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Archiv "Organentnahme: Überzeugungsarbeit an der Nahtstelle zwischen Leben und Tod" (09.08.1999)

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uf dem Flur vor der Intensiv- station weint ein früh ergrauter Mann um seine Frau. „Wir ha- ben unser Leben lang immer nur gege- ben, nun ist es genug.“ Elke Backhaus versteht. Sie kondoliert und geht, sprachlos, betroffen. Sie hat nur ihre Pflicht getan, als sie den Witwer an- sprach. Jahr für Jahr stellt die Koordi- natorin der Deutschen Stiftung für Or- gantransplantation (DSO) etwa 30 trauernden Angehörigen in 37 Krankenhäusern die eine Frage: „Stimmen Sie einer Spende zu?“

„Wenn alle Hirnstamm- reflexe und das Atemzentrum unwiederbringlich ausgefallen sind, ist das Leben erloschen“, weiß Elke Backhaus, die seit 1990 um Organe von Toten bit- tet, die Leben retten können.

Zeichnet die Nadel des Elek- troenzephalogramms eine hori- zontale Linie, ist der Mensch tot – selbst wenn das Herz noch schlägt. Nachdem ein Intensiv- mediziner und ein Neurologe – unabhängig voneinander – den Hirntod festgestellt haben, klin- gelt das Telefon im Büro der Deutschen Stiftung für Organtrans- plantation an der Universitätsklinik auf dem Bonner Venusberg, das Elke Backhaus sich mit ihrem Kollegen Bernd Salz teilt.

Mission am Totenbett

Beide sind per Computer mit Eu- rotransplant im holländischen Leiden verbunden, überprüfen die Protokolle und informieren sich über Tote, die für Laien gar nicht tot scheinen: Eine Maschine beatmet die Lungen, der zu-

geführte Sauerstoff läßt das Herz schlagen. Das pumpende Herz be- sorgt die Zirkulation des Blutes; Luft- polster umhüllen den leblosen Körper und halten die Körpertemperatur auf 37 Grad. Wenn das Herz kein Blut mehr pumpt, werden die Organe, die Leben retten können, unbrauchbar.

Elke Backhaus erfüllt ihre Mission am Totenbett, im Besucherraum oder im

Park: Sie redet mit den Angehörigen.

„Erst wenn sie verstanden haben, was Hirntod bedeutet, kann ich mit ihnen sprechen“, sagt sie. „Sie müssen be- greifen, daß die Geräte ihnen etwas vorgaukeln, das nicht mehr da ist.“

Dann und wann hört sie die Frage, wie denn der Tote „hinterher“ aussehe.

Die Antwort: „Was bleibt, ist ein sau- ber zugenähter Schnitt wie nach einer großen Bauchoperation.“

Die Frau an der Nahtstelle zwi- schen Leben und Tod erinnert sich dankbar an Fälle wie diesen: Ein 33jähriger Mann starb, vier Tage

nachdem er mit seinem Auto ge- gen einen Baum gerast war. Seine El- tern und sein Bruder hatten „keinen Zweifel, daß die Ärzte alles getan haben, das Leben zu retten“. Mit Worten, die Elke Backhaus oft gehört hat, stimmten sie der Organentnah- me ohne Einschränkung zu: „Das ist wohl das einzige, das dem Tod die Sinnlosigkeit nimmt.“

Mehr als 13 000 Menschen warten in Deutschland auf ein neu- es Organ. Jährlich rund 900 000 Tote sind statisti- scher Durchschnitt. Von den etwa 5 000 Hirntoten wäre jeder zweite als Spender geeignet. Den- noch: Jeder vierte Pati- ent, der ein neues Herz oder eine neue Leber benötigt, stirbt innerhalb der Wartezeit, die seine Lebensqualität erheblich beeinträchtigt. Auf den Wartelisten haben Pati- enten mit akuter oder absehbarer Lebensgefahr Priorität. Aussichtslose Fälle werden erst gar nicht aufgenommen. Die Bundesärz- tekammer verspricht: Organe kom- men nur aus Ländern, die den Hirn- tod nach deutschen Richtlinien fest- stellen. Es gibt inzwischen eine zuneh- mende Kooperation mit Ländern des ehemaligen Ostblocks, die westlich orientiert sind.

