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Big Pharma in Partystimmung | Die Volkswirtschaft - Plattform für Wirtschaftspolitik

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PHARMALAND

32 Die Volkswirtschaft   12 / 2021

In den Teppichetagen der Pharmakonzer- ne herrscht Feststimmung. Die Firmenbosse schwingen das Tanzbein, weil die Regierun- gen es verpasst haben, ihre über 100 Milliar- den Franken an öffentlichen Investitionen für die Entwicklung von Covid-19-Technologien an konkrete Bedingungen zu knüpfen. Das Resul- tat: Die Unternehmen bestimmen, wer wann und zu welchem Preis Zugang zu Tests, Imp- fungen und Behandlungen erhält, und priva- tisieren die so generierten Riesengewinne. Die Konsequenz: ein weltweit ungleicher Zugang zu Prävention und Behandlung und die Verlän- gerung der Pandemie mit all ihren gesundheit- lichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Die Basler Pharmariesen mischen dabei kräftig mit. Zwar hat Novartis seine Impf- stoffsparte vor einigen Jahren verkauft. Aber durch Produktionsaufträge kann sich der Kon- zern dennoch ein schönes Stück vom Corona- Kuchen abschneiden und hofft, dass sich die angekündigten eigenen Produkte bewähren.

Roche ist derweil dick im Geschäft mit Tests, und die nächste Goldgrube wartet schon um die Ecke: Zwei ihrer Covid-19-Medikamente hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schon zur Behandlung empfohlen, und ein drittes ist in der letzten Entwicklungsphase.

Alle Versuche, die Pandemie mit einer tem- porären Aufhebung der Rechte an geistigem Eigentum («Trips-Waiver») und einem Techno- logietransferpool («C-TAP») schnell und über-

all auf der Welt einzudämmen, werden von der Pharmalobby bekämpft und in der Folge von der Schweiz und anderen Ländern blockiert.1 Dabei sollten Covid-19-Technologien schon auf- grund ihrer massiven Subventionierung ein Gemeingut sein. Doch selbst dringendste Ap- pelle für mehr Verantwortung und Solidarität in dieser globalen Gesundheitskrise verhall- ten wirkungslos. Die Pharmamultis perfek- tionierten vielmehr ihr Geschäftsmodell, und reiche Länder sind dabei sowohl Komplizen, die dieses Modell schützen, als auch Geiseln, weil die Konzerne die Konditionen diktieren.

Riesige Margen

Als wichtigste Exportindustrie haben die Phar- mafirmen einen enormen Einfluss auf die Schweizer Politik. Die Selbstinszenierung als Hort der Innovation und Retterin in der Not lief auch hierzulande äusserst erfolgreich.

Dabei steht dieses Image in krassem Wider- spruch zur profit- und nicht bedarfsorientier- ten Produktpolitik, den massiven staatlichen Subventionen (von der Grundlagenforschung bis zu garantierten Absatzmärkten) sowie rie- sigen Gewinnmargen, Boni und Dividenden der Branche. Diese Missstände sind das Resul- tat eines kranken Systems und Ausdruck einer pervertierten marktwirtschaftlichen Logik.

Ein bedeutender Sieg für die Pharmaindus- trie und besonders verheerend für die öf- fentliche Gesundheit ist das 1995 in Kraft ge- tretene Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (Trips). Dieses globalisiert ein profitorientier- STANDPUNKT VON GABRIELA HERTIG

Im Pharmasektor sind die Regulierungen zu wenig griffig. Die Leidtragenden sind die Steuerzahlenden und die Bevölkerung in einkommensärmeren Ländern.

Big Pharma in Partystimmung

1 Bei der WTO laufen derzeit Verhandlungen zur Suspendierung gewisser Aspekte des Trips-Abkommens, beschränkt auf Covid-19 Technologien und für die Dauer der Covid-19 Pandemie. Entwicklungen sind nur bis Redaktionsschluss berücksichtigt.

