atienten mit funktionellen be- ziehungsweise somatoformen Störungen im Urogenitalbe- reich werden häufig beim niederge- lassenen Arzt oder Urologen behan- delt, sodass die meisten Patienten nicht stationär aufgenommen wer- den. Somatoforme (funktionelle) Krankheitsbilder sind die „chroni- sche Prostatitis“ (Prostatodynie) und die Reizblase. Epidemiologische Da- ten zu funktionellen Störungen oder somatoformen Störungen des uroge- nitalen Systems fehlen weitgehend.
Nach Günthert (6) haben 30 bis 50 Prozent der Patienten in der Sprech- stunde des niedergelassenen Urolo- gen eine psychosomatisch bedingte Erkrankung.
Somatoforme Störungen sind in der internationalen WHO-Klassifi- kation ICD-10 wie folgt definiert:
„Das Charakteristikum ist die wiederholte Darbietung körperlicher Symptome in Verbindung mit hart- näckigen Forderungen nach medizi- nischen Untersuchungen trotz wie- derholter negativer Ergebnisse und Versicherungen der Ärzte, dass die Symptome nicht körperlich begründ-
bar sind. Wenn somatische Störungen vorhanden sind, erklären sie nicht die Art und das Ausmaß der Symptome oder das Leiden und die innerliche Beteiligung des Patienten“ (ICD-10).
Die große und heterogene Grup- pe der somatoformen Störungen wird in ICD-10 in verschiedene Kategorien untergliedert. Dies trifft auch für die somatoformen Störungen des Uroge- nitalsystems zu. Je nach Leitsympto- matik oder betroffener Hauptfunk- tion lassen sich prinzipiell die in Ta- belle 1 aufgeführten Subtypen diffe- renzieren.
Die Heterogenität der somato- formen Störungen liegt auch darin begründet, dass somatische Fakto- ren unterschiedliche Relevanz ha- ben und Subtypen bedingen (zum Beispiel vorausgehende Infektionen, begleitende Blasenentleerungsstö-
rungen bei Prostatodynie). Tölle (14) hat in seinem Editorial zu Recht darauf hingewiesen.
Funktionell steht also versus morphologisch oder strukturell, nicht etwa versus organisch oder soma- tisch. Denn die funktionellen Störun- gen spielen sich am Organ ab, sie sind insofern etwas somatisches.
Falsch wäre es, „funktionell“
gleichzusetzen mit „psychisch“ oder
„psychogen“ (14).
Die häufigste somatoforme Stö- rung des Urogenitalsystems ist beim Mann die „chronische Prostatitis“
(Synonyme: Prostatodynie, vegeta- tives Urogenitalsyndrom). Das weib- liche Analogon hierzu ist die „Reiz- blase“. Die Blase ist ein vegetativ innerviertes Organ. In der ICD-10- Klassifikation ist sie deshalb in der Kategorie F45.34 als „somatofor- me autonome Funktionsstörung des Urogenitalsystems“ einzuordnen. Die Prostatodynie (die bakteriell negative chronische Prostatitis oder das vege- tative Urogenitalsyndrom) kann ent- weder als „sonstige somatoforme Störung“ (Ziffer F45.8) oder als
„anhaltende somatoforme Schmerz-
Somatoforme
(funktionelle) Störungen des Urogenitalsystems
Behandlung von Prostatodynie und Reizblase Herbert Csef
1Klaus Rodewig
2Jürgen Sökeland
3In der Praxis des niedergelassenen Urologen sind funktio- nelle (somatoforme) Störungen sehr häufig. Bei Männern ist die Prostatodynie („chronische Prostatitis“), bei Frau- en die „Reizblase“das häufigste funktionelle Krankheits- bild. Psychosomatische Konzepte integrieren prädispo- nierende somatische Faktoren, Persönlichkeitsmerkmale und psychosoziale Faktoren. Die Letzteren können das Krankheitsbild auslösen und haben bei der Chronifizie-
rung große Bedeutung. Beratung oder Psychoedukation durch den
Arzt der Primärversorgung oder spezifische psychothera- peutische Interventionen durch den Fachpsychotherapeu- ten sind von großer Bedeutung für eine erfolgreiche Be- handlung.
