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Archiv "Anorexia und Bulimia nervosa im Jugendalter: Schlußwort" (10.02.1995)

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MEDIZIN

sprächen zur Aufnahme in eine Klinik für Eßstörungen, stellen also einmali- ge oder erstmalige Kontakte dar. The- rapeutinnen dagegen überblicken ei- nen längeren Zeitraum der gemeinsa- men Arbeit mit ihren Klientinnen.

Oft haben Frauen erst nach einer län- geren Therapiephase den Mut, über sexuelle Gewalterfahrungen in der Kindheit zu sprechen, oder erinnern sich sogar erst dann daran. Hierdurch läßt sich die Diskrepanz zwischen Stu- dienergebnissen und Erfahrungsbe- richten von Therapeutinnen erklären.

Es ist daher zu vermuten, daß der An- teil von Frauen mit sexuellen Gewalt- erfahrungen in der Kindheit unter eß- gestörten Frauen erheblich höher ist, als in den bisherigen Studien be- schrieben. Hierzu müßten jedoch noch umfangreichere Untersuchun- gen erfolgen.

In der Symptomatik von Eß- störungen und sexuellen Gewalter- fahrungen finden sich auffallend viele wesentliche Parallelen wie:

—Trennung zwischen Körper und Ich,

—Körper-Schema-Störungen,

—Schwierigkeiten in Beziehun- gen zu anderen Menschen,

—Unsicherer Umgang mit Gren- zen,

—Wahrnehmungsverzerrungen,

—Minderwertigkeitsgefühle, Selbstwertproblematik.

Diese könnten weitere Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Eßstörungen und sexuellen Gewalt- erfahrungen sein. Da 80 bis 90 Pro- zent der sexuell mißbrauchten Kinder Mädchen sind, ist dies neben sozio- kulturellen Faktoren eine Erklärung für das überwiegende Auftreten von Eßstörungen bei Frauen. Einige Stu- dien beschreiben einen hohen Anteil von Frauen mit sexuellen Gewalter- fahrungen in der Kindheit unter Frau- en mit verschiedenen psychischen Störungen wie Eßstörungen, De- pressionen, Suchtmittelabhängigkeit, Angststörungen, können aber keine dieser Störungen als spezifische Folge von sexuellem Mißbrauch in der Kindheit ausmachen (1, 4). Einigkeit besteht jedoch darüber, daß sexuelle Gewalterfahrungen in der Kindheit für betroffene Mädchen einen schwerwiegenden Eingriff in ihre Per- sönlichkeitsentwicklung darstellen

DISKUSSION

und daher in der Therapie auf jeden Fall Beachtung finden sollten.

Die von den Autoren aufgestell- ten Kriterien (Gewicht und Men- struationsstatus) zur Beurteilung des Heilungserfolges halte ich für nicht ausreichend. Meines Erachtens geht Heilung über Symptomfreiheit hin- aus. Sie müßte Aufarbeitung der zu- grundeliegenden Konflikte und Er- langung der Fähigkeit, das eigene Le- ben adäquat zu gestalten, beinhalten.

Vor allem, wenn man berücksichtigt, daß viele eßgestörte Frauen später an anderen psychischen Störungen lei- den, halte ich dies für sehr wichtig.

Literatur bei der Verfasserin Bettina Saure, Ärztin Lemgoer Straße 13 33604 Bielefeld

Schlußwort

Zu 1:

Wir hatten uns in der Darstellung der jugendlichen Anorexia und Buli- mia nervosa die Aufgabe gestellt, eine Übersicht zu Epidemiologie, Sympto- matik, Entstehung und Therapie der Eßstörungen zu geben. Die von von Heydwolff angesprochene Notwen- digkeit einer Psychotherapie wurde dabei mehrfach herausgestellt, konn- te jedoch aufgrund unseres Anliegens einer ganzheitlichen Darstellung der Krankheitsbilder nicht im Detail er- läutert werden.

Psychotherapie beinhaltet unter anderem die gemeinsame Arbeit von Therapeut/in und Patient/in, die Be- deutung individueller Lebensereig- nisse, Erinnerungen und damit ver- bundener Emotionen herauszufin- den. Sie spielen eine wichtige Rolle im Rahmen des Krankheitsprozesses.

