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Bundesvorstand

Stellungnahme des DGB

zum Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

Stand: 22.10.2004

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I. Vorbemerkung

Als Ergebnis der Kommissionssitzung am 22. September 2004 hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften einen Vorschlag vorgelegt, der die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung abändern soll.

Sie begründet diesen Vorschlag zum einen damit, dass sich aus der Richtlinie selbst die Verpflichtung ergibt, vor dem 23. Novem- ber 2003 die Möglichkeiten der Abweichungen vom Bezugszeit- raum bei Anwendung von Art. 6 (wöchentliche Höchstarbeitszeit) und die Möglichkeit, Art. 6 nicht anzuwenden, wenn dazu das Ein- verständnis des Arbeitnehmers erklärt wird (Art. 22), zu überprü- fen.

Außerdem stellt die Kommission fest, dass aufgrund der Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofes die Frage der Definition von Arbeitszeit insbesondere im Hinblick auf Bereitschaftsdienst überprüft werden müsse.

Nachdem die Anhörung der Sozialpartner ergeben habe, dass eine Bereitschaft, zu den aufgeworfenen Fragen Verhandlungen aufzu- nehmen, nicht bestehe, hat die Kommission den Richtlinienvor- schlag vorgelegt. Sie hat dies damit begründet, dass zu einer Lö- sung der Kernprobleme, nämlich

· Sicherstellung eines größeren Schutzes von Gesundheit und Si- cherheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten,

· mehr Flexibilität zu ermöglichen,

· eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicher zu stellen und

· eine unverhältnismäßige Belastung der Unternehmen zu ver- meiden, eine umfassende Lösung notwendig ist.

Nach Auffassung der Kommission garantiert der vorgelegte Vor- schlag die Umsetzung dieser vier Ziele.

Der DGB vertritt die Auffassung, dass mit den unterbreiteten Vor- schlägen im Wesentlichen ein größerer Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Beschäftigten gerade nicht gewährleistet werden kann.

Der Abbau einer unverhältnismäßigen Belastung der Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Einrichtungen des Gesundheitswe- sens, die es zu vermeiden gilt, setzt voraus, dass eine solche un- verhältnismäßige Belastung bei der jetzigen Fassung der Richtlinie überhaupt besteht. Diese Auffassung teilt der DGB ausdrücklich nicht.

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Der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer- und Beam- tenschaft steht nicht in einer unmittelbaren Beziehung zur Not- wendigkeit größerer Flexibilisierung der Arbeitszeit. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist eine notwendige Voraussetzung zum Erhalt der Arbeitskraft, größere Flexibilisierung der Arbeitszeit rich- tet sich gegen feste, statische Arbeitszeiten.

Der DGB ist im Gegenteil der Auffassung, dass die bisherige Ges- taltung der Richtlinie den Mitgliedstaaten genügend Spielraum lässt, flexible Lösungen auch für KMUs zu finden. Insbesondere die Ausgleichszeiträume reichen bei Weitem aus, um auch unter- schiedlichem Arbeitsanfall gerecht zu werden.

Gesundheitsschutz und Sicherheit der Beschäftigten am Arbeits- platz sind unverzichtbar. Untersuchungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben ergeben, dass lange Ar- beitszeiten zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zu erhöhten Stresssymptomen sowie Ermüdungserscheinungen und einer damit verbundenen Steigerung des Unfallrisikos führen kön- nen (Janssen Daniela; Nachreiner, Friedhelm 2004: Flexible Ar- beitszeiten. Hg. von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Ar- beitsmedizin, Forschungsbericht 1025, Dortmund/Berlin/Dresden).