Schlüsselwörter: Prostatodynie, chronische Prostatitis, Reizblase, somatoforme Störung
ZUSAMMENFASSUNG
Somatoform Disorders of the Urogenital System
Functional urologic disorders are very frequent among uro- logic outpatients. The most common syndromes are prosta- todynia (“chronic prostatitis”) in male patients, and irritable bladder in female patients. Psychosomatic concepts inte- grate predisposing somatic conditions, personality features and psychosocial factors. The latter may trigger the onset and
seem to have the greatest influence on chronifica- tion. Counselling or psycho-education provided
by primary care physicians, or psychotherapeutic interven- tions by specialists are of major importance for successful treatment.
Key words: Prostatodynia, chronic prostatitis irritable blad- der, frequency-urgency syndrome, somatoform disorder
SUMMARY
P
1 Medizinische Poliklinik (Direktor: Prof. Dr.
med. Klaus Wilms) der Universität Würzburg
2 Abteilung Innere Medizin (Chefarzt: Dr.
med. Klaus Rodewig) der Fachklinik Hoch- sauerland, Bad Fredeburg
3Institut für Arbeitsphysiologie an der Univer- sität Dortmund
störung“ (Ziffer F45.4) eingeordnet werden (3).
Die funktionellen Sexualstörun- gen sind prinzipiell ebenfalls den funktionellen Beschwerden des Uro- genitalsystems zuzuordnen, insbe- sondere dann, wenn somatische Ur- sachen ausgeschlossen sind. Wegen zahlreicher Besonderheiten (zum Beispiel komplexe Ätiologie, häufig vorhandene Situations- und Partner-
abhängigkeit, enger Zusammenhang mit Verhaltensauffälligkeiten) wer- den die sexuellen Funktionsstörun- gen in der ICD-10-Klassifikation nicht der großen Gruppe der „soma- toformen Störungen“ zugeordnet.
Die sexuellen Funktionsstörungen finden sich vielmehr im Kapitel F50 bis F59, das „Verhaltensauffälligkei- ten mit körperlichen Störungen und Faktoren“ enthält. Wegen der Be- sonderheiten in Ätiologie, Klassi- fikation und Therapie werden die sexuellen Funktionsstörungen in die- sem Beitrag nicht ausführlicher be- sprochen. Dieser Themenkomplex wurde Anfang des Jahres bereits in den Heften 6, 8, 10 und 12 des Deut- schen Ärzteblatts behandelt.
Prostatodynie,
Urogenitalsyndrom und Beckenbodenmyalgie
Die Begriffe chronische bakteri- elle Prostatitis, chronische abakteri- elle Prostatitis, chronische unspezifi- sche Prostatitis, Kongestionsprosta- titis, prostatisches Syndrom, Prosta- topathie und vegetatives urogenita-
les Syndrom werden als Synonyme für eine Prostatodynie verwendet.
Klinisch muss zwischen der aku- ten bakteriellen Prostatitis, der chro- nischen Prostatitis, dem so genann- ten Urogenitalsyndrom und den Be- schwerden bei proktologischen Er- krankungen unterschieden werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Urologie hat in ihren Leitlinien (8) die aus Tabelle 2 ersichtliche Ein-
teilung der Prostatitisformen vorge- schlagen.
Gemeinsam sind diffuse Be- schwerden im Beckenbereich, die in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit aufgeführt sind:
❃ Druckgefühl im Damm,
❃ziehende Beschwerden in den Lei- sten, die bis in die Hoden ausstrah- len können,
❃vermehrter Harndrang, gelegent- lich erschwertes, verlangsamtes Wasserlassen,
❃Brennen in der distalen Harnröh- re,
❃Druckgefühl oder Brennen hinter dem Schambein,
❃Spannungsgefühl im Kreuzbeinbe- reich, Nachträufeln.
