Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 3023. Juli 2004 AA2073
S E I T E E I N S
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ie OECD, ein Zusammenschluss von 30 Industrieländern und be- kannt für allerlei internationale Ver- gleichsstudien, hat Ende Juni ihren Employment Outlook 2004 vorge- legt. Darin werden unter anderem die Jahresarbeitszeiten, sortiert nach Ländern, aufgelistet. Herausgekom- men ist eines der so beliebten wie ominösen Rankings. Die Ergebnis- se passen in die derzeitige Unter- nehmerlandschaft, in der allenthal- ben nach der 40- oder 50-Stunden- Woche gerufen wird. Die OECD kommt nämlich gefälligerweise zu dem Schluss, dass Deutschland bei der Jahresarbeitszeit je Beschäftig- ten ganz unten rangiert. Tatsächlich listet die OECD für Deutschland 1 429 Jahresarbeitsstunden auf, für die Vereinigten Staaten beispiels- weise 1 792 und für Tschechien gar 1 972. Das passt ins Lamento über den Standort Deutschland.An versteckter Stelle steht in der Studie allerdings ein Klammerzu-
satz: „Die Durchschnittszahl kombi- niert Vollzeit- und Teilzeitbeschäf- tigte.“ Mit anderen Worten: Länder mit einem hohen Anteil von Teilzeit- beschäftigten schneiden bei einem solchen Ranking schlecht ab. Zu die- sen Ländern gehört auch Deutsch- land. Das stört beim Lamentieren.
Ganz ähnliche Erfahrungen gab es mit einem WHO-Ranking der Ge- sundheitssysteme. Die Weltgesund- heitsorganisation führte nämlich 2000 bei einem internationalen Ver- gleich Deutschland an 25. Stelle.
Heute schweigt die WHO über ihr Ranking, nachdem nachgewiesen worden ist, dass es wissenschaftlich nicht korrekt erstellt wurde. In der Zwischenzeit freilich wurde das WHO-Ranking in Deutschland pro- pagandistisch ausgeschlachtet, um den Boden für die Gesundheitsre- form zu bereiten. Zurückgeblieben ist ein immenser Vertrauensschaden.
Das vorerst jüngste Propaganda- produkt ist eine Studie über Zuzah-
lungen im Krankheitsfall, auch die im internationalen Vergleich. Das heißt, die Studie selbst, durchge- führt von der an sich gut beleumun- deten Augsburger Beratungsgesell- schaft BASYS, ist durchaus seriös.
Interessant ist eher, wie das Bundes- gesundheitsministerium, das Auf- traggeber der Studie war, die Er- gebnisse vermarktet. Herausgestellt wird nämlich, dass Zuzahlungen an- derswo noch viel höher sind als bei uns und demnach in Deutschland noch Luft nach oben ist. Nicht er- wähnt wird, dass ein Vergleich der Zuzahlungen für sich genommen wenig sagt, denn deren Höhe hängt ab von den Leistungen und der Ba- sisfinanzierung in den international höchst unterschiedlichen Gesund- heitssystemen. Doch das passt nicht ins Bild.
Die Schlussfolgerung kann ei- gentlich nur sein, bei internationa- len Vergleichen stets skeptisch zu bleiben. Norbert Jachertz
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ie gute Nachricht zuerst: In den Regierungsfraktionen ver- schließt man nicht länger die Augen vor dem in Teilen Ostdeutschlands akut gewordenen Ärztemangel (DÄ, Heft 11/2004). „Zahlreiche Hausärzte, aber auch Fachärzte fin- den keinen Nachfolger“, konstatie- ren die Regierungsfraktionen in ei- nem gemeinsamen Antrag, der nach der Sommerpause in den Bundes- tag eingebracht werden soll. Die schlechte Nachricht allerdings ist:Die angestrebten Lösungsvorschlä- ge sind kaum geeignet, die struktu- rellen Probleme langfristig zu lösen.
Ärzten im Ruhestand soll ermög-
licht werden, als teilzeitbeschäftigte Angestellte in Praxen weiter zu ar- beiten. Der Antrag sieht vor, in un- terversorgten Gebieten die damit bislang verbundene Leistungsaus- weitung um maximal drei Prozent zu kippen und bei der Bedarfsplanung den Morbiditätsgrad der Bevölke- rung mit zu berücksichtigen. Zudem sollen Einzelverträge mit den Kran- kenkassen möglich sein.
Die Kassenärztliche Bundesver- einigung begrüßt prinzipiell, dass sich die Politik für die Sicherstellung einer flächendeckenden wohnort- nahen Versorgung stark macht. Ein Sprecher schränkte jedoch ein: Bei
Unterversorgung Einzelverträge zu- zulassen sei „sicher nicht der Schlüs- sel, die Probleme zu lösen“.
Ebenso wenig zukunftstauglich dürfte naturgemäß die Reaktivie- rung von Ruheständlern sein. Man kommt nicht umhin, insbesondere junge Ärzte für eine Tätigkeit in un- terversorgten ländlichen Gebieten zu motivieren. Kassenärztliche Ver- einigungen bieten hierfür schon heute verschiedene finanzielle An- reize. Dieser Weg muss weiterge- gangen werden. Gelingen kann dies aber nur im engen Schulterschluss mit der Politik und den Kranken-
kassen. Samir Rabbata