• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Krankenhäuser/Krankenhausärzte: Tarifrunde Nummer vier - und noch kein Ende?" (09.07.1999)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Krankenhäuser/Krankenhausärzte: Tarifrunde Nummer vier - und noch kein Ende?" (09.07.1999)"

Copied!
4
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Medien sehen neue Märkte, Firmen schießen aus dem Boden. Eine neue Branche entsteht. Krankenkassen und einige Hochschullehrer, aber auch private Consulting-Firmen sind die Geburtshelfer. Geld beginnt zu fließen. Und es wird mehr werden.

Jetzt läßt sich auch der Gesetzgeber vor diesen Karren spannen. Ist ihm klar, vor welchen?

Die niedergelassenen Ärzte könnten sich locker zurücklehnen, zunächst jedenfalls. Denn, bis es erst zu einem Gourmetführer für 100 000 Praxen kommt, das kann dauern.

Vielleicht können wir uns an dem neuen Maklerbusiness sogar beteili- gen. Möglichkeiten dazu gibt es näm- lich genug: Der gute Draht zur Top- Klinik als Teil des Praxismarketings, das Ärztenetz als Nachfragermacht.

Aber das kann es doch nicht sein.

Uns muß es um die Gesamtverant- wortung gehen, um ein solidarisches Versorgungssystem, um Qualität für alle und auch um die Berufschancen unserer jungen Kollegen.

Diskussion mit erhobenem Haupt

Wer heute noch meint, er käme ohne ein inneres Bekenntnis zu Qua- lität über die Runden, liegt falsch.

Falsch liegt auch, wer für sich selbst oder im Gesamtsystem keinen Hand- lungsbedarf sieht. Diese Diskussion können wir erhobenen Hauptes führen, denn alle bestehenden und diskutierten Initiativen zur Qualitäts- sicherung sind im ärztlichen Bereich selbst entstanden – auch wenn dies in der öffentlichen Diskussion heute oft ganz anders dargestellt wird. Selbst- kritisch ist einzuräumen, daß falsche Folgerungen der Politik teilweise durch falsch verstandene oder auch fehlgeleitete innerärztliche Diskussio- nen entstanden sind.

Wenn einige Kollegen jetzt den Sirenenrufen der „Outcome“-Qua- lität erliegen, so ist dies wiederum gut gemeint. Aber gut gemeint ist das Ge- genteil von gut. Müssen wir nicht allen Grund zur Vorsicht haben, wenn Krankenkassen, kommerzielle Ge- sundheitsberater oder arztferne So- zialpolitiker Urheber solcher Ideen sind? Dr. med. Lothar Wittek

A-1817

P O L I T I K KOMMENTAR/AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999 (21) ie für den 13. und 14. Juli nach

Bad Oeynhausen angesetzte vierte Runde bei den Tarifver- handlungen über krankenhausspezifi- sche Regelungen für die Beschäftigten im Krankenhaus gestaltet sich im Vor- feld nicht minder schwierig als die vor- ausgegangenen Runden. Aus Kreisen der Klinikgewerkschaften wird gemut- maßt, daß es noch nicht zu einer Schlußkompromißrunde kommen und nach weiterem Taktieren der Arbeit- geber ein neuer Verhandlungs-Clinch notwendig werde.

Nachdem bei den Auftaktver- handlungen in Potsdam der von den öffentlichen Arbeitgebern präsentier- te „Gruselkatalog“ mit massiven Ein- sparungen vor allem beim Weihnachts- geld, bei der Urlaubsvergütung und bei den Einsatzzeiten noch zurückgestellt und bei der dritten Runde in Stuttgart (am 19. und 20. April) vom Tisch war, ist der tiefe Graben zwischen den Ge- werkschaften (ÖTV, DAG und Mar- burger Bund) und den öffentlichen Ar- beitgebern wegen der weit auseinan- derliegenden Zielvorstellungen noch nicht überbrückt.

