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Archiv "Übernahme staatlicher Befugnisse in die ärztliche Selbstverwaltung: Eine kurze Übersicht über Themen und Ziele von einhundert Deutschen Ärztetagen" (23.05.1997)

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D

ie deutsche Reichsgründung war die Initialzündung für ei- ne Reihe von Berufsgruppen, sich über die bisher trennen- den Ländergrenzen hinweg zu reichs- weiten Interessenverbänden zusam- menzuschließen. „Aber“ – so fährt Richter mit Blick auf die anderen Ge- werbe fort – „der ärztliche Stand lei- stet der Gesamtheit fortwährend Dienste, wie sie kein anderer gewer- betreibender Stand dem Volke lei- stet.“ Das Wissen und die Kunst der Ärzte bringe „sie gegenüber dem übrigen Publikum in die Stellung älte- rer Geschwister, welche für ihre un- reiferen und unklügeren Brüder zu sorgen haben“. Das hier zum Aus- druck kommende Selbstbewußtsein überrascht ein wenig, lag es doch ge- rade erst ein Menschenalter zurück, daß die Mediziner wegen ihrer nur sehr begrenzten therapeutischen Möglichkeiten kaum ein eigenständi- ges Profil gegenüber Wundärzten oder anderem Heilpersonal hatten entwickeln können. Vor allem der wissenschaftliche Fortschritt der ver- gangenen Jahrzehnte hatte den Ärz-

ten erst zu jenem Expertenstatus ver- holfen, der sie nun nach Ansicht Richters mehr als andere dazu be- rechtigte, „in den Gang des modernen Staatslebens umgestaltend und hülfe- spendend“ einzugreifen.

Häufiger Tagungsort Eisenach

Richters Initiative zur Zusam- menfassung der bestehenden ärztli- chen Vereinigungen Deutschlands zu einem einheitlichen Ganzen führte 1872 im Rahmen der Tagung der Ge- sellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte zur Begründung des Deut- schen Ärztevereinsbundes, der am 17. September 1873 in Wiesbaden zu seiner konstituierenden Hauptver- sammlung, dem ersten Deutschen Ärztetag, zusammenkam. Stand hier noch die Satzungsgebung im Vorder- grund, so entwickelte sich in der Fol- gezeit der Ärztetag als jährliche Hauptversammlung von bevollmäch- tigten Delegierten der lokalen Ärzte- vereine zum zentralen Forum für alle

die Ärzteschaft beschäftigenden The- men. Bereits zu ihrer zweiten Tagung fanden sich die Delegierten in Ei- senach ein.

Nicht zuletzt die zentrale Lage der Stadt trug dazu bei, daß hier bis 1931 rund ein Viertel aller Ärztetage stattfand. „Mit Eisenach, der lieblich in Park und Wald eingebetteten freundlichen Thüringerstadt, verbin- det die deutsche Ärzteschaft seit ihrem ersten Besuch im Jahr 1874 so etwas wie Heimatsgefühl“, notierte 1926 der Berichterstatter des Ärztli- chen Vereinsblattes anläßlich des 45.

Deutschen Ärztetages in Eisenach.

Daß der Zeitraum zwischen 1897 und 1918 ohne einen Ärztetag in Eisenach verstrich, hatte einen eher trivialen Grund.

Den Stadtvätern war die Nackt- heit des Knaben auf dem 1897 in Ei- senach errichteten Denkmal für die

Gründer des Ärztevereinsbundes, Hermann Eberhard Richter und Eduard Graf, ein Dorn im Auge. Die ärztlichen Standesvertreter weigerten sich hingegen, dessen Blöße be- decken zu lassen. Das „corpus delicti“

wurde 1942 als Metallspende des deutschen Volkes einem nunmehr vordringlicheren Verwendungszweck zugeführt.

A-1412 (40) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Übernahme

staatlicher Befugnisse in die ärztliche

Selbstverwaltung

Eine kurze Übersicht über Themen und Ziele von einhundert Deutschen Ärztetagen

Thomas Gerst

Der Stein des Anstoßes: Das 1897 in Eisenach für die Begründer des Deutschen Ärztevereinsbundes errich- tete Denkmal (Foto: Privatbesitz Dr. Jürgen Schwarz)

„ Nachdem ganz Deutschland zu einem Reichskörper geeinigt ist, müssen

die Ärzte ebenfalls aus ihrem bisherigen Partikularismus ausscheiden

und zu einer einheitlichen Körperschaft, zu gemeinsamem Wirken

zusammentreten.“ Diese Worte des Dresdner Medizinprofessors Hermann

Eberhard Richter stehen am Anfang seiner 1872 im Ärztlichen Vereins-

blatt gemachten Ausführungen über Sinn und Zweck eines geplanten Zusam-

menschlusses der deutschen Ärzteschaft im Deutschen Ärztevereinsbund.