Die Symptomatik ist sehr vielge- staltig und kann sich im chronischen Krankheitsverlauf in ihrer Gestalt wandeln. Insgesamt beziehen sich die Symptome überwiegend auf die Harnwege, die Anorektalregion, die Genitalregion und die Sexualfunkti- on. Der Textkasten Symptomatik der Prostatodynie fasst die genannten Symptomgruppen in ihrer klinischen Phänomenologie zusammen.
Eine große Variabilität unspezi- fischer Beschwerden und eine chroni- sche Verlaufsform sind charakteri- stisch (16). Versuche, durch infektio- logisch-bakterielle Befunde eine
„echte“ bakterielle Prostatitis vom rein psychosomatisch bedingten ve- getativen Urogenitalsyndrom zu un- terscheiden, haben bislang keine be- friedigenden Kriterien bringen kön- nen (15, 2). Bei Patienten, bei denen keine bakteriellen Befunde nach- weisbar sind, aber die entsprechen- den Symptome einer Prostatitis be- stehen, wird das Krankheitsbild als vegetatives Urogenitalsyndrom, Pro- statodynie oder Beckenbodenmyal- gie eingestuft. 52,4 Prozent der Pati- enten mit chronischer Prostatitis ha- ben keine Entzündungszeichen. Dif- ferenzialdiagnostisch müssen auch proktologische Erkrankungen ausge- schlossen werden.
Die Prostatodynie hat mit ihren verschiedenen Subtypen eine we- sentliche Gemeinsamkeit mit so- matoformen (funktionellen) Störun- gen anderer Organsysteme. Auch beim Reizdarmsyndrom oder bei der Tabelle 1
Funktionelle Störungen des Urogenitalsystems (Klassifikationsmöglichkeiten nach ICD-10) ICD-10-Ziffer Diagnostische Kategorie Hauptfunktion
F45.34 Somatoforme autonome Vegetatives Nervensystem Funktionsstörungen des
urogenitalen Systems
F45.4 Anhaltende somato- Chronischer Schmerz forme Schmerzstörung
F45.8 Andere somatoforme –
Störungen
F52 Sexuelle Funktionsstörungen Sexualfunktion
Tabelle 2
Formen der Prostatitis (Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Urologie DGU)
Akute Chronische Abakterielle Prostatodynie bakterielle bakterielle Prostatitis
Prostatitis Prostatitis Eitriges
Prostatasekret + + + –
Erregernachweis + + +/– –
Symptome Akut, Typische, gleiche Symptomatik fieberhaft
funktionellen Dyspepsie gibt es ver- schiedene Subtypen, die sich jeweils durch physiologische oder psychoso- ziale Faktoren unterscheiden.
Meares (11) hat drei Gruppen differenziert:
❃Patienten, bei denen Spannungsmy- algien des Beckenbodens im Vor- dergrund stehen,
❃Patienten mit funktionellen Bla- senentleerungsstörungen,
❃Patienten mit primär stressassozi- ierten emotionalen Störungen.
Der diagnostische und differenzi- aldiagnostische Prozess erfordert Sorgfalt, da sowohl die einzelnen Pro- statitisformen als auch Syndrome be- nachbarter Organsysteme (Anorek- talregion, Sexualstörungen) ausge- schlossen werden müssen. Die Pro- statodynie bleibt schließlich – wie bei anderen somatoformen Störungen auch – eine Ausschlussdiagnose. Der Textkasten Diagnostik der Prostatody- nie beschreibt die wesentlichen Un- tersuchungen im diagnostischen Pro- zess.
Reizblase
Für die Reizblase werden psy- chosomatisches Urethralsyndrom, Ir- ritable Bladder, Urethralsyndrom, Frequency-Urgency-Syndrom als Sy- nonyme verwendet.