In der letzten Runde verlangten die Arbeitgeber einen spürbaren Bei- trag der Beschäftigten zur Sanierung der angespannten Krankenhausfinan- zen – statt der von der Arbeitnehmer- seite und den Gewerkschaften erhoff- ten entscheidenden Verbesserungen vor allem bei der Umsetzung des Ar- beitsschutzes und des neuen Arbeits- zeitgesetzes.

Immerhin haben die Arbeitgeber und die Gewerkschaften inzwischen an die Politik und an den Gesetzgeber appelliert, das „Antiprogramm“ zu Lasten der Beschäftigten im Kran- kenhaus zu beenden und statt dessen

bessere gesetzliche Rahmenbedin- gungen für die Krankenhausfinanzen zu schaffen, um sowohl die linearen Tariferhöhungen (1999: + 3,1 Prozent) als auch die nebentariflichen Verbes- serungen aufzufangen und über das Budget zu finanzieren. Nach Maßga- be von § 6 Abs. 3 der Bundespflege- satzverordnung wird lediglich ein Drittel der über die Grundlohnent- wicklung (Summe der beitragspflich- tigen Entgelte der Krankenversicher- ten) hinausgehenden linearen Tarifer- höhungen und Einmalzahlungen im Krankenhausbudget berücksichtigt und von den Kostenträgern erstattet.

Namentlich der Marburger Bund (Verband der angestellten und beam- teten Ärztinnen und Ärzte Deutsch- lands e.V.) hat dies als einen Eingriff in die Tarifautonomie und als eine massive Bedrohung von notwendigen Personalstellen im Krankenhaus be- zeichnet.

Im Budget nicht gedeckt

Auch wenn im Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform 2000 der § 6 Abs. 3 der Bundespflegesatzverordnung ge- strichen ist, sind doch an anderer Stel- le des Entwurfs Regelungen geplant, die ebenso auf eine starre Ausgaben- deckelung und Budgetierung hinaus- laufen. Künftig soll auch der stationä- re Sektor strikt in die Grundlohnbin- dung der Ausgaben und damit in das gesetzliche Gebot zur Beitragssatzsta- bilität einbezogen werden. Damit kommen die Krankenhäuser im Per- sonalkostenbereich automatisch in ei- ne Kostenunterdeckung, denn der Personalkostenblock der Kranken- häuser beansprucht rund 70 Prozent

Krankenhäuser/Krankenhausärzte

Tarifrunde Nummer vier – und noch kein Ende?

Immer noch nicht sind die Tarifverhandlungen über

krankenhausspezifische Regelungen für die Beschäftigten im Krankenhaus unter Dach und Fach.

D

(2)

der laufenden Betriebskosten. Diese sind im Budget aber nicht gedeckt.

In der vierten Tarifrunde fordern die Gewerkschaften, vor allem der Marburger Bund, diese Rahmenbedin- gungen zu ändern und den Arbeits- schutz und das seit 1994 gültige Ar- beitszeitgesetz umzusetzen. Dazu be- darf es ausreichender finanzieller Res- sourcen und der Besetzung von Plan- stellen. Mit Hilfe von „Arbeitszeitkor- ridoren“ und einem speziellen „Ar- beitszeitkonto“ sollte eine höhere Flexibilität der Einsatzzeiten bewirkt werden. Der Marburger Bund appel- liert an die Arbeitgeber, kompromiß- bereit zu sein, damit wieder Frieden in die Krankenhausbetriebe einkehrt und nicht noch zusätzlich Unruhe in- folge der angekündigten gesetzlichen Änderungen.

