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Archiv "Hochschulmedizin/Dienstrecht: Auf dem falschen Gleis" (22.09.2000)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 38½½½½22. September 2000 AA2447

B

undesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn (SPD), hat eine Expertenkommis- sion berufen, um über die Einführung eines „wettbewerbs- und leistungsori- entierten Besoldungssystems“ zu bera- ten. Dieses Vorhaben scheint nach dem bisher Gehörten noch lange nicht aus- gegoren zu sein; es zieht beträchtliche Konsequenzen nach sich, wenn es er- folgreich sein soll.

Da die Expertenkommission aus- schließlich aus Mitgliedern in leitender Stellung gebildet wurde, vermisst man Universitätsangehörige, die unter die- ser Ebene stehen und die in den Re- formprozess involviert sind. Es besteht mithin die Gefahr, dass das Notwendige in Bezug auf die vertikale Hochschul- struktur nicht ausreichend berücksich- tigt wird.

Auch ist die Gewichtung zu bemän- geln: Nur ein „aktiver“ Vertreter der medizinischen Wissenschaft gehört der Kommission an: Prof. Dr. med. Guido Adler, Ulm. Damit ist kaum gewährlei- stet, dass die besonderen Ausbildungs- und Belastungsverhältnisse in diesem Fach ausreichend Geltung finden. Um ein Beispiel zu nennen: So hat die medi- zinische Fakultät der Ludwig-Maximili- ans-Universität München in Relation zur Studentenzahl nur ein Zehntel des Hochschullehrerbestandes im Ver- gleich zur Harvard University. Zahlen-

mäßig übertrifft die medizinische Fa- kultät an der Münchener Universität die meisten anderen Fakultäten um ein Vielfaches. Außerdem ist zu berück- sichtigen, dass die anderen Fakultäten meistens keine klinischen Aufgaben ha- ben, denn es handelt sich um natur- und geisteswissenschaftliche Institute.

Bei der geplanten Besoldungsreform zeichnen sich Überlegungen ab, die ei- ne Mischung von antiquierten Vorstel- lungen und Äußerungen des guten Wil- lens sind. Wenigstens für die medizini- sche Fakultät, von der hier die Rede ist, sind die bisher bekannten Vorstellun- gen weit von einer realistischen Beur- teilung der Mängel und deren Beseiti- gung entfernt.

Leistung nicht mit Fleiß verwechseln

Um wettbewerbs- und leistungsorien- tiert zu sein, versucht man, eine Re- form mit einer Umverteilung der Gewichte – wahrscheinlich weil es der heutigen Lebensauffassung entspricht – schlicht mit Geld zu bewerkstelligen.

Der Präsident der Hochschulrektoren- konferenz, Prof. Dr. rer. pol. Klaus Landfried, Universität Kaiserslautern, meint, man müsse zwischen Faulen und Fleißigen differenzieren, also zwischen guten und vermeintlich schlechten

Hochschullehrern. Im „Spiegel“ wird darauf aufmerksam gemacht, dass man die Bezüge der Gehaltsstufe C4 mög- licherweise um 20 Prozent anheben könnte. Wenig lichtvolle Erkenntnisse!

Es sieht alles nach deutschem Beckmes- sertum aus und ist weit entfernt von ei- ner zukünftigen leistungsfähigen Wis- senschaft an der Hochschule.

Es ist zu wünschen, dass die Leistung nicht mit Fleiß verwechselt wird. Beides trifft zwar oft zusammen, aber wissen- schaftliche Leistung ist mit Fleiß nicht zu schaffen. Der dänische Doktorand Gram publizierte vor rund einhundert Jahren eine Seite über die Gramfär- bung. Diese Veröffentlichung ist die am meisten zitierte medizinische Publikati- on; sie stellt heute immer noch eine Grundlage für die mikrobiologische Diagnostik dar. James D. Watson, der mit der Entdeckung der Doppelhelix die Welt veränderte, nahm sich die Muße, diese bei der Ersteigung des Matterhorns auszudenken. Aber nicht jedem jungen Wissenschaftler fällt bei der Ersteigung des Matterhorns so et- was ein. Der Verstand ist eben nicht gleichmäßig verteilt, und der Fleiß ist nicht für das ganze Leben konstant. Die Vorstellungen zur Reform scheinen eine unverkennbare bürokratische Ten- denz aufzuweisen. Aber jede Gänge- lung ist für eine kreative Tätigkeit Gift.

Es ist auch nicht denkbar, dass man mit Geld einen Wissenschaftler zu höherer Leistung anspornt, wie die Angehöri- gen der Max-Planck-Institute deutlich vor Augen halten.