Sie bestätigt die bekannten arbeitspsychologischen und arbeitsme- dizinischen Sachverhalte zur Schichtarbeit und erweitert sie um den an Relevanz zunehmenden Gesichtspunkt der Arbeitszeit- Flexibilität. Auf der Basis von knapp 1.200 Befragungen in den un- terschiedlichen Branchen zeigte sich, dass insbesondere unter- nehmensbestimmte Flexibilität ganz ähnliche gesundheitliche Fol- gen nach sie zieht wie Schichtarbeit. Sind beide Merkmale – Schichtarbeit und fremdbestimmte Flexibilität – miteinander kom- biniert, verstärken sich die negativen Folgen beträchtlich. So leiden beispielsweise die unter diesen Bedingungen Arbeitenden zu über 90 % unter Schlafstörungen. Insgesamt sollte, so die Autoren, die Variabilität der Arbeitszeiten in engen Grenzen gehalten werden, sowohl hinsichtlich der Lage als auch der Dauer der Arbeitszeit.

Eine Ausdehnung der effektiven Wochenarbeitszeit über 40 Stun- den treibt die negativen gesundheitlichen Folgen sprunghaft in die Höhe.

Eine Studie des Kölner Instituts zur Erforschung sozialer Chancen (Bauer, Frank u.a. 2004: Arbeitszeit 2003 – Arbeitszeitgestaltung, Arbeitsorganisation und Tätigkeitsprofile. Hg. vom Institut zur Er- forschung sozialer Chancen, Köln) zeigt sehr eindrücklich, wie stark der Zeit- und Leistungsdruck verbreitet ist. 42 % aller Befrag- ten gebe an, praktisch immer oder häufig unter Zeit- und Leis- tungsdruck zu stehen. Die Forscher haben mit vielen weiteren De- tailfragen diesen Befund genauer einzugrenzen versucht und kom- men zu dem Ergebnis, dass bei diesen 42 % ein „systematisches

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Missverhältnis zwischen Arbeitsanforderungen und Ressourcen be- steht“ (ebenda, S. 154), seien dies nun rein zeitliche Ressourcen oder auch personelle, qualifikatorische, materielle oder soziale Res- sourcen.

Die Kosten, die durch überlange Arbeitszeiten entstehen, sind er- heblich. Durch Verletzungen, Fehler in den Arbeitsabläufen und stressbedingte Erkrankungen werden sowohl die Unternehmen, öf- fentliche Verwaltungen und Einrichtungen des Gesundheitswe- sens, als auch die Sozialsysteme erheblich belastet. Da zu den Ar- beitszeiten auch noch Arbeitsverdichtung und die Veränderung der Lage der Arbeitszeiten kommen, werden Gefährdungen erheblich verstärkt.

Arbeits- und Gesundheitsschutz darf deshalb unter keinen Um- ständen dem Abbau einer angeblichen Belastung der privaten und öffentlichen Arbeitgeber geopfert werden.

Ebenso scheint es mehr als fraglich, dass mit den Vorschlägen das Ziel einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben si- chergestellt werden kann. Das Gegenteil ist der Fall: Grundsätzlich sind Ausweitungen und Flexibilisierung von Arbeitszeiten im Inte- resse der Arbeitgeberseite mit dem Ziel der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht in Einklang zu bringen. Vielmehr er- schweren überlange Arbeitszeiten in Folge von Bereitschaftsdiens- ten oder die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit durch lange Ausgleichszeiten für schwankende Arbeitszeiten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zusätzlich oder machen eine Erwerbstätig- keit für Mütter völlig unmöglich.

In einer repräsentativen Befragung von 2000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Kindern unter 18 Jahren und/oder regel- mäßiger Pflegeaufgaben, die Ende 2003 vom Emnid-Institut durch- geführt wurde, wünschten sich ca. 70 Prozent der Befragten eine kürzere Arbeitszeit. Arbeit zu unvorhergesehenen Zeiten, Arbeit am Sonntag und auf Abruf halten mehr als die Hälfte der Befragten für nicht vereinbar mit dem Familienleben.

Eine bessere Vereinbarung von Beruf und Familie erfordert eher ei- ne reduzierte Arbeitszeit und eine flexible Arbeitszeitgestaltung, die sich nicht einseitig am betrieblichen Interesse ausrichtet, son- dern Freizeitausgleich für Mehrarbeit für familiär bedingte Flexibili- tät ermöglicht.

Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann mit dem vorgelegten Richtlinienentwurf nicht erreicht werden. Er trägt so- mit zur Zementierung der Einernährer-Ehe bei, spätestens wenn zwei Kinder vorhanden sind. Mütter bzw. Erziehende werden beim

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Zugang zum Arbeitsmarkt diskriminiert, wenn die Arbeitszeiten in der vorgelegten Art und Weise erhöht werden. Die heute gut aus- gebildete Frauengeneration muss sich dadurch verstärkt entweder für berufliche Entwicklung und Kinderlosigkeit oder für Kinder ent- scheiden. Die Verschlechterung der Möglichkeiten zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie führt zu keiner stabilen wirt- schaftlichen Entwicklung und liegt nicht im gesellschaftlichen Inte- resse.

Zu den grundsätzlichen Zielen der Gemeinschaft gemäß Artikel 2 EG gehört ein hohes Maß an sozialem Schutz. Arti- kel 136 EG schreibt eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbe- dingungen vor und bezieht sich neben der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer auch auf die Europäi- sche Sozialcharta des Europarates, die ihrerseits das Grundrecht auf gerechte Arbeitsbedingungen einschließlich der Reduzierung der Arbeitszeit beinhaltet. Der nach Art. 25 der Europäischen Sozi- alcharta gebildete Europäische Ausschuss der Sozialen Rechte hat erst vor kurzem in seinem Bericht 2003 (Schlussfolgerungen) fest- gestellt, daß zu lange Ausgleichszeiträume gegen Art. 2 ESC ver- stoßen. Außerdem schreibt die EU-Grundrechtecharta in Art. 31 (jetzt Artikel II-91 im Verfassungsentwurf) vor, dass es nicht nur ein allgemeines Grundrecht auf gesunde, sichere und würdige Ar- beitsbedingungen gibt, sondern sie konkretisiert dies auch hin- sichtlich der Notwendigkeit der Begrenzung der Höchstarbeitszeit, sowie von täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten. Schließlich bezieht sich die Richtlinie zwar in ihren Begründungserwägungen (Nr. 6) zwar auf die Grundsätze der internationalen Arbeitsor- ganisation. Dazu gehört aber auch die Übereinkommen Nr. 1 (Ge- werbe) und 30 (Handel und Büros) mit einer Begrenzung auf 8 Stunden täglich und 48 Stunden wöchentlich. Der Vorschlag der Kommission trägt dem nicht Rechnung.

Außerdem enthält Art. 136 EG die Vorgabe, dass Angleichungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedstaaten im Wege des Fortschrittes erreicht werden sollen.

Nach Auffassung des DGB enthalten aber die Vorschläge der Kommission zumindest überwiegend keine Verbesserungen, son- dern Verschlechterungen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.

II. Zu den Vorschriften im Einzelnen

1. Bereitschaftsdienst = Arbeitszeit? (Art. 2)

Es wird positiv bewertet, dass die Grunddefinition der Arbeits- zeit und der Ruhezeit nicht verändert worden ist.

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Mit der Aufnahme einer Definition für Bereitschaftsdienst und vor allem für die inaktive Zeit des Bereitschaftsdienstes wird jedoch die Definition der Arbeitszeit faktisch aufgehoben. An der bisherigen Regelung, dass „Arbeitszeit jede Zeitspanne ist, während der ein Arbeitnehmer (...) arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt", wird nicht weiter festgehalten. Denn nun wird vorgesehen, dass nicht zur Arbeitszeit die Zeit zählt, in der der Arbeitnehmer an seinem Arbeitsplatz zur Verfügung stehen muss, um auf Aufforderung des Arbeitgebers seine Tätigkeit ausüben oder seine Aufgaben wahrnehmen zu können, aber von seinem Arbeitgeber nicht zur Ausübung seiner Tätigkeit aufgefordert wird.

