Antihistaminikum Cetirizin
bei allergischem Asthma erprobt
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ie neueren Erkenntnis- se zur Pathogenese des allergisch bedingten Asthma bronchiale lassen vermuten, daß es sich um eine eher inhomogene und auf je- den Fall multifaktorielle Krankheitsentwicklung han- delt. Diese Schlußfolgerung aus den aktuellen For- schungsergebnissen zog Prof.Dieter Nolte, Bad Reichen- hall, auf einem Cetirizin- Workshop, der im Rahmen des 22. Bad Reichenhaller Kolloquiums stattfand.
Die früher anerkannte Schlüsselrolle der Histamin- freisetzung aus Mastzellen als Start für die Bronchokon- striktion ist inzwischen modi- fiziert, ihre Bedeutung für den Gesamtkrankheitsablauf wird heute von den meisten Forschern wesentlich niedri- ger eingestuft. Dies mag auch die in der Vergangenheit ent- täuschend verlaufenen The- rapieversuche mit Antihista- minika erklären, da mit die- sen kein Einfluß auf inzwi- schen identifizierte weitere Mediatoren (z. B. Substanz P, Interleukine 3 und 5, PAF usw.), welche wahrscheinlich
eine Rolle spielen, ausge- übt werden kann. Ebensowe- nig greifen die meisten Anti- histaminika in das für die Pathogenese wesentliche zel- luläre Entzündungsgesche- hen ein.
Mit Cetirizin steht ein hochselektives Antihistamini- kum zur Verfügung, welches in elf europäischen Ländern bereits zugelassen ist und ein- gesetzt wird. In der Bundes- republik wird die Substanz gemeinsam von UCB Chemie und Cassella-Riedel Pharma unter dem Präparatenamen Zyrtec Anfang nächsten Jah- res eingeführt.
Neben den bekannten Haupteinsatzgebieten der Antihistaminika eignet sich Cetirizin auch zur Behand- lung des allergischen Asthma bronchiale. Grundlage hier- für ist vor allem seine hohe Affinität zu den H-1-Rezep- toren. Dr. Lisbeth Ghys, Brai- ne-LAlleud, Belgien, stellte Vergleichsuntersuchungen
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vor, nach denen mit der the- rapeutisch empfohlenen Do- sis von 10 mg Cetirizin eine 84prozentige Inhibition der Histaminrezeptoren erreicht wird. Andere Antihistaminika erreichen mit den üblichen Therapiedosen diese hohen Werte nicht. Für eine ad- äquate Inhibition (82 Pro- zent) durch Terfenadin müs- sen beispielsweise 180 mg ap- pliziert werden. Gleichzeitig ist Cetirizin hochselektiv, praktisch ohne Bindung an Strukturen von H2-, H3-, Se- rotonin-, Dopamin-, Muska- rin- oder Alpha-Adreno-Re- zeptoren. Cetirizin gehört au- ßerdem zu den nicht-sedie- renden Antihistaminika, was in den bisherigen klinischen Studien sowohl subjektiv von den Patienten bestätigt wur- de, als auch mit Testverfah- ren und EEG-Analysen veri- fiziert werden konnte.
In einer französischen ran- domisierten Doppelblind- Studie (Bruttmann, Pedrali,
Arendt und Rihoux, 1988) wurde eine 14tägige Cetiri- zin-Therapie (n = 28) mit 15 mg/die gegen Plazebo (n = 29) bei Patienten mit aller- gisch (Pollen) bedingtem Asthma getestet. Bereits nach einer Woche zeigte sich eine deutlich ungünstigere Entwicklung der Lungen- funktionen in der Plazebo- gruppe. Ebenfalls innerhalb der ersten sieben Tage wur- den in der Verumgruppe er- heblich weniger andere Medi- kamente benötigt (Broncho- lytika, Antihistaminika, Kor- tikoide, Theophyllin). Nach 14 Tagen konnten die Ergeb- nisse nicht mehr verglichen werden, da in der Plazebo- gruppe bis dahin 23 Patienten die Studie vorzeitig beendet hatten.
