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der BerG ist kulisse

pilatus kulm – neu inszeniert

M o n at sz ei ts ch ri ft f ü r L u ze rn u n d d ie Z en tr al sc h w ei z m it K u lt u rk al en d er N

O

. 1 1 N o v em b er 2 01 1 C H F 7 .5 0 w w w .n u ll 41 .c h

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ANZEIGEN

jodie

FOSTER WINSLET

kate johnc

. REILLY

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WALTZ

Nach dem erfolgsstück «der gott des gemetzels» voN YasmiNa reza

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DER Gott DEs GEmEtzEls

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editorial

Eine weitere Etappe auf dem Weg zu einer grösseren Stadt Luzern steht an. Krienser, Ad­

ligenswiler und Ebiko­

ner entscheiden Ende dieses Monats, ob ihre Agglomerationsgemein­

de weiter dabei ist beim

Fusionsprojekt – Emmen folgt mit einer Volksabstim­

mung im März 2012. Es sind noch keine definitiven Voten über einen Zusammenschluss, lediglich über die Ausarbeitung eines Fusionsvertrags. Trotzdem werden handfesten Vorteilen wie Steuersenkungen die üblichen diffusen Verlustängste entgegengesetzt.

Besonders Kriens, dessen Gemeinderat den Stimm­

bürgern einen Ausstieg aus dem Fusionsprojekt empfiehlt, hat seinen dörflichen Charakter über die Jahrzehnte gehegt und gepflegt wie keine andere Vorstadtgemeinde. Es soll sich nichts ändern, die Ge­

meinde funktioniert, bietet ein gutes Angebot an Kul­

tur oder Sport und zahlreiche Bräuche und Vereine zementieren die Dorfgemeinschaft. Überspitzt kann man von einem «Krienser Separatismus» sprechen, schliesslich setzte sich das Dorf schon mehrfach er­

folgreich der Obrigkeit von Stadt und Kanton ent­

gegen, sei es bei einer Überbauung beim Krienser Schlössli oder bei den Siegen gegen den grossen FC

Ein Dorf,

Das längst kEins mEhr ist

Luzern. Wer Christoph Fellmanns Geschichte über Kriens und seine Eigenheiten liest, kann sich ausmalen, wie sei­

ne Stimmbürger am 27.

November entscheiden werden (Seite 12).

Immerhin: Wenns um den Pilatus geht, werden Krien­

ser und Luzerner eins. Die Architekten Niklaus Gra­

ber und Christoph Steiger (auf dem Cover) entwarfen die zeitgemässe und gelungene neue Panoramagale­

rie zwischen den schroffen Felsen des Berges. Damit machen sie einen Besuch auf dem Pilatus wieder loh­

nenswert. Der Architekturfotograf Dominique Marc Wehrli hat für uns das Bauwerk in Szene gesetzt, Thomas Stadelmann hat sich mit den Architekten unterhalten (Seite 6).

Die Aussicht auf dem Bild oben ist nicht jene vom Pilatus, sondern die vom Gemsstock. Was es damit auf sich hat, lesen Sie ab Seite 10.

Jonas Wydler

wydler@kulturmagazin.ch

Bild Gemsstock: Franca Pedrazzetti/zvg

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Guten taG, stadt luzern

Du nimmst dich endlich der Probleme rund um die strassenprostitution an. Und sorgst dich einmal mehr um das Wohl dei- ner Einwohnerschaft. Und ihrer freier!

Denn: neben vielen massnahmen, die jetzt durchgeführt werden, hast du auch ein so- genanntes laufhaus sowie Verrichtungs- boxen geprüft, jedoch wieder verworfen.

«Ein laufhaus bietet den freiern nicht die gleiche anonymität wie der strassen- strich», heisst es in der mitteilung. Die an- onymität der freier als oberstes gebot!

Die wenig einfallsreichen sofortmassnah- men gegen den strich heissen: punktuelle nächtliche strassensperren und häufigere reinigung derselben. Dadurch werde

«Einfluss auf die standorte der sexarbei- terinnen genommen». (sexarbeiterin, was für ein Wort – wir sind doch hier nicht im ameisenhaufen!) langfristig soll dann die Prostitution noch weiter eingedämmt res- pektive verdrängt werden: keine Prostitu- tion mehr in der nähe von Wohnhäusern und ÖV-haltestellen, bei öffentlichen an- lagen, kirchen, schulen, sportanlagen und altersheimen. nun, reine industriezo- nen werden in der stadt immer seltener, und so stehen sexarbeiterinnen bald vor

«Der Gemsstock könnte, ja müsste das Herzstück des alpinen Erlebnistrips der neuen Andermatter Gäste sein. Doch der Panoramablick von dort oben spielt in Samih Sawiris Ausbauplänen keine Rolle.»

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1. Älplerchilbi 2. Bochselnacht 3. Chienbäse 4. Chröpfelimeh 5. Eierleset 6. Fekker-Chilbi 7. Gansabhauet

8. Hallauer Herbstsonntage 9. Hürnen und Mazza Cula 10. Nünichlinger

11. Pfingstblütter 12. Pschuuri in Splügen 13. Rabadàn

14. Scheibenschlagen 15. Stäcklibuebe

16. Töfflitreff Hauenstein

17. Les Tschäggäggtä au Löschental 18. Wildheuen

19. Woldmanndli 20. Zibelemärit

Die Abteilung Kultur und Sport der Stadt Luzern ist zuständig für die Umsetzung der sport- und kulturpolitischen Vorgaben und die laufende Weiterentwicklung der entsprechenden Grundlagen der Stadt Luzern. Wir verstehen uns als Drehscheibe zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen in Kultur und Sport sowie der Verwaltung.

Wir suchen für unser motiviertes Team per 1. April 2012 oder nach Vereinbarung einen/eine

Pensum 50%

Gerne stellen wir Ihnen diese interessante Stelle auf unserer Homepage detailliert vor: www.stellen.stadtluzern.ch

Mitarbeiter/in Kultur und Sport

schön GesaGt

Guten taG aufGelistet

Das Bundesamt für Kultur gab im Ok- tober die Liste der lebendigen Traditi- onen heraus.

Hier unsere Top 20 (alphabetisch).

dem gleichen Problem wie kulturbetriebe:

sie stören die anwohner – und haben im stadtzentrum nichts mehr zu suchen. Wir warten auf das erste Prostitutions- und al- ternativkulturquartier auf dem littauer Boden!

Freier in der Meinung:

041 – Das Kulturmagazin

Guten taG, arno renGGli

Du bist leiter des ressorts gesellschaft und kultur der «neuen luzerner Zeitung»

und mitglied der Chefredaktion. aber auch als passionierter musical-aktivist fällst du uns immer wieder auf. Vor allem aber sticht die Berichterstattung über die Produktionen, an denen du als musikali- scher leiter beteiligt bist, ins auge.

Während andere kulturschaffende froh sind, wenn die monopolzeitung nlZ einen einzigen Bericht über ihre Veranstaltung bringt, durftest du dich allein für deine ak- tuelle Produktion «hair» im krienser le théâtre über sieben (!) redaktionelle Bei- träge freuen (bei Druck dieses hefts).

Herzlich gratuliert:

041 – Das Kulturmagazin thomas Bolli, sEitE 10

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15 WOHNEN uND aRBEiTEN Wie sich die stadt die Zukunft der industriestrasse vorstellt

16 WiDERSTaND NüTZT

Ein neues modell für ein miteinander von Wohnen und kultur in der stadt?

19 uNPRÄTENTiöSES HaNDWERK schneidern in luzern

22 GRaEFF iN FRaNKFuRT Das neuste von der Buchmesse ...

KOLuMNEN

23 georg anderhubs hingeschaut 24 hingehört: Dany schnyder 25 olla Podrida!

26 nielsen/notter 27 Unterm messer 83 Vermutungen

SERViCE

28 Bau. Venedig oder sursee?

29 Kunst. Wie modern darf moderne sein?

33 Wort. the adventures of german-kid 36 Kino. in der sauna sind sie alle gleich 39 Musik. Der komponist fritz Brun

43 Bühne. Porträt: hajo tuschy und Juliane lang 47 Kids. im Wald

48 Kultursplitter. tipps aus der ganzen schweiz

KuLTuRKaLENDER 49–73 Veranstaltungen 75–79 ausstellungen

Titelbild: Dominique Marc Wehrli

iNHaLT

Bilder: Georg Anderhub/Daniela Kienzler

12 deal or no deal

kriens vor dem fusionsentscheid 6

20 10 jahre pinkpanorama Das schwullesbische festival

PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 54 Südpol / Treibhaus

56 LSO / Luzerner Theater 58 HSLU Musik / Romerohaus

60 Théâtre la Fourmi / Zwischenbühne Horw 62 ACT / Kleintheater Luzern

64 Chäslager Stans / Stadtmühle Willisau 66 ACT

68 Kulturlandschaft 70 Stattkino

74 Kunstmuseum Luzern / Museum im Bellpark 76 Natur-Museum Luzern / Historisches Museum

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8

HÖHENWEG

Panoramagalerie auf dem Pilatus, 2011

Niklaus Graber & Christoph Steiger Architekten, Luzern

«Es ist an uns, zu bestimmen, was gute Architektur ist», so die beiden Architekten, die auf dem Pilatus die neue Panoramagalerie gebaut haben. Mehr dazu haben Graber und Steiger im Gespräch mit dem Büro für Stadtfragen erklärt. Und: Was es bedeutet, einer Architektengenera-

tion anzugehören, die in der speziellen Aufgabe und im Ort die Herausforderung sucht, es aber dennoch wagt, im Entwurf und beim Bau eigenen Interessen und Ideen Ausdruck zu geben.