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Die Themenliste der frühen Ärz- tetage dokumentiert vor allem zwei- erlei: Deutlich wird hier zum einen der Anspruch der organisierten Ärz- teschaft, in allen Fragen des öffentli- chen Gesundheitswesens – Impfge- setz, Apothekerwesen, Medizinalsta- tistik, Fleischbeschau etc. – bei den staatlichen Stellen Gehör zu finden.

Zum anderen zeigt sich sehr bald schon das Bestreben, eine berufliche Vorrangstellung in Form einer weit- gehenden Standesautonomie, das heißt Übernahme staatlicher Befug- nisse durch Organe ärztlicher Selbst- verwaltung, durchzusetzen. Die For- derung nach einer einheitlichen deut- schen Ärzteordnung mit einer alle Ärzte verpflichtenden Einbindung in eine öffentlich-rechtliche Standesor- ganisation wurde im Jahr 1889 von Reichskanzler Bismarck abschlägig beschieden, nachdem sich eine Reihe von Ländern gegen eine Regelung auf Reichsebene ausgesprochen hatte. So vollzog sich der weitere Ausbau der Rechtsstellung der Ärztekammern, wie etwa mit der 1899 erfolgten Ein- richtung ärztlicher Ehrengerichte in Preußen, auf der Ebene der Länder, während dem Deutschen Ärztetag die Aufgabe vorbehalten blieb, in Form einer rechtlich nicht verbindlichen Standesverordnung Verhaltensnor- men für den Umgang von Ärzten un- tereinander sowie von Ärzten und Pa- tienten zu entwickeln.

Konkurrenz auf dem Gesundheitsmarkt

Von größter Bedeutung für den sich im letzten Drittel des 19. Jahr- hunderts formierenden Ärztestand war die Auseinandersetzung mit der nichtapprobierten Konkurrenz auf dem Gesundheitsmarkt. Diskussio- nen über die „Kurpfuscherfrage“

nahmen bei den Beratungen der Deutschen Ärztetage immer wieder breiten Raum ein. Forderungen an den Staat, hier im Interesse der Volks- gesundheit mit Verboten einzugrei- fen, führten zu keinen nennenswerten Ergebnissen, da sich insbesondere die Naturheilkunde wachsender Popula- rität in weiten Kreisen der Bevölke- rung erfreute und die Ärzteschaft nicht den Eindruck vermeiden konn-

te, weniger ein öffentliches als ein standesegoistisches Anliegen zu ver- treten. Gleichwohl trug die perma- nente Auseinandersetzung der ärztli- chen Standesvertretungen mit der

„Kurpfuscherei“ dazu bei, innerhalb einer mehr und mehr von internen Konflikten heimgesuchten Ärzte- schaft – z. B. aufgrund fachlicher Dif- ferenzierung oder steigender Medi- zinerzahlen – eine innerständische Solidarität aufrechtzuerhalten.

Diese war auch dringend erfor- derlich, galt es doch seit der 1883 er- folgten Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung, sich gegenüber dem wachsenden Nachfragemonopol der Krankenkassen für ärztliche Lei- stungen, das bis 1914 bereits die Hälf- te der deutschen Bevölkerung umfaß- te, durchzusetzen. Daß hier mit der Einschaltung einer dritten Instanz in das bisherige Arzt-Patienten-Verhält- nis wesentliche Veränderungen be- vorstanden, war den ärztlichen Stan- desvertretern sehr früh bewußt, und das neue Krankenkassengesetz stand auf allen Tagesordnungen der Ärzte- tage von 1884–1888. Der Deutsche Ärztevereinsbund sah sich aber zunächst nicht imstande, eine einheit- liche berufspolitische Strategie ge- genüber den gesetzlichen Kranken- kassen zu entwickeln, die infolge des Überangebots an Medizinern vor al- lem in den Städten die Vertragsbedin- gungen der für sie tätigen Ärzte dik- tieren konnten. Zwar brachte das Krankenversicherungsgesetz auch ei- ne Ausweitung der Nachfrage medizi- nischer Leistungen, doch überwog in den Verhandlungen der Ärztetage die Abneigung der Ärzte gegenüber ei- nem System, das sie in ihrem Hand- lungsspielraum beschränkte und sie in Abhängigkeit brachte von den sozial- demokratisch dominierten Selbstver- waltungsgremien der gesetzlichen Krankenkassen.