Das, was wissenschaftlich weiterhilft, dürfte die zur Verfügung gestellte Zeit sein. Die Aufgaben Lehre, Forschung im Sinne einer Prozessevaluation

durchgeführt werden.

In der Schlussdiskussion ergaben sich Forderungen, deren Umsetzung auf möglichst breiter Basis angestrebt wird:

❃ gezielter Einbau der vielfältigen Lehrangebote auf der Basis neuer Me- dien in die Ausbildung als Ergänzung zu den anatomischen Kursen

❃ verstärkte Integration anatomi- scher Sachverhalte in klinische Ausbil- dung und Weiterbildung

❃ Einbau des lokalen Reichtums an wissenschaftlichen Schwerpunkten

in die Vermittlung des Unterrichts- stoffes

❃ vermehrte Nutzung des Internets für die interne fachliche Fortbildung

❃ professionelle Ausbildung der Anatomen in fachbezogener Didaktik.

Einig waren sich alle Beteiligten, dass die Lehre im Fach Anatomie nur dann in effizienter und attraktiver Weise ihren Teil in der zukünftigen Mediziner- ausbildung beitragen kann, wenn – wie dies auch Ulrich Welsch im Deutschen Ärzteblatt vom 7. August 2000 insbe- sondere für den histologischen Bereich

fordert – sie in enger Verbindung zu ak- tuellen Forschungsthemen erfolgt. Vor- aussetzung für eine lebendige Ver- mittlung der komplexen anatomischen Sachverhalte, die die Studierenden über das passive Erlernen der Fakten hinaus die Faszination etwa der Morphogenese oder der funktionellen Anpassung auf allen morphologischen Ebenen erfah- ren lässt, ist die eigene wissenschaftliche Erfahrung der Unterrichtenden.

Prof. Dr. med. Reinhard Putz Anatomische Anstalt, Lehrstuhl I Pettenkofer Straße 11, 80336 München

Hochschulmedizin/Dienstrecht

Auf dem falschen Gleis

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und Klinik stehen in keinem Verhältnis zur Zahl der Hochschullehrer. Zudem hat man bei erfolgreichen ausländi- schen Universitäten ein Sabbatical, und zwar in periodischen Abständen von ei- nigen Jahren. Diese Kollegen verfügen über Zeit.

Für die Vertreter der Hochschulme- dizin in Deutschland steht das Struktur- problem und nicht das leistungsorien- tierte Besoldungssystem im Vorder- grund. Man muss sich etwas anderes einfallen lassen, um klinisch-wissen- schaftlich weiterzukommen. Die Klini- ken müssen über eigene Forschungser- fahrungen verfügen, um zum Beispiel nur ausländische Ergebnisse, die aus vielen Gründen völlig anders sein kön- nen, zu überprüfen und um sie für eige- ne klinische Anwendungen nutzbar zu machen. Anderenfalls kann es vorkom- men, dass die deutschen Patienten un- vermeidbar einer Second-hand-Medi- zin ausgesetzt sind.

Prekäre Situation

Zurzeit sind wir aber nur bedingt in der Lage, den „normalen“ Klinik- und Lehranforderungen mit den vorhande- nen Hochschullehrern gerecht zu wer- den. Nach einer Umfrage kommt der Marburger Bund Nordrhein-Westfa- len/Rheinland-Pfalz (Deutsches Ärzte- blatt vom 24. April 1999) zur Feststel- lung, dass 51 Millionen Überstunden gemacht werden und davon nur 30 Prozent durch Vergütung oder durch Freizeit abgegolten werden. Bei den Hochschulen findet man eine beson- ders prekäre Situation: Die Länder lassen die Universitätsärzte wöchent- lich 12,7 Überstunden „machen“; hinzu kommt, dass die Abgeltungsmoral noch schlechter ist als bei den übrigen Kran- kenhäusern. Das Gleiche gilt für Ruhe- zeiten nach dem Bereitschaftsdienst: in 45,9 Prozent wird gegen BAT- und Ar- beitszeitregelungen verstoßen.

Unter diesen Umständen ist es er- staunlich, dass Kliniker gegenwärtig überhaupt „Zeitnischen“ finden oder über eine außerordentliche physische Konstitution verfügen, um auf längere Zeit den internationalen wissenschaftli- chen Standard halten zu können. Dass dies ein eher seltenes Ereignis ist, ergibt

sich aus folgender Beobachtung: Die Interscience Conference on Antimi- crobial Agents and Chemotherapie mit mehr als 10 000 Teilnehmern, die in San Francisco im September 1999 stattge- funden hat, zeigt beispielhaft, wie die Bedeutung der einschlägigen Wissen- schaft aus dem Lande Robert Kochs be- wertet wird. Es fanden dort 28 Sympo- sien mit ausgesuchten Referenten statt (neben anderen Veranstaltungen). Für den Vorsitz bei den verschiedenen Sym- posien wurden 19 Nichtamerikaner ein- geladen, darunter ein Deutscher (Mi- krobiologe). Zu den 149 Vorträgen wurden 29 Ausländer eingeladen, da- von vier deutsche Referenten. Deutsch- land hat es also auf diesem wichtigen Gebiet zur Bedeutungslosigkeit ge- bracht.