Die Panoramagalerie auf dem Pilatus ist eine gelungene

ZU DEN PERSONEN

Geboren in Luzern, aufgewachsen in Kriens und Meggen, Matura am Luzerner Alpenquai, beide mit Jahrgang 1968:

Niklaus Graber und Christoph Steiger (Titelbild) haben

Gebaut haben sie öffentliche und private Gebäude, in der Stadt Luzern allerdings noch nie. Ihre weitherum beachteten Werke stehen u. a. in Buttikon, Wollerau, Hagendorn und

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9 Gratwanderung zwischen den Hotels Kulm und Bellevue,

neben schroffen Felsen und direkt auf einem noch intakten Armeegebäude. Die neue Halle und das Son- nendeck verbinden, ermöglichen Anschluss und kragen an gewissen Stellen schwindelerregend aus: Menschen,

Räume und Aus- und Einsichten kommen in Bewegung.

Dass Graber und Steiger die Handlungsanleitung für eine zeitgemässe Tourismusarchitektur trotz der angenomme- nen neun Meter Schneelast mit Lust und einer gewissen Leichtigkeit umsetzen können, ist kein Zufall: «Das Metier

Architektur haben wir bei Hans Kollhoff in Berlin gelernt, die architektonische Welt der Wunder haben uns Jacques Herzog und Pierre de Meuron eröffnet.» Weil sie beides vereint, wirkt die Panoramagalerie gleichzeitig solid und grosszügig.

Der Architekturfotograf Dominique Marc Wehrli hat die architektonische Gratwanderung auf dem Pilatus mit Zeitraffer-Filmstills ins Bild gesetzt. Dabei wurde die

Text Thomas Stadelmann, Bilder Dominique Marc Wehrli Interview mit Niklaus Graber und Christoph Steiger unter:

(10)

inszenierte BerGe

alles frisch auf dem Pilatus: Die grosse terrasse wurde mit einer gedeckten galerie unterfüttert und die zwei hotels hat man umfassend saniert.

nun lässt sich flotter flanieren, ästhetisch organi- siert in die Weite schauen und eleganter schlafen. auf dem stanserhorn dreht sich das restaurant seit ein paar Jahren um 360 grad und serviert dem gast ein Breitleinwandspektakel;

demnächst kann er überdies in einer Cabriobahn zum gipfelgrat schweben. am titlis sorgt die karussellkabine schon bei der Bergfahrt für den rundblick. oben pendeln die Besucher über den gletscher oder wählen zwischen diversen restaurants. auf allen drei gipfeln herrscht Panoramasicht.

tourismus ist industrie

Vor 100 Jahren sah der mensch von dort oben das- selbe. im Prinzip zumindest, denn die gletscher leuchten winziger und die täler sind überstellter.

neben Pilatus, stanserhorn und titlis gibt es unzählige weitere gipfel in der innerschweiz. ausblicke bietet jeder von ihnen. Wer oben steht, erlebt das unmittelbar und authentisch. Erleben ist eine existenzielle kategorie. Pilatus, stanserhorn und titlis sind touristisch genutzte Berge. tourismus ist eine wirtschaftliche ka- tegorie. Er inszeniert den Berg und simuliert die aussicht als ein- zigartige und unübertreffliche. so ergibt ein gipfel sinn im Ver- kaufsprospekt, so bringt er etwas ein.

Über generationen hinweg wirkten die Berge ausschliesslich bedrohlich und abweisend. sie waren gelände, das gemieden sein wollte. Erst das 18. Jahrhundert hat die Berge als lohnendes Ziel und ort der ausserordentlichen gefühle entdeckt. mit dem auf- kommenden alpinismus und dem Erlebnistourismus im 19. Jahr- hundert stieg die aussicht zum erhabenen moment auf. seither lässt sie sich kommerziell nutzen. Die innerschweiz hat sich in diesem markt früh eingenistet, exemplarisch auf dem Bürgen- stock. Dort stehen die hotels spektakulär über den felswänden, der Weg zum hammetschwandlift verlängert das süsse schau- dern ostwärts. ähnliches gilt für die rigi: Die ausblicke wurden von tolstoj gelobt, die sonnenaufgänge von mark twain geadelt.

sowohl auf der rigi als auch auf dem Bürgenstock soll die tradi- tion mit viel investorengeld erneuert werden. luxus inmitten halb gezähmter natur scheint gefragt.

aussicht ist – wie gesagt – auf unzähligen gipfeln zu haben. Wer sie nicht inszeniert, verdient nichts. Wer sie nicht erneuert, bleibt nicht unübertrefflich. Das aber braucht es, um dem aufregungsbedürfnis der menschen zu gefallen. am kräftigsten investiert wird in den in- nerschweizer Bergen zurzeit in andermatt. Doch was geht am gemsstock, diesem Berg, der grandios aus dem gotthardmassiv ragt, mit einer seilbahn erschlossen ist und die perfekte rund- sicht über die Zentralalpen ermöglicht? heute findet die aus- sichtsplattform nur, wer sich im gebäude der Bergstation ganz nach oben verirrt. Es steht funktional kahl auf dem grat, kein kaffee, kein kiosk, kein restaurant, kein WC, nichts.

Zur frohen Aussicht

Auf den Innerschweizer Gipfeln wird gebaut, als ob die Welt neu

zu erschaffen wäre. Ausgerechnet der Gemsstock scheint den

Investoren nicht geheuer zu sein.

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inszenierte BerGe

der Gemsstock bröckelt

Der gemsstock könnte, ja müsste das herzstück des alpinen Erlebnistrips der neuen andermatter gäste sein. Doch der Panoramablick von dort oben spielt in samih sawiris ausbauplänen keine rolle. sachliche gründe sprächen dagegen, sagt franz steinegger, der den Verwaltungsrat der andermatt gemsstock sportbahnen präsidiert und den Berg wie seinen hosensack kennt.

nun, der Permafrost lässt den gemsstock bröckeln, was auf- wendige injektionen in den fels erforderte. Der grat verläuft aus- gesprochen schmal, die Pfade, die hinunterführen, sind an- spruchsvoll stotzig. auf dem gemsstock gibt es bis heute weder Wasser noch Energie. Ursprünglich, sagt franz steinegger, hätten die Pioniere aber durchaus die idee gehabt, den gemsstock als sommerausflugsberg mit optimaler rundsicht zu konzipieren.

nun sei er aber vor allem ein skiberg.

samih sawiris zieht also den softeren nätschen vor.

Dieser Bergrücken auf der nordostseite von ander- matt taugt im sommer und im Winter. Er verspricht mehr sonne und leichter abrutschbare hänge. hier wandern auch Ungeübte locker, es braucht keine steigeisen und keine karten, die Biker können rauf und runter, was die schrof- fen felsen am gemsstock nicht erlauben. Zudem lässt sich auf dem nätschen das skigebiet mit den sedruner anlagen verknüp- fen. Das ist rein ökonomisch gedacht.

Die touristiker in andermatt inszenieren also den Berg light: Die Bühne ist zwar wild, aber nicht allzu sehr, das spektakel scheint gross, aber es ist gedämpft.

Das geplante «alpine Erlebniszentrum» will ohne den genialen Panoramablick auskommen, den man gegenüber und auf anderen touristenbergen in der innerschweiz hat. Die rund- sicht als solche, bei der man von oben ins erstarrte meer der al- penfaltung schaut, dem himmel näher steigt und sich die natur theatralisch zu leibe rücken lässt, ist eine kulturhistorische Er- rungenschaft. sie hat in andermatt wirtschaftlich besser nutzba- re konkurrenz: golfplatz im sommer, geglättete Pisten im Win- ter, Erlebnisbad, luxuriöse appartements, shopping-strasse usw.

Der Berg ist kulisse.

