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Ende November trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Nordatlanti- schen Allianz zum dritten Mal seit den Terroranschlägen vom 11. Sep- tember 2001, um über die fortdauern- de Transformation des Bündnisses zu beraten. Das Gipfeltreffen in der letti- schen Hauptstadt Riga wurde – wie seine Vorgänger – dominiert von Kri- senentscheidungen bzw. von der Nachbereitung sicherheitspolitischer Krisen: Der Jubiläumsgipfel der NATO in Washington 1999 hatte unter dem Zeichen des Kosovo-Krie- ges gestanden, das Prager Gipfeltref- fen 2002 war von den Terroranschlä- gen in den USA geprägt, und in Istan- bul 2004 ging es um die Bewältigung des transatlantischen Zerwürfnisses über den Irak-Krieg; das zentrale Thema beim Treffen in Riga war die aktuelle Krise in Afghanistan.
Die Transformation der NATO ist seit dem 11. September 2001 durch Krisenentscheidungen vorangetrie- ben worden. Sie hat zu einem beacht- lichen Aktivismus des Bündnisses geführt, bisher aber keinen tragfähi- gen Konsens unter den Partnern über das eigentliche Wesen, die oft bemüh- te Raison d’être, der Allianz hervorge- bracht. Die dominierende Kluft be- steht heute zwischen zwei Gruppen, die man als Traditionalisten und Ex- pansionisten bezeichnen könnte.
Die Traditionalisten, geführt von Frankreich, sehen den Kern des Auf- trags der NATO weiterhin in der kol- lektiven Verteidigung und in der mili- tärischen Bewältigung unmittelbarer sicherheitspolitischer Risiken für die Bündnispartner. Dagegen befürwor- ten die Expansionisten unter Füh- rung der USA eine doppelte Ausdeh-
MARCO OVERHAUS, geb. 1975, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Internetportals www.deutsche- aussenpolitik.de am Lehrstuhl für Außenpolitik und Internationale Beziehungen, Universität Trier.
Marco Overhaus | Wohin entwickelt sich die NATO? Darauf gaben auch die Teilnehmer des letzten Gipfels keine überzeugende Antwort: Das kleine Karo dominierte, in den großen strategischen Fragen wurde kein tragfähi- ger Konsens gefunden. Bis zum 60. Jahrestag des Bündnisses im Jahr 2009 muss dieses aber spätestens gelingen.
Die NATO nach Riga
Kein großer Wurf: Die Allianz fand nur den kleinsten gemeinsamen Nenner
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nung, sowohl der geographischen Reichweite der NATO-Aktivitäten (einschließlich der Mitgliedschaft in der Organisation) als auch der funkti- onalen Aufgaben des Bündnisses (etwa bei der zivil-militärischen Zu- sammenarbeit). Die Meinungsver- schiedenheiten zwischen diesen bei- den Gruppen markieren aber nicht die einzige Konfliktlinie innerhalb des Bündnisses; auch das Verhältnis der NATO zur sich entwickelnden Euro- päischen Sicherheits- und Verteidi- gungspolitik (ESVP) ist umstritten.
Das ist kein neues Phänomen. Bereits während des Kalten Krieges kam es zu teilweise heftigen Auseinanderset- zungen zwischen Atlantikern und Gaullisten oder zwischen Befürwor- tern einer primär konventionellen und Protagonisten einer primär nuk- learen Abschreckungsstrategie. Da- mals wurden jedoch angesichts der klaren Bedrohung durch den War- schauer Pakt immer wieder tragfähige Kompromisse gefunden, die sich in mittel- und langfristige Planungsent- scheidungen übersetzen ließen.
Dies ist in der heutigen Situation bisher nicht der Fall – ein Umstand, der die Vitalität des Bündnisses lang- fristig untergraben könnte. Die Dif- ferenzen wurden im Vorfeld von Riga erneut deutlich: Vor dem Gipfel waren die Erwartungen an das Tref- fen bewusst heruntergeschraubt wor- den. Die nächsten Treffen der Staats- und Regierungschefs der NATO sind bereits für 2008 und 2009 geplant.