Gewerkschaftliche Kampfmethoden

Sich aus dieser Abhängigkeit zu befreien und der zunächst starken Stellung der Krankenkassen gegen- über dem einzelnen Arzt ein straff or- ganisiertes Gruppeninteresse entge- genzustellen war das Motiv für die

von dem Leipziger Arzt Hermann Hartmann im Jahr 1900 initiierte Be- gründung des Verbandes der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirt- schaftlichen Interessen. Sein aus der Arbeiterbewegung entlehnter Aufruf

„Aerzte ganz Deutschlands, organi- sirt Euch!“ und die damit verbundene Idee, mit gewerkschaftlichen Kampf- methoden in die Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Krankenkassen zu gehen, stieß auf große Resonanz innerhalb der deutschen Ärzteschaft.

Bis 1910 hatten sich über 90 Prozent der niedergelassenen Ärzte dem Leipziger Verband, der nach dem Tod seines Begründers im Jahr 1923 in Hartmannbund unbenannt wurde, angeschlossen. Das mit den Kranken- kassenverbänden im Dezember 1913 abgeschlossene Berliner Abkommen bedeutete den ersten Einbruch in de- ren bisherige Zulassungsautonomie sowie einen wichtigen Schritt hin zur späteren Durchsetzung von Kollektivverträgen und der freien Arztwahl der Versicherten.

Dauerkonflikt

mit den Krankenkassen

Von den Honoratioren des Ärz- tevereinsbundes wegen seines nicht gerade als standesgemäß empfunde- nen Vorgehens zunächst mißtrauisch beäugt, wurde der Leipziger Verband doch bereits auf dem Deutschen Ärz- tetag 1903 als weitgehend selbstän- dige wirtschaftliche Unterabteilung dem Ärztevereinsbund angegliedert.

Die Unterstellung des neuen Verban- des unter die Beschlüsse der Deut- schen Ärztetage war Ausdruck der gemeinsamen Überzeugung, daß nur die einheitliche Vertretung ärztlicher Interessen einen standespolitischen Erfolg nach sich ziehen könne. Und auch bei den Verhandlungen der Deutschen Ärztetage wich die zunächst eher diffuse Abneigung ge- gen die gesetzliche Krankenversiche- rung angesichts der sozialpolitischen Realitäten einer berufspolitischen Kampfeshaltung, wie etwa 1909, als der Ärztetag für den Fall der Verab- schiedung des vorgelegten Entwurfs einer Reichsversicherungsordnung mit einer allgemeinen Arbeitsnieder- legung drohte.

A-1413 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997 (41)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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„Die Ueberführung der Aerzte- schaft aus dem Kriege in den Frieden“

lautete ein Hauptthema des Außeror- dentlichen Deutschen Ärztetages, der am 23. Juni 1918 in Eisenach statt- fand. War hier bereits der Hurra- Patriotismus bei Kriegsbeginn einer eher nüchternen Bestandsaufnahme gewichen, die sich mit den Auswir- kungen des fortwährenden Krieges auf die ärztliche Versorgung befaßte, so muß der Zusammenbruch der Monarchie im November 1918 für die überwiegend national-konservative Ärzteschaft geradezu als Schock ge- wirkt haben. Hatten doch seit der Re- volution eben diejenigen Parteien das Sagen, die für die Mehrheit der Ärzte- schaft den politischen Gegner schlechthin ausmachten. Die „Soziali- sierung des Heilwesens“, eines der Themen des Ärztetages im Septem- ber 1919, bedeutete fortan in der Wei- marer Zeit für die ärztlichen Standes- vertreter eine zwar nicht immer kon- krete Gefahr, aber doch mögliche Va- riante staatlicher Gesundheitspolitik.