Thomas Bolli

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glückliches kriens: Die menschen leben im Einklang mit sich und dem ort.

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kriens

Die krienser wollten nach luzern, und deutlicher hätten sie das nicht ausdrücken können. 1267 von ihnen stimmten für die fusi- on mit der Zentrumsstadt, 253 dagegen. Es war der 25. märz 1934, mitten in der krise. Die industrie in kriens kämpfte gegen die Pleite, die Patrons senkten die löhne und entliessen hunderte von leuten. Die gemeinde hatte kein geld und keine reserven. aber nicht nur sie. auch der stadt luzern ging es nicht gut, fünf Jahre nach dem Börsenkrach von 1929. sie war darum nicht scharf dar- auf, den tief in den roten Zahlen steckenden Vorort einzugemein- den. also murmelte sie etwas von wegen Verhandlungen und be- stellte zunächst einmal ein gutachten. als dieses Jahre später eintraf, war der anlass dafür schon fast vergessen. Die krise war vorbei. nach dem krieg putzte sich die stadt wieder für die touris- ten heraus und suchte nach geeigneten randlagen für die indust- rie. aber am 28. märz 1946 wiesen die gemeinderäte aller Voror- te, auch von kriens, an einer aussprache die idee einer Einge- meindung weit von sich.

Warum tut sich kriens so schwer?

65 Jahre später ist es wieder die stadt luzern, die kriens – zu- sammen mit Emmen, Ebikon und adligenswil – eingemeinden möchte. am 27. november stimmen die luzerner und die krien- ser ab, ob ein fusionsvertrag ausgehandelt werden soll. Die Politik in kriens hat schon mal nein gesagt: Der gemeinderat und das Parlament möchten das fusionsprojekt abbrechen. Was die stimmbevölkerung betrifft, waren 50,6 Prozent von ihnen in ei- ner früheren abstimmung dafür, eine fusion zumindest zu prü- fen. Jetzt, da es langsam ans Eingemachte geht, ist diese mehrheit höchst gefährdet.

Entscheidend wird wohl sein, wie sich die unbekannte masse von krienserinnen und kriensern verhält, die ihre gemeinde nur

als schlafstadt nutzt und die schon lange keine stadtgrenze mehr wahrnimmt: stimmt sie für die fusion? oder ist ihr das thema so egal, dass sie gar nicht an die Urne geht?

so oder so: im Vergleich zu ihren nachbarn in littau, das 2009 mit luzern fusioniert hat, stehen die krienser einem Zu- sammenschluss skeptischer gegenüber. Und das ist auf den ersten Blick doch erstaunlich, schliesslich ähnelt kein Vorort der stadt luzern so sehr wie kriens. Die zwei gemeinden haben einen ähnlichen Bevölkerungsmix und eine ähnliche politische ge- schichte. Und kriens und luzern teilen sich sogar die naherho- lungsgebiete auf dem sonnenberg und am Pilatus. Warum also tun sich die krienser so schwer mit dem gedanken, zur stadt zu gehören? Der Blick in die geschichte liefert eine erste antwort, formuliert von hilar stadler, dem leiter des museums im Bell- park in kriens: «Will eine stadt einen Vorort eingemeinden, muss dort die not gross sein. oder aber sie bietet einen Deal an, der gut ist und die leute überzeugt.»

autark und bürgernah

in littau war beides gegeben. Der am dichtesten besiedelte ort des kantons hatte grosse finanzielle und etwas kleinere soziale Probleme. Die steuern waren hoch und die aussicht auf den niedrigeren luzerner steuersatz war den littauern offenbar Deal genug. ganz anders ennet dem renggloch: kriens ist nicht in not.

im gegenteil, wen immer man fragt beschreibt die gemeinde als autark und funktionstüchtig, als fortschrittlich und bürgernah und also auch als selbstbewusst. mit anderen Worten: Der steuer- fuss ist zwar auch in kriens höher als in luzern, aber trotzdem leuchtet der Deal einer fusion nicht auf anhieb ein. Die gewich- tigen, aber auch abstrakten argumente der Befürworter haben es da schwer: die klügere raumplanung, die in der region möglich

deal

or no deal

Noch in diesem Monat treffen Kriens, adligenswil und Ebikon einen Vorentscheid, ob sie mit der Stadt Luzern fusionieren möchten.

Der Widerstand ist gross, oder: Warum Kriens nicht Littau ist.

Von Christoph Fellmann; Bilder Daniela Kienzler

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kriens

Abstimmung in Kriens, Emmen, Ebikon und Adligenswil

cf. Nach der Fusion von Luzern und Littau sollen weitere Agglomerati- onsgemeinden zur Stadt Luzern stossen: In Kriens, Ebikon und Luzern wird am 27. November über die Ausarbeitung eines Fusionsvertrags abge- stimmt. In Adligenswil entscheidet die Gemeindeversammlung am 29. No- vember. In Emmen findet die Urnenabstimmung erst im März 2012 statt, hier als Reaktion auf eine Volksinitiative (das lokale Parlament hatte das Fusionsprojekt zuvor gestoppt). Die Gemeinderäte von Emmen und Ebikon empfehlen den Stimmberechtigten ein Ja, die Exekutiven von Kriens und Adligenswil dagegen machen sich für den Ausstieg ihrer Gemeinden aus dem Fusionsprojekt stark. Über allfällige Fusionen wird erst dann definitiv entschieden, wenn die Fusionsverträge vorliegen.

würde, oder die demokratische mitsprache für alle in einem grossraum, in dem sich die stadtluzerner wie die agglos längst geschmeidig und grenzenlos bewegen.

Vollständige Gemeinde mit spitzenleistungen

solche argumente gleichen Wolkenschiebereien in einem land, das freiheit und identität von unten her definiert. Wer durch die Wohnquartiere von kriens streift, kann sehen, dass die menschen hier im Einklang mit sich leben und mit dem ort, in dem sie wohnen: Jedes haus, jeder garten ist, ganz anders als in littau oder Emmen, zurechtgemacht und herausgeputzt. offen- bar gibt es in kriens eine grosse identifikation mit dem terrain, das man besiedelt, auch wenn man auf diesem terrain vor allem schläft. Und das stimmt ja nicht einmal: kriens macht gute ange- bote, notabene für die ganze region – in der kultur (museum im Bellpark) ebenso wie im sport (schwimmbad, sC kriens). auch dies unterscheidet diese gemeinde von littau, Emmen oder Ebi- kon. kriens besteht als vollständige gemeinde, und über spitzen- leistungen in der industrie, in der kultur oder im sport macht sie immer wieder angebote zur identifikation. man ist ausser sich, wenn der lokale fussballclub den fC luzern besiegt. Und man ist überzeugt, den originelleren fasnachtsumzug zu stellen als die luzerner grinden.

im Unterschied zu anderen gemeinden der agglomeration hat sich kriens im Zuge der Verstädterung einige rituale und symbo- le erhalten, die noch heute für die Dorfgemeinschaft stehen, die kriens längst nicht mehr ist. Es waren ja gerade die Zuzüger der ersten hälfte des 20. Jahrhunderts, die kriens zur hochburg von Brauchtum und folklore machten und zu einer gemeinde von enormer Vereinsdichte. Diese Vereine, aber auch die gallizunft funktionieren bis heute als «kriensermacher» und damit auch als integrationsforen für Zugewanderte. Der freisinnige krienser ge- meindepräsident otto schnyder hatte 1970 gewarnt vor der ano- nymität in einer Vorstadt, die damals damit rechnete, bald 50'000 Einwohner zu haben. Er rief die Bevölkerung auf, auf die neuen mitbürger zuzugehen, denn: «Damit hat die Einpassung bereits begonnen. mit takt und dem nötigen gefühl für das mass kann sie weitergeführt und vollendet werden. Damit ist wieder ein mensch der anonymität entzogen worden.»

krienser sepatarismus

man kann heute über solche Worte lachen, aber man muss auch konstatieren: in kriens hat die integration weitgehend funktioniert. Das heisst aber auch: Um sich im Zuge der Verstäd- terung nicht zu verlieren, begann kriens wie keine andere ge- meinde rund um luzern, das Eigene, oder, wenn man so will: das Dörfliche zu betonen. Diese Dörflichkeit existiert abgekoppelt von der suburbanen lebensrealität der krienser, ist darum aber nicht weniger wirksam, wenn es darum geht, Eigenheit zu mar- kieren. hilar stadler spricht von einem «krienser separatismus», der sich gut erhalten habe und der sich nicht nur im spiel auf der halszither und im fasnachtstreiben zeige, sondern gelegentlich auch in spektakulären politischen aktionen, in denen man sich von der stadt und vom kanton luzern absetzt. Die spektakulärste

fand 1963 statt: Es war der marsch vors kantonale regierungsge- bäude, in dem über 2000 krienser erfolgreich gegen die drohende Überbauung der Wiese unterhalb des krienser schlösslis demons- trierten.