Die Forderungen der Arbeitge- ber, die zu einer Reduzierung der Per- sonalstellen im Klinikbereich führen würden, sehen folgendes vor:

c Die Gesamtdauer der Ruhe- pausen soll auf einzelne Kurzpausen aufgeteilt werden. Sie dürfen jeweils fünf Minuten nicht unterschreiten.

c Beträgt die Ruhezeit während eines Bereitschaftsdienstes/einer Ruf- bereitschaft mindestens 5,5 Stunden oder bei einem Bereitschaftsdienst/

einer Rufbereitschaft von weniger als 11 Stunden mindestens die Hälfte der Zeit des Bereitschaftsdienstes oder der Rufbereitschaft, kann der Ange- stellte im Anschluß daran zur Arbeit herangezogen werden.

c Die als Arbeitszeit gewährte Zeit der Rufbereitschaft soll durch ent- sprechende Arbeitsbefreiungen aus- geglichen werden können. In diesen Fällen soll die Überstundenvergütung entfallen.

c Die Drei-Stunden-Garantie bei Arbeit aus der Rufbereitschaft heraus soll gestrichen werden.

c Durch eine Betriebsvereinba- rung kann ein bis zu vier Wochen dauernder „Arbeitszeitkorridor“ von bis zu 224 Arbeitsstunden (56 Ar- beitsstunden wöchentlich) eingerich- tet werden, so die Arbeitgeber. Die im Rahmen dieses Korridors geleisteten zusätzlichen Arbeitsstunden werden in maximal einem Jahr ausgeglichen.

c Durch Betriebsvereinbarung kann in einem Betrieb oder in einem Betriebsteil eine tägliche Rahmenzeit

von bis zu 14 Stunden eingeführt wer- den. Die innerhalb der täglichen Ar- beitszeit geleisteten Arbeitsstunden werden im Rahmen eines Ausgleichs- zeitraumes von bis zu einem Jahr aus- geglichen.

c Angestellte, die regelmäßig an Sonn- und Feiertagen arbeiten müssen, sollen innerhalb von vier Wochen vier arbeitsfreie Tage erhalten. Hiervon soll ein freier Tag auf einen Sonntag fallen.

c Einführung eines speziellen

„Arbeitszeitkontos“.

Die Klinikgewerkschaften haben verdeutlicht, daß ein uneingeschränk- tes Mitspracherecht bestehen müsse darüber, wann die auf dem Konto an- gesammelten Stunden zu nehmen sind. Nach einer Interpretation des

Tarifexperten des Marburger Bundes, Lutz Hammerschlag, Köln, bedeutet dies in den Kernforderungen folgen- des:

12-Stunden-Schichten; Kurzpau- sen von fünf Minuten, tägliche Ar- beitszeit bis zu 12 Stunden; 70 monat- liche Überstunden ohne Zuschläge und ohne Ausgleich; nur noch ein frei- er Sonntag im Monat; Streichung der Drei-Stunden-Garantie bei Arbeit aus einer Rufbereitschaft heraus so- wie teilweise Verpflichtung der Kli- nikärzte, nach einer vollen regulären Arbeitszeit und nach einer 16stündi- gen Bereitschaftsdienstzeit weiterzu- arbeiten. Dies ist, so der Marburger Bund, ein Affront und so nicht ver- handelbar. Dr. Harald Clade

A-1818

P O L I T I K AKTUELL

(22) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999

ie Konferenz der für das Ge- sundheitswesen zuständigen Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren der Län- der (GMK) hat Mitte Juni einstimmig ein Dokument „Patientenrechte in Deutschland“ angenommen. Es geht zurück auf den Entwurf einer „Charta der Patientenrechte“, die Teil eines umfassenden Gutachtens zu diesem Thema war. Einer Fußnote zufolge ist das nun beschlossene Dokument nach Beratung mit zahlreichen Institutio- nen des Gesundheitswesens erstellt worden, darunter auch Bundesärzte- kammer (BÄK) und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Die For- mulierung suggeriert Einmütigkeit (siehe Kasten). Das bestätigt Holger Bruns, Pressesprecher des Senats für Frauen, Gesundheit, Jugend, Soziales und Umweltschutz in Bremen: Der Vorstand der Bundesärztekammer habe am Ende das Dokument „abge- segnet“. Auch die KBV habe nach ei- nigen Anmerkungen „ja“ gesagt.

