• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Schnelle Hilfe bei Schwefelwasserstoff- Intoxikationen" (03.01.1986)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Schnelle Hilfe bei Schwefelwasserstoff- Intoxikationen" (03.01.1986)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Schnelle Hilfe

bei Schwefelwasserstoff- Intoxikationen

Max Daunderer

Aus dem Tox-Center, München

Gemeinnütziger Verein zur Verhütung und Behandlung von Vergiftungen

(Leitender Arzt: Privatdozent Dr. med. Max Daunderer)

Tödliche Schwefelwasserstoffver- giftungen ereignen sich heute meist als Vergiftung mehrerer Per- sonen, wenn Retter ohne Seil und schweres Atemschutzgerät versu- chen, Vergiftete zu retten. Behan- delnde Notärzte und Kliniken kön- nen Schwervergiftete nur retten, wenn sie sofort das Antidot Di- methylaminophenol injizieren und die „Innere Erstickung" beheben.

S

chwefelwasserstoff (H 2 S) ist ein farbloses Gas, das schwerer als Luft ist, mit ihr explosive Gemische bildet und das einen typischen Geruch nach faulen Eiern besitzt. Seine Ge- ruchsschwelle liegt bei etwa 0,1 ppm (0,15 mg/m 3 ).

In der Natur wird es durch Fäulnis- und Stoffwechselprozesse tie- rischer und pflanzlicher Eiweiß- stoffe freigesetzt. So ist es in eini- gen Erdgasquellen bis zu 53 Pro- zent enthalten und kann auf dem Weg zur Raffinerie, in der es ent- fernt wird, durch einen Rohrbruch entweichen. Ferner entweicht es Klärgruben und landwirtschaft- lichen Kloaken, wo sich nach wie

vor die meisten Vergiftungen zu- tragen. Einige Sulfide entwickeln mit Säuren (beispielsweise im Ma- gen) dieses Gas.

Toxikologische Daten

Die maximale Arbeitsplatzkonzen- tration MAK liegt für Schwefel- wasserstoff bei 10 ppm (15 mg/m 3). Bis 500 ppm beobachtet man lokale Reizungen, darüber Enzymhemmwirkungen. Über 1000 ppm treten apoplektische Verlaufsformen auf.

Wirkungscharakter

Bei der Inhalation erfolgt eine so- fortige Resorption über die Lun- ge, nach Verschlucken eine ra- sche Resorption über den Magen- Darm-Trakt. Die Aufnahme gerin- ger Mengen ist relativ harmlos, weil H 2S sofort zu Sulfat oder Thiosulfat umgesetzt wird und ganz überwiegend über die Nie- ren und nur in geringem Umfang über den Stuhl oder über die Haa- re den Organismus verläßt.

Ab 70 ppm steht eine lokale Reiz- wirkung der Augen und Atemwe-

ge im Vordergrund. Ab etwa 500 ppm kommt eine Enzymgiftwir- kung hinzu. Der deprotonierte Schwefelwasserstoff (das Hydro- gensulfid-lon) blockiert das drei- wertige Eisen der Zytochromoxi- dase: Es kommt somit zur „Inne- ren Erstickung". Sauerstoffemp- findliche Zellen wie die des zen- tralen Nervensystems und des Herzens reagieren primär geschä- digt. Hinzu kommt eine Azidose mit Basendefizit. In schwersten Fällen ereignet sich eine irrever- sible Blockade des Hämoglobins als Sulfhämoglobin, das für die grün-graue Zyanose verantwort- lich ist und in der Regel erst post- mortal nachgewiesen wird.

Erste Hilfe: Injektion von Dimethylaminophenol Therapeutisch muß möglichst früh der Methämoglobin-Bildner Dimethylaminophenol (4-DMAP®) appliziert werden, da durch die höhere Affinität des Hydrogensul- fid-Ion zum dreiwertigen Eisen des Methämoglobins als Sulfnnet- hämoglobin die Zytochromoxida- se wieder frei wird und die Zellat- mung wieder in Gang kommt. Der Schwefel wird bei der langsamen Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 1/2 vom 3. Januar 1986 (35) 31

(2)

Tabelle 2: Therapie der Schwefelwasserstoff-Intoxikation

C)

Rettung nur nach Anseilen und schwerem Atemschutzgerät oder nach prophylaktischer 4-DMAP®-Gabe des Retters (10 mg/kg KG oral).

0

Entkleiden, Haut und Augen (mit Chibro-Kerakain®- und Iso- gutte-Augenspülflasche) spülen. Nach oraler Aufnahme Kohle- Pulvis-Gabe, Magenspülung.

® Bei Zyanose beatmen.

® Bewußtlosen oder bei Herzrhythmusstörungen sofortige Injek- tion von 4-DMAP® (3 mg/kg KG i.v., nur im Katastrophenfall i.m.). Nachinjektion alle drei Stunden in halber Dosierung (1,5 mg/kg KG) oder entsprechend der Methämoglobin-Konzentra- tion

® Applikation des Auxiloson®-Sprays (5 Hübe alle 10 Minuten, z. B. in das Beatmungsgerät).

C) Bei ventrikulären Extrasystolen Infusion von Lidocain ( z. B. Xy- locaine).

,C) Therapie des Hirnödems z. B. mit Rheomacrodexe-Infusionen.

Tabelle 1: Symptome der Schwefelwasserstoff-Intoxikation Leichtere Vergiftungen:

Keratokonjunktivitis, Laryngitis, Tracheobronchitis, Lungenödem, Pneumonie, Speichelfluß, Brechdurchfälle, Angst, Erregungszu- stände, Kopfschmerz, Schwindel, Gedächtnisstörungen, schmerzhafte Hautreizung, Muskelkrämpfe, Hyperpnoe, Herz- rhythmusstörungen, Azidose, EEG-Veränderungen, Leber-Nie- renschädigung.