Die Aufnahme einer Definition des Bereitschaftsdienstes und vor allem der „inaktiven Phase“ widerspricht den Entscheidun- gen des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen Si- map, Sergas, Jäger und Pfeiffer, in denen festgestellt worden ist, dass das „Zur-Verfügung-Stehen am Arbeitsplatz“ für sich genommen Arbeitsleistung ist, und deshalb zur Arbeitszeit hin- zugerechnet werden muss. Diese Rechtsprechung basiert nicht nur auf einer Wortlautauslegung der bisherigen Richtlinie, son- dern auf deren Sinn und Zweck, schließlich internationalen Rechtsgrundlagen wie den IAO-Übereinkommen Nr. 1 und 30 sowie der Europäischen Sozialcharta. Diese Vorgaben beste- hen aber nach wie vor und stehen nicht zur Disposition der Kommission oder des Ministerrates.

Dass nun danach unterschieden wird, ob der Arbeitnehmer aufgefordert wird oder nicht, führt dazu, dass das sich „Zur- Verfügung-Halten“ am Arbeitsplatz keine Arbeitsleistung mehr darstellt. Diese Vorstellung verkennt, daß Arbeitnehmer und Beamte in ihren Verrichtungen am Arbeitplatz nicht frei sind und weder Freizeit genießen, noch Ruhezeit in Anspruch neh- men können. Die Gefahr besteht, dass mit der Neuregelung generell eine Debatte losgetreten wird, „inaktive“ Zeiten wäh- rend der Arbeitszeit nicht mehr als sowie zu werten.

Im Übrigen erscheint es unpraktikabel, die inaktive Zeit an das Fehlen einer ausdrücklichen Aufforderung anzuknüpfen.

Denn in der Regel fehlt es beim Bereitschaftsdienst gerade an einer ausdrücklichen Aufforderung durch den Arbeitgeber, wie dies im Einsatz im Krankenhaus und bei der Feuerwehr nach- zuvollziehen ist. Die Aufnahme der konkreten Tätigkeit wird durch die aktuellen Notwendigkeiten am Arbeitsplatz bestimmt und nicht durch die Aufforderung durch den Arbeitgeber. Im

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Übrigen führt die Abgrenzung von inaktiver Zeit während des Bereitschaftsdienstes zu effektiver Tätigkeit zu erheblichen Problemen. Sie setzt nämlich voraus, dass vorab definiert wird, welche Tätigkeiten zu den effektiven Tätigkeiten gehö- ren und wann ein Arbeitnehmer „inaktiv“ ist. Damit sind neue Auslegungsstreitigkeiten vor nationalen und europäischen Ge- richten vorprogrammiert.

Nicht zuletzt wird die nationale Rechtspolitik konterkariert. Mit der zum 1. Januar 2004 in Kraft getretenen Novelle hat die Bundesrepublik Deutschland Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit anerkannt. Die Bundesregierung hat betont, dass es möglich ist, die Konsequenzen aus der Rechtsprechung des EuGH zu ziehen, ohne nationale Interessen zu verletzen. Die Praxis stellt sich darauf ein. Eine Änderung der Richtlinie würde eine er- neute Kursänderung bedeuten und zu erheblicher Rechtsunsi- cherheit führen.

2. Bereitschaftsdienst - Inaktive Zeit (Artikel 2 a)

Auf die Ausführungen bezüglich der Abgrenzung von aktiver und inaktiver Zeit während des Bereitschaftsdienstes und die damit im Zusammenhang stehende Anrechnung auf die Ar- beitszeit ist bereits hingewiesen worden.

Es wird darüber hinaus verkannt, dass der Beschäftigte auch in der sog. inaktiven Zeit Arbeitsleistung erbringt. Auf jeden Fall stellt die sog. inaktive Zeit weder Freizeit noch Ruhezeit dar. Die Tatsache, dass diese sog. inaktive Zeit nicht zur Ar- beitszeit herangezogen wird, gefährdet die Sicherheit und Ge- sundheit des Beschäftigten in erheblichem Umfange.