Das entspricht nicht den Tatsa- chen. Die Teilnahme an einem Bera- tungsprozeß bedeute noch keine Zu- stimmung, stellt Rechtsanwältin Ulrike Wollersheim von der Rechtsabteilung der beiden Organisationen klar. „Wir haben mitgearbeitet, aber das heißt nicht, daß wir mit allem einverstanden sind“, betont auch Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Ärztekammer Hamburg und Mitglied im Vorstand der BÄK. Das Dokument sei zu sehr ein Sammelsurium ver- schiedenster Regelungen. Besser wäre es nach seiner Ansicht gewesen, die Grundrechte von Patienten in einem Dokument festzulegen und in anderen Dokumenten haftungs- beziehungs- weise leistungsrechtliche Aspekte.

Von „erheblichen Mängeln“

spricht auch Dr. med. Ursula Auers- wald, Präsidentin der Ärztekammer Bremen und Vizepräsidentin der BÄK. Das Dokument gehe der Ärzte- schaft im Grunde nicht weit genug. So habe man beispielsweise vergeblich

Dokument zu Patientenrechten

Mitarbeit ohne Happy-End

Die Gesundheitsministerkonferenz hat Mitte Juni ein Dokument zum Thema „Patientenrechte“ gebilligt.

BÄK und KBV bestreiten, ihm zugestimmt zu haben.

D

(3)

darauf gedrungen, das Recht von Kin- dern auf eine altersgemäße Versor- gung im Krankheitsfall aufzunehmen.

Durch Dokumente wie das vorliegen- de werde Patienten vorgegaukelt, daß man ihre Rechte stärke. Sie würden in Wirklichkeit durch politische Vorha- ben wie zum Beispiel ein Globalbud- get geschwächt.

Innerhalb des Bremer Senats für Gesundheit sieht man das anders. Was das Dokument betrifft, sei von vorn- herein klar gewesen, daß es um eine Beschreibung von Bestehendem und nicht um die Neusetzung von Recht gehe, erklärte Bruns. Die Zusammen- stellung gebe Bürgern jedoch einen besseren Überblick als zuvor. Und wie soll sie verbreitet werden? Nach In- formationen von Bruns sind im Laufe des Jahres mehrere Veranstaltungen zum Thema „Patientenrechte“ ge- plant. Außerdem bereite man in Bre- men eine Broschüre dazu vor.

Die GMK hat sich noch innerhalb eines Beschlusses „Qualitätsstrategie im Gesundheitswesen“ zum Aspekt

„Patientenorientierung“ geäußert.

Darin ist unter anderem festgelegt:

1Bis zum Jahr 2003 sind neutra- le Patienteninformationssysteme über die Einrichtungen des Gesundheits- wesens aufzubauen.

1Alle Einrichtungen des Ge- sundheitswesens müssen regelmäßig Patienten befragen. Die Spitzenorga- nisationen sollen für jeweils gleiche Gruppen von Leistungserbringern bis

2003 Empfehlungen zur Methodik, Vergleichbarkeit und Evaluation sol- cher Befragungen festlegen.

1Auf Landesebene sind „von In- teressen der einzelnen Beteiligten im Gesundheitswesen unabhängige Pati- entenberatungsstellen“ einzurichten.

1Bis 2003 sind Patientenvertre- tungen beziehungsweise Verbrau- cherschutzverbände in die Gremien des Gesundheitswesens einzubezie- hen, die sich federführend mit Qua- litätsmanagement auseinandersetzen.

Was damit konkret gemeint ist und wie diese Vorhaben finanziert werden sollen, ist unklar. Bruns erläu- tert, die Gesundheitsministerkonfe- renz siedele die Projekte offensichtlich

„eher auf der finanzierbaren Seite“ an.