Die Reizblase gilt als funktio- nelles Syndrom, da typischerweise – analog dem vegetativen Urogenital- syndrom – ein korrelierender organ- pathologischer Befund fehlt.
Bemerkenswerterweise wird das Syndrom der Reizblase fast aus- schließlich beim weiblichen Ge- schlecht diagnostiziert (3). Unter neurophysiologischen Aspekten lässt sich die Reizblase besonders gut über das vegetative Nervensystem erklären. Im Symptombild stehen ständiger Harndrang und Pollakis- urie im Vordergrund. Patientinnen mit typischen Reizblasensymptomen sind in der Regel kontinent.
Bei der Reizblasensymptomatik fehlt die Strangurie (Brennen beim Wasserlassen), obwohl einige Patien- tinnen gelegentlich einen schmerz- haften Dauerreiz verspüren. Objekti- vierbare organpathologische Befun- de im Blasenbereich haben sich bis-
lang nicht erheben lassen. Pathophy- siologisch wird eine Dyssynergie der Blasen- und Beckenbodenmuskula- tur postuliert. Bei der rezidivieren- den „echten“ Zystitis gehen neuere psychosomatische Modelle von einer psychoimmunologischen Sichtweise aus. Sie interessieren sich beson- ders für die pathophysiologisch inter- mediären Prozesse, die zu einer loka- len Immunschwäche führen (7). Die Diagnostik ist wiederum eine Aus- schlussdiagnostik (Textkasten Zysti- tis/Urethritis).
Ätiologie: somatische und psychische Faktoren
Aus der heutigen Sicht der psy- chosomatischen Medizin liegen den funktionellen (somatoformen) Stö- rungen des Urogenitalsystems keine spezifischen Persönlichkeitsstruktu- ren oder Konflikte zugrunde. Gleich- wohl haben zahlreiche Studien zu den intrapsychischen und psychoso- zialen Faktoren ergeben, dass offen- sichtlich Sexualität, Partnerschaft, Geschlechtsidentität und Rollener- wartung bei bestimmten Patienten große Bedeutung haben.
Es erscheint somit nicht überra- schend, dass bei über 50 Prozent der Patienten mit einem vegetativen Urogenitalsyndrom zusätzlich Erek- tions- oder Ejakulationsstörungen
festgestellt werden (5) und auch bei Frauen mit Reiz- blasensymptomatik häufig funktionelle Sexualstörun- gen auftreten (12). Für Per- sonen dieser Subgruppe kann ein sekundärer Krank- heitsgewinn darin liegen, dass die organbezogene Störung als Grund für die Vermeidung des Sexualkon- takts ohne Gesichtsverlust herangezogen werden kann (Alibifunktion).
Der psychische Hinter- grund der somatoformen Störungen im Bereich des Urogenitaltrakts kann sich vielgestaltig darstellen. So kann die Hauptproblematik in einem Autonomie- bezie- hungsweise Abhängigkeits- konflikt oder in der Ambi- valenz zwischen Kontrolle und Hin- gabe liegen (9).
Diederichs (4) fand bei Patien- ten mit chronischer Prostatitis über- wiegend zwangsneurotische Per- sönlichkeitsstrukturen. Dies gilt je- doch nicht als spezifischer Befund dieser Patientengruppe, sondern kann als psychische Komponente bei allen Störungen im Urogenitalbe- reich eine Rolle spielen. Entwick- lungspsychologisch wird dies da- mit erklärt, dass mit der Kontrol- le über die Funktion der urethralen und analen Schließmuskeln analog spezifische Entwicklungsschritte voll- zogen werden, die verbunden sind mit der Freude an den eigenen im positiven Sinne aggressiven Fähig- keiten.