Damit erhält das Bündnis erneut die Gelegenheit, eine dringend notwen- dige Annäherung über grundlegende Fragen seiner strategischen, geogra- phischen und funktionalen Reich- weite zu erreichen.
Afghanistan
Seit Anfang 2006 bedrohen zuneh- mende Gewalt und ein Wiedererstar- ken der Taliban, wachsende Unzufrie- denheit der Bevölkerung und der flo- rierende Opiumanbau und -handel die bisherigen Erfolge beim Aufbau von Sicherheit und funktionierender Staatlichkeit – und damit auch unmit- telbar die Glaubwürdigkeit der NATO.
Die Verschlechterung der Sicherheits- lage hat sich bisher vor allem in den südlichen und öst-
lichen Provinzen bemerkbar macht, in denen in erster Linie amerikani- sche, britische, ka-
nadische und niederländische Solda- ten stationiert sind. Dadurch haben sich Risiken und Kosten der einzel- nen Truppensteller stark auseinan- derentwickelt – was den Zusammen- halt des Bündnisses belastet. Die aktu- elle Lage in Afghanistan hat auch dazu geführt, dass die klare Trennung der Mandate der ISAF, die primär den wirtschaftlichen und politischen Wie- deraufbau absichern sollte, und der Operation Enduring Freedom zur Be- kämpfung der restlichen Taliban und Al-Qaida-Strukturen mehr und mehr verloren gegangen ist. Damit ist auch der Konsens, auf dem die Entschei- dung der NATO zur Übernahme der ISAF-Führung im August 2003 beruh- te, hinfällig gworden.
Die Divergenz nationaler Risiken- und Kostenwahrnehmungen und das faktische Zusammengehen von Stabi- lisierungs- und Kampfauftrag führten im Vorfeld von Riga zu einem öffent- lichen Streit über die Solidarität der NATO-Partner in Afghanistan. Insbe- sondere die deutsche Bundesregierung
Durch die veränderte Sicherheitslage haben sich die Risiken der Truppensteller auseinander entwickelt.
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Die Vorbehalte einiger Staaten haben zur Einschränkung der Effektivität von ISAF geführt.
geriet ins Kreuzfeuer der Kritik und sah sich mit Forderungen konfron- tiert, die Bundeswehr auch in den unruhigen Süden zu senden. Die nati- onalen Vorbehalte anderer Staaten haben nach Auffassung führender NATO-Militärs ebenso zu einer er- heblichen Einschränkung der Effekti- vität der ISAF geführt. In Riga einig- ten sich die Staats- und Regierungs- chefs auf die Mini- malformel, dass die von den Bünd- nispartnern ent- sandten Soldaten einander in einer gefährlichen Situati- on helfen würden. Auch Berlin nahm zumindest eine semantische Locke- rung seiner ursprünglichen Position vor: Kanzlerin Merkel und Verteidi- gungsminister Jung schlossen nur die Stationierung (im Gegensatz zur Ent- sendung) deutscher Soldaten im Süden Afghanistans weiterhin aus.
Nachdem andere Partner einer Auf- stockung ihrer bestehenden Kontin- gente (Polen, Dänemark, Kanada, Tschechische Republik und der Gast- geber Lettland) oder der Lockerung ihrer Caveats (Niederlande, Rumäni- en) zugestimmt hatten, konnte Gene- ralsekretär Jaap de Hoop Scheffer am Ende verkünden, dass die NATO in Afghanistan nun 90 Prozent ihrer Sollstärke erreicht hätte.