Denn der Beschäftigte kann gerade nicht frei darüber disponie- ren, was er in der Zeit tut, sondern er hat an einem bestimm- ten, vom Arbeitgeber bestimmten Ort anwesend zu sein und sich zur jederzeitigen Arbeitsaufnahme bereit zu halten. Diese Situation mit „Ruhezeit“ gleich zu setzen, und das erfolgt au- tomatisch dadurch, dass die inaktive Zeit nicht zur Ruhezeit zählt, ermöglicht überlangen Arbeitszeiten, die die Gesundheit und die Sicherheit erheblich gefährden.

Einer solchen Aufweichung des Arbeitszeitbegriffes ist deshalb eine klare Absage zu erteilen. Es kann nicht hingenommen werden, dass über eine sog. inaktive Zeit des Bereitschafts- dienstes die wöchentliche Höchstarbeitszeit ständig über- schritten werden kann.

Im Übrigen muss es den Tarifvertragsparteien vorbehalten blei- ben, wie organisatorisch mit der Gestaltung des Bereit-

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schaftsdienstes umgegangen werden soll. Sie sind durchaus in der Lage, hier angemessene Lösungen zu finden, im Hinblick auf die Notwendigkeit, auch für Tätigkeiten, bei denen Bereit- schaftsdienst geleistet werden muss, einen adäquaten Si- cherheits- und Gesundheitsschutz sicherzustellen. Der DGB hält es deshalb für sachgerechter, weil branchennäher, wenn für besondere Arten von Bereitschaftsdienst es den Mitgliedsstaa- ten ausnahmsweise ermöglicht wird, eine abweichende Defini- tion des Bereitschaftsdienstes, allerdings nur durch Tarifver- trag, zuzulassen.

3. Ausweitung des Bezugszeitraumes per Gesetz (Art. 16 b) Es wird begrüßt, dass grundsätzlich am Bezugszeitraum von bis zu vier Monaten für Abweichungen von der wöchentlichen Höchstarbeitszeit festgehalten wird.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften lehnen jedoch die Möglichkeit ab, dass der Bezugszeitraum mittels Rechts- oder Verwaltungsvorschriften aus objektiven oder technischen Gründen, oder aus Gründen der Arbeitsorganisation auf bis zu 12 Monate ausgedehnt werden kann.

Wie der nach Art. 25 ESC gebildete Europäische Ausschuss der Sozialen Rechte des Europarats festgestellt hat, ist eine Referenzperiode von durchschnittlich 4 bis 6 Monaten mit der Möglichkeit einer Verlängerung auf 12 Monate nur bei außer- gewöhnlichen Umständen mit Art. 2 ESC vereinbar, längere Bezugszeiträume aber nicht.

Auch die Einschränkung, dass die allgemeinen Grundsätze für den Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer sichergestellt werden und die Sozialpartner angehört werden müssen, reicht nicht aus, um die negativen Folgen, die durch eine solche Ausdehnung entstehen können, auszugleichen.

Bislang sieht die Richtlinie die Möglichkeit der Ausdehnung des Bezugszeitraumes auf 12 Monate grundsätzlich nur durch Ta- rifvertrag vor. Durch diese Regelung sind den Mitgliedstaaten genügend Spielräume gegeben worden, um den jeweiligen Branchen- bzw. betrieblichen Bedürfnissen gerecht werden zu können.

Nun die Möglichkeit zu eröffnen, auch durch gesetzliche oder Verwaltungsvorschriften eine allgemeine Ausdehnung des Be- zugszeitraumes auf 12 Monate zuzulassen, würde zwangsläu- fig auf Kosten von Sicherheits- und Gesundheitsschutz gehen, da die Festlegung eines Bezugszeitraumes von 4 Monaten als Mindeststandard formuliert worden ist, um diesen Schutz zu gewährleisten. In der Entscheidung des EuGH vom 05.10.04,

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(C-397/01 bis C-403/01) wird ausdrücklich betont, dass die der Zusicherung 48 Stunden Höchstarbeitszeit pro Woche eine besonders wichtige Regel des Sozialrechts der Gemeinschaft ist, die jedem Arbeitnehmer als Mindestanspruch zugute kom- men muss.