An die obige Aufstellung schlie- ßen sich weitere Vorgaben zur Qua- litätssicherung im Gesundheitswesen an. Auf die Vorbehalte der Ärzte- schaft wird in diesem Beschluß im- merhin eingegangen. So heißt es: „Die GMK konstatiert, daß die Bundes- ärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung zu einigen Zie- len noch umsetzungsbezogenen Klä- rungsbedarf haben, den sie zum Bei- spiel über Modellmaßnahmen ange-

hen möchten, bevor sie die Zielformu- lierung umfassend mittragen können.“

Die KBV stößt sich nach Darstel- lung von Dr. Dominik Graf von Still- fried, Leiter der Abteilung Grund- satzfragen, an mehreren Punkten. So kritisiert sie, daß die GMK der exter- nen Qualitätssicherung Vorrang vor der internen geben wolle. Außerdem wolle sie diverse Maßnahmen ein- führen, ohne zu wissen, ob sich daraus eine Verbesserung für die Versorgung der Patienten ergebe, und, wenn ja, zu welchem Preis. Insgesamt findet Still- fried es unbefriedigend, daß die Ge- sundheitsminister der Länder die Vor- behalte der Ärzteschaft zwar aufge- nommen haben, die umstrittenen Pas- sagen sich jedoch demnach im Gesetz- entwurf zur Gesundheitsreform 2000 wiederfinden.

Zurück zu den Patientenrechten:

Die Bundesärztekammer plant nach Angaben von Montgomery, zu diesem Thema selbst ein Dokument vorzule- gen und es in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. Ähnlich war die Kammer 1998 mit den Richtlinien zur ärztlichen Sterbebegleitung verfahren – ein Vorgehen, das damals viele be-

grüßten. Sabine Rieser

ir wollen bewußt nicht über das Gesetz sprechen“, lei- tete Dr. med. Siegmund Drexler im Namen der Landesärzte- kammer Hessen am 18. Juni 1999 im Frankfurter Universitätsklinikum die Diskussionsveranstaltung ein. Ein Blick auf die Referentenliste hätte ihn bei dieser Einschätzung etwas vorsich- tiger stimmen müssen. Neben dem Philosophen und Politologen Prof. Dr.

Iring Fetscher saßen auf dem Podium:

der Präsident der Landesärztekam- mer Hessen, Dr. med. Alfred Möhrle;

der für die Gesetzliche Krankenversi- cherung zuständige Abteilungsleiter im Bundesministerium für Gesund- heit, Dr. med. Hermann Schulte-Sasse;

und der stellvertretende Hauptge- schäftsführer der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med.

Lothar Krimmel. Diese Zusammen- setzung versprach ein anregendes Streitgespräch, aber ein tagesaktueller A-1820

P O L I T I K AKTUELL

(24) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999

Diskussion über Zukunft des Gesundheitswesens

Keine Chance für Visionen

Zu einer „visionären Schau in die Zukunft des

Gesundheitswesens“ hatte die Landesärztekammer Hessen eingeladen. Doch die aktuelle Auseinandersetzung

um die Gesundheitsreform 2000 versperrte den Weitblick.

W

Umstrittene Fußnote

„Dieses Dokument ist in ei- nem gemeinsamen Beratungsprozeß durch den AOK-Bundesverband, den Arbeitskreis Gesundheit und So- ziales der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder, die Ar- beitsgemeinschaft der Verbraucher- verbände, die Bundesärztekammer, die Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnen-Stellen, das Bundesmi- nisterium für Gesundheit, die Bun- deszahnärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft e.V., den Deutschen Pflegerat, die Kassenärzt- liche Bundesvereinigung, die Notge- meinschaft Medizingeschädigte e.V., den Verband der Angestellten-Kran- kenkassen e.V./Arbeiter-Ersatzkas- sen-Verband e.V. sowie die beteilig- ten Länder erstellt worden.“ GMK

(4)

Bezug zur Gesundheitspolitik schien unvermeidbar. Und so sahen sich die nur wenigen Zuhörer im großen Hör- saal des Frankfurter Klinikums recht schnell mit einer kontroversen Debat- te konfrontiert, die sich hauptsächlich auf die mit der Gesundheitsreform 2000 zu erwartenden strukturellen Veränderungen bezog.

Der Präsident der Landesärzte- kammer Hessen, Alfred Möhrle, hält das deutsche Gesundheitswesen im- mer noch für leistungsfähig. Auf der Einnahmeseite habe man allerdings mit der Kostenentwicklung, bedingt durch den medizinischen Fortschritt und die demographische Entwick- lung, nicht Schritt halten können. Ei- ne medizinische Versorgung in der Gesetzlichen Krankenversicherung auf dem Stand des Jahres 1970 wäre heute ohne weiteres zu finanzieren.