Neben den Fragen der Bündnis- solidarität und der militärischen Ef- fektivität hat Afghanistan auch Pro- bleme der Gewichtung und des Zu- sammenspiels der militärischen und zivilen Dimensionen des Krisenma- nagements innerhalb und außerhalb
der NATO deutlich gemacht. Dies be- trifft zum einen die – von wenigen am Prozess Beteiligten in Zweifel gezoge- ne – mangelhafte Abstimmung zwi- schen den zahlreichen staatlichen, nichtstaatlichen, zivilen und militä- rischen Akteuren in Afghanistan. Es betrifft zum anderen aber auch die Frage, welche zivil-militärischen oder gar zivilen Aufgaben die NATO im Prozess des Wiederaufbaus überneh- men soll. Auch hier stehen sich unter- schiedliche Vorstellungen von Traditi- onalisten und Expansionisten gegen- über. Bereits vor einiger Zeit schlugen Hans Binnendijk und Richard Kugler – zwei Militärstrategen an der Natio- nal Defense University, die als intel- lektuelle Vordenker der NATO Re- sponse Force gelten – vor, analog zur NRF eine eigene Stabilisierungs- und Wiederaufbautruppe der NATO zu schaffen.1 Diese Truppe solle neben den militärischen vor allem auch zivil- militärische Fähigkeiten im logisti- schen, bautechnischen und medizini- schen Bereich besitzen.
Frankreich lehnt solche Ideen im Kontext der NATO jedoch strikt ab.
Die deutsche Sicherheitspolitik ver- folgt seit Anfang der neunziger Jahre ohnehin ein eher ziviles Leitbild der Bundeswehr, das den Wiederaufbau- aspekt in den Mittelpunkt rückt und daher dem expansionistischen Modell zugeneigt ist. Im Vorfeld von Riga haben führende deutsche Politiker, darunter der ehemalige Verteidigungs- minister Peter Struck und der amtie- rende Verteidigungsminister Franz- Josef Jung, die zivil-militärisch inte- grierten Provincial Reconstruction
1 Hans Binnendijk und Richard Kugler: Needed – A NATO Stabilization and Reconstruction Force, Defense Horizons, September 2004.
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Teams unter deutscher Führung im Norden Afghanistans erneut als mo- dellhaft für die NATO-Strategie insge- samt hervorgehoben. In diesem An- satz liege der Schlüssel zum Erfolg, so Jung in einem Beitrag für die Frank- furter Allgemeine Zeitung am Tag des Gipfeltreffens in Riga – und nicht darin, „den wachsenden Widerstand im Süden und Osten mit immer mehr NATO-Truppen niederzukämpfen“.2
Erwartungsgemäß konnten sich die Staats- und Regierungschefs in Riga noch nicht auf eine gemeinsame Strategie für Afghanistan einigen.
Gleichzeitig wurden in dem Abschluss- dokument jedoch auch die spezifi- schen Probleme aufgezählt und Abhil- fe in Aussicht gestellt: Verbesserung der zivil-militärischen Zusammenar- beit, Übertragung von mehr Verant- wortung auf lokale afghanische Struk- turen, Polizeiaufbau, Bekämpfung der Korruption und des Drogenhandels.
Um zu einer ganzheitlichen Strategie zu kommen, wurde zudem beschlos- sen, eine internationale Afghanistan- Kontaktgruppe unter Einschluss der beteiligten Truppensteller, Nachbar- staaten und involvierten internationa- len Organisationen einzurichten.
Fähigkeitsziele und
Comprehensive Political Guidance Die Probleme der NATO beim Wie- deraufbauprozess in Afghanistan haben auch ein Schlaglicht auf die militärischen Fähigkeiten geworfen, welche das Bündnis weiterentwickeln oder erlangen soll. Neben dem Ab- schlusskommuniqué verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs in
Riga auch die Comprehensive Political Guidance, die als politisches Doku- ment den Rahmen für die Entwick- lung der Fähigkeiten und Strukturen in den nächsten 10 bis 15 Jahren vor- geben soll. In beiden Dokumenten dominiert der Ansatz, der unter Füh- rung der USA nach dem 11. Septem- ber 2001 angenommen wurde. Er rückt die Bereitstellung schnell und weltweit verlegbarer Truppen mit hoher Durchhaltefähigkeit, Kampf- kraft und Interoperabilität in den Mit- telpunkt, wie sie von der NATO Res- ponse Force verkörpert werden. So wurde in Riga auch die volle Einsatz- fähigkeit der NRF verkündet.