Der historiker Jürg stadelmann bezeichnet diesen marsch als

«gründungsakt des heutigen krienser selbstverständnisses». Und der schriftsteller heinz stalder, 1967 nach kriens gezogen, er- zählt, wie «den kriensern heute noch die tränen kommen, wenn sie von der schlössli-Demo erzählen. Wie sie nach luzern mar- schiert sind und wie sie später an einem Bazar ihre Bastelarbeiten verkauft haben, um mit dem Erlös die möblierung des schlösslis zu finanzieren.» Es war nicht das letzte mal, dass kriens gegen stadt und kanton luzern kämpfte, denen man in kriens noch heute gelegentlich wie einer obrigkeit und also mit dem entspre- chenden abgrenzungsbedarf begegnet. in den 80er-Jahren war es der kampf gegen eine vom kanton geplante hochleistungsstrasse durch das krienser tal, der den Widerstand mobilisierte. in den späten 90ern jubelte man über die glorreichen siege des sC kriens über den fC luzern in der obersten schweizer fussballliga.

Vereine, zunft und kleingewerbe

mit dem separatistischen Erbe spielen die krienser gegner der fusion heute raffiniert. kein Wunder, ist ihr anführer doch jener alexander Wili, rechtsanwalt und Erzfreisinniger, der 1963 schon die schlössli-Demo organisiert hatte. ihm folgt getreu der typische krienser Dorfersatz aus Vereinen, Zunft und kleingewerbe. Der rekrutiert sich zwar vor allem aus der fDP und neuerdings auch aus der sVP, ist aber doch überparteilich und damit jederzeit als

«Bürgerinitiative» mobilisierbar. Zum Beispiel gegen das Verbot der krienser fasnacht, gegen die Überbauung der Wiese unter- halb des schlösslis oder sogar des gesamten sonnenbergs – alles Dinge, welche die stadt luzern nach einer fusion angeblich im schilde führt. «als bodenständiger krienser», so alexander Wili,

«ist man gegen eine fusion.»

gut möglich, dass dieser rückgriff auf den «krienser separa- tismus» am 27. november verfängt. Zumal, wie gesagt, viele kri- enser die Vorteile eines fusionsdeals nicht recht sehen. fast scheint es, dass nur die aktuelle schieflage im krienser finanz- haushalt den Befürwortern einer fusion helfen kann. Was für ei- ne ironie: hat diese not ihren Ursprung doch in der steuersen- kungspolitik ausgerechnet der fDP und sVP, der vehementesten fusionsgegner.

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freiraum

industriewohnen und Geld in die kasse

neben dem grossgebiet luzern nord, einer zukünftigen stadter- weiterung über den seetalplatz, ist der stadtteil zwischen hallen- bad und geissensteinring wohl das grösste innerstädtische ge- biet, wo in kommenden Jahrzehnten eine starke Entwicklung möglich ist. Die früheren Entwicklungsschwerpunkte heissen heute schlüsselareale, zu denen auch der steghof gehört. in die- sem gebiet wird in verschiedenen Etappen unabhängig vonein- ander eine Überbauung realisiert. Das Baufeld an der industrie- strasse gehört der stadt, deshalb soll hier der startschuss für den neuen stadtteil steghof fallen.

Der stadtrat lancierte vergangenen februar einen Wettbewerb für architekten und investoren. für eine gute Durchmischung von Wohnen und arbeiten wurde neben mietwohnungen auch ein anteil an Dienstleistungs- und gewerbeflächen vorgegeben.

Weil, so Baudirektor kurt Bieder, in den nächsten Jahren vor al- lem in der nachhaltigkeitsdimension Wirtschaft nachholbedarf bestehe und nirgends grössere arbeitsplatzflächen bestünden, sollte zudem für die ansiedlung von grösseren firmen eine zu- sammenhängende fläche von 4000 bis 5000 Quadratmetern er- stellt oder zumindest baureif gemacht werden.

eisenbahnbäume im innenhof

Ein Bieterteam aus der allreal generalunternehmung Zürich, den rüssli architekten luzern und robert gissinger, land- schaftsarchitekt luzern, hat den Wettbewerb gewonnen. ihr sie-

an der industriestrasse soll der neue Stadtteil Steghof seinen anfang nehmen – das Projekt ist erkoren. Wär flott, wenn darin auch bezahlbarer Platz für den schwindenden Kulturraum gefunden würde.

Von Tino Küng

gerprojekt «Urban industries» fasst mit drei l-förmi- gen Baukörpern einen innenhof ein, der durch meh- rere verschiebbare Bäume in «Eisenbahntrögen» auf schienen geprägt wird – als reverenz an das geleisela- ger der Eisenhandlung stocker, die urzeitig diesen Platz nutzte. Ebenso erinnern die sheddächer an alte industriearchitektur und ermöglichen zugleich den optimalen Einsatz von fotovoltaik-Panels.

Das gesamtschweizerische interesse an diesen in- nerstädtischen Parzellen war gross: 25 hochwertige Projekte gingen ein. Überblickt man sämtliche Wett- bewerbseingaben, kann man der Jury respekt zollen – mit den sieben rangierten Projekten und dem daraus erkorenen sieger hat sie ihre arbeit gut gemacht. Die toprangierten Eingaben passen mit guten städtebauli- chen lösungen und stimmiger architektursprache ins Quartier; mondäne grossstadtprojekte und beliebige lösungen, die überall auf einer gleich grossen fläche stehen könnten, blieben aussen vor. leider auch die drei Einga- ben, die das alte käselager an der Ecke industrie-/Unterlachen- strasse stehen lassen wollten (als option in der Wettbewerbsaus- schreibung) – da wären halt doch zu viele kompromisse nötig gewesen, sodass die gesamtlösung darunter litt.

2013 passierts!

Und wenn schon leider: Wenn die stadt im nächsten Jahr das areal für 18,7 millionen franken (das beste angebot) verkauft, können nach der Baueingabe 2013 die Bauarbeiten beginnen.

spätestens dann werden auch die alten häuser an der industrie- strasse mit ihrem kreativen innenleben verschwinden. nicht in den Dimensionen von frigorex und la fourmi – aber einmal mehr.

ironischerweise berichtete just nach der medienorientierung zum Wettbewerb industriestrasse der «tages-anzeiger» vor ei- nem monat über Zürichs Umgang mit den kreativen. Unter dem titel «Das Basislager zieht neben sexboxen und asylunterkunft ein» war zu vernehmen, dass der Zürcher stadtrat das Container- dorf für kreative (an der Binz) kaufen und nach altstetten verle- gen will. Zugegeben: luzern ist nicht Zürich. aber scheinbar sind in beiden städten die möglichkeiten von fluchten in andere zahl- bare objekte am Versiegen und neue lösungsansätze anzuden- ken – denn ohne kreativboden vermag auch die nachhaltigkeits- dimension Wirtschaft nicht in voller Blüte aufzuspriessen.

Durchmischung von Wohnen und arbeiten – das siegerprojekt «Urban industries». Visualisierung: zvg

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freiraum

Man rieb sich die Augen: Hatte die Stadt Luzern gar nichts aus dem Boa-Debakel gelernt? Da plante Emmi – im Einverständnis mit der Stadt Luzern – in unmittelbarer Nachbarschaft des Thea- terpavillons und des Treibhauses zwei neue Geschäfts- und Wohn- häuser, und alle Involvierten sprachen bla, bla, bla, das geht dann schon gut. Dabei musste die Boa exakt aus diesem lärmtechnisch heiklen Nebeneinander von Eigentumswohnungen und Kulturbe- trieb den Kürzeren ziehen. Das Debakel war auch an der Theater- Treibhaus-Meile vorprogrammiert. Während die Frage erlaubt war, wie weit Stadträte vernetzt denken können, reichten die Lu- zerner Spielleute (Theaterpavillon) – neben andern – eine Be- schwerde ein. Zum Glück.

Denn jetzt scheint alles gut. Aufgrund des Drucks haben sich die beteiligten Parteien an einen Tisch gesetzt und eine Lösung ausge- handelt, um potenzielle Konflikte zwischen den ungleichen Nach- barn – hier Bedürfnis nach Ruhe, dort Bedürfnis nach Lust und Leben – möglichst zu vermeiden. In einer Vereinbarung und ei- nem Dienstbarkeitsvertrag wird festgehalten, dass Personen, die in der neuen Überbauung wohnen oder arbeiten werden, Lärmim- missionen des Treibhauses und des Theaterpavillons zu dulden haben, wenn diese die gesetzlichen Vorgaben nicht überschreiten.

Diese Duldungspflicht wird sogar im Grundbuch eingetragen.