Liegt eine Störung in dieser Phase der psychosexuellen Entwick- lung vor, so können sich Verspan- nungszustände im Bereich des Beckenbodens einstellen, die als Beckenbodenmyalgie imponieren (13, 7). Bei diesen Patienten lässt sich häufig ein erhöhter Analsphink- tertonus feststellen. Meares (11) und Barbalias (1) fanden bei der Prosta- todynie zusätzlich zur Beckenboden- hyperaktivität einen geringen Uro- flow und vermuten ursächlich eine Blasenhalsspastizität. Bei Frauen mit einer Reizblase können angstauslö- sende Situationen die Symptomatik verstärken.
Symptomatik der Prostatodynie
❃ Beschwerden im Bereich der Harnwege Pollakisurie, Algurie, Strangurie, impera- tive Miktion, Nykturie, Dysurie, (termi- nales) Brennen
❃ Beschwerden in der Anorektalregion Darmtenesmen, Druckgefühl im After, Stuhlunregelmäßigkeiten, Defäkations- schmerz
❃ Beschwerden in der Genitalregion Dysästhesien in Genito-Inguinalregion und Damm, Symphysen- und Kreuzbein- schmerz, ziehende Schmerzen in Leisten und Hoden, Schmerz post ejaculationem
❃ Störungen der Sexualfunktion Libidostörungen, Potenzstörungen
Therapie der Prostatodynie
Die Behandlung von Patienten mit chronischer Prostatitis oder an- deren chronischen urogenitalen Syn- dromen wird durch die Klagsamkeit der Patienten erschwert. Der behan- delnde Arzt kann sich immer wie- der zu diagnostischen Eingriffen provoziert fühlen. Hierdurch kann sich eine unselige Kollusion zwi- schen Patient und Therapeut ent- wickeln, indem der Patient in „unbe- wusster Reinszenierung“ möglicher frühkindlicher Konfliktsituationen sich vom Arzt wieder nicht verstan- den oder sogar verletzt fühlt, ihn aber in die Rolle des „Schädigers“
drängt (9).
Wichtig ist hervorzuheben, dass nicht nur Patienten mit negativen mikrobiologischen Befunden von ei- nem psychotherapeutischen Ange- bot profitieren. Janssen et al. (9) so- wie Junk-Overbeck et al. (10) stell- ten fest, dass sich Patienten mit ei- ner chronischen bakteriellen von denjenigen mit einer abakteriellen Prostatitis psychopathologisch nicht wesentlich unterscheiden. Psycho- pathologische Auffälligkeiten sind nicht nur ätiologisch relevant, son- dern können sich auch im Rahmen einer dysfunktionalen Krankheits- verarbeitung sekundär entwickeln (Chronifizierungsprozess). Psycho- dynamische und verhaltensmedizini- sche Therapieansätze zeigten positi- ve Behandlungsergebnisse. Ergän- zend können Entspannungsübungen (zum Beispiel autogenes Training) und Körpertherapien hilfreich sein (7).
Psychopathologische Auffällig- keiten sind nicht nur ätiologisch relevant, sondern können sich auch im Rahmen einer dysfunktionalen Krankheitsverarbeitung sekundär ent- wickeln (Chronifizierungsprozess).
Psychodynamische und verhaltens- medizinische Therapieansätze zeig- ten positive Behandlungsergebnisse.
Auch hier können Entspannungs- übungen (zum Beispiel autogenes Training) und Körpertherapien hilf- reich sein (7).
Bei der Therapie der funktionel- len Störungen des Urogenitaltrakts ist ein Stufenplan sinnvoll. Nicht alle
Patienten mit diesen Krankheitsbil- dern sollen einem Psychosomatiker oder Psychotherapeuten vorgestellt werden. Bei einem Großteil führt die symptomatische urologische Be- handlung zu einer Besserung oder Symptomremission. Bei bestimmten Patienten ist eine Überweisung an einen Fachpsychotherapeuten sinn- voll. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Symptomatik einen erheb- lichen Schweregrad hat, wenn be- gleitend behandlungsbedürftige psy- chiatrische Komorbiditäten wie Angst oder Depression bestehen, oder wenn erhebliche Chronifizie- rungstendenzen vorliegen. Der Stu- fenplan der Therapieansätze sieht folgende Reihenfolge vor:
❃Symptomatische (meist medi- kamentöse) Therapie durch den Ur- ologen.