Diese Resultate belegen eine protektive Wirkung von Cetirizin bei Pollenasthma, obwohl sicher — schon allein wegen der unterschiedlichen und multifaktoriellen Patho- genese — ein Antihistamini- kum allein nicht zu einem wirksamen Therapeutikum für alle Asthmatiker werden kann. Peter Schombert
Fortschritte bei Chorea Huntington
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it verfeinerten funk- tionellen Testverfah- ren kann man heute vor Ausbruch der klinischen Symptomatik der Chorea Huntington immer früher auf die Spur kommen. Zusam- men mit einer ausführlichen Familienanamnese und dem Nachweis entsprechender Genmarker lassen sich heute über 90 Prozent aller Gefähr- deten mit weitgehender Si- cherheit bestimmen, wie Dr.Herwig Walter Lange, Düs- seldorf, auf einem vom Phar- maunternehmen Schürholz gesponserten Symposium über Hyperkinetische Syn- drome in München erläu- terte.
Diese Frühdiagnostik ist von entscheidender Bedeu- tung für eine eugenische Be- ratung, da die Krankheit mit Ausnahme der wenigen sich früh manifestierenden Ver- läufe erst ab dem dritten oder vierten Lebensjahrzehnt kli-
nisch in Erscheinung tritt. Mit Untersuchungen wie des Longloop-Reflexes am Arm oder kognitiv evozierter Po- tentiale und auch von Sakka- denbewegungen finden sich in einem hohen Prozentsatz (je nach Methode zwischen 70 und 90 Prozent) pathologi- sche Ergebnisse bei klinisch noch unauffälligen Hunting- ton-Patienten. Allerdings zei- gen auch Personen, die nicht Träger des Krankheitsgenes auf Chromosom 4 sind (zwi- schen fünf und fünfzehn Pro- zent), Auffälligkeiten.
Ähnliches gilt für die bild- gebenden Verfahren CT, NMR und PET bei der Un- tersuchung des ZNS. Sie lie- fern zwar oft schon Jahre vor einer klinischen Manifesta- tion pathologische Befunde, sind aber nicht vollkommen zuverlässig. Prof. Dr. Adolf
Weindl, München, erhofft sich aber in absehbarer Zu- kunft von der Positronen-Em- missions-Tomographie deut- lich höhere Trefferquoten.
Ein tatsächlicher Durch- bruch in der Diagnostik aber würde erst der exakte Nach- weis der verantwortlichen DNS-Sequenzen auf dem Te- leomer von Chromosom 4 bringen. Zur Zeit existieren Testverfahren, mit denen es gelingt, Marker in der Nähe dieses Genortes nachzuwei- sen. Aufgrund der biologi- schen Variabilitäten, die zum Beispiel im Rahmen eines Crossing-over entstehen, kön- nen damit aber auch nur Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen werden. Dr. Lange ging jedoch davon aus, daß in wenigen Jahren ein direktes Nachweisverfahren entwik- kelt sein wird und damit eine
definitive Frühdiagnose mög- lich ist. Dies ist heute im prä- klinischen Stadium nur bei et- wa zwei Prozent der Patien- ten tatsächlich möglich, wie Prof. Dr. Horst Przuntek, Bo- chum, betonte.
Mit der Einführung der Benzamide als hochwirksame D2-Rezeptorenblocker ist laut Dr. Lange auch auf dem therapeutischen Gebiet ein deutlicher Fortschritt erzielt worden. Die Hyperkinesien können mit dem Benzamid Tiaprid (Tiapridex®) sehr gut angegangen werden, gleich- zeitig sind die Nebenwirkun- gen vergleichsweise gering.
Lange stufte daher Tiaprid zur Zeit als das Mittel der Wahl bei Chorea Huntington ein. Andere Substanzklassen wie etwa Thymoleptika, Neu- roleptika und Benzodiazepi- ne werden bei entsprechen- der Zusatzsymptomatik der Chorea Huntington einge- setzt. Peter Schombert Dt. Ärztebl. 86, Heft 39, 28. September 1989 (85) A-2765