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FOKUS

Die Volkswirtschaft   12 / 2021 33

Gabriela Hertig ist verantwortlich für Gesundheitspolitik bei Public Eye, Zürich.

tes und fehler haftes Anreizsystem. Hier die drei wichtigsten Probleme: Erstens, Pharma- konzerne entwickeln Medikamente für zah- lungskräftige Kranke sowie – wegen der langen Behandlungsdauer – für chronische Erkran- kungen. Medikamente gegen Krankheiten, die vor allem in einkommensschwachen Ländern auftreten, sogenannte vernachlässigte Tro- penkrankheiten, sind hingegen nicht lukra- tiv. Genauso wenig wie Antibiotika (die so we- nig wie möglich verschrieben werden sollten) oder Impfstoffe – ausser zu Pandemiezeiten.

Zweitens, obschon öffentliche Investitionen die Entwicklungsrisiken massiv vermindern, werden die ebenso massiven Profite von den Konzernen privatisiert. Patente sollten Unter- nehmen eigentlich für die Entwicklungskosten von Produkten entschädigen, indem sie die Kon- kurrenz hindern, diese Erfindung einfach zu kopieren und selbst zu verkaufen. Bezüglich der eigenen Investitionen verweigert die Pharma- industrie aber hartnäckig jegliche Transparenz.

Unabhängige Schätzungen zeigen jedoch, dass die Kosten wohl 15- bis 40-mal tiefer sind als die von der Branche publizierten Fantasiezahlen – damit sind die Margen um ein Vielfaches höher.

Drittens, der Missbrauch der durch Patente abgesicherten Monopolmacht führt zu immer höheren Preisen. Das hat besonders in einkom- mensschwachen Ländern verheerende Folgen:

Laut der UNO haben über 2 Milliarden Men- schen keinen Zugang zu essenziellen Medi- kamenten. Aber auch in der Schweiz machen Medikamente aktuell etwa ein Viertel aller Kos- ten der obligatorischen Krankenkasse aus.

Gesundheit als Menschenrecht

Ein grundlegender Punkt geht in der Schwei- zer Pharmapolitik vorsätzlich vergessen: Es ist Aufgabe des Staates, das Menschenrecht auf Gesundheit und damit den Zugang zu

Medikamenten zu gewährleisten. Wenn er die Medikamentenversorgung an den Privatsektor delegiert, befreit dies den Staat nicht von seiner primären Verantwortung, die Menschenrechte zu schützen und zu respektieren. Somit müssen das Parlament und die Regierung diese Über- tragung der Verantwortung rechtlich regeln, eine wirksame Aufsicht

und Sanktionsmöglich- keiten sicherstellen.

Ein fundamentaler Schritt in diese Rich- tung im aktuellen Sys- tem und bei konkreten politischen Geschäften ist mehr Transparenz.

Einerseits bei der Offen- legung der eigenen und

öffentlichen Investitionen, so wie dies bereits Italien und Frankreich umsetzen, andererseits bei der Festsetzung der Preise.

Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Kos- tendämpfungsmassnahmen bewegen sich aber in die entgegengesetzte Richtung. Damit sollen Preismodelle («managed entry agree- ments») gesetzlich verankert werden und die vom zuständigen Bundesamt für Gesundheit ausgehandelten Geheimrabatte nicht über das Öffentlichkeitsgesetz einsehbar sein. Eine sol- che gesetzlich verankerte Intransparenz wür- de die sowieso schon grosse Informations- und Machtasymmetrie zugunsten der Konzerne ver- stärken.

Es ist Zeit zu handeln, denn ohne konkrete Regulierungsmassnahmen wird die Pharma- party noch die ganze Nacht dauern. Und es sind selten diejenigen, die feiern, die am Morgen da- nach aufräumen.

«Der Missbrauch der durch Patente abgesicherten

Monopol macht führt

zu immer höheren

Preisen»

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