❃Psychosomatische Grundver- sorgung durch den Hausarzt oder den Urologen.
❃Fachpsychotherapie (durch Fachärzte für psychotherapeutische Medizin, Ärzte mit Zusatzbezeich- nung Psychotherapie oder psycholo- gische Psychotherapeuten).
Eine antibiotische Therapie ist nur bei nachweislich durch Krank- heitserreger verursachter Sympto-
matik sinnvoll. Unter dem irrefüh- renden Terminus „Prostatitis“ wer- den gelegentlich auch Formen der Prostatodynie mit Antibiotika be- handelt. Hierbei kann keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung erwartet werden, ihr Ein- satz bei der Prostatodynie ist somit kontraindiziert.
Symptomatisch können bei vor- herrschenden Miktionsbeschwerden Phytopharmaka – wie sie zur Be- handlung der Prostatahyperplasie verwandt werden – eingesetzt wer- den. Ebenso wie bei der Applikation von a-Rezeptorenblockern besteht ihre Wirkung in einem relaxierenden Effekt am Blasenhals. Bei stärke- ren irritativen Beschwerden können ebenfalls spasmolytisch wirksame Substanzen wie Anticholinergika (Trospiumchlorid, Propiverin, Oxy- butynin) einen symptomatischen Ef- fekt haben.
Warme Sitzbäder werden als ad- juvante Therapie beschrieben.
Therapie der Reizblase
Eine antibiotische Behandlung ist, ebenso wie bei der Prostatodynie, in der Regel nicht angezeigt. Bei va-
Diagnostik der Prostatodynie
❃ Symptomatik
❃ Anamnese
❃ Untersuchung des äußeren Genitale
❃ Reinigung der Glans penis und des Orificium urethrae externum nach Zurückstreifen der Vorhaut
❃ Urethralabstrich a) Nativ-, Farbpräparat b) kulturelle Untersuchungen
❃ Vier-Gläser-Probe
Sediment: Nativ-, Farbpräparat
Spontanurin: Kultur
Mittelstrahlurin: Kultur, Erreger-Resistenzprüfung Rektale, digitale
Untersuchung und
Prostataexpression: kulturelle Untersuchung Exprimaturin: Sediment: Nativ-, Farbpräparat
❃ Zusatzuntersuchungen
Ejakulat (Kultur, Immunelektrophorese:
Coeruloplasmin, Komplement C 3c), Uroflowmetrie, gegebenenfalls Zysturethrogramm, proktologische Untersuchung, Urethrozystoskopie, Prostatabiopsie
ginalen Begleitentzündungen kann in Ausnahmefällen eine Kurzzeitbe- handlung angezeigt sein.
Ein Versuch mit Phytotherapeu- tika, die einen spasmolytischen Ef- fekt besitzen, wie beispielsweise Rhoival, kann zur Linderung sym- ptomatischer Beschwerden gemacht werden, wobei im Gegensatz zu den Spasmolytika eher auf den Placebo- effekt gesetzt wird.
Alternativ sind Anticholinergi- ka wie Trospiumchlorid oder Oxybu- tynin bei stärkeren Beschwerden an- zuwenden.
Psychosomatische Grundversorgung durch Hausärzte und Urologen
Führt die symptomatische The- rapie nicht zu der gewünschten Bes- serung, so ist dies als Hinweis zu werten, dass psychosomatische Fak- toren oder psychiatrische Komorbi- ditäten eine bedeutsame Rolle spie- len.
