Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2016. Mai 2008 A1077
K U LT U R
A
rturo Rhodes ist ein interessan- ter Mann: groß, schlank, mit einem sehr englischen, sehr aristo- kratischen Kopf. Er trägt gern rote Halstücher, und auf die Farbreste an seinen Hemden und Händen ist er stolz. Arturo lebt seit 25 Jahren als Maler im Künstlerdorf Deià, in ei- nem urigen Steinhaus hoch über dem Ort und noch höher über dem Meer, dort, wo Mallorca ganz still und wirklich ganz „anders“ ist.Als der Bonvivant Anfang der 80er-Jahre an die Westküste der Insel kam, trafen sich in den Galerien, Bars und Cafés von Deià noch min- destens 40 ortsansässige Maler, Bild- hauer und andere Künstler. Heute mögen es fünf oder sechs sein, viel- leicht auch zehn, die vor Ort ihr Brot mit Kunst verdienen. „Es kommen neue, es gehen andere“, sagt Arturo,
„aber viele sind es nicht mehr, die für immer bleiben.“ Und dennoch ist Deià noch immer von eigenwilliger, vielleicht sogar exzentrischer Atmo- sphäre geprägt.
Der britische Gentleman-Schrift- steller Robert Ranke Graves war vielleicht der erste, der das Flair der wildromantischen Nordwestküs- te entdeckte. Er kam vor etwa 80 Jah- ren und machte die verschlafenen Dörfer zwischen dem Meer und der Serra de Tramuntana vor allem in England bekannt. Immer mehr Künstler folgten ihm, dem
neuerdings ein Museum in Deià gewidmet ist. Und ir- gendwann zogen auch die Wohlhabenden aus aller Welt in die Steinhäuser, die seit alten Zeiten wie kleine Festungen auf den Hügeln thronen. Heute sind Grund und Boden in Deià sündhaft teuer.
Trotzdem ist das Dorf
„heil“ geblieben; kein Platz für Touristenbusse oder Souvenirbuden.
Man kennt sich in Deià:
Joanna zum Beispiel, die Töpferin aus Chicago, die
früher Christian’s Bar betrieben hat und jetzt in ihrem Studio in einer Ne- benstraße werkelt. Oder David, der als Künstler und Womanizer glei- chermaßen erfolgreich ist: David Templeton, gut aussehender Maler,
beliebter Musiker und großartiger Hobbykoch, hat einmal dem spani- schen Kronprinzen die Freundin aus- gespannt. Überdies hat er jahrelang Don Roberto, wie Robert Graves ge- nannt wurde, jeden Mittwoch por- trätiert. Seither ist sein Ansehen in der kleinen, feinen Gesellschaft von Deià kaum noch zu toppen.
Auch Werner Kellermann, einen Wanderführer aus der Pfalz, der seit 15 Jahren Mallorca-Urlaubern die Naturschönheiten der Tramuntana zeigt, darf man einen Le- benskünstler nennen. In diesen Wochen zieht er fast täglich mit den Gästen des Hotels „Es Molí“ morgens um neun Uhr zu einer Ta- gestour in die Berge. Im Rucksack: Wein, Schin- ken, Käse und natürlich Pa Amb Oli, das typische To- matenbrot der Mallorqui- ner. Im Schatten alter Pini- en und Steineichen lassen sich die Wanderer ihr Pick- nick schmecken.
Die Geschichte des Ho- tels „Es Molí“, Ausgangs- ort dieser und anderer Wanderungen, ist so spannend wie die des Künstlerdorfs, an dessen Rand es liegt. Sie reicht mehr als 500 Jahre zurück. Die Besitzer hatten zum Landadel gehört und neben ihrem Stammsitz eine Mühle betrie-
ben; darauf weist der mallorquini- sche Name bis heute hin. Eine Fa- milie aus dem Rheinland wandelte 1966 die Finca in eines der schönsten Hotels der Westküste um.
Vormittag in Deià. Es ist ruhig in den Gassen, Zeit für Gespräche in den Galerien oder für einen Café con leche und ein Stück Ensaïmada, die mallorquinische Form des Kopenha- geners. Der beste Platz, den Dorfkos- mos zu überblicken, ist die Bar „Sa Fonda“, gegenüber vom Gemischt- warenladen. Katzen schnurren auf der Steintreppe in der Sonne, der Polizist und der Briefträger tauschen den neuesten Klatsch aus. Auch Ar- turo und David blinzeln bei einem Drink in den noch jungen Tag. Später setzt sich Toni dazu, ein Herr im besten Sinne, ein kleiner Grande aus einer vergangenen Epoche. Es freut ihn jedes Mal, wenn man versichert, dass man ihm seine 92 Jahre nicht ansieht.
Man redet über Kunst und über die alten Zeiten. Tonis Eltern hatten eine Pension, in der die Maler oft ge- nug nur ihre Bilder in Zahlung geben konnten. Und wen hat er nicht alles getroffen: Ava Gardner, Peter Usti- nov, Alec Guinness waren seine Freunde. Michael Douglas wohnt nicht weit von Deià. Und Andrew Lloyd Webber soll bald sein Nachbar
werden. I
Bernd Schiller
KUNST- UND NATURGENUSS AUF MALLORCA
Das Wunder von Deià
Von Genies und Lebenskünstlern, vom Picknick unter Pinien und weitere Geschichten aus dem anderen Mallorca
Exzentrisches Deià:Noch immer zieht das Dorf an der Westküste Künstler an.
David Templeton:
erfolgreich als Ma- ler, Musiker, Hobby- koch und bei den Frauen Arturo Rhodes:
Der Maler und Bon- vivant lebt seit 25 Jahren in Deià.
Fotos:Bernd Schiller