Rationierung droht bei der Versorgung

Auch wenn hier und da noch Rationalisierungsreserven vorhanden seien, gehe kein Weg daran vorbei, über andere ärztliche Honorierungs- systeme nachzudenken. Anderenfalls drohe die Rationierung bei der medi- zinischen Versorgung. Auch die Ver- ringerung der Zahl der niedergelasse- nen Ärzte könne eine Entlastung bringen. Der inzwischen vom Bun- deskabinett gebilligte Gesetzentwurf werde den Anforderungen nicht ge- recht, sondern führe zu einem Umbau des Systems mit einer künftigen Vor- herrschaft der Krankenkassen, das Globalbudget bedeute den Einstieg in die Rationierung.

Für Schulte-Sasse scheinen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den er mitgestaltet hat, einige Visio- nen bereits in greifbare Nähe gerückt zu sein. Ein entscheidendes Defizit der derzeitigen medizinischen Ver- sorgung sei die völlig unzureichende Datenlage darüber, was sich genau in- nerhalb des komplexen Gesundheits- systems abspiele. Im Vergleich zu an- deren Ländern konstatierte Schulte- Sasse eine gute Ausgangslage – so et- wa ein dichtes Netz von Krankenhäu- sern mit einer hohen Versorgungsstu- fe und viele niedergelassene Fachärz- te. Diese sogenannte Strukturqualität

münde allerdings nicht in eine ent- sprechende Prozeßqualität: Niemand wisse genau, was mit dem Patien- ten im Gesundheitssystem geschieht.

Hier sei zuviel Zufall im Spiel, es be- stehe eine zu große Bandbreite an Optionen, die bei der medizinischen Versorgung gewählt werden können.

Schließlich zeige die Ergebnisqua- lität, führte Schulte-Sasse aus, daß die gute Strukturqualität in Deutschland nicht zu einem Vorsprung vor Län- dern mit geringerer Strukturqualität führe. Da seiner Ansicht nach das Gesundheitssystem in Deutschland, vergleicht man es mit den Pro-Kopf- Ausgaben für medizinische Versor- gung in Europa, nicht unterversorgt ist, sei es vordringlich, die Datenlage zu verbessern. Eine Versorgungsfor- schung, wie es sie in anderen Ländern bereits gebe, müsse auch in Deutsch- land etabliert werden. Das Gesund- heitsreformgesetz ermögliche die dafür erforderliche Datentranspa- renz, so daß künftig Steuerungsele- mente innerhalb des Gesundheitssy- stems besser eingesetzt werden könn- ten.

Rückschritt in die Zeit vor 1923

Für die deutschen Kassenärzte komme die Realisierung der Gesund- heitsreform – so meinte Krimmel – ei- nem Rückschritt in die Rechtsverhält- nisse vor 1923 gleich. Ein bestehendes Gleichgewicht werde massiv zugun- sten der Krankenkassen verschoben.

Die Reform bedeute nichts weniger als ein „Ermächtigungsgesetz für die Krankenkassen“. In der Diskussion werde zumeist außer acht gelassen, daß das ärztliche Einkommen vor Steuern nur 6,2 Prozent der Kassen- Gesamtausgaben ausmache, gegen- über 7,7 Prozent in 1990. Allerdings werde der Ärzteschaft die Verantwor- tung für die Entwicklung in fast allen anderen Bereichen zugewiesen. Einer stetig zunehmenden Morbidität kön- ne man nicht immer weniger Ressour- cen entgegensetzen. Schon heute gebe es eine gravierende Unterversorgung bei bestimmten Krankheitsbildern.

Der medizinische Fortschritt habe, führte Krimmel aus, die Behandlung bestimmter Krankheiten erst möglich

gemacht; dies habe allerdings auch zu einem explosionsartigen Kostenan- stieg in diesen Bereichen geführt.