Gerade die Verlängerung der Arbeitszeit hat äußerst negative Folgen auf die Gesundheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmern. Insofern führt diese Möglichkeit gerade dazu, dass die allgemeinen Grundsätze zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit nicht gewährleistet werden können.

Eine bloße Anhörung der betroffenen Sozialpartner wird hier keine Lösung bringen, weil bereits die Konsultation der Sozial- partner im Vorfeld der Novellierung des Arbeitszeitgesetzes sowie des Richtlinienvorschlages gezeigt hat, dass die Vor- stellung über die Notwendigkeiten und Konsequenzen einer Ausdehnung der Bezugszeiträume weit auseinander liegen.

Die Erlaubnis die Arbeitszeit innerhalb eines Ausgleichzeit- raums von 12 Monaten ausdehnen zu können, bedeutet für ei- ne überlange Dauer eine sehr hohe Anzahl von Arbeitsstunden pro Woche, wenn dies in der Folgezeit durch arbeitsfreie Zeit- ausgeglichen wird. Damit wird Arbeits- und Gesundheitsschutz nicht mehr zu verwirklichen sein. Denn arbeitsmedizinische Studien haben gezeigt, dass eine extreme Verlängerung der Arbeitszeit über einen langen Zeitraum so negative Auswirkun- gen auf die Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern hat, dass diese Auswirkungen auch nicht mehr durch die völlige Arbeitsfreistellung ausgeglichen werden kann. Zu einem wirksamen Gesundheitsschutz ist ein ausge- wogenes Verhältnis zwischen Arbeitszeit und Freizeit unab- dingbar.

Im Übrigen verdeutlicht gerade diese Möglichkeit der Ausdeh- nung des Bezugszeitraumes sehr eindrucksvoll, dass das An- liegen, durch die Revision der Arbeitszeitrichtlinie einen Schritt hin zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ma- chen, in keiner Weise erreicht werden kann. Denn Vereinbar- keit von Familie und Beruf setzt neben einer Begrenzung der Arbeitszeit insgesamt auch eine Planbarkeit der Arbeitszeit und der Freizeit voraus. Eine solche Planbarkeit ist jedoch nicht ge- geben, wenn Arbeitszeiten in einem Zeitraum von einem Jahr so flexibel gestaltet werden können, dass in einer Woche 65 Stunden geleistet werden müssen und in der nächsten Woche keine Arbeitsleistung abgefordert wird.

4. Ruhezeit (Art. 17)

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Die Tatsache, dass bezüglich der Ruhezeiten, die ausgeglichen werden sollen, eine angemessene Frist von 72 Stunden einge- führt werden soll, ist grundsätzlich kritisch zu bewerten. Bis- lang fehlte es zwar an einer ausdrücklichen Begrenzung des Ausgleichzeitraumes für Ruhezeiten, was zu Missbrauch füh- ren konnte. Allerdings schreibt die Rechtsprechung des EuGH einen Ausgleich unmittelbar im Anschluss an die Verlängerung (etwa durch Bereitschaftsdienst) der Arbeitszeit vor. Insofern ist der vorgeschlagene Zeitraum von 72 Stunden auf jeden Fall zu lang, mit der Folge, dass auch mit dieser Änderung erhebli- che Belastungen bei einer Abweichung von der grundsätzli- chen Verpflichtung einer 11-stündigen Ruhezeit verbunden sein werden.

5. Sonderregelungen (Art. 19)

Hier wird verwiesen auf die Aussagen, die zur grundsätzlichen Möglichkeit der Ausdehnung der Bezugszeiträume gemacht worden sind.

6. „opt-out“ (Art. 22)

Der DGB vertritt nach wie vor die Auffassung, dass das indivi- duelle opt-out abgeschafft werden muss. Dies entspricht im Übrigen auch dem Anliegen, dass mit der Überprüfung dieser Möglichkeit in die Richtlinien in ihrer ursprünglichen Form auf- genommen werden ist. Damit ist deutlich gemacht worden, dass das opt-out grundsätzlich für problematisch gehalten wurde und im Falle von Missbrauch wegfallen soll. Die Über- prüfung hat ergeben, dass das individuelle opt-out zu Miss- brauch geführt hat. Die richtige Konsequenz wäre deshalb ge- wesen, diese Möglichkeit nicht weiter zuzulassen.