Eurotransplant im holländischen Leiden registriert zentral Patienten, die neue Organe benötigen, und erhält Meldungen über die Organspenden.

Der Computer prüft Angebot und Be- darf, gleicht Blut- und Gewebetypen ab, berücksichtigt die Dringlichkeit A-2014 (30) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 31–32, 9. August 1999

T H E M E N D E R Z E I T REPORTAGE

Organentnahme

Überzeugungsarbeit an der

Nahtstelle zwischen Leben und Tod

Einblick in den Alltag von Elke Backhaus, der Koordinatorin der Deutschen Stiftung für Organtransplantation

A

Die Transplantationsexperten der Bonner Uniklinik (von links) Dr. Andreas Müller, Elke Backhaus, Prof. Andreas Hirner mit einem Patienten Foto: Sepp Spiegl

(2)

der Transplantation und meldet das aktuelle Angebot der entsprechenden Klinik. Nach dem tödlichen Unfall ei- ner österreichischen Spenderin dau- erte es nur wenige Stunden, bis ihr Herz in der Brust eines belgischen Lehrers schlug, ihre Nieren einen Tag später in einem deutschen Bauern ar- beiteten und ihre Hornhäute zu einem holländischen Kind unterwegs waren.

Das neue Transplantationsgesetz erlaubt Entnahmen, wenn die schrift- liche Zustimmung des möglichen Spenders vorliegt. Fehlt sie, ist der nächste Angehörige nach der Haltung des Verstorbenen zum Thema Or- ganspende zu befragen. Wenn sich der tatsächliche Wille des Betroffenen nicht ermitteln läßt, kann der nächste Angehörige – unter Beachtung des

„mutmaßlichen Willens“ des Spenders – einer Organentnahme zustimmen.

Schriftlicher Widerspruch schließt die Organentnahme aus.

Das Transplantationsgesetz schreibt allen 1 400 Kliniken mit In- tensivstationen eine Meldepflicht für Hirntote vor. Dennoch: 1998 hat die Zahl der Transplantationen gegen- über dem Vorjahr bundesweit nur um 2,1 Prozent auf 3 918 zugenommen.

Die Statistik ist geschönt – durch zu- nehmende Bereitschaft von Lebend- spenden bei Nieren und das auf 70 Jahre angehobene Alter der Spender.

Die Transplantation einer Niere kostet 90 000 DM, einer Lunge 90 000, eines Herzens 130 000 und ei- ner Leber 200 000 DM. Die sinn- volle Übertragung einer Bauchspei- cheldrüse ist 40 000 DM teuer, wird aber von den Kostenträgern nicht er- stattet. Die chirurgische Faustregel:

Herzverpflanzungen sollten vier bis sechs Stunden nach dem Tod des Spenders abgeschlossen sein. Für Le- bern bleiben höchstens 20 Stunden, für Nieren bis zu 50 Stunden. Horn- haut-Transplantationen sind noch nach mehreren Wochen möglich. Des- halb werden Nieren und Bauchspei- cheldrüsen per Bahn oder Auto in Kühlboxen befördert, Herzen und Le- bern in Charterjets.

1998 wurden in Deutschland 2 340 Nieren verpflanzt, 91 mehr als 1997. Dennoch warten 11 000 auf ein Ersatzorgan. 343 Nieren (15 Prozent) kamen von lebenden Spendern. Das Gesetz läßt diese Form der Spende

ausschließlich zwischen Familienan- gehörigen und sich besonders nahe- stehenden Personen zu. Die Zahl der Lungentransplantationen stieg um elf auf 131. Bei der Übertragung von Bauchspeicheldrüsen gab es einen deutlichen Anstieg um 25 Prozent auf 183. Die Verpflanzungen von Herzen gingen hingegen um 20 auf 542 zurück, die von Lebern um 40 auf 722.

