Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 68. Februar 2008 A259
P O L I T I K
U
m das ehrgeizige Vorhaben des EU-Gesundheitskom- missars, die Rechte von Patienten und Versicherten in der Europä- ischen Union (EU) zu stärken, ist es still geworden. Eigentlich wollte Markos Kyprianou seine Pläne für eine Regelung der grenzüberschrei- tenden Inanspruchnahme von medi- zinischen Leistungen am 19. De- zember 2007 veröffentlichen. Doch so weit kam es nicht. Kommissions- präsident José-Manuel Barrosso legte den Richtlinienvorschlag kur- zerhand auf Eis, nachdem kritische Stimmen von Europaabgeordneten und aus dem Kreis der Kommissare laut geworden waren.Sozialgefüge wird unterhöhlt
Niemand weiß, wann die Kommis- sion einen zweiten Anlauf nehmen wird, um ihren Vorschlag zu präsen- tieren – vielleicht noch im Februar, möglicherweise aber auch erst im März oder April. Selbst ein Schei- tern des Projekts sei nicht mehr aus- zuschließen, heißt es in Brüsseler Expertenkreisen.Grundgedanke des Regelwerks ist es, die Gesundheitssysteme der 27 EU-Länder für alle knapp 500 Mil- lionen Bürger der Union zu öffnen.
Die Vorschriften sollen garantieren, dass jeder Versicherte auf Kosten seiner Krankenkasse überall in der EU zu einem niedergelassenen Arzt oder in ein Krankenhaus gehen kann. Die Erstattung der Leistungen soll sich nach den im Heimatland des Versicherten geltenden Sätzen richten. Auch Rezepte sollen die Bürger künftig EU-weit einlösen können. Grundlage für die geplan- ten Regelungen bilden mehrere Ur- teile des Europäischen Gerichtshofs sowie die Forderung der EU-Ge- sundheitsminister und des Europa- parlaments (EP), diesen Bereich ei- genständig zu regeln.
lige EU-Kommissar Frits Bolkestein hatte Anfang 2004 erstmals Pläne zur Regulierung des europäischen Dienstleistungsmarktes vorgelegt.
Die Kritik von Sozialisten und Verbänden an der geplanten Öffnung des Gesundheitsmarkts traf dennoch einen Nerv. Denn die EU-Kommissi- on will sich kein zweites Mal vor- werfen lassen, mit einem Richtlini- envorschlag das Sozialgefüge der EU zu unterhöhlen. Auch hatte die Debatte um die soziale Verantwor- tung der EU bei der Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie dazu geführt, dass die Franzosen dem EU- Verfassungsvertrag eine klare Absa- ge erteilt hatten. Barrosso befürchtet nun, dass der Streit über die Richt- linie zu den Patientenrechten dazu führen könne, dass einige Mitglied- staaten die für dieses Jahr geplante Ratifizierung des inzwischen „Lissa- bonner Vertrag“ getauften Reform- werks der EU verweigern. Auch könnten die Diskussionen Muniti- on für den Wahlkampf zu den Euro- pawahlen im Sommer liefern. Da Barrosso aber alles daran setzt, von den Abgeordneten für weitere fünf Jahre in seinem Amt bestätigt zu werden, will er jede unnötige Kon- frontation mit dem EP vermeiden.
Patienten flüchten ins Ausland
Hinzu kommt, dass der Vorschlag des Gesundheitskommissars auch in den Reihen des Kommissarskollegi- ums auf Kritik stößt. So hatte sich die Schwedin Margot Wallström zur Fürsprecherin einer Gruppe von Kommissaren und EU-Ländern ge- macht, die in der Richtlinie eine Ge- fahr für die Stabilität ihrer Gesund- heitssysteme sehen. Dies gilt insbe- sondere für Staaten mit Wartelisten für medizinische Leistungen und steuerfinanzierten Versorgungssys- temen, wie Großbritannien und die skandinavischen Länder. Sie be- fürchten, dass der Verzicht auf eine Vorabgenehmigung für stationäre Leistungen zu einer Flucht von Pati- enten ins Ausland führen könne.Sollten die heimischen Versicherun- gen sich dann auch noch weigern, die Kosten zu übernehmen, wäre Ärger mit den Versicherten und den Gerichten programmiert. I Petra Spielberg Doch schon kurz nach-
dem die ersten Details der von Kyprianou vorberei- teten Richtlinie durchge- sickert waren, kündigte der Fraktionsvorsitzende der Sozialisten im EP, Martin Schulz, massiven Widerstand gegen die seiner Ansicht nach allzu freizügigen Regelungsvor- schläge für den Gesundheits- markt an. Schulz wie auch andere Europaabgeordnete treibt vor allem die Sorge um, die Öffnung der Ge- sundheitsmärkte könnte zu einem mit dem Solidaritätsgedanken unver- einbaren „Shopping“ von medizini- schen Dienstleistungen führen.
Schützenhilfe für ihre Argumen- tation bekamen die Sozialisten von den europäischen Sozialverbänden.
Da die Versicherten für Leistungen im Ausland grundsätzlich in Vorleis- tung treten müssten, könnten Euro- päer mit einem dickeren Portemon- naie von den Vorzügen eines Bin- nenmarkts für Gesundheitsdienst- leistungen stärker profitieren als ärmere Mitbürger. Die Vorschriften würden somit die Kluft zwischen Arm und Reich verstärken, so die Sozialverbände.
Prompt konterten Vertreter des christlich-konservativen Flügels des EP: Die Schaffung eines gemeinsa- men Binnenmarkts sei angesichts der wachsenden Mobilität der eu- ropäischen Bürger dringend erfor- derlich. Dabei gehe es weder darum, Leistungen zu verringern noch Ver- sorgungsstandards zu erhöhen, sag- te Andreas Schwab (CDU).
Scharfe Kritik am Vorstoß der So- zialisten kam auch von den Libera- len. „Was immer die Sozialisten be- haupten, die Richtlinie zu den Ge- sundheitsdiensten ist keine zweite Bolkestein-Direktive“, sagte der für Gesundheitsfragen zuständige Nie- derländer Jules Maaten. Der ehema-