Der noch durch Wirtschaftskrisen ver- schärfte Dauerkonflikt zwischen Ärz- teschaft und Krankenkassen domi- nierte die standespolitische Debatte in der Weimarer Zeit. Hierbei ging es natürlich auch um die Durchsetzung finanzieller Forderungen, aber mehr und mehr schob sich das Streben nach Ausbau und Sicherung ärztlicher Standesautonomie innerhalb eines zu- nehmend als ärzte-feindlich empfun- denen gesellschaftlichen Rahmens in den Vordergrund. So nahm man etwa 1931 auch Einkommensverluste in Kauf,um im Gegenzug die Bildung Kassenärztlicher Vereinigungen als öffentlich-rechtliche Kollektivvertre- tungen der Ärzteschaft gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen durch- setzen zu können.

Dem entsprachen auch die seit Mitte der 20er Jahre unternommenen und auf den Ärztetagen diskutierten Bemühungen um die Schaffung einer einheitlichen Standesorganisation auf der gesetzlichen Grundlage einer Reichsärzteordnung. Ziel war es, dem Arzt unter Wahrung der Berufsfrei- heit eine aus der Gewerbeordnung herausgelöste öffentliche Aufgabe zuzuweisen und dem Stand weitge- hende Selbstverwaltungsbefugnisse zu übertragen. Angestrebt wurde die

korporative Freiheit des ärztlichen Berufsstandes, seine Angelegenhei- ten soweit wie möglich ohne Fremd- kontrolle selbständig zu regeln. Die Realisierung einer gesetzlich legiti- mierten, einheitlichen Standesorgani- sation erschien führenden Standes- vertretern um so dringlicher, als sie als einziges Mittel angesehen wurde, ei- ner von ihnen konstatierten Zersplit- terung ärztlicher Standespolitik in ei- ne Vielzahl von Gruppeninteressen entgegenzuwirken.

Widerstandslose Gleichschaltung

Die 1933 von der NS-Führung in Aussicht gestellte Realisierung dieses Wunschprojekts mag einer der Grün- de dafür gewesen sein, warum die Gleichschaltung der ärztlichen Spit- zenverbände so reibungslos und ohne erkennbaren Widerstand vollzogen

werden konnte. Eine scharfe Polemik gegen die innerärztliche linke Oppo- sition und nur halbherzige Abgren- zungsversuche gegenüber dem Natio- nalsozialistischen Deutschen Ärzte- bund (NSDÄB) kennzeichneten be- reits vor der Machtübernahme Hitlers den Kurs einer Ärzteführung, die sich

von den demokratischen Parteien der Weimarer Republik zunehmend im Stich gelassen sah und empfänglich wurde für nationalsozialistische Ver- heißungen, die dem Arzt eine zen- trale Rolle als „Gesundheitsführer“

im NS-Gesundheitssystem zuwiesen.

Durch die Umsetzung rassehygieni- scher Vorstellungen, deren Diskussi- on bereits in den Jahren vor 1933 sa- lonfähig geworden war, erfuhr die Ärzteschaft allgemein einen Auto- ritätszuwachs. Nicht zuletzt bedeutete die Schwächung der Krankenkassen- verbände nach 1933 für die Ärzte- schaft das Ende einer sich über die ge- samte Weimarer Zeit hinwegziehen- den Auseinandersetzung. Mit der wi- derstandslosen Gleichschaltung er- kaufte man sich zwar den Erhalt be- stehender ärztlicher Organisations- strukturen bis zum Erlaß der Reichs- ärzteordnung Ende 1935, doch konn- te nach der raschen Übernahme der Führungspositionen durch NS-Kader

von einer ärztlichen Selbstverwaltung im Grunde keine Rede mehr sein.

Der für 1933 geplante Deutsche Ärz- tetag wurde kurzerhand abgesagt.

Über die Frage der Mitverant- wortung der deutschen Ärzteschaft für die Verbrechen des Nationalsozia- lismus ist gerade in der jüngeren Ver- A-1414 (42) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Ergebenheitstelegramm des Deutschen Ärztevereinsbundes und des Hartmannbundes an Adolf Hitler vom 22. März 1933 (Bundesarchiv Berlin)

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gangenheit lebhaft diskutiert worden.

Die These von den wenigen hundert Medizinern, die sich in den Jahren vor 1945 schuldig gemacht haben, hat sich vor dem Hintergrund der inzwischen vorliegenden Untersuchungen als nicht stichhaltig erwiesen. Verwiesen sei hier beispielsweise auf die Refera- te des 99. Deutschen Ärztetages, der sich 50 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozeß mit dem Verhalten der Ärzteschaft in der NS-Zeit auseinan- dersetzte.