Kostenlose Information

Die Erfolge sind meßbar: Eine transplantierte Niere funktionierte 28 Jahre und elf Monate, eine Leber 22 Jahre, ein Herz schlug 20 Jahre und sechs Monate, eine Bauchspeichel- drüse arbeitete 18 Jahre und fünf Monate.

Elke Backhaus wirbt für die Aus- einandersetzung mit der Thematik und für Organspenderausweise, die Komplikationen vermeiden helfen.

Sie selbst besitzt drei – „einen für jede Tasche“. Und sie weist auf kostenlose Informationen unter der Telefonnum- mer 130 – 91 40 40 hin: „Die Deutsche Stiftung für Organtransplantation ist montags bis freitags von neun bis 17 Uhr besetzt.“

Das Einzugsgebiet der Uni-Kli- nik Bonn, eines der 42 Transplantati- onszentren in Deutschland, reicht bis Koblenz. Hier leben zirka 1,5 Millio-

nen Menschen. 170 benötigen drin- gend ein neues Organ, indes: Im ver- gangenen Jahr gab es ganze 22 Einwil- ligungen für Organentnahmen. Seit 1992 sind in Bonn 140 Lebern ver- pflanzt worden – und seit 1983 360 Nieren, seit 1998 13 Nieren kombi- niert mit Bauchspeicheldrüsen. Prof.

Andreas Hirner (Direktor der Chirur- gischen Klinik) und Oberarzt An- dreas Müller, gemeinsam mit dem Transplantationszentrum Bonn (zu- ständig für das Transplantationspro- gramm von Leber und Bauchspei- cheldrüse), werben wie Elke Back- haus um Organspenden. Die Knapp- heit sei „nicht nur auf die mangelnde Bereitschaft der Bevölkerung“ zu- rückzuführen, sagen die Ärzte; es gä- be „noch größere Ressourcen, aber auch eine mangelnde Bereitschaft vie- ler Krankenhäuser“.

Die Hirntod-Diagnostik, die sinn- los gewordene Intensiv-Therapie be- endet, sei „mehr als 40 Jahre alt“, wehrt Chefarzt Hirner sich gegen Kri- tiker, die behaupten, sie sei entwickelt worden, um Organe entnehmen zu können: „Es gab sie viele Jahre, bevor in Deutschland die ersten Organe ent- nommen wurden, um Leben zu verlän- gern und wieder lebenswert zu ma- chen.“ Und: „Wir könnten bessere Me- dizin machen und viel mehr Menschen helfen, wenn wir mehr Spenderorgane hätten.“ Hans-Werner Loosen

A-2015 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 31–32, 9. August 1999 (31)

T H E M E N D E R Z E I T REPORTAGE

Projekt zur Ethik psychiatrischer Zwangsbehandlungen

Erfahrungen des klinischen Alltags und in Seminaren mit Studenten zeigen nach Auffassung des Zentrums für Psychiatrie Weißenau, daß in der Frage psychiatrischer Zwangsbehandlungen häufig kein (medizinischer, ethischer und juristischer) Konsens zu erzielen ist. Die Debatten für oder wider eine Zwangsbe- handlung seien oft stark emotional geprägt.

In einem Forschungsprojekt mit dem Titel „Ethik psychiatrischer Zwangs- behandlungen“ werden von dem Zentrum drei Kasuistiken mit prototypischen Problemschwerpunkten bei schizophrenen Patienten vorgestellt, am Ende wird jeweils nach der Einstellung gegenüber gegebenenfalls erforderlichen Zwangsmaßnahmen gefragt.

Ziel des Projekts ist es, zu klären, von welchen Einflußfaktoren die Entschei- dung abhängt und ob für bestimmte Problembereiche ein breiterer Konsensus be- steht. Die Kasuistiken mit Begleitinformationen werden auf Wunsch zugesandt.

Die Teilnahme an dem Projekt ist für jeden Interessenten möglich. Informatio- nen: Privatdozent Dr. med. Tilman Steinert, Zentrum für Psychiatrie Weißenau, Postfach 20 44, 88190 Ravensburg, Tel 07 51/76 01-27 38, Fax 76 01-27 06, E-Mail:

Tilman.steinert@zfp-weissenau.de EB

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