Weder bei Patienten mit Prosta- todynie noch bei Patienten mit Reiz- blase sollten sich dann die behan- delnden Ärzte aus der bisherigen therapeutischen Hilflosigkeit heraus zu einer forcierten medikamentösen Behandlungskaskade verführen las-
sen. Nicht selten fordern die Patien- ten selbst entsprechende Schritte ve- hement von den Ärzten. Hat die oben beschriebene symptomatische Therapie bei ausreichender Behand- lungsdauer zu keinem befriedi- genden Behandlungserfolg geführt, so erscheint die psychosomatische Grundversorgung durch den Haus- arzt oder durch den Urologen sinn- voll. Voraussetzung hierfür ist die psychosomatische Kompetenz des behandelnden Arztes (Weiterbil- dungsqualifikation nach den Richtli- nien der Kassenärztlichen Vereini- gungen). Die „kleine Psychothera- pie“ durch den Hausarzt oder behan- delnden Urologen umfasst in erster Linie therapeutische Gespräche (verbale Interventionen), die die Be- wältigung aktueller psychischer Be- lastungen oder Stresssituationen för- dern sollen. Zusätzlich können Ent- spannungsübungen (zum Beispiel autogenes Training) eingesetzt wer- den.
Ergeben sich während der psy- chosomatischen Grundversorgung deutliche Hinweise, dass eine fach- psychotherapeutische Behandlung indiziert ist (beispielsweise bei psych- iatrischen Komorbiditäten wie Angst und Depression), so ist eine entspre- chende Überweisung an einen Fach- kollegen sinnvoll.
Psychotherapie
Psychotherapeutische Interven- tionen umfassen verschiedene Ein- flussmöglichkeiten. Die dargestell- ten intrapsychischen und interperso- nellen Konflikte können im Rahmen einer tiefenpsychologisch orientier- ten Therapie dem Bewusstsein zu- gänglich gemacht und dann vom Pa- tienten aktiv verändert werden.
Gleichzeitig können Übungen zur Wahrnehmung von körperli- chen Anspannungszuständen in die- sem Bereich vorgenommen werden (Biofeedback). Verhaltenstherapeu- tische Übungsprogramme beispiels- weise zur Verbesserung des Selbst- wertgefühls, der Kommunikations- fähigkeit sowie von Angstbewälti- gung können hilfreiche Ergänzun- gen darstellen. Notwendig ist es natürlich, dem Patienten die somati- schen und psychischen Zusammen- hänge in verständlicher Form nahe- zubringen, um seine Eigenaktivität und das Erleben der Selbstwirksam- keit zu fördern.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-1600–1604 [Heft 23]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über das Inter- net (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschriften der Verfasser Prof. Dr. med. Herbert Csef Arbeitsbereich Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Medizinische Poliklinik der Universität
Klinikstraße 8 97070 Würzburg
Dr. med. Klaus Rodewig Fachklinik Hochsauerland Zu den drei Buchen 2 57392 Bad Fredeburg Prof. Dr. med. Dr. h. c.
Jürgen Sökeland
Institut für Arbeitsphysiologie Universität Dortmund
Abteilung Ergonomie Ardeystraße 67 44139 Dortmund Zystitis/Urethritis
❃ Symptomatik
Fluor, Jucken, Brennen, Schmerzen in der Harnröhre, zystitische Symptome, geröteter Meatus
❃ Erreger
Bakterien (übliche Harnwegsinfekterreger), Gonokokken, Mykoplas- men,
Chlamydien, Trichomonaden, Pilze (Candida), Viren (Herpes) Übertragung im Wesentlichen durch Geschlechtsverkehr!
❃ Diagnostik
Anamnese: vor allem Miktions- und Sexualanamnese
Körperliche Untersuchung: äußeres Genitale, Damm, rektale Untersuchung, Haut Fluordiagnostik: nativ, Färbung, Kulturen Harnröhrenabstrich: Färbungen, Kulturen Mittelstrahlurin: Sediment, Kulturen gegebenenfalls Uroflowmetrie und Restharnbestimmung Urethrozystoskopie