Auch muss Emmi mit baulichen Massnahmen dafür sorgen, dass mögliche Konflikte minimiert werden. Umgekehrt verpflichten sich der Theaterpavillon und das Treibhaus, Ruhe und Ordnung einzuhalten. Darin werden sie auch von der Stadt unterstützt.

Für den Fall, dass es trotzdem zu Reklamationen kommt, wird ei- ne Schlichtungsstelle eingerichtet. Sollte auch dann keine Eini- gung erzielt werden, kann ein Gremium mit je einem Vertreter der Stadt, der Spielleute und der Stockwerkeigentümerschaft Lärm- schutzmassnahmen bei den beiden Betrieben veranlassen. Deren Kosten werden auf maximal eine halbe Million Franken ge- schätzt, die von Stadt und Stockwerkeigentümerschaft je hälftig getragen würden. Aufgrund dieser Vereinbarungen haben die Lu- zerner Spielleute ihre Einsprache zurückgezogen und auch die an- dern Einsprecher dahingehend bewegt, dies zu tun. So konnte der Stadtrat am 28. September das Baugesuch von Emmi bewilligen.

Ende gut – alles gut? Das wird sich spätestens im Ernstfall weisen.

Papier ist Papier, aber die Absicht ist hehr und das Resultat viel- versprechend. Die gemeinsam am runden Tisch erarbeitete Verein- barung darf als bemerkenswert und als dienlich für ein gutes künftiges Nebeneinander bezeichnet werden. Die Stadt und Emmi geben zum Ausdruck, dass in der Stadt auch gelebt und gefeiert werden kann, während sich die Kulturhäuser bemühen, dass die Emissionen von ihrer Seite in Grenzen gehalten werden. Es wäre ein möglicher Weg, um dereinst auch eine Frigorex als Kultur- raum im urbanen Umfeld zu behalten und akzeptabel zu machen.

Dafür fehlt nur noch der Wille der Stadt, dies bei Jost Schumacher mit aller Hartnäckigkeit und Diplomatie anzumelden.

Pirmin Bossart

Vielleicht haben Emmi, Theaterpavillon und die Stadt Luzern für ein weniger konfliktträchtiges Kulturleben in der innenstadt ein gangbares Modell erfunden.

Vielleicht.

Widerstand nützt

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freiraum

Ein klärendes Gespräch rund um kulturellen Freiraum mit zwei Exponenten der aktivistenszene.

Von Pirmin Bossart

«Wir machen ungenutztes nutzbar»

ihr setzt euch für mehr freiraum ein, was für räume meint ihr damit?

alex*: räume, die nicht vordefiniert sind und in denen man sich ausleben kann, die man selber gestalten und verwalten kann.

chris*: für mich ist freiraum ein ort, der frei ist von konsumzwang und leistungs- denken. Es herrscht eine kultur des mit- einanders und der toleranz. meinungsver- schiedenheiten werden durch Diskussio- nen gelöst. Dies sind haupteigenschaften eines freiraums.

Und solchen freiraum gibt es in luzern nicht?

alex: Es gibt kleinere Projekte und ni- schen, in denen immer wieder etwas ent- steht und läuft, teilweise auch im öffentli- chen raum. Ein Zentrum aber fehlt. Wer etwas veranstalten will, eine kleine aus- stellung, ein konzert oder eine Diskussi- onsrunde, muss zuerst einen geeigneten ort suchen.

chris: Eine Eigenschaft von einem frei- raum muss auch sein, dass er über längere Zeit besteht. Es braucht konstanz, damit Dinge wachsen und Platz ist für spontanei- tät.

Was sind das für menschen, von denen ihr sprecht? Wer kommt zu kurz mit freiraum in luzern?

chris: letztlich hat jeder mensch das recht auf einen ort, an dem er sich wohl und frei fühlt und sich ausleben kann. Was

fehlt, sind orte, an denen menschen auch willkommen sind, wenn sie nichts mit geld anfangen können oder wollen. Es geht darum, dass man zum Ziel nicht Pro- fit haben muss. oft bestimmt die frage, ob man die miete bezahlen und zudem noch etwas geld zur seite legen kann, das Den- ken. ich wünsche mir einen raum, in dem man nicht ans geld denken muss.

Was sind denn eure ansprüche an einen raum oder eine liegenschaft?

chris: an das gebäude haben wir nur sehr wenig ansprüche, hauptsache, es gibt irgendetwas. Wir haben schon verschiede- ne gebäude für kurze Zeit belebt ...

Das geissmättli?

chris: Zum einen, später den adlerhorst an der haldenstrasse. Das sind ganz ver- schiedene gebäude, die im moment ideal waren.

Wie stellt ihr euch ein Zentrum ohne geld vor? müsste man dieses erwerben, müsste die stadt euch ein haus geben?

alex: Die Wahrscheinlichkeit, dass die stadt uns ein haus schenkt, ist relativ ge- ring ...

chris: Was aber eigentlich ihre Pflicht wä- re ... Wir sind teil der stadt. sie müssen damit umgehen, dass leute hier leben, die nichts von Profit halten.

Der Wunsch, im stadtzentrum zu bleiben, wird von der realpolitik insofern verhin- dert, dass da nur sogenannt rentable und wertschöpfungsintensive Betriebe angesie- delt werden. Erträgt denn diese teure Zone noch freiraum?

alex: also «freiraum ertragen» klingt so, als wäre es eine Belastung. ich finde, der gehört einfach da hin. Jeder mensch, der hier wohnt, hat ein recht auf die stadt und auf seinen Platz. Die Behörden sehen alles unter einem wirtschaftsorientierten Blick- winkel – die stadt als standortfaktor. für uns ist die stadt ein ort des Zusammenle- bens. menschen sind nicht wirtschaftliche ressourcen, sondern menschen, die hier sind und Bedürfnisse haben – das muss im Zentrum der stadtentwicklung stehen. ich plädiere hier sehr gerne für eine soziale stadt.

chris: Viele ideen, die später in die Upper- class-kultur Eingang gefunden haben, entstanden an unreglementierten orten.

luzern hat eine kunsti, mit der sie sich

«Ja, wir können

uns vorstellen, was

ihr wollt, aber das

ist jetzt halt einfach

nicht möglich.»

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freiraum

brüstet, gleichzeitig entzieht sie diesen leuten stück für stück das Umfeld, in dem sie inspiration suchen und holen.

aber man kann ja nicht einfach nur kul- tur machen und soziale gruppen zufrie- denstellen, es muss geld da sein.

chris: Das ist diese realismusdiskussion.

Ein ort, der keinen Profit bringt, tut stadt und Wirtschaft nicht weh. ich finde es le- gitim und nötig, mit der logik des kapita- lismus zu brechen. Wenn wir das nicht einmal bei – vorerst – einem lausigen ge- bäude hinkriegen, sind wir genau in dieser realo-Polito-Diskussion gefangen.

alex: Ein Bruchteil der subventionen für das kkl würde reichen, um ein supertol- les kulturzentrum zu finanzieren. aber es geht ja auch um günstigen Wohnraum.

immer mehr menschen können die stets steigenden mieten nicht mehr bezahlen und werden aus der stadt gedrängt.

gibt es Beispiele für eine freiraumkultur, die in etwa erfüllt, was ihr euch für luzern vorstellt?

chris: in Bern existiert die reitschule schon seit 20 Jahren und ist ein extrem wichtiger ort für viele menschen. sie er- füllt ziemlich genau, was wir fordern. Zü- rich hat eine tradition für Zwischennut- zungen, die ziemlich gut funktioniert.

alex: Ein Vorbild ist hamburg mit dem gängeviertel und der flora, wo die ganze

«recht auf stadt»-Bewegung gross und er- folgreich ist. Es ist nicht die stadt einer re- gierung, sondern jene der leute.

ist das in luzern nicht der fall?

alex: Es wird überhaupt nicht auf unsere anliegen eingegangen. Wir haben verhan- delt und gespräche geführt. Das ist an- strengend und hat bis jetzt zu nichts ge- führt. Wir wurden auf die lange Bank ge- schoben und vertröstet. Vielfach wurde gesagt: «Ja, wir können uns vorstellen, was ihr wollt, aber das ist jetzt halt einfach nicht möglich.» Was schlicht nicht stimmt, die stadt ist nicht so voll, dass es keinen flecken mehr gibt, den man für einen freiraum nutzen könnte. Wir müssen mehr auf Eigeninitiative setzen und uns den Platz nehmen. Das ist sinnvoller – oder ökonomisch gesagt effizienter.

hausbesetzungen sind also ein gängiges mittel, um euren anspruch zu markieren?

alex: Wir sprechen über räume, die leer stehen. Es ist nicht so, dass wir einen raum klauen oder jemandem etwas wegneh- men. Wir machen Ungenutztes nutzbar.

stichwort gentrifizierung, was gibt es da zu sagen?

alex: gentrifizierung ist ein Begriff, der in der letzten Zeit aufgekommen ist. ich verstehe es hauptsächlich als einen Ver- drängungsprozess durch aufwertung.

stadtteile werden durch sogenannte krea- tivmilieus aufgewertet. mit der folge, dass die leute, die eigentlich dort gewirkt ha- ben, nicht mehr dort sein können.

chris: Es ist nicht wirklich steuerbar. Die Baselstrasse ist ein gutes Beispiel, wo men- schen mit migrationshintergrund woh- nen. Jetzt kommen immer mehr studis, weil es billig und so schön multikulti ist.