Darüber hinaus haben die Regie- rungen in der lettischen Hauptstadt eine Transforma-
tionsinitiative im Bereich der Special Operations Forces (Spezialkräfte) be- schlossen, die auf
mehr Konvergenz unter den nationa- len Spezialkräften in den Bereichen Training, Einsatz und Ausrüstung ab- zielt. Dagegen blieben die Beschlüsse zum zivil-militärischen Ende des Fä- higkeitsspektrums eher vage. Die Staats- und Regierungschefs haben einerseits im Sinne der traditionalisti- schen Position festgestellt, dass es im Bündnis keine Notwendigkeit für die Entwicklung rein ziviler Fähigkeiten gibt. Stattdessen wurden die Außen- und Verteidigungsminister damit be- auftragt, bis zum Frühjahr 2007 die Koordinierung der vorhandenen In- strumente des Krisenmanagements zu verbessern, ebenso wie die Zusam-
2 Franz-Josef Jung: Niederkämpfen allein reicht nicht, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.11.2006, S. 10.
Bei den Beschlüssen von Riga dominiert der Ansatz der USA, der nach 9/11 angenommen wurde.
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Die NATO soll künftig auch zivil-militärische
Leistungen erbringen.
menarbeit mit anderen Akteuren und internationalen Organisationen.
Andererseits haben sich auch die Expansionisten ein Stück weit durch- gesetzt. Das Abschlusskommuniqué unterstreicht, dass die NATO mit ihren militärischen Fähigkeiten an- schlussfähig an die zivilen Elemente anderer Akteure in den Bereichen Stabilisierung und Wiederaufbau sein muss. Die Compre- hensive Political Guidance gibt vor, dass das Bündnis zukünftig auch über die Fähigkeit verfügen soll, zivil- militärische Leistungen – genannt werden die Reform des Sicherheits- sektors, Demobilisierung, Entwaff- nung, Reintegration von Kämpfern und humanitäre Unterstützung – zu erbringen, sofern andere Akteure dazu nicht in der Lage sind.
Zusammenfassend lässt sich fest- stellen, dass die Regierungen die wachsende Bedeutung von Stabilisie- rungs- und Wiederaufbaumissionen auch für die NATO erkannt haben.
Die starke Fokussierung auf die NATO Response Force (und die mit ihr ver- bundenen qualitativen Merkmale) steht dazu jedoch in einem gewissen Spannungsverhältnis.
Partnerschaften und Erweiterung Der Streit zwischen Traditionalisten und Expansionisten bestimmte auch die Diskussionen über die Reformie- rung und Erweiterung der bestehen- den Partnerschaften des Bündnisses.
Die USA hatten im Vorfeld von Riga ihr klares Interesse an einer Verstär- kung und Formalisierung der Bezie- hungen zu den so genannten Kontakt- staaten in Asien-Pazifik (Australien,
Neuseeland, Südkorea, Japan) zum Ausdruck gebracht, da diese Länder sich substanziell an den Operationen in Afghanistan und im Irak beteiligen.
Mit diesem Anliegen konnte sich Wa- shington jedoch nicht durchsetzen.
Stattdessen beschlossen die Staats- und Regierungschefs in Riga, die zahl- reichen bestehenden Kooperations- programme – Euro-Atlantischer Part- nerschaftsrat, Partnerschaft für den Frieden (PfP), Mittelmeer-Dialog, Di- alog mit den Staaten des Golf-Koope- rationsrats – zu optimieren und wei- terzuentwickeln. Darüber hinaus wurde lediglich die Möglichkeit flexib- ler Ad-hoc- Zusammenkünfte und Be- ratungen auf Fallbasis und mit Zu- stimmung des NATO-Rates anvisiert.
