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Ein bisher nicht erkanntes persisches Lehnwort im
babylonischen Talmud.
Von W. Bacher.
Eine der häufigsten Bezeichnungen für einen Gelehrten im
babylonischen Talmud ist "is'in Ns'iia. Die Anwendung des Aus¬
druckes ist eine sehr mannigfaltige und seine Bedeutung ist jedem
Zweifel entrückt. .Nur einige Beispiele seien angeführt. In Schebuoth
8 SO*" beginnt der Ausspruch über den Prozeß zwischen einem Ge¬
lehrten und einem Ungelehrten so: üy. Nana ■'Nn
nnb niNl. Derselbe Gegensatz in Erubin 39»: Na-na
Nin ynxn ay . . . «m iraiw. Ebenso bezeichnet der Ausdruck
den Gelehrten im Gegensatze zu einem gewöhnlichen Menschen.
10 S. Pesachim 52": Nin NaniS Ninn mbyi ©rN ib-w •'jn;
ebenso Jebamoth 121*: iDSiw Namit NJTü Nb Niabyn ^rN N3m Nb.
Was bedeutet nun der erste Bestandteil dieses Ausdruckes , dessen
zweiter Bestandteil schon an sich die Zugehörigkeit zum gelehrten
Stande anzeigt (T:a-iW = von den Gelehrten). Die bisherigen Er¬
ls klärungen zeugen von der vollständigen Ratlosigkeit dem Worte
N3-na gegenüber. R. Nathan bringt das Wort im Aruch unter
ani: II und stellt es mit dem ebenfalls alleinstehenden Worte
Beza 7 *, zusammen, das R. Nathan mit ,hart und fest" (es ist von
Eiern die Rede) erklärt; NmiS sei — so nimmt R. Nathan weiter
20 an — ein Abstraktum, und 1:3-1)3 'a bedeute soviel wie ■'Tttbn pnn
n''W2n (die Pestigkeit der Weisenjünger, der Gelehrten). Der Porm
des Wortes entspricht diese Annahme sehr gut; man muß hinzu¬
fügen, daß das Abstraktum für das Konkretum angewendet ist und
der Ausdruck bedeutet : „ein Pester von den Gelehrten". Aber jenes 26 p^-iS an sich ist nicht genügend sichergestellt, wie der Kommentar
Rascbi's zu der zitierten Stelle Beza 7 * oben beweist. Der unter
Easchi's Namen edierte Kommentar zum Traktate Taanith 4 * er¬
klärt Nnnit in unserm Ausdrucke mit r|"'in "nnn »jung und scharf",
ebenfalls mit Heranziehung jenes p'ns in Beza 7 *, das aber nicht
80 näher erklärt wird. Dabei bemerkt der Kommentator, daß nur ein
jünger Gelehrter als "1:3172 N3"^ia bezeichnet wurde, während es bei
einem alten Gelehrten einfach heißt: T:3i'a Ninn. Es ist dies eine
Distinktion, welche durchaus nicht Stich hält, da mit unserm Aus¬
drucke Gelehrte jedes Alters bezeichnet werden*). — Buxtorf
1) S. darüber Abraham Zacuto in Juchasin, ed. Filipowski, S. 179.
2 3 *
Bacher, Ein persisches Lehr.wort im babylonischen Talmud. 269
(Lexicon Chald. Talm. et Rabb., Col. 1938) erklärt unsern Aus¬
druck so wie R. Nathan und verweist am Eingange seines be¬
treifenden Artikels noch auf Targum Obadja V. 9, wo ffi-N mit
-laT ISnas („Mann, in dem Kraft ist'), übersetzt ist. — Levy
im Wörterbuch über die Targumim (II, 335) bringt unsern Aus- 5
druck im Artikel nns „fest sein', wofür als einziges Beispiel die
Paelform NaiS' aus dem Targum zu 2 Chron. 34, 10 zitiert wird.