Wenn sie dann ihr studium fertig haben, bezahlen sie gerne ein bisschen mehr mie- te als eine migrantenfamilie.

luzern wird grösser gedacht. kriens und littau sind nur wenige kilometer vom stadtzentrum weg. Vielleicht müsste man dort die Pflöcke einschlagen?

alex: im Vergleich zu grösseren städten wie Zürich ist das wirklich sehr kleinräu- mig. sobald man etwas verdrängen kann, muss man luzern grösser denken – in Em- menbrücke hat es ja noch Platz. geht es aber um sachen, die dem sauber geordne- ten tourismusimage entsprechen und geld bringen, wird luzern sehr klein gedacht, dann ist das genau das seebecken. Zum

Beispiel die salle modulable, die genau dort stehen muss.

aber wenn sich in kriens oder littau et- was ergibt, kann man doch versuchen, da eine Bewegung wachsen zu lassen. Wäre das nicht wertvoller, als auf stur zu ma- chen?

alex: Es ist mir lieber, dass man endlich irgendwo anfangen und es entwickeln las- sen kann, anstatt immer nur kurze Projek- te durchzustieren. Vielleicht wäre es sinn- voll, hier nachzugeben, mit dem resultat, etwas langfristiges zu haben.

chris: aber ein solches Projekt lebt davon, dass man sich spontan entscheiden kann und nach der arbeit, vor dem ausgang vor- beigeht. Bis diese mentalität ins laufen kommt, braucht es in der Peripherie viel Zeit. Ein zentraler standort ist wichtig, dass sich möglichst viele menschen beteiligen.

ich werde nicht aufgeben ...

* Namen geändert (der Redaktion bekannt). Die Ant- worten entsprechen ihrer persönlichen Meinung.

«Also ‹Freiraum ertragen› klingt so,

als wäre es eine Belastung. Ich finde,

der gehört einfach da hin.»

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Jeder hat sie, sie begleiten uns durchs le- ben. sie bedecken, sie decken auf. sind sie überholt, werden sie durch neue ersetzt. Es ist nicht, dass sie uns angeboren wären – nein, sie konstituieren uns, nach Zeit und ort in verschiedenem ausmass. Dort, wo sie sich verdichten, droht Uniformität.

nun, Vorurteile und kleider – es liegt auf der hand – unterliegen moden.

mögen bei manchem geneigten leser die stichwörter mode und kleider Vorur- teile als spontane reaktion hervorrufen:

oft werden leute, die sich mit mode befas- sen als – nomen est omen – oberflächlich bezeichnet. Dies geschieht zum leidwesen derjenigen, die kleider entwerfen, stoffe schneiden, nähen, bügeln und zig Einzel- teile zu ganzen kleidungsstücken verei- nen. sie sind es, welche die allenthalben spriessenden modeblogs und lifestyle-Bei- lagen erst möglich machen.

Dass die schneiderei in erster linie ein unprätentiöses hand- werk ist, beweisen anna De Weerdt und markus Elmiger, die nun seit bald zwei monaten an der Bruchstrasse 45 in luzern ein schneideratelier mit angehängtem laden betreiben. «treger van De Weerdt» heisst ihr erstes kind. Unter diesem namen – eine anspielung auf den Ursprung ihrer gemeinsamen tätigkeit, die Produktion von hosenträgern, die sie bis anhin vorwiegend über das internet verkauft haben – betreiben sie heute eine Boutique.

am anfang stand die suche nach einem passenden atelierraum, gefunden haben sie ein atelier mit Verkaufsfläche. Dort verkau- fen sie nebst den trägern die kleiderlinie «Van De Weerdt» – ein kleines, aber feines sortiment, das mit ausgesuchten labels er- gänzt wird.

preisbewusstsein wecken

Dabei dienen die 1920er- bis 50er-Jahre als inspirationsquelle:

Die hohen Qualitätsstandards von damals sollen mit den ansprü- chen des heutigen alltags kombiniert werden. Ziel ist nicht eine plumpe neuauflage von altem, sondern eine zeitgemässe und äs- thetisch überzeugende interpretation. hochwertige materialien wie seide und Cashemere, aber auch Wollstoffe werden in zeit-

anna De Weerdt und Markus Elmiger verbinden hochwertige Materialien und altes Schneiderhandwerk. Produziert und verkauft werden Hosenträger und Kleider in ihrem neuen Geschäft.

Von Aurel Jörg, Bild Daniela Kienzler

raubender schneiderarbeit zu klassisch geschnittenen kleidern gefertigt – bis jetzt von der Damenschneiderin De Weerdt alleine.

Verhältnismässig preiswerte Couture soll dabei entstehen. Wich- tig ist dem Duo, bei den kunden das Bewusstsein für die Entste- hung eines kleidungsstückes zu wecken. konsequenterweise sind Verkaufsraum und eigentliche Wirkungsstätte kaum getrennt;

interessierte erhalten so ungeniert einen Blick hinter die kulis- sen. Elmiger betont, man nehme schnell viel geld für einen handwerker in die hand. für die Qualität der materialien und die schneiderarbeit, die in einem manuell gefertigten kleidungsstück stecken, sei das Preisbewusstsein hingegen komplett abhanden gekommen, ergänzt seine freundin De Weerdt.

im gespräch merkt man schnell, nur ums geld geht es den beiden nicht. Vielmehr ist es das Wagnis, einer Berufung in eige- ner regie zu folgen. Elmiger, der für die administration zustän- dig ist (und nebenbei als geschäftsführer beim Zuger radio in- dustrie arbeitet), meint, vieles soll spontan je nach geschäftsgang, Bedürfnis und lust entstehen. geplant ist, im kommenden Jahr nähkurse anzubieten. Die idee ist nicht aus betriebswirtschaftli- chen Überlegungen entstanden: Vielmehr hätten zahlreiche Be- kannte bereits nach einem solchen kurs gefragt.

unprätentiöses handwerk

markus Elmiger und anna De Weerdt in ihrem atelier, das auch Boutique ist.

aktuell

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ihr habt PinkPanorama vor zehn Jahren mitbegründet. Wie kam damals die idee für ein schwullesbisches festival in luzern zustande?

christina niederer: mit Pink apple in Zürich und Queersicht in Bern gab es vor uns schon zwei schwullesbische filmfesti- vals in der schweiz, doch die mobilität zwischen den städten blieb jeweils relativ klein. Wir wollten hier in der Zentral- schweiz einen eigenen ort schaffen, wo wir kontinuierlich schwullesbische filme

Das LesBiSchwule Festival PinkPanorama feiert dieses Jahr sein 10-Jahre-Jubiläum. Die Programmmacherinnen Christina

Niederer und Peter Leimgruber erzählen im interview, welche Themen sie bewegen und wo PinkPanorama heute steht.

Von Martina Egli, Bild Georg Anderhub

zeigen können. Einmalig ist dabei wohl, dass wir durch Peters funktion als leiter des stattkinos von Beginn an über eine passende Plattform verfügten.

peter leimgruber: Unser grosser Vorteil war dabei auch, dass im stattkino von an- fang an finanzielle mittel vorhanden wa- ren, um schwule und lesbische filme zu zeigen. gleichzeitig können wir einige der filme, die fürs festival programmiert sind, jeweils auch ins normale Programm über- nehmen.

«das ist hardcore»

im Zentrum von PinkPanorama steht die lesbisch-schwule kultur. Erreicht ihr da- mit auch ein heterosexuelles Publikum?

niederer: Die idee hat Bestand, unser festivalprogramm für ein breiteres Publi- kum, wenn man so will für ein heteropu- blikum, zu öffnen. Es gibt jedoch verschie- dene gründe dafür, dass wir dieses Ziel bisher nicht erreicht haben. Einerseits wa- ren wir in den medien jeweils nur spora- disch. anderseits ist PinkPanorama mit rund zwanzig Programmfilmen pro Jahr

Peter leimgruber und Christina niederer blicken zurück auf zehn Jahre PinkPanorama.

