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Archiv "Realität und Wiedergeburtsphantasie — Performance, Zeichnung, Malerei von Peter Gilles" (17.02.1984)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

Atelierfoto mit übermaltem Performance-Tuch (1983)

Hartmut Kraft

Realität und Wiedergeburts- phantasie

Performance, Zeichnung, Malerei von Peter Gilles

„Erste Aufgabe einer mythischen Dimension als Mythos oder mythisches Ritual, Sakralgesang

oder Zeremonialtanz — ist es, im lndividium ein Gefühl der Ehrfurcht, des Staunens und des Einbezogenseins in das unerforschliche

Rätsel des Lebens zu wecken." Josef Campbell

Im Zentrum der künstlerischen Arbeiten von Peter Gilles (gebo- ren 1953) steht zweifellos die Performance (englisch: Auffüh- rung, Vorführung), jene dem Theater verwandte, eigenwillige Kunstform. Entlang an ihren mannigfachen Vorläufern, wie insbesondere dem Happening und dem Wiener Aktionismus, hat sie inzwischen zu einer ei- genständigen und zugleich viel- gestaltigen Ausdrucksform ge-

funden. Bei Peter Gilles ist nun eine Performance-Auffassung festzustellen, die sich zumin- dest in zwei Punkten deutlich von den Produktionen anderer Künstler abhebt: Es handelt sich um den Spannungsbogen zwi- schen der Einbeziehung der

Realität in Form psycho-physi- scher Erfahrungen einerseits und Wiedergeburtsphantasien andererseits. Anhand des äuße- ren Handlungsablaufes der bis-

her wichtigsten und best-doku- mentiertesten Performance „R.

E. M." (benannt nach den schnellen Augenbewegungen beim Träumen, Rapid-Eye-Mo- vement) in der Kölner Galerie Ha. Jo. Müller am 4. Juni 1982 läßt sich dies veranschaulichen.

Nach der Projektion von 100 handgemalten Dias, die sich auch in diesem Miniaturformat noch als typische Gilles-Zeich- nungen entpuppen, schnallt

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 7 vom 17. Februar 1984 (95) 447

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Peter Gilles: Mehr- farbige Zeichnung ohne Titel (Kopf), Bleistift und Farb- stift auf Papier, 21 x 29 cm

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Peter Gilles

sich der Künstler einen Brust- gürtel mit Elektroden um, die an ein transportables EKG-Gerät angeschlossen sind. Dieses hin- ter sich herziehend, wobei ne- ben der Aufzeichnung der EKG- Kurve auch der Herzrhythmus akustisch hörbar gemacht wird, zeichnet er auf einer zwölf Me- ter langen Papierbahn mit schwarzem Wachsstift eine un- regelmäßige Zickzacklinie. (Die zeichnerische Wucht, mit der dies geschieht, läßt dabei am ehesten an ein mühsames Sich- voran-Arbeiten denken.)

Am Ende der Papierbahn richtet er sich in eine kniende Stellung auf, um nach einiger Zeit ein be- reitliegendes schwarzes langes, schmales Tuch um seinen Brust- korb zu wickeln. Die Enden des Tuches behält er in beiden Hän- den. Die ausgestreckten Arme und der nun hoch aufgerichtete Körper bilden unverkennbar ei- ne Kreuzesform. Nach einer Zeit der forcierten Hyperventilation

zieht Gilles die Enden des Tu- ches mit aller Kraft auseinander und somit seinen Brustkorb, der mit diesem Tuch umwickelt ist, zusammen.

Die akustische Verstärkung des Herzschlages als einzigem Ge- räusch kündet von rasender Schnelligkeit — Gilles kollabiert.

Als er sich nach wenigen Minu- ten erneut aufrichtet, greift er zu einer der beiden rechts und links neben dem Ende der Pa- pierbahn liegenden Schweine- kopfhälften, befestigt eine da- von an seinem Kopf, während er nun die Papierbahn rückwärts kriechend, mit der anderen er- neut eine Zickzacklinie zu Pa- pier bringt.

Anders als bei vielen Happe- nings und Veranstaltungen des sogenannten „Wiener Aktionis- mus" verbleibt bei dieser und auch anderen Performances von Peter Gilles das Publikum — ganz wie bei klassischen Thea-

teraufführungen — als Zuschau- er, es wird zum beobachtenden und miterlebenden Teilnehmer an einer kalkulierten, psycho- physischen Grenzerfahrung des Künstlers. Der Kollaps ist nicht gespielt, sondern real herbeige- führt, insofern besteht ein deut- licher Unterschied zum „Als- ob"-Theater.

Diese Grenzüberschreitung von der Fiktion zur Realität spielt bei Gilles, auch in Abgrenzung ge- gen die meisten anderen Perfor- mance-Künstler, eine herausra- gende Rolle. Es entsteht damit eine neue Qualität auch für den Betrachter, ein Phänomen, das sich z. B. auch Werner Herzog in seinem Film „Fitzcorraldo" zu- nutze macht, wenn er für seinen Film ein reales Schiff — nicht et- wa eine Attrappe — über Berge hinweg transportieren läßt. Die ehemals klare Trennung von Kunst und Leben wird an dieser Stelle — wieder einmal — hauch- dünn.

