Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 11⏐⏐16. März 2007 A707
T H E M E N D E R Z E I T
D
unkle Rauchwolken steigen über dem Wasser auf. Der Aus- flugsdampfer „Baserdybli“ brennt lichterloh, und die Passagiere sprin- gen panisch über Bord. Auf dem Rhein nördlich von Basel ist das Schiff mit einem Frachter kollidiert, der Benzin geladen hatte. Großein- satz für Feuerwehrleute, Notärzte, Taucher, Polizisten und Sanitäter. Zu Schaden kommt aber niemand, denn:Die Szenerie ist gestellt. Es handelt sich um eine groß angelegte Einsatz- übung im Dreiländereck. Hilfskräfte aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz arbeiten Hand in Hand.
Schon 1986 entschloss man sich am Oberrhein zu einer besseren Zusam- menarbeit im Katastro- phenschutz. Damals führte ein Brand bei der Firma Sandoz zu einer Verseuchung des Rheins mit Chemikalien. Heute ist die Region ein Paradebeispiel für erfolgreiche grenzübergreifende Zusammenar- beit. Die „Oberrheinkonferenz“ hat unter anderem Projekte im Gesund- heitssektor initiiert. Seit Jahren ko- operieren Krankenhäuser im Grenz- gebiet. Mit dem „EPI-Rhin“ wurde ein gemeinsames epidemiologisches Frühwarnsystem für ansteckende Krankheiten installiert.
Projekte in Ost und West Ein weiteres Musterbeispiel für eine grenzüberschreitende Kooperation (Euregio) befindet sich etwa 500 Ki- lometer weiter nördlich. In der „Eu- regio Maas-Rhein“ können Patienten im Rahmen von Projekten eine grenz- überschreitende ambulante fach- ärztliche und stationäre Behandlung in Anspruch nehmen. Die AOK Rheinland und die niederländische Krankenkasse „CZ Actief in Ge- zondheid“ haben sogar eine gemein- same Versichertenkarte entwickelt.
Auch bei den neuen EU-Mitglie- dern in Osteuropa tut sich einiges.
Ein Vorreiter ist die „Euroregion Po- merania“. Einrichtungen aus Bran- denburg, Mecklenburg-Vorpommern und Polen kooperieren in einem telemedizinischen Projekt zur Ver- sorgung von Tumorpatienten. „Der
Leitgedanke ist: Lasst Daten wan- dern, nicht die Patienten“, betonte Peter Heise von der Kommunalge- meinschaft Pomerania bei der Kon- ferenz „Europäische Gesundheits- politik“ in Düsseldorf.
In der Vergangenheit waren Gren- zen Hindernisse für die Entwicklung von Infrastruktur und Wirtschaft.
Mit der Initiative „Interreg“ fördert die Europäische Union (EU) daher grenzübergreifende Kooperationen in Bereichen wie Umweltschutz, Verkehr, Wirtschaft, Kultur und Gesundheitswesen. Damit will die EU regionale Ungleichgewichte be- seitigen und den sozialen Zusam- menhalt fördern. Kürzlich wurde ei- ne Fortführung der Interreg-Förde- rung beschlossen. Für den Zeitraum von 2007 bis 2013 stehen fast acht Milliarden Euro zur Verfügung.
Trotz vielversprechender Beispie- le für erfolgreiche Zusammenarbeit:
Anspruch und Wirklichkeit klaffen
bei den Euregios auseinander. Einen Überblick über alle Projekte hatte man in Brüssel bislang nicht. Erfolg und Qualität der Initiativen sind au- ßerdem nicht immer transparent.
Erstmals nun hat das EU-For- schungsprojekt „Euregio – Evalua- tion der Grenzregionen der Euro- päischen Union“ den Status quo für den Gesundheitssektor beschrieben.
Ein nicht ganz einfaches Unterfan- gen, wie Projektkoordinatorin Ulrike Wolf, nordrhein-westfälisches Lan- desinstitut für den Öffentlichen Ge- sundheitsdienst, auf der Düsseldor- fer Konferenz darstellte. „Sie können nicht einfach bei der EU anrufen und sagen: Bitte nennen Sie mir alle grenzüberschreitenden Projekte im Gesundheitssektor.“ Die Initiativen würden innerhalb der EU von unter- schiedlichen Stellen verwaltet. Aller- dings arbeite man dort bereits an ei- ner besseren Vernetzung.
Im Rahmen der Studie wurden mehr als 300 grenzüberschreitende Initiativen im Gesundheitssektor identifiziert. An alle Kooperationen wurde ein Fragebogen geschickt. Al- lerdings meldeten sich nur 150 In- itiativen zurück. 40 Projekte wurden als „Modelle guter Praxis“ einge- stuft. „Das bedeutet aber nicht, dass alle anderen Projekte schlecht sind“, betont Wolf, sieht allerdings auch deutliche Schwachpunkte. So wür- den nicht alle Initiativen evaluiert.
Zudem hätten viele Kooperationen keinen Internet-Auftritt und publi- zierten keine Zwischenberichte.
Den Euregios fehlt es an Transpa- renz. Darüber hinaus stehen nach wie vor rechtliche Unsicherheiten und Schwierigkeiten bei der Kos- tenübernahme den Kooperationen im Weg. Doch Wolf gibt sich zuver- sichtlich: „Europa wächst nicht von heute auf morgen zusammen.“ I Dr. med. Birgit Hibbeler
EUREGIOS