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aktuell

ein vergleichsweise kleines festival, dem- entsprechend richtet sich unsere auswahl auch an ein relativ kleines Publikum.

leimgruber: aber man kann dieselbe Be- obachtung sowohl in luzern als auch in anderen städten machen: an lesbisch- schwulen festivals finden sich im Publi- kum hauptsächlich schwule, lesben und einige transgender. man bleibt in lesbisch- schwulen filmen mehr

oder weniger unter sich.

Eine gute ausnahme hat vor einigen Jahren die hollywood-Produk- tion «Brokeback moun-

tain» bewiesen, die mit der geschichte von zwei schwulen Cowboys ein breites Publi- kum erreichte. Da hat wohl der topos Wil- der Westen die Brücken geschlagen.

im mainstream-kino werden schwule und lesben ja oft zu klischeecharakteren stilisiert.

leimgruber: Es ist für uns o. k., dass es im mainstreamkino und den soapoperas den Quotenschwulen und die Quotenlesbe gibt, doch darum geht es uns hier nicht.

Wir gehen mit PinkPanorama und unse- rem kinoprogramm in die andere rich- tung. Wir wollen schwule und lesbische filme mit einer eigenen künstlerischen aussage, einer eigenen sprache zeigen – auch anspruchsvolle filme, schockierende filme. als leiter des stattkinos weiss ich, wie schwierig es ganz allgemein ist, dem Publikum anspruchsvolle filme schmack- haft zu machen. heute sind die sehge- wohnheiten der meisten leute von den massenmedien, vom Privatfernsehen ge- prägt.

niederer: Zudem sind wir als homosexu- elle wirklich eine minderheit. Diese min- derheit aufzurütteln und abzuholen ist wahnsinnig schwierig. Denn wir haben politisch schon viel erreicht, wir haben ei- nen extremen schritt nach vorne gemacht.

gleichzeitig muss ich sagen: Wir sind noch nirgends. Die lesben und schwulen, die sich mit Cheminee, Beamer und sofa ge- mütlich zu hause einrichten, sollte man unbedingt wach behalten für die Proble- me, die nach wie vor bestehen.

Wie zeigt sich dies in eurer Programmie- rung?

niederer: Wir wollen unterschiedliche lebensentwürfe, aber auch politische situ- ationen von lesben und schwulen thema- tisieren. homosexualität wird nach wie vor in über 70 ländern als Delikt geahndet und strafbar gemacht. Dokumentarfilme wie auch spielfilme von ausländischen re- gisseurinnen und regisseuren führen uns diese situation vor augen. Da muss ich oft

leer schlucken, wenn ich sehe, was 2011 noch mit schwulen und lesben passiert.

Das ist hardcore.

leimgruber: im kleinen bestehen viele Problemherde auch hier noch: von homo- phoben äusserungen über Diskriminie- rungen bis zu körperlicher gewalt. Ein Coming-out ist auch in der schweiz noch lange keine selbstverständliche sache, da- her wollen wir auch die sozialen Dimensi- onen der lesbischen und schwulen lebens- führung immer wieder aufzeigen. Die filme, die wir in unser Programm aufneh- men, müssen uns betreffen, auch wenn es nicht um unsere eigene Welt geht. Wenn wir einen film über männliche Prostituti- on zeigen, dann ist das relativ weit weg von mir oder von uns. aber es ist ungeheu- er wichtig, solche filme und themen auf- zugreifen.

«Brokeback mountain», «la mala educati- on», «milk», «a single man» – in der film- welt scheinen schwule besser vertreten zu sein als lesben. Wie ist das Verhältnis zwi- schen lesbischen und schwulen filmen?

leimgruber: Wir leben nach wie vor in einer von männern definierten gesell- schaft. Das zeigt sich auch darin, dass schwule gegenüber lesben oft besser orga- nisiert und vernetzt sind. schliesslich zeigt sich das auch in der Programmierung:

Christina hat etwas mehr schwierigkeiten, an die filme für das lesbische Programm zu kommen.

niederer: Peter kriegt die filme für das schwule Programm in den meisten fällen via filmverleiher. in der lesbischen film- szene hingegen muss man öfters auch di- rekt bei den regisseurinnen anfragen. Vie-

le frauen haben keine Produktionsfirma und weniger finanzielle mittel, um ihre filme zu drehen. Das spiegelt sich natür- lich auch in der Breite und der Qualität der angebote wider. allerdings gibt es inzwi- schen schon deutlich mehr filme im lesbi- schen Bereich als zu unserem festivalstart vor zehn Jahren.

Was sind die Pläne für die Zukunft von PinkPanorama?

niederer: Wir kommen bald zu einem Punkt, wo wir uns entscheiden müssen:

grösser werden oder klein bleiben. Es wür- de uns natürlich freuen, hätten wir mehr Publikum und volle säle, eine ganze Wo- che lang. gleichzeitig haben wir mit die- sem Programmumfang die möglichkeit, uns auf das zu reduzieren, was wir auch wirklich zeigen wollen. Uns ist wichtig, dass dies filme sind, in denen wir uns als lesben und schwule anders erkennen als in mainstreamfilmen. Daher ist es auch eine realität, dass PinkPanorama unge- fähr in diesem grössenrahmen bleiben wird: ein kleines, feines, spezielles festival.

20 Filme und ein Konzert

meg. Vom 3. bis 9. November sieht man im Bourbaki Panorama pink: Das LesBiSchwule Festival PinkPanorama feiert dieses Jahr sein 10-Jahre-Jubiläum. Ein vielseitiges Programm aus zwanzig lesbischen und schwulen Filmen, zusammengestellt von Christina Niederer und Peter Leimgruber, erwartet die Zuschauer. Die Filmauswahl dokumentiert unterschiedlichste Perspektiven von Homosexualität und Queer:

etwa vom Mädchen, das lieber ein Junge wäre («Tomboy»), von der Unterdrückung schwuler Männer in Ägypten («All my Life»), von einer indischen Filmemacherin, die nach elf Jahren erstmals wieder in ihre Heimat zurückkehrt («I AM») oder von Homosexualität in der Rap- perszene («Off beat»). In je eigener Bildspra- che drücken die insgesamt zwanzig Spiel- und Dokumentarfilme einerseits aus, was eine ge- sellschaftliche Minderheit beschäftigt, werfen zugleich aber auch gesellschaftspolitische Fra- gen auf, die ebenso eine Mehrheit betreffen.

Für Diskussionen steht täglich ab 18 Uhr die PinkBar offen. Am 5. November gibt zudem der renommierte Schwule Männerchor Zürich – bekannt unter dem Kürzel schmaz – im Süd- pol ein Jubiläumskonzert.

Programm im Kulturkalender (Seite 52) www.pinkpanorama.ch

«Wir leben nach wie vor in einer von

Männern definierten Gesellschaft.»

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Buchmesse

frischer Wind aus nord-süd

oder Begegnungen mit abwesenden

MC Graeff schlendert über die Buchmesse Frankfurt, findet weder Hot Spots noch geheime Ecken und schreibt folglich abermals am Thema vorbei.

Vorab: Den anwesenden luzerner Verlegern und autorinnen geht es gut, sie lassen grüssen, werden aber aus Platzgründen nicht weiter erwähnt.

Das war es wieder: 7384 aussteller aus 106 ländern, 3200 Veran- staltungen mit etwa 280'000 Besuchern … in Zeiten der Energie- sparlampen kein schlechter auftrieb für hotlist-titel wie «Bleib, wie du bist», «Wie wir werden, was wir waren», «Wie wir endlich werden könnten, was wir nie werden wollten», «Wie wir würden, was wir sollten, wenn wir müssten» und derlei mehr. am stand von Philo fine arts finde ich meine Wunsch-messemotti: «Die lust am Unseriösen» (sie fehlt inzwischen leider fast ganz …),

«Praktiken des sehens im felde der macht» (… genau wie die ei- gentlich wohlverdiente alters-Weitsicht als ausgleich der media- len kurzsichtigkeit), «immer radikal, niemals konsequent» (eine Dokumentation über den berüchtigten, stets konkursen märZ- Verlag) und «Derrida ist nicht zu hause. Begegnungen mit abwe- senden». (Eben: am stärksten definiert sich diese messe durch all die, welche nicht mehr dabei sind und all jene, die nächstes mal nicht mehr kommen wollen.) Und «merve oder Was war theo- rie?» – solche titel kann man heute nur noch mit einem starken financier drucken lassen; den hat der Verlag. Doch es heisst, er wolle das Projekt nun in die gewinnzone bringen. Das ist bitter, denn dann wird auch er bald abwesend sein.

auf dem hof neben dem zweitgenutzten audi-Pavillon der iaa («Vorsprung durch technik» wird zum schicksalsspruch der literatur) übt die ultraorthodoxe mangajugend Pornoposen fürs multichanneling. in der wunderschönen island-halle saufen die nordländer, bis die lesebrillen beschlagen. Dazwischen schnat- tert das heer der Pinguine über die Elektronisierung des lesens.

nein, des Vertreibens, doch nicht der Zeit, sondern des Produkts.