Die von Buxtorf zitierte Targumstelle erwähnt er gar nicht und
übersetzt dann unsern Ausdruck (für den Taanith 12» zitiert ist)
so : „ein junger Gelehrter, der nämlich wegen seiner Jugend kräftig, lo
scharfsinnig ist'. Von dieser irrigen Auffassung geht Levy in
seinem Wörterbuche über die Talmudim und Midraschim (IV, 216)
ab verfällt aber einer andern Einseitigkeit in der Erklärung des
Ausdruckes. Er liest ihn gegen die traditionelle Aussprache Nn'^ia
(^eig. = ai^S')' «'^^'" sammelt, befestigt', mit Hinblick auf das im i8 vorhergehenden Artikel erklärte Substantiv ai-iS (Plural T";''^"'2S,
Kidduschin 82»), „eig. der Zusammentragende, Befestigende, ins¬
besondere der Gold- und Silberarbeiter, vom Löten und Pestmachen
der Geschirre so benannt". Eine etymologisch ganz in der Luft
schwebende Erklärung! — Kohut (Aruch Completum VII, 45) zieht 20
das arabische Kaj^ö in der Bedeutung „Schärfe" heran und erklärt
Na"niS als Abstraktum in der Bedeutung „Scharfsinn". Jastrow
(Dictionary 1271) geht auf das biblische na'i.a (Brandwunde) zurück,
erklärt Nanii: (a'"ia) mit „mark of a burn, scab" und erklärt unsern
Ausdruck, mit Hinweis auf Aboth II, 10, auf bizarre Weise so: 25
„One that has caught fire by associating with Rabbanan" („Jemand,
der durch den Verkehr mit den Gelehrten Peuer gefangen hat"). —
Dalman (Aram.-neuhebr. Wörterbuch, 345) scheint Jastrow zu
folgen, wenn er erklärt: „Angesengter" (Beinamen junger Gelehrter).
Dalman eignet sich also dieselbe Distinktion an, die schon Abrabam so
Zacuto als falsch zurückgewiesen hatte und die auch Levy in seinem
zweiten Wörterbuche, das im Targumwörterbuche Gesagte still¬
schweigend zurücknehmend, für unbegründet erklärte.
Eine weitere Kritik dieser verschiedenen Erklärungen, die auf
fragwürdiger etymologischer Grundlage beruhen und, sowohl was die 35
Form als was den Sinn des Wortes Nana betrifft, als unbefriedigend
bezeichnet werden müssen, ist unnötig Bei der Darbietung meiner
eigenen Erklärung kann ich mich kürzer fassen. Da unser Wort
ausschließlich im babylonischen Talmud vorkommt, also dem
Sprachschatze der babylonischen Juden und ihrer Lehrhäuser an- 10
gehört, so darf man von vornherein an die Herkunft des Wortes
Nana aus dem Persischen denken. Das persische Ursprungswort
ist aber nicht schwer zu finden. Es ist V^?>- {carb) , „fett, feist"
und in metaphorischer Bedeutung: „hervorragend, vorzüglich' („supe-
rans, praevalens', Vullers I, 566). Diese metaphorische Bedeutung Ai
18*
270 Bacher, Ein persisches Lehnwort im babylonischen Talmud.
ist im Sprachgebrauche festgewurzelt, denn sie hat die verbalen
Ausdrücke '—'^=^1 praevalere, superare (ibid.) und ^.^^Xaj^-.^
praevalere, superare, excellere (Seite 567) erzeugt. Die für diese
Bedeutungen zitierten Beispiele gehören älteren Dichtern an (z. B.
5 Nizäml). ünter den Kompositis des Adjektivum findet sich
auch vi>-wO ^i*" Bedeutungen „praevalens, virtute excellens ;
intelligens, sapiens'. Diese Bedeutungen bieten sich von selbst zur
Erklärung des talmudiscben Wortes dar. paiw «ani: bedeutet
nichts anderes als: „ein vorzüglicher Gelehrter'; genauer: „ein unter 10 den Gelehrten Hervorragender".
Wie nun N3"ii3£ aus carb geworden, läßt sich ebenfalls zwang¬
los erklären. Dem Konsonanten ^ (a) entspricht im Talmudiscben
a (s. Grundr. d. iran. Phil. I, 256); z. B. N'^'iS, im babylonischen
Talmud öfters vorkommender Ausdruck für ein Gewand aus Hanf 0. ä.
16 (Levy, IV, 174), = pers. yLs-, s. Fleischer bei Levy, IV, 230,
(es muß, wie Fleischer berichtigt, iS'nia gesprochen werden). Dieses
Beispiel zeigt auch , daß die Juden Babyloniens , wenn sie ein
persisches Nomen in den Wortschatz ihrer aramäischen Muttersprache
aufnahmen, es mit der Endung des aramäischen Stat. emph. versahen.
20 So ist auch die Endung von N3"ni£ zu erklären. Was endlich den
Vokalwandel betrifft, so ist u für 0, besonders unter Einfluß von
Labialen, hier des 3 im Auslaute, eine gewöhnliche Erscheinung im
Mittelpersischen (Grundr., 271) und im Judenpersisch (ib. 411).
