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Archiv "Hören und Sehen" (20.11.1980)

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Aufsätze • Notizen

Heraklit: Das menschliche Wesen

Das Unglück der Geburt

Der Seelen Krankheit ist das Un- glück, das sie durch die Geburt er- fahren, von dessen Schicksal sie entsühnt werden müssen. Die Ge- burt bindet die Seele an den leben- den Körper mit seinen begierdehaf- ten Strebungen, deren stetiger Kampf die Seele schwächt! Krank- heit ist aber vor allem die Angst, da sie jede Erkenntnis verstellt und ebenso das Lebewesen hindert, sei- nem instinktmäßigen Handeln zu folgen.

Doch auch die Ärzte zu Heraklits Zeit scheinen dieser Krankheit nur gerin- ge Bedeutung zugemessen zu ha- ben; denn sie hielten sich an das Brennen und Schneiden:

„Gut und schlecht ist dasselbe. Quä- len doch die Ärzte ihre Kranken mit allerlei Schneiden und Brennen und nehmen dafür noch Honorar." (B 58) Wenn man weiß, was Heraklit unter der Krankheit versteht, so scheint dieser Vorwurf an die Adresse der Ärzte verständlich,. da doch Krank- heit als Mangel der gründende Grund und die Möglichkeit der Er- kenntnis von Gesundheit als Einheit des ganzen menschlichen Seins ist.

Burnet (2) sieht in diesem Fragment jedoch nur einen erneuten Beweis für die Einheit des Entgegengesetz- ten; denn Schneiden und Brennen ist etwas Schlimmes, und niemand würde dafür Honorar fordern kön- nen, wenn es nicht zugleich etwas Gutes, nämlich Heilendes wäre!

Die Angst

Daß die Angst eine der Grundkrank- heiten des Menschen ist, wurde in unserer Zeit erneut von Sigmund Freud (3) hervorgehoben. Er hat ei- ner sehr wahren und tiefen Intuition Ausdruck verliehen, als er den Aus- spruch prägte, daß das „Ich" die wahre „Angststätte" sei.

Die Angst vor dem Selbstopfer, die Angst vor der Selbsterkenntnis und vor dem Aufdecken seines wahren Seins lauert hinter jedem Ich; denn

Psyche, Tochter der Aphrodite, steigt auf Geheiß der Mutter in die Unterwelt. Den dreiköpfigen Kerberos besänftigt sie durch drei Kuchen. Das Wort „Psyche"

hatte mehrfachen Sinngehalt. Es war der Name für die Seele und den Schmetter- ling. Dieser wird häufig als Symbol der Seele gebraucht, auch wegen seiner Me- tamorphose von der Raupe zur starren Puppe, die wie leblos schlummert, um dann als Lichtsuchender ein ätherisches Wesen zu werden. Ausschnitt aus der

„Amor- und Psyche"-Tapete aus dem Jahre 1815,'die sich im Städtischen Mu- seum Rostock befindet

Fotos (3): Bildarchiv Preußischer Kultur- besitz

diese Angst, so sagt C. G. Jung (4), ist der oft nur mühsam zurückgehal- tene Anspruch der unbewußten Mächte, zur völligen Auswirkung zu kommen. Keiner Selbstwerdung (In- dividuation) ist dieser gefährliche Durchgang erspart; denn zur Ganz- heit des Selbst gehört auch das Ge- fürchtete, die Unter- oder Überwelt der seelischen Dominanten, aus der

sich das Ich einst mühsam und nur bis zu einer mehr oder weniger illu- sionären Freiheit emanzipiert hat.

Heraklit hat diese Erkenntnis schon zu seiner Zeit ausgesprochen. Die Seele ist die Kampfstätte der gegen- wendigen Verbindung des verstän- digen Denkens und der triebhaften Begierden. Der Körper streitet mit der Seele, und sie vermag sich im Tod von ihm zu trennen. Sie selbst ist in sich zerstritten zwischen Ge- fühl und Denken, doch sie ist fähig,

im Sterblichen eine Einheit, ein Ich, zu bilden. Die Freiheit, die die Seele in der Geburt eingebüßt hat, muß allererst wieder erkämpft werden und dies gegen die Angst und auf Kosten der Begierden, die die Seele an den Körper binden und sie schwächen.

Aus dieser Wesensverfassung seiner Seele erwächst dem Menschen eine Aufgabe. Er ist wesensmäßig ge- zwungen, die Einheit seines Wesens herzustellen.

„Das Widereinanderstrebende zu- sammenstimmend und aus dem Un- stimmigen die schönste Harmonie."

(B 8)

In diese Einheit gefügt ist der Mensch vollendet und steht den Göttern gegenüber. Sie, die Un- sterblichen, sind aber auf uns Men- schen angewiesen; denn Unsterbli- che sind sie nur im Anblick der Sterblichen. So leben die sterbli- chen Menschen ihr Leben für die Götter; sie leben und sterben für das Leben der Götter als deren maßge- bender Grund. Umgekehrt existieren die Sterblichen in der Angewiesen- heit auf die Götter. So versteht sich Fragment B 62:

„Unsterbliche sterblich, Sterbliche unsterblich — lebend einander ihren Tod, ihr Leben einander sterbend."

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Norbert Kohnen Remigiusstraße 33 5000 Köln 41

2828 Heft 47 vom 20. November 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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