Auch nach der letzten großen Er- weiterung um sieben Staaten stehen noch Kandidaten vor den Toren der Allianz, die eine Vollmitgliedschaft anstreben. Am weitesten sind die Adria-Anrainer Albanien, Kroatien und Mazedonien gekommen, die be- reits einen Aktionsplan zur Vorberei- tung auf die Mitgliedschaft umsetzen.
Sie erhielten in Riga das ersehnte Sig- nal, beim nächsten Gipfel 2008 eine Einladung zum Beitritt zu erhalten, sofern sie bis dahin die Voraussetzun- gen dafür erfüllen. Auch Bosnien- Herzegowina, Serbien und Montene- gro sind an einer engeren Anbindung oder Mitgliedschaft interessiert, eben- so wie die Ukraine und Georgien, deren Ambitionen auf Wohlwollen in Washington gestoßen sind. Überra- schend (und gegen den anfänglichen Widerstand der USA) wurden Serbi- en und Bosnien-Herzegowina in das PfP-Programm aufgenommen. Für die Ukraine und Georgien erkannten die Regierungen in Riga zwar deren Bei-
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trittsbestrebungen explizit an, gleich- zeitig wurde jedoch ein konkreter Beitritt in keiner Weise ins Auge ge- fasst. Ähnlich wie im Rahmen der Europäischen Union hat sich mittler- weile auch bei der NATO eine gewisse Erweiterungsmüdigkeit eingeschli- chen, die den weiteren Prozess beein- flussen wird.
Schlussfolgerungen
Dichotome Gegenüberstellungen wie jene zwischen Traditionalisten und Expansionisten sind zwangsläufig vereinfachend und dienen ein Stück weit der Dramaturgie des Arguments.
Weder diese noch andere Konfliktlini- en in der NATO sind vollkommen neu, und sie werden kurz- oder mittel- fristig auch nicht zum Untergang des Bündnisses führen. Auch wenn ihr Transformationsprozess seit dem Ende des Kalten Krieges „krisenge- trieben“ verlaufen ist, so hat sich die NATO doch in beachtlichem Maße und im Konsens aller Partner an die neuen sicherheitspolitischen Gege- benheiten angepasst.
Doch die inhaltlichen Gräben sind real, und sie behindern den Anpas- sungsprozess in einer Weise, der lang- fristig die Vitalität des Bündnisses untergraben kann. So wurde die NATO Response Force zwar als Er- rungenschaft gefeiert, aber bisher gibt
es keinen Konsens über ihren tatsäch- lichen Einsatz (abgesehen von huma- nitären Missionen in Pakistan und den USA); in Afghanistan, der nach eigenem Bekunden wichtigsten Ope- ration der NATO, hat sie bisher eine untergeordnete Rolle gespielt. Damit Inkrementalismus, Aktivismus und immer neuen Debatten mit jedem neuen Auftrag Grenzen gesetzt wer- den können, müssen die NATO-Part- ner in den kom-
menden ein bis zwei Jahren mehr A n s t re n g u n g e n unternehmen, um einen Konsens zu
erreichen, der deutlich über dem kleinsten gemeinsamen Nenner liegt.
Dies gilt für das Aufgabenspek- trum und die strategische Reichweite ebenso wie für die zukünftigen Mit- gliedschaften im Bündnis. Nur auf der Basis eines solchen Konsenses kön- nen transatlantische Krisen wie im Fall des Irak vor drei Jahren zukünftig abgefedert und schneller bewältigt werden. Die Staats- und Regierungs- chefs sollten sich darum bemühen, den Transformationsprozess so vor- anzutreiben, dass spätestens zum 60.
Jahrestag der Gründung der NATO im April 2009 ein neues, in sich kon- sistentes Strategisches Konzept der Allianz vorgelegt werden kann.
Die NATO braucht einen Konsens, der über den kleinsten gemeinsamen Nenner hinausgeht.