Kreuzende Spuren

So sehr der Kollaps zweifellos als ein Todessymbol aufgefaßt werden muß, so unverkennbar ist doch gerade auch, daß er ei- nen Wendepunkt, nicht aber ei- nen Endpunkt darstellt. Wieder- erwacht — Wiedergeboren?! — begibt sich der Künstler, der mit der Präsentation seiner Kunst per Dia begann, auf eine andere, animalische Ebene, indem er seinen Kopf mit einer Schweine- kopfhälfte bedeckt und die an- dere wie zuvor den Zeichenstift verwendet. Er greift zurück auf Tierisches,• anerkennt es als Teil seiner selbst, er kriecht zurück, er „zeichnet" rückwärts krie- chend, die Symbolik wird über- deutlich: Aus dem mehr Artifi- ziellen des Anfangs erfolgt nach dem Durchgang durch das Sta- dium der Bewußtlosigkeit eine Rückbesinnung auf elementare- re Kräfte. Hinter dem Techno- iden, Überformten, wird das Ele- mentarere, Urtümliche, unser

448 (96) Heft 7 vom 17. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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Peter Gilles: Aktionsfoto der Performance „REM" mit Zeichnung aus dem Buch

„REM", Hake-Verlag, Köln, 1983 (Auflage 25 Exemplare mit Fotos und Originalzeich- nungen)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Peter Gilles

animalisches Erbe, sichtbar.

Beides zusammen, im Ablauf als Leben, Tod und Wiedergeburt nacheinander dargestellt, hin- terläßt eine gemeinsame, sich wieder und wieder kreuzende Spur, in diesem Falle: Eine überdauernde Einheit. Ein Traum?

Aggression und Disziplin Die eigenen Performance-Erleb- nisse hat Gilles stets auch in ei- ner Vielzahl von z. T. colorierten Bleistiftzeichnungen sowie auch großformatigen Gemälden ver- arbeitet. Die enorme emotionale Spannung bei den Performan- ces teilt sich auch noch in die- sen Arbeiten mit: Das Papier reißt unter der Wucht des Strichs, Leinwände (meist Per- formance-Relikte) sind ge- schlitzt, aufgerissen, durchlö- chert. Von einer blinden, rein chaotisch und letztlich unpro- duktiven Aggression sind diese Arbeiten aber durch ihre stren- ge Disziplin in Form der steten Auseinandersetzung mit der Ge- genständlichkeit bewahrt.

Was auf den ersten flüchtigen Blick tachistisch — und damit kunst-historisch bereits abge- handelt — erscheinen mag, ist in Wahrheit eine spannungsgela- dene Auseinandersetzung mit einigen wenigen, stets wieder- kehrenden Grundthemen: Kopf, Körper, Mann und Frau, Geburt, Verletzung und Tod. In der Be- handlung dieser Themen geht Gilles einen eigenständigen Weg, zu ernsthaft, zu existen- tiell, um mit den Vertretern der

„neuen Wilden" in einen Topf geworfen zu werden. Unabhän- gig von aktuellen künstlerischen Trends gestaltet Gilles in unver- wechselbarer Weise diese stets aktuellen menschlichen The- men. Das Aufsichnehmen von realem Leiden in seinen Perfor- mances ist dabei notwendige Bedingung, um ein geschätztes Ziel zu erreichen — nicht etwa Masochismus. Daß dabei Tod

und Wiedergeburtsphantasien eine herausragende Rolle spie- len, macht diese Arbeiten ange- sichts der Diskussion um atoma- re Bedrohung, Overkill etc. in besonderer Weise aktuell.

Somit treffen die eigenen, le- bensgeschichtlich gewordenen Bedingtheiten der Aktionen und Bilder bei Gilles — und gerade deshalb werden seine so selbst- bezogenen Gestaltungen für die Allgemeinheit bedeutungsvoll — auf gesellschaftlich relevante Konstellationen.

Von den Wiedergeburtsphanta- sien, die speziell in den Perfor- mances von Gilles deutlich wer- den, geht angesichts der von ihm dabei inszenierten psycho- physischen Realität ein Stück Zuversicht aus, wie sie von al- ters her Bestandteil vieler Reli- gionen und Mythen ist; eine Zu- versicht und Hoffnung, wie sie nur aus der Beherrschung und Überwindung zerstörerischer Impulse gewonnen werden kann.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hartmut Kraft An der Ronne 196 5000 Köln 40

Peter Gilles, 1953 in Köln gebo- ren, ist als Reproduktionsfo- tograf ausgebildet, als Zeich- ner, Maler und Performance- künstler ist er Autodidakt. Ne- ben verschiedenen Ausstel- lungsbeteiligungen, unter an- derem 1981 an „Zeitpunkt- Köln-Deutz" und „Deutsche Zeichnungen der Gegenwart — Sammlung Lufthansa", Erst- präsentation Museum Ludwig, Köln 1982, hatte Peter Gilles Einzelausstellungen und Per- formances im Kunstverein Brühl 1980 und im Förderpro- gramm beim Internationalen Kunstmarkt in Köln 1981 (Gale- rie Koppelmann, Leverkusen), sowie seit 1978 mehrmals in der Galerie Ha. Jo. Müller, Brüsseler Platz 15, Köln 1, die ihn vertritt. 1982 erhielt Gilles das Friedrich-Vordemberge- Stipendium der Stadt Köln, 1983 den Ringenberg-Preis.

Ein Buch mit 16 Fotos (von Bir- git Kahle) und 16 Zeichnungen des Künstlers erschien 1983 im Hake-Verlag, Köln, wo ein wei- teres Buch mit Fotos und Origi- nalzeichnungen in einer Aufla- ge von dreißig Exemplaren zur Zeit vorbereitet wird. DÄ

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 7 vom 17. Februar 1984 (99) 449

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