Wir wollten aber durch unseren Arti- kel erreichen, monokausale Entste- hungstheorien zur Anorexia und Bulimia nervosa — wie sie über viele Jahre proklamiert wurden — zu über- winden und die multifaktorielle Ge- nese der Eßstörungen herausstellen.

Vieles, was von Heydwolff dar- legt, ist für uns als Psychotherapeuten selbstverständlich: zuallererst das Zu- hören, die Anteilnahme am Schicksal der Patienten und nicht zuletzt die Geduld, die man gerade mit eßgestör-

ten Patienten haben muß. Damit al- leine werden aber die Patienten nicht gesund. Hierfür ist ein differenziertes Fachwissen erforderlich und die Kenntnis möglicher Komplikationen.

Gerade dies wollten wir weitergeben.

Der von von Heydwolff vertrete- ne, ausschließlich subjektive Ansatz in der Therapie wird der Komplexität dieser Krankheitsbilder nicht gerecht.

Die Therapie der Eßstörungen muß verschiedene Aspekte umfassen — diätetische, medizinische, gesell- schaftliche, familiäre und persönliche (1, 2). Essentieller Bestandteil unse- rer Behandlung ist damit auch die Ge- wichtsnormalisierung — sie zu ver- nachlässigen, ist unseres Erachtens ein Kunstfehler.

Wie wir heute wissen, impliziert die Kachexie schwerwiegende organi- sche Veränderungen wie die Pseudo- atrophia cerebri und Neurotransmit- ter-Störungen (3, 4), die ihrerseits nicht selten einen psychotherapeuti- schen Zugang zunächst unmöglich machen. Eine Anhebung des Gewich- tes ist daher immer der erste Schritt einer erfolgreichen Therapie (siehe Tabelle 6). Glücklicherweise sind die Zeiten vorbei, in denen magersüchti- ge Patienten auf einer Trage in die Psychotherapie gebracht wurden!

Zu 2:

Selbstverständlich ist es für die Therapie einer eßgestörten Patientin wichtig, einem etwaigen sexuellen Mißbrauch in der Kindheit oder Ju- gend Beachtung zu schenken. Wie in der Zuschrift von Frau Saure bereits erwähnt wird, ist es nicht gesichert, ob die Rate des sexuellen Mißbrauches bei eßgestörten Patientinnen tatsäch- lich höher ist als in der Normalbevöl- kerung (6). Arbeiten aus jüngster Zeit stellen aber zumindest heraus, daß der sexuelle Mißbrauch bei Eßstörun- gen nicht häufiger als bei anderen psychiatrischen Erkrankungen beob- achtet wird (7, 8). Demnach muß der sexuelle Mißbrauch als ein unspezifi- scher Risikofaktor für die Entstehung psychiatrischer Erkrankungen, nicht aber als spezifisches ätiologisches Moment für die Eßstörungen angese- hen werden, um die es in unserem Ar- tikel ging.

Die Heilungserfolgskriterien Ge- wicht und Menstruation wurden nicht Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 6, 10. Februar 1995 (59) A-371

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MEDIZIN

von uns aufgestellt, sondern sind die von Morgan und Russell (5) inaugu- rierten und in der Literatur am häu- figsten verwandten Heilungsparame- ter der Anorexia nervosa. Dies bein- haltet selbstverständlich nicht, daß Patienten mit normalem Gewicht und normalem Menstruationszyklus sym- ptomfrei oder gesund im Sinne „eines vollkommenen körperlichen, seeli- schen und sozialen Wohlbefindens"

(WHO) wären (3). Normalisierte kör- perliche Funktionen sind hierfür aber eine grundlegende Voraussetzung.

Zur Behandlung und Bearbeitung weiterer Schwierigkeiten ist in der Regel eine Nachbetreuung erforder- lich, auf die wir in unserem Artikel ausdrücklich hingewiesen haben. —

Bei Genese und Therapie der Eßstörungen handelt es sich um ein Zusammenwirken psychischer und somatischer Faktoren, die nicht für sich allein betrachtet werden dürfen.

„Es ist ein beständiges Geheimnis der Verbindung von Geist und Körper,

DISKUSSION

daß sie überhaupt geheimnisvoll zu sein scheint — vielleicht ein Zeichen dafür, wie tief wir durch den „Dualis- mus" beeinflußt wurden. Diese Dok- trin, die durch den französischen Phi- losophen Ren6 Descartes aufgestellt wurde, sieht Geist und Körper als voneinander unabhängige Einheiten, die für sich getrennt behandelt wer- den sollen. Sie wurde das Paradigma für die Medizin und beherrscht immer noch medizinisches Denken" (News- week 1988). Für das Verständnis und die Behandlung der Eßstörungen ist es unumgänglich, dieses „Paradigma"

zu überwinden.