Krimmel bestritt, daß es noch Ratio- nalisierungsreserven gebe. Das ge- plante Globalbudget könne nichts an- deres bedeuten als Rationierung von Gesundheitsleistungen. Damit werde zudem das dynamische Wachstum des volkswirtschaftlich bedeutsamen Ge- sundheitsmarkts abrupt gestoppt.

Dies ziehe auch einen Stellenabbau nach sich.

Prävention

und liberaler Staat

Etwas auf verlorenem Posten stand der Philosoph und Politologe Iring Fetscher, da er in seinem Beitrag tatsächlich jenseits der aktuellen Aus- einandersetzung um die Gesundheits- reform 2000 auf mögliche künftige Entwicklungen einging. Wichtig er- scheint ihm, den Gedanken der Prävention künftig noch stärker im ärztlichen Handeln zu verankern.

Zwar bestehe hier ein gewisses Span- nungsverhältnis zu einem liberalen Staatsverständnis, doch sollte auch ein liberaler Staat Überzeugungsar- beit im präventiven Bereich leisten dürfen. Man müsse sich fragen, ob nicht derjenige, der fahrlässig mit sei- ner Gesundheit umgehe, zutiefst un- solidarisch handele und damit die ein- geforderte Solidarität des Gesunden mit den Kranken aufs Spiel setze. Fet- scher bezweifelte, daß der Hausarzt alter Prägung den zukünftigen Anfor- derungen einer medizinischen Versor- gung auf dem neuesten Stand noch ge- recht werden könne; Ärzteteams sei- en dafür eher geeignet. Aus seiner Pa- tienten-Perspektive ist künftig eine Art Ärzte-TÜV wünschenswert.

Die Landesärztekammer Hessen wird die Initiative für eine dort institu- tionell verankerte Zukunftswerkstatt ergreifen. Dies kündigte Kammerprä- sident Möhrle zum Abschluß der Ver- anstaltung an. Wer sich nicht das Heft aus der Hand nehmen lassen wolle, müsse sich frühzeitig mit den zukünf- tigen Möglichkeiten ärztlichen Han- delns auseinandersetzen. Erstrebens- wert sei es, eine solche Entwicklung auch bei der Bundesärztekammer in Gang zu setzen. Dr. Thomas Gerst A-1821

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 27, 9. Juli 1999 (25)

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Krankenhaus Lübbecke-Rahden/Medizinisches Zentrum für Seelische Gesundheit Das Krankenhaus Lübbecke wird neben der Psychiatrie einen weiteren Schwerpunkt erhalten: die Geriatrie

(1) 1 Der Verbandsvorstand wählt aus seiner Mitte für die Dauer der Amtszeit eine Vor- sitzende oder einen Vorsitzenden, sowie eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter.. 2 Es

Langfristig wird sich die Kran- kenversicherung, für die es künftig eine Pflicht zur Versicherung geben wird, auf eine steuerfinanzierte Grund- finanzierung für

Zu den Regionalkongressen „Via Me- dici – Zukunftschancen für junge Mediziner“ laden die Ärztekammer Nordrhein und die Akademie für medizini- sche Fortbildung der Ärz-

Eine Lösung bei der nächsten Tarifverhandlungsrunde wird es aus der Sicht der Gewerkschaften nur geben, wenn die Arbeitgeber bereit sind, davon abzugehen, die fehlende

Ehlert wegen deren Selbständigkeit nicht greifen konnten (wie übri- gens auch bei allen nicht dau- erhaft beschäftigten Frauen, also zum Beispiel auch bei der Mehrzahl der Ärztinnen

Bei die- sen Patienten sollten vor Beginn der LOPIRIN®-Therapie die Diuretika abgesetzt oder deren Dosis stark reduziert und auch die LOPIRIN®-Dosis reduziert werden, um

Das Jugendamt ist nach Maßgabe des Sozialgesetzbuches (SGB) – Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe -, der dazu erlassenen Ausführungs- gesetze und dieser Satzung für