Daß die hiermit festgestellte Bedeutung unseres Ausdruckes
25 auch dem Begriff entspricht, den man in den jüdischen Kreisen
Babyloniens mit ihm verknüpfte , beweist folgendes Beispiel. In
Megilla 28'' lesen wir eine Stufenfolge des gelehrten Wissens: N"ip, der bloß Bibelkundige ; N:n , der Kenner der tannaitiseben Traditionen ;
•jjaiM N3^ia, der Inhaber der vollen Halachakunde. Man wendete
so gelegentlich den Ausdruck auch auf sehr bekannte und anerkannte
Gelehrte an, so auf Mar Samuel, das berühmte Schulbaupt von
Nahardea (Berachoth 19"), auf Rabba b. b. Ghana, den hervor¬
ragenden und zumeist in Babylonien tradierenden Schüler Jochanan's
(Baba Mezia 19*). In einer in dem Stile der babylonischen Lehr-
ss hauserzählungen gehaltenen Erzählung wird er sogar auf Akiba
angewendet (Megilla 28*). Man muß daran denken, daß mit
sämtliche Mitglieder des Lehrhauses, auch die vielen, niemals mit
Namen genannten verstanden sind. Wer unter diesen hervorragte,
wer ein vollgültiger Inhaber des gelehrten Wissens war, hieß, der
*o metaphorischen Bedeutung des persischen Lehnwortes entsprechend,
■|:3ltt Nrnns, der aus der Mitte der Rabbanan Hervorragende.
271
Zur Kritik der Achämenideninschriften.
Von F. H. Weißbach.
Im 63. Bande dieser Zeitscbrift SS. 830 — 846 hatte ich
2 Schriften von A. Hoffmann-Kutschlie besprochen, die
beide die altpersischen Inschriften des Darius von Blsutün betreffen.
Daß ihr Verfasser mit meiner Kritik nicht einverstanden sein würde,
ließ sich voraussehen. In der Tat ist H.-K. in Bd. 65 SS. 302 ff. 5
einigen meiner Ansichten entgegengetreten. In einer kurzen Nach¬
schrift hat er dann auch zu meinem inzwischen erschienenen Buche
„Die Keilinschriften der Achämeniden" Stellung genommen, ebenso
in der Deutschen Tageszeitung vom 15. Juli 1911, in der Deutschen
Literatur-Zeitung 1911 Spp. 2908 ff. (im Anschluß an seine ,Be- lO
sprechung' meiner Schrift „Die Keilinscbriften am Grabe des Darius
Hystaspis"), im Recueil de travaux 34 pp. 4 ss., wieder in der
Deutschen Tageszeitung vom 2. März 1912 (bei der Besprechung
von E. Meyer's Schrift „Der Papyrusfund von Elephantine");
endlich hat er meine Schrift „Die Keilinscbriften am Grabe des is
Darius Hystaspis" zum 2. Male einer „Besprechung" gewürdigt
ZDMG 66, 524 f. Mehrere Monate schon, bevor diese reiche Pro¬
duktion eingesetzt hatte, war für H.-K. ein Verteidiger erstanden:
F. Bork (ZDMG 64, 509 ff.) steht zwar H.-K. „gänzlich fern", hat
sogar seine beiden in der ZDMG besprochenen Schriften „bisher 20
nicht zu Gesicht bekommen" , muß aber nichtsdestoweniger H.-K.
„fast durchweg gegen Weißbach in Schutz nehmen". So hat er
sich „nach langem Bedenken entschlossen, das einzig mögliche Mittel
der Abwehr anzuwenden, nämlich an derselben Stelle, wo sie er¬
schienen , die Urteile des Kritikers auf ihre Daseinsberechtigung «5
hin zu untersuchen'. Jede Abwehr setzt einen Angriff voraus. In
diesem Falle war ein Angriff meinerseits nicht erfolgt, am aller¬
wenigsten auf Bork, dessen Name in meiner Kritik gar nicht
erscheint. Die Tatsache, daß ich einige „Ergebnisse anderer', die
mir nicht genügend gesichert erschienen, als „unsicher", eine ephemere so Deutung als „ephemer", eine phantastische Auslassung als „phantastisch"
bezeichnet habe, verleiht einem völlig Unbeteiligten noch lange kein
Recht, sich in Schmähungen gegen mich zu ergehen. Es ist B 0 r k