Schwerste Vergiftungen:

plötzliche Bewußtlosigkeit, Atemlähmung, asphyktische Krämpfe, grün-graue Zyanose, Unruhe, Erregungszustände, Lungenödem.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Schwefelwasserstoff-Intoxikation

körpereigenen Reduktion des Methämoglobins langsam als Oxi- dationsprodukt renal eliminiert.

Da als Reaktionsprodukte auch Thiosulfate frei werden, ist eine Natriumthiosulfatinjektion nicht indiziert. Die Höhe der Methä- moglobinkonzentration korreliert mit dem Ausmaß der Entgiftungs- beziehungsweise Schutzkapazität von H 2S. Methämoglobinkonzen- trationen bis zu 50 Prozent rufen außer leichten Kopfschmerzen, Schwindel und Hyperventilation bei gesunden Freiwilligen keine Symptome hervor. Über 60 Pro- zent Methämoglobin kann eine Hämolyse hervorrufen, über 85 Prozent Methämoglobin bewirkt eine schwere Azidose, Herzrhyth- musstörungen, Koma und Tod.

Dimethylaminophenol (4-DMAP®)

in einer Dosierung von 3 mg/kg KG i. v. ruft eine 30prozentige Methämoglobinämie ohne jeg- liche Nebenwirkungen hervor und entgiftet eine tödliche Schwefel- wasserstoff-Konzentration. Die halbmaximale Methämoglobin- Menge entsteht nach intravenöser Injektion nach 60 Sekunden, nach intramuskulärer Injektion nach 5 Minuten, nach oraler Gabe nach 10 Minuten. Die maximale Kon- zentration tritt i. v. nach 5 bis 10 Minuten, nach i. m. Injektion nach 15 Minuten, nach oraler Gabe nach 20 Minuten ein. In drei Tagen werden 90 Prozent des 4-DMAP®

über den Urin und 1 Prozent über den Stuhl ausgeschieden. Die Re- duktion des Methämoglobins be- ginnt nach 30 Minuten, nach 4 Stunden besteht noch eine zehn-

prozentige Methämoglobinämie.

Bei schweren Vergiftungssympto- men wie Koma oder Herzrhyth- musstörungen muß daher 4-DMAP® in der halben Dosierung von 1,5 mg/kg KG nachinjiziert werden. Andernfalls würde das noch nicht inaktivierte Hydro- gensulfid wieder die Zyto- chromoxidase blockieren.

Die früher übliche Amylnitrit-Inha- lation ist wirkungslos; Natrium- nitrit ruft neben einer gerin- gen Methämoglobinämie einen schweren, eventuell tödlichen Schock hervor.

Typisch für schwere Vergiftungen sind hyperkalziämie- und anoxie- bedingte Herzrhythmusstörun- gen, die sich im EKG als Bigemi- nus und polytope ventrikuläre Extrasystolen sowie infarktähn- liche ST-Hebungen manifestie- ren. Ein Lungenödem, das tödlich enden kann, kann nach einer La- tenzzeit von mindestens vier Ta- gen auftreten. Daher muß eine prophylaktische Applikation eines Dexamethason-Sprays als lokales Antiphlogistikum zur Verhinde- rung eines Lungenödems unbe- dingt erfolgen.

Als Spätkomplikation tritt ein Hirnödem auf, das mit hochmole- kularen Dextran-Infusionen be- handelt wird.

Diagnostik

Nur in schwersten Fällen kann Schwefelwasserstoff in den er- sten Minuten in der Ausatemluft, sonst nur im Giftmilieu mit dem Gasspürgerät und dem Prüfröhr- chen Schwefelwasserstoff 1/c nachgewiesen werden.

Literatur

Daunderer, M.: Toxikologie. 5. Band Ergän- zungslieferung, Ecomed, Landsberg 1985.

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. med.

Max Daunderer

Tox Center, Weinstraße 11 8000 München 2

32 (36) Heft 1/2 vom 3. Januar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

dass man sich bei allem Mitgefühl für die Opfer auch fragen müsse, was einen jungen Mann dazu treibe, sei- nem Leben auf diese Weise ein Ende zu bereiten.. Und die

Erwartungsgemäß konnten sich die Staats- und Regierungschefs in Riga noch nicht auf eine gemeinsame Strategie für Afghanistan einigen.. Gleichzeitig wurden in dem

Hier hat sicher die im Ver- gleich zu Seattle gründlichere Vor- bereitung eine Rolle gespielt: bevor Doha begann, waren etwa 80% der Wegstrecke bereits zurückgelegt – es fehlten

Hildebrandt: Größen aktiv aktiv entdecken: entdecken: Zeit Minuten Heide und Rüdiger Hildebrandt: Sekunden, © Persen Persen Verlag Verlag GmbH, GmbH, Buxtehude Buxtehude ©.. Rechne

Manche Uhren haben auch noch einen dritten (ganz dünnen, großen) Zeiger, er gibt an, wie viele Sekunden seit der vollen Minute vergangen sind.. Man nennt ihn

Dieser Zeitpunkt stimmt zwar mit der t max der i.m.-Studie überein (24 h nach Applikation), es lässt sich aber nicht sagen, ob die hier gemessenen Konzentrationen

Festsetzung der Entschädigung nach § 19 für die Mitglieder des Oberen Gutachterausschusses sowie Festsetzung der Gebühren oder Entgelte für die Tätigkeit des

Ferner wird die Landesdirektion Sachsen hiermit beauftragt, beginnend mit dem Kalenderjahr 2019, mittels der durchschnittlichen Zahl der an den Monatsenden des