei- en sie gar nicht so unglücklich, denn schließlich sei die Wirkung ja nicht nur positiv. Auf der Treppe der Hauptklinik sah ich einen Bay- er-Vertreter, der Canesten ein- führte.

Natürlich gibt es wenig Komfort, es liegen ,bis zu acht Patienten in ei- nem Saal, die Wände sind kahl, schmucklos die Aufgänge. Aber es gibt Schrittmacher neuester ameri- kanischer Provenienz ebenso wie Monitoren im Wachsaal und genug zu essen für alle, Patienten und Personal. Wie allerdings die Kolle- gen genug für den Lebensstan- dard, den sie haben, verdienen, wurde mir von niemand beantwor- tet. Ich kann nur vermuten, durch die private Praxis nach Feierabend, die alle ausüben. Denn die Gehäl- ter selbst der leitenden Ärzte rei- chen bestenfalls für eine Woche, nie aber für mehr.

Dabei arbeiten nur zwei Prozent der Ärzte des Landes nur in freier Praxis, alle übrigen gehören dem Servicio Nacional de Salud an und sind dadurch verpflichtet, minde- stens sechs Stunden täglich in ei- nem staatlichen Krankenhaus oder Consultörio (= Ambulatorium) zu arbeiten. Für eine solche Tätigkeit bekam der chilenische Kollege je nach Ausbildung, Dienstjahren und Familienstand zwischen 200 und 400 Dollar pro Monat. Während meines Aufenthalts wurde Mitte November eine Erhöhung der Ge- hälter um 30 Prozent vom Staat vorgenommen, wohl um der ver- ständlichen Unzufriedenheit etwas entgegenzuwirken. Unter Allende sei es finanziell zum Schluß jedoch noch viel desolater gewesen, versi- cherten mir die Kollegen: sie hät- ten nur noch etwa zehn Dollar pro Monat verdient kurz vor dem Putsch im September 1973. Dabei sind die Preise für die Güter des täglichen Lebens wie bei uns;

obwohl ich die Preise für Le- bensmittel, Stoffe und ähnliches Patient Lenin

Genossen inzwischen aufging, daß sie im Begriff waren, ein dialekti- sches Eigentor zu schießen, wollte man den deutschen Professor un- bekümmert weiter werkeln lassen.

Oskar Vogt hatte nämlich bereits 1927 in trautem Kreise Lenins elitä- re Encephalo-Architektonik ge- rühmt und der Gattin geschrieben:

„Dimanche 20. IV. 27... j'ai trouvö dans le cerveau L une grandeur extraordinaire des cellules pyrami- dales de la III couche et j'ai mis ce fait en rapport avec son 'schnellen und sicheren Denken'. Les gens Ötaient tres contents."

Bald aber waren die gens gar nicht mehr contents: andere Hirnfor- scher entlarvten Vogts anatomi- sche Apotheose als postmortalen Artefakt (Sarkissow, Rose) und des- avouierten damit das ursprüngli- che Konzept der Obergenossen, Lenins These vom Bewußtsein als Widerspiegelung der Realität durch das Hirn (in: „Materialismus und Empiriokritizismus") am eigenen hochqualifizierten Organ zu de- monstrieren. Wenn im Gegenteil dieses Organ erheblich patholo- gisch verändert war — was folger- te daraus für die materialistische Beurteilung Lenins und seiner Re- volution?

Nun wäre gerade im Hinblick auf Oskar Vogts „Pathoklise" — d. i.

die zerebrale Affinität zu bestimm- ten pathologischen Affektionen — Lenins Hirn ein ausgezeichnetes Studienobjekt gewesen. Wird viel- leicht auch deshalb seine Biogra- phie bis heute in puncto Krankheit sorgfältig verschleiert? Denn wir können nur mühsam mosaikstein- artig seine Pathographie rekon- struieren.

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Günter Hesse 75 Karlsruhe

Hans-Thoma-Straße 15a

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Chile: Voller Hoffnung

Die Lage der chilenischen Ärzte ein Jahr nach Allende

Eva Keil-Küri

686 Heft 10 vom 6. März 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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