Neubeginn nach 1945

Bestand während des Krieges ei- ne der wesentlichen Aufgaben von Reichsärztekammer und Kassenärzt- licher Vereinigung Deutschlands da- rin, die ärztliche Versorgung der Zivil- bevölkerung mit der zur Verfügung stehenden unzureichenden Ärztezahl sicherzustellen, so glaubten nach Kriegsende auch die alliierten Militär- behörden, auf die Mitwirkung ärztli- cher Selbstverwaltungseinrichtungen bei der Bewältigung der gesundheitli- chen Notlage nicht verzichten zu kön- nen. Deshalb förderten oder billigten sie deren Reorganisation auf Landes- oder Bezirksebene, und selbst in der sowjetisch besetzten Zone verstrich mehr als ein Jahr, ehe die bereits wie- der funktionierende ärztliche Selbst- verwaltung zum Erliegen gebracht wurde.

Gerade angesichts der Entwick- lung im Osten Deutschlands kam der Bewahrung der ärztlichen Standesau- tonomie in den drei Westzonen höch- ste Priorität zu. Die Pläne der Alliier- ten zur Vereinheitlichung der Sozial- versicherung wurden von den Stan- desvertretern 1946 als eine ernste Be- drohung dieser Autonomie empfun- den. Die Koordinierung von dagegen gerichteten Abwehrbemühungen bil- dete den Beginn einer länderübergrei- fenden Zusammenarbeit, die im Ok- tober 1947 zur Konstituierung der Ar- beitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern, der heutigen Bundes- ärztekammer, führte.

Nach siebzehnjähriger Unterbre- chung fand am 16./17. Oktober 1948 in Stuttgart der 51. Deutsche Ärztetag statt. Vor allem gegen das von der amerikanischen Militärregierung in

ihrer Besatzungszone ausgesprochene Verbot von Ärztekammern in der Form von Körperschaften öffentli-

chen Rechts sollte hier Stellung bezo- gen und nachdrücklich der Erhalt des einmal erreichten Status eingefordert werden. Die Forderung des ersten Nachkriegsärztetages nach einer ein- heitlichen deutschen Ärzteordnung ging allerdings an der Realität der sich bereits abzeichnenden Föderalstruk- tur des künftigen westdeutschen Staatsgebildes vorbei. Das Grundge- setz legte die Zuständigkeit der Län- der für die gesetzliche Regelung ärztli- cher Selbstverwaltung recht eindeutig fest, und in der Folge unternommene Versuche, hier noch eine Veränderung herbeizuführen, scheiterten am Wi- derstand der Landesregierungen, aber auch der Landesärztekammern, die ihre wiedergewonnene Autonomie nicht wieder verlieren wollten.

Angesichts der Notwendigkeit, über Konsens zu einer möglichst ein- heitlichen Ausrichtung ärztlicher Standespolitik zu gelangen, ent- wickelte sich nach 1948 der nunmehr aus den Delegierten der Ärztekam- mern zusammengesetzte Deutsche Ärztetag auch ohne rechtlich verbind- liche Entscheidungsbefugnis zum zentralen Abstimmungsorgan der bundesdeutschen Ärzteschaft. Hier

galt es nicht allein, die Voraussetzun- gen für möglichst übereinstimmende Rechtsgrundlagen in den Bundeslän-

dern – etwa bei der Weiterbildungs- ordnung – zu schaffen, sondern gleich wichtig war es, immer wieder in- nerärztliche Kontroversen aufzufan- gen und nach außen hin den An- spruch der Ärzteschaft auf Beteili- gung an allen gesundheitspolitischen Entscheidungsprozessen deutlich zu machen.

Das Wissen darum, daß dies auf den Deutschen Ärztetagen selbst un- ter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit gelang, sollte auch in Anbetracht der aktuellen Probleme des ärztlichen Standes einer relativie- renden Sichtweise Raum verschaffen und dazu beitragen, die Verhandlun- gen des 100. Deutschen Ärztetages zu einem für die gesamte deutsche Ärz- teschaft befriedigenden Ergebnis zu führen.

Anschrift des Verfassers Thomas Gerst Ottostraße 12 50859 Köln

A-1415 Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 21, 23. Mai 1997 (43)

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-1412–1415 [Heft 21]

Delegierten-Ausweis für den ersten Nachkriegs-Ärztetag 1948 in Stuttgart

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