Literatur

1. American Psychiatrie Association: Practice guideline for eating disorders. Am J Psy- chiatry 1993; 150: 207-228

2. Halmi KA: Psychobiology and treatment of anorexia nervosa and bulimia nervosa.

American Psychopathological Association Series. Washington, DC, London: American Psychiatrie Press, 1992

3. Herpertz-Dahlmann B: Eßstörungen und Depression in der Adoleszenz. Göttingen Bern Toronto Seattle: Hogrefe, 1993

4. Kaye W H, Weltzin TE: Neurochemistry of bulimia nervosa. J Clin Psychiatry 1991; 52:

21-28

5. Morgan HG, Russell GFM: Value of family background and clinical features as predic- tors of long-term outcome in anorexia ner- vosa: four-year follow-up study of 41 pati- ents. Psychological Medicine 1975; 5:

355-371

6. Pope HG, Mangweth B, Negrao AB et al:

Childhood sexual abuse and bulimia nervo- sa: a comparison of American, Austrian and Brazilian Women. Am J Psychiatry 1994;

151:732-737

7. Welch SL, Fairburn CF: Sexual abuse and bulimia nervosa: three integrated case con- trol comparisons. Am J Psychiatry 1994;

151:402-407

8. Wonderlich S: The traumatized patient and eating disorders. 6th International Confe- rence an Eating Disorders. New York: 1994

Prof. Dr. med.

Beate Herpertz-Dahlmann Prof. Dr. med. Dr. phil.

Helmut Remschmidt

Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Philipps-Universität Marburg Hans-Sachs-Straße 6

35039 Marburg

Das Buerger-Syndrom

(Thrombangiitis obliterans)

Ergänzungen

begrüßenswert

0 Das Buerger-Syndrom ist in der letzten Zeit stark in den Hinter- grund geraten. Es ist daher sehr zu be- grüßen, daß ein umfangreiches Studi- um die breite medizinische Öffent- lichkeit erreichen kann.

0 Was die chirurgische Therapie betrifft, müssen wir daran erinnern, daß über Jahrzehnte hinweg, vorwie- gend in der französischen Schule, die subtotale Adrenalektomie als Ergän- zung zur lumbalen Sympathektomie angewendet wurde. Die Operation wurde von Opel iniziiert und von ihm zuerst durchgeführt. Leriche konnte die „Hyperadrenalinämie" bestätigen und nahm die Methode mit viel Erfolg an. Ich habe die Methode mit hervor- ragendem Erfolg angewendet. In Amerika (und in Deutschland) wurde sie nicht angenommen

Zu dem Beitrag von Prof. Dr. med. Curt Diehm in Heft 42/1993

Wenn heute mit Prostaglandi- nen gute Ergebnisse zu erzielen sind, müßte man doch diese mit denen der Adrenalektomie (+ Sympathektomie) vergleichen und in besonders schwe- ren Fällen beide Methoden einsetzen.

Dr. Dr. med. A. C. Sztankay Chirurg

Am Dornbusch 6

60320 Frankfurt am Main Der Verfasser hat auf ein Schluß- wort verzichtet.

Diskussionsbeiträge

Zuschriften zu Beiträgen im me- dizinisch-wissenschaftlichen Teil — ausgenommen Editorials, Kongreß- berichte und Zeitschriftenreferate — können grundsätzlich in der Rubrik

„Diskussion" zusammen mit einem dem Autor zustehenden Schlußwort veröffentlicht werden, wenn sie inner- halb vier Wochen nach Erscheinen der betreffenden Publikation bei der Medizinisch-Wissenschaftlichen Re- daktion eingehen und bei einem Um- fang von höchstens zwei Schreibma- schinenseiten (30 Zeilen mit je 60 An- schlägen) wissenschaftlich begründe- te Ergänzungen oder Entgegnungen enthalten.

Für Leserbriefe zu anderen Beiträgen gelten keine besonderen Regelungen (siehe regelmäßige Hin- weise). DÄ/MWR A-372 (60) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 6, 10. Februar 1995

Referenzen

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