Das «Börsenblatt des Deutschen Buchhandels» wildert im Werk von tomas tranströmer und klabustert den lyrischen opener:

«Die mutlosigkeit unterbricht ihren lauf». Das bringt Zwischen- wind fürs Weihnachtsgeschäft, in dem man noch einmal – das E- Book nimmt durch marktbesetzung mit sackgassentechnologie rapide zu, aber die massentendenz heisst: abwarten – ganz auf das P-Book setzen wird. Die Branche ist tot, es lebe die Branche. Es gibt einen neuen E-Book-literaturaward, und (das Erstaunen ist der skandal) es haben sich sogar echte autoren daran beteiligt.

Die formen haben den inhalt längst besiegt; die Büchse macht den fisch, die Dose ist teurer als der keks. Die Entwickler propa- gieren das «reading on demand»: Zahle nur für das, was du vom gekauften Buch wirklich gelesen hast. im breiten markt ist dieser anteil bekanntlich nicht sehr hoch; die nur gekauften, aber unge- lesenen und die lediglich angelesenen Werke werden immer in

der Überzahl sein. Das muss die autoren der Zukunft nicht son- derlich ärgern, denn sie sind in diesen modellen als Empfänger von gegenwerten ihres schaffens sowieso nicht mehr vorgese- hen.

messegeplauder am Würstchenstand 3: Die ghostwriter erle- ben beruflichen aufschwung und dank allen Bohlens und zu guttenbergs ein neues selbstverständnis; es gibt inzwischen eine Berufsvertretung. Würstchenstand 4 ist bezüglich skandalösitä- ten ergiebiger: Die deutschen Buchhändlerschulen hätten das fach literaturkunde abgeschafft, weil die grossen handelsketten verstärkt auf nonbook-sortimente setzen werden. leider wahr, genauso wie es unwahr ist, dass migrosmitarbeiter demnächst li- terarisch ausgebildet werden, nur weil (leider halbwahr) der ge- müseverteiler demnächst den schweizer Buchhandel übernimmt.

ach ja, richtig, es geht um die messe: alles in allem eher eine rückschau denn eine Zukunftsorientierung. nostalgisches Bad in der machtlosigkeit der inhaltserzeuger. Doch immer noch ein bunter, verlockender supermarkt der teuren träume, in den man sich – wie schon seit über 500 Jahren – mit letztem zusammenge- kratztem taschengeld einzukaufen hofft. Doch mit Empathie, sucht und Begeisterung, mit der lust zu lesen hat das ganze mo- mentan nicht mehr viel zu tun. Ein restcharme ist geblieben, wenn die letzten Verlegerrocker sich einig sind, in ihren stiefeln sterben zu wollen.

Ein tag später: «Der Berg liest». nicht der Pilatus, sondern der

«Ölberg», das grösste erhaltene gründerzeitwohnviertel Europas in Wuppertal, wo die frühindustrialisierung das erste deutsche Proletariat bildete. letzteres feiert heuer als Präkariat in der abge- wirtschafteten 350'000-seelen-stadt hochkonjunktur. Doch die langen Jahre der korruption führen zu widerständigen Phänome- nen: Eines von mittlerweile vielen ist dieser lesende Ölberg, ein tagesfestival mit 200 lesungen im Quartier, in fast 100 Wohnun- gen, läden, imbissbuden, in allen sprachen der Bewohner bis hin zum tamil, aus lieblingsbüchern, arztromanen, selbstgeschrie- benem, klassischem von den «Brüdern grimm» über richard Brautigan bis, spät abends, zur «marquise von o.». social media paradox: man trinkt auf den strassen herum und berichtet einan- der gerade gehörtes, Bücher-tauschkisten überall, applaus aus vielen fenstern, kinderhorden ziehen marodierend zum nächs- ten Jandl-Vortrag; kein touchscreen, kein Prospekt, keinerlei Pro- minenz, nur gelebter anspruch auf gemeinsam initiiertes kultur- erlebnis inmitten des stigmas. lustvoll, lehrreich, barrierefrei.

Eine schocktherapie für den klagebedürftigen Berufspessimisten neuester frankfurter schule, dem hier dann doch noch, uner- wartet, eine durchaus prachtvolle messe gelesen wird!

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in einer hofeinfahrt liegt ein handbeschriebener Zettel. Ein gedicht vielleicht?

ach nein, bloss eine liste von songtiteln, verloren oder weggeworfen. ich bleibe stur und lese die Zeilen als gedicht. Dass songtexte im Englischen «lyrics»

heissen, fällt mir erst später ein und auf.

Bild und Text Georg Anderhub

lyrics

HINGESCHAUT

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Der musiker Dany schnyder macht als ers- ter schweizer den master-studiengang in Contemporary music Performances in England. Zu seinem konzert in luzern rei- sen sogar Dr. Jonathan little und weitere koryphäen aus london an: sie sind die Experten und dieses konzert ist gleichzei- tig abschlussprüfung.

«ich stecke im wohl extremsten Jahr meines lebens! Eigentlich bin ich ein mensch, der gerne plant – aber als musiker bin ich auch versiert im improvisieren. als ich die gelegenheit bekam, diesen studi- engang in london zu machen, habe ich kurzentschlossen die Chance gepackt: in- nerhalb von fünf tagen entschied ich mich, habe meine Wohnung untervermie- tet und für meine schlagzeugschüler eine stellvertretung organisiert. Dann sass ich auch schon im flugzeug. Dieser master wird zum ersten mal durchgeführt, dauert ein Jahr und ist eine extreme Bereiche- rung für mich. meine Dozenten sind Per- sönlichkeiten, die ich alle schon länger bewundere. Dazu gehö-

ren etwa Dr. Jonathan little, Bill Bruford und mike sturgies. Dass ich jetzt persönlich bei ih- nen studieren kann, ist grandios.

seit ich 19 bin, lebe ich von der musik.

teils von live-auftritten, aber auch von der schlagzeugschule, die ich in luzern habe, und vom Unterricht an musikschu- len. Vor einiger Zeit merkte ich, dass es in mir brodelt, dass da wieder einmal eine richtige herausforderung nötig ist – und mit dem master ist die jetzt gekommen.

hier erhalte ich extrem viele inputs. Das spezielle daran ist auch, dass alle Bereiche des musikbusiness abge- deckt werden. nebst dem praktischen spielen und der theorie gehören dazu alle Belange rund um technik, Bühnenaufbau, Choreogra- fie und Bühnenpräsenz. als musiker ist man ja sein eige- ner manager und da ist viel- fältiges know-how nötig.

Eine anspruchsvolle Erfah- rung war für mich auch das Unterrichten in einer mas- terclass, bei dem die Exper- ten anwesend waren: ich musste den angehenden Be- rufsmusikern von a bis Z

vermitteln, was mein hintergrund und meine musikalischen ideen sind und wie ich sie umsetze. Dass der studiengang so intensiv ist, hat auch mit den teilnehmen- den zu tun: Wir sind nur sieben studieren-

de, was eine intensive und persönliche Betreuung durch die Dozenten sicherstellt.

als schlagzeuger und Perkussionist ge- he ich eigene Wege: ich habe eine beson- dere technik entwickelt, um mit DJs auf der Bühne gas zu geben. Dabei bin ich als frontmann sehr nahe an den leuten, kann Vibes und atmosphäre aufnehmen

und darauf eingehen. meine leidenschaft gehört dem acid Jazz, aber versiert bin ich auch in funk, latin und fusion. Das ab- schlusskonzert hat drei teile und zeigt ein breites spektrum von dem, was ich mache.

Dass die Dozenten dafür extra in die schweiz anreisen, ist für mich eine Ehre.

Das studium in london hat mir viele tü- ren geöffnet – ich habe sogar eine anfrage bekommen, ob ich in london eine master- class unterrichten würde. aber jetzt hat erstmal das abschlusskonzert Priorität.»

Christine Weber, Bild Marco Sieber (Mixer)

HINGEHÖRT

«Ich stecke im wohl extremsten Jahr meines Lebens!»

dany schnyder

schlagzeuger und perkussionist

The Final Gig of MA Contemporary Music Perfor- mance ACM London:

FR 18. November, 21 Uhr, Bar 59 Luzern

Schlagzeug und Perkussions-Solo (Dany Schnyder und Enzo Lopardo), Fünf Songs (Dany Schnyder, Paul Etterlin und Marco Meniconi), Turnbong (Dany Schny- der und DJ Murphy)

Referenzen

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