Nur eine europaweite Regelung mit einer absoluten Höchst- grenze der wöchentlichen Höchstarbeitszeit stellt sicher, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Genuss des sozialen Grundrechts auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit kommen.

Der DGB hat sich deshalb auch klar dagegen ausgesprochen, dass im Arbeitszeitgesetz - wenn auch nur für den Spezialfall des Bereitschaftsdienstes - eine opt-out-Regelung aufgenom- men wird.

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Immerhin stellt es eine Verbesserung gegenüber der bisherigen Fassung der Richtlinie dar, dass die Möglichkeit des indivi- duellen opt-outs unter Tarifvorbehalt gestellt wird. Auch die Bestimmung, dass eine solche Vereinbarung bei Abschluss des Arbeitsvertrages unzulässig ist, kann Missbrauchstatbestände einschränken.

Allerdings war und ist der DGB der Auffassung, dass auch mit dieser Neuregelung die Verantwortung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, der in der gesetzlich geregelten wöchentli- chen Höchstarbeitszeit besteht, auf die Tarifvertragsparteien verlagert wird. Alle an das individuelle opt-out geknüpfte Be- dingungen können nicht darüber hinweg täuschen, dass be- troffene ArbeitnehmerInnen aufgrund ihres Abhängigkeitsver- hältnisses einem erheblichen Druck ausgesetzt sein werden, in eine solche individuelle Arbeitszeitverlängerung einzuwilligen.

Verschärft wird die negative Wirkung der Neuregelung da- durch, dass dort, wo es keinen Tarifvertrag gibt, und auch in dem Unternehmen keine Interessenvertretung vorhanden ist, weiterhin durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Ar- beitnehmer von Art. 6 abgewichen werden kann.

Das deutsche Arbeitszeitgesetz bestimmt, dass das individu- elle opt-out grundsätzlich nur im Geltungsbereich eines Tarif- vertrages möglich ist. Sofern der Tarifvertrag eine Öffnungs- klausel vorsieht, oder eine Bezugnahme auf den Tarifvertrag erfolgt, kann auch in nicht tarifgebundenen Betrieben vom in- dividuellen opt-out Gebrauch gemacht werden. Damit ermög- licht das deutsche Arbeitszeitgesetz ausschließlich das indivi- duelle opt-out im Rahmen oder im Geltungsbereich eines Ta- rifvertrages.

Demgegenüber lässt die vorgeschlagene Regelung befürchten, dass der Tarifvertrag keine Sperrwirkung haben wird, weil die individuelle Vereinbarung auch dann verlangt werden könnte, wenn beide oder auch nur eine Tarifvertragspartei eine dahin- gehende Regelung ablehnen.

Zumindest diese strengere Regelung eines abschließenden Ta- rifvorbehalts sollte auch die Richtlinie vorsehen, denn nur durch tarifvertragliche Gestaltung kann die Gefahr des Miss- brauchs minimiert werden.

Schließlich stellt die vorgeschlagene Regelung auch insofern einen Rückschritt gegenüber dem deutschen Recht dar, als das Arbeitszeitgesetz ein opt-out nur in Zusammenhang mit Bereit- schaftsdienst kennt, während der Vorschlag der Kommission diesen Zusammenhang gerade nicht nennt. Längere Arbeitszei- ten wären danach auch möglich bei intensivster Inanspruch- nahme der Arbeitnehmer und Beamten. Derartige Regelungen

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stehen also nicht im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des EuGH zum Arbeitszeitbegriff, sind insbesondere nicht auf bestimmte Dienste und Branchen beschränkt, in denen die Bundesregierung in der Verhangenheit ein besonderes Problem gesehen hat.

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