A1960 Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 276. Juli 2007
P O L I T I K
Referent von Dr. med. Harald Terpe, dem drogenpolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, ver- mutet, dass das Gesetztesvorhaben
„auf die lange Bank geschoben“
werden soll.
Widerstand kommt vor allem von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, insbesondere von der Drogenbeauf- tragten Maria Eichhorn (MdB). Sie stellt vor allem die Überlegenheit der Heroinbehandlung gegenüber der Methadonsubstitution infrage und sieht als „oberstes Ziel aller Maß- nahmen eine abstinenzorientierte Entwöhnung“ an. Die Heroinverga- bepraxis schaffe indes „eine Ersatz- abhängigkeit“. Die Hauptbedenken der CSU-Politikerin sind aber wohl
in erster Linie ideologische: „Die Zu- lassung von Diamorphin würde die Enttabuisierung und Aufwertung ei- ner harten illegalen Droge bedeu- ten.“ Doch nicht alle Christdemokra- ten sind dieser Ansicht. Vor Kurzem erst sprach der Vorsitzende der CDU- Landtagsfraktion in Baden-Würt-
temberg, Stefan Mappus, nach ei- nem Besuch in der Heroinambulanz Karlsruhe sein Entgegenkommen aus. „Der Widerstand bröckelt“, stellt auch Monika Knoche, drogen- politische Sprecherin der Linken im Bundestag, fest. „Die Verweige- rungshaltung der CDU weicht auf.“
Auch in der SPD ständen viele Abgeordnete hinter dem Gesetzent- wurf, weiß die Initiatorin des Grup- penantrags. Knoche ist „optimis- tisch, dass wir das hinkriegen“. Die Drogenbeauftragte der Bundesre- gierung, Sabine Bätzing (SPD), drängt schon seit Langem auf eine gesetzliche Grundlage für die He- roinbehandlung. Zuversichtlich ist auch Dr. Christian Haasen vom Zen- trum für interdisziplinäre Suchtfor- schung in Hamburg, der Studienlei- ter der Modellprojekte: „Es braucht Zeit, um die gesellschaftlichen Widerstände aufzuweichen.“ Noch müssten Vorurteile überwunden werden. Wenn es bei der Abstim- mung zum Gesetzentwurf keinen Fraktionszwang gebe, glaubt Haa- sen, „dann kommt er durch“.
Unterstützung kann seit dem 19.
Juni auch von einer Bundesrats- initiative erwartet werden, die der Hamburger Senat und das hessische Kabinett einbringen wollen – beides CDU-regierte Länder.
Fortführung nur mit
„Brückenlösung“
Doch bis ein Gesetz verabschiedet ist, vergeht viel Zeit. Zumindest in Bezug auf die weitere Ausgabe von Diamorphin haben die Projektstädte noch Rechtssicherheit, wenn auch nur in Form einer „Brückenlösung“:
Das BfArM hat der Heroinambu- lanz in Frankfurt am Main eine ver- waltungsrechtliche Ausnahmegeneh- migung nach § 3 Absatz 2 BtMG erteilt, die sich auf das „öffentliche
KONTROLLIERTE ABGABE HINTER PANZERGLAS
Die Lungengasse liegt im Zentrum von Köln, in unmittelbarer Nähe zum städtischen Gesund- heitsamt und zum Neumarkt, der nach wie vor ei- ner der Hauptumschlagplätze für illegale Drogen ist. Dort ist das Modellprojekt zur Versorgung Opiatabhängiger untergebracht. Die Fassade des Hauses hätte eine Renovierung verdient. Freund- licher ist das Ambiente, wenn man aus dem Trep- penhaus in den Warte- und Aufenthaltsbereich der Heroinambulanz tritt.
38 Heroinabhängige, zwei Drittel davon Män- ner, kommen seit fünf Jahren in der Regel zwei- mal pro Tag hierher, um ihre Heroinration in Empfang zu nehmen. Es handelt sich dabei um Schwerstdrogenabhängige – häufig in enger Ver- bindung mit psychiatrischen Störungen oder Trau- matisierungen in verschiedenen Lebensabschnit- ten –, bei denen andere Therapien nicht mehr funktionieren. Mario Vogel, der Leitende Prüfarzt des Modellprojekts, führt durch die Einrichtung. Er verweist auf die Sicherungsmaßnahmen: Der Zu- gang zur Ambulanz wird mit Kameras überwacht.
Nach den Vorgaben des Bundeskriminalamts wird das Heroin – bezogen wird es aus der Schweiz – hinter Panzerglas aufbewahrt. Dort arbeiten auch die Krankenschwestern, die den Patienten ihre in- dividuelle Ration unter dem Panzerglas hindurch zuschieben. Sie erhalten die fertig aufgezogene Spritze und müssen sich unter Aufsicht das He- roin injizieren. „Sichergestellt ist“, erklärt Vogel,
„dass kein Heroin aus dem Haus geschmuggelt wird.“ Anders als bei der Methadonsubstitution gebe es keine Take-home-Rationen über einen bestimmten Zeitraum; über Vergabezeiten früh am Morgen und abends sei ein normales Arbeits-
verhältnis möglich. Allerdings, schränkt Vogel ein,
„befinden sich nur zwei Projektteilnehmer in ei- nem geregelten Arbeitsverhältnis auf dem ersten Arbeitsmarkt“.
Kein Verständnis hat der Arzt dafür, dass trotz der positiven wissenschaftlichen Bewertung der Modellprojekte die für eine Aufnahme in die Regel- versorgung erforderliche gesetzliche Neuregelung bisher an der Blockade aus der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion scheitert. Gerade auch das ordnungs- politische Interesse der beteiligten Kommunen sei sehr groß, sei doch ein Rückgang der mit dem ille- galen Drogenhandel verbundenen Kleinkriminalität zu verzeichnen. Nun aber müssten die Kommunen zunächst aus eigenen Mitteln dafür sorgen, dass die Projekte weitergeführt werden. Denn eine Umstellung der Heroingruppe auf die Methadon- substitution „ist nicht vertretbar“; eine Studie in den Niederlanden habe gezeigt, dass die Mehrzahl der Beteiligten innerhalb weniger Wochen wieder zurück in der Illegalität sei.
Sonderweg in Köln
Köln hat sich eine besondere Lösung einfallen lassen. Die Arbeitsverträge der Mitarbeiter in der Heroinambulanz laufen im September aus, da- nach wird die Einrichtung durch die Methadon- vergabestelle übernommen – eine Regelung, von der Vogel „wenig“ hält. Eine psychosoziale Be- treuung der Abhängigen sei in der Form wie bisher nicht mehr möglich. Dies wird auch von Dr. med. Jan Leidl, dem Leiter des Kölner Ge- sundheitsamts, nicht bestritten: „Zu den besonde- ren Bedingungen der Erprobungsphase kann es nicht weiterlaufen.“ Thomas Gerst Heroinambulanz
Frankfurt/Main:
An den Tischen spritzen sich die Patienten kontrolliert ihre individuelle Ration Diamorphin.
Aufbewahrt wird es hinter dem Panzer- glas (rechts).