Um auf die leistungsgerechte peku- niäre Verteilung als Motivationsimpuls bei der klinischen Wissenschaft einzu- gehen: Die meisten publikationswürdi- gen Ergebnisse werden vom so genann- ten Mittelbau erzielt, und zwar in der Regel ohne „Anweisung von oben“.

Wenn sich einige einen Namen gemacht haben und Glück haben, werden sie auf eine um circa 1 300 DM besser dotierte C4-Stelle berufen. Dies ist meist eine Klinikdirektorenstelle mit einzigarti- gen Privilegien, auch im Vergleich mit allen anderen Beamtenstellen. Bei die- ser Klinikdirektorenstelle müssen sich die Hochschullehrer zusätzlich um das Management und die Betreuung des akademischen Nachwuchses innerhalb der Klinik kümmern und auch die am- bulante und klinische Privatpraxis be- treuen; dies bedeutet eine erhebliche zusätzliche Belastung. Dadurch sind sie oftmals nicht mehr in der Lage, den ak- tuellen Stand der Forschung auf ihrem früheren Spezialgebiet zu halten, es sei denn, sie scharen eine Gruppe Mitar- beiter auf dem gleichen Gebiet um sich.

Ohne Frage ist die Privatpraxis ein problematisches Kapitel, und in vielen Ländern in dieser Form nicht üblich. Es ist eine Zeitverschwendung, soweit es den Hochschulbetrieb betrifft.

Rationeller wäre folgendes Vorge- hen:

Sicher wäre eine ansehnliche Direk- torenzulage bei dieser Belastung be- rechtigt, aber eine Aufteilung der Pri- vateinnahmen in eine hochschulrecht-

lich präzisierte Poolverteilung und in ein Forschungsguthaben für die jeweili- ge Klinik. Immerhin handelt es sich nicht selten um Millionenbeträge.

Die Hochschullehrer sollten sich alle fünf bis acht Jahre zur Wiederwahl stel- len, wie zum Beispiel in Bern, und zwar beschränkt auf ihren bestehenden Auf- gabenbereich und nicht auf die Einstu- fung. Wie die Erfahrung zeigt, ist dieses Vorgehen leistungsstimulierend. Kür- zere Perioden sind aus Gründen der Wissenschaft nicht sinnvoll. Man denke nur an das In-Gang-Bringen einer größeren multizentrischen Feldstudie, die statistisch verwertbar sein soll.

Neuverteilung des Mangels

Es ist eine Geldverschwendung, wenn man Hochschullehrer nach dem 65. Le- bensjahr pensioniert oder emeritiert, sofern sie und die Fakultät sich einig sind, dass sie in Forschung und Lehre wenigstens partiell oder auch voll wei- ter tätig sein können. In vielen Univer- sitäten in den USA wird dies mit einer regelmäßigen dreijährigen Wiederwahl erfolgreich praktiziert. Bei dem zahlen- mäßig mangelhaften Hochschullehrer- aufgebot in Deutschland wäre derarti- ges Vorgehen dringend angezeigt und zudem noch etatverträglich.

Ganz anders ist die Situation des

„Mittelbaus“, bei der die Kontinuität der Arbeit für die Forschung wichtig ist.

Hier müsste ein leistungsgerechter Ausbau stattfinden. Dies bedeutet aber auch, dass wir uns gute Leute aus ande- ren Ländern holen können. Der Haken ist nur der, dass die auf gleicher Ebene tätigen Kollegen beispielsweise in der Schweiz und in den Niederlanden das Doppelte und mehr unserer Univer- sitätsangehörigen verdienen. Die Net- tobezüge erreichen bei jüngeren Kolle- gen des „Mittelbaus“ mit Familie nicht einmal ein Einkommen, um dafür eine Eigentumswohnung anzusparen.

Unter diesen Aspekten kann eine derartige Dienstrechtreform gegenwär- tig nur eine Neuverteilung des Mangels sein. Prinzipien nützen in diesem Zu- sammenhang nur wenig, sondern prag- matisch müssen die Defizite angegan- gen werden.

Prof. Dr. med. Walter Marget, München/Starnberg T H E M E N D E R Z E I T

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A2448 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 38½½½½22. September 2000

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