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Archiv "60 Jahre nach dem Nürnberger ÄrzteProzess: Notwendige Erinnerung" (07.09.2007)

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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 36⏐⏐7. September 2007 A2385

P O L I T I K

D

ie beiden lang gestreckten Ba- racken des ehemaligen Kran- kenreviers des Konzentrationslagers (KZ) Sachsenhausen beherbergen ei- ne einmalige Ausstellung: Am Ort der Tat werden Menschenversuche, Zwangssterilisation und -kastration, Euthanasie und NS-Rassenforschung dokumentiert und veranschaulicht.

Anhand vieler Biografien von Opfern und Tätern und rund 1 000 Expo- naten, viele unscheinbar und des- halb umso anrührender, ahnt der Besucher zumindest, welches Leid den einen zugefügt wurde, und wie menschenverachtend, nämlich den Menschen als Material behandelnd, die anderen vorgegangen sind.

Lehren aus dem Prozess

Medizin im Konzentrationslager ist ein Schwerpunkt der Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg bei Berlin. Am 23. August, drei Jahre nach Eröffnung der ständigen Aus- stellung „Medizin und Verbrechen“, legten deren Kuratorin, Dr. phil.

Astrid Ley, und Prof. Dr. phil. Gün- ter Morsch, der Direktor der Stif- tung Brandenburgische Gedenkstät- ten, nun den Katalog dazu vor. Er konnte auch dank der finanziellen Unterstützung der Ärzteschaft ge- druckt werden.

Das Datum der Präsentation wur- de in Erinnerung an den Nürnberger Ärzteprozess gewählt, der vor 60 Jah- ren, am 20. August 1947, zu Ende gegangen war. Aus diesem Anlass wurde an der Gedenkstätte auch der Nürnberger Kodex, mit dem der Prozess 1947 abgeschlossen hatte, thematisiert. Hierin formulierte der Militärgerichtshof als Lehren aus dem Prozess zehn Bedingungen für die Forschung am Menschen.

Dr. phil. Michael Wunder, der für die Evangelische Stiftung Alsterdorf in Hamburg tätig ist und während zwei- er Legislaturperioden der Enquete-

kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Bundestags angehörte, konzentrierte sein Referat in Sachsenhausen auf den berühmten ersten Satz. Dieser lautet kurz und klar: „Die freiwillige Zustimmung der Versuchsperson ist unbedingt erforderlich.“ (Im Original: „The voluntary consent of the human sub- ject is absolutely essential.“) Damit ist das „Herzstück des Nürnberger Kodex“ (Wunder) angesprochen, der

„informed consent“. Gemeint ist die persönliche Einwilligung des gründ- lich informierten Patienten/Proban- den. Wunder legte anhand der Dekla- ration von Helsinki (des Weltärzte- bunds, 1964) und ihrer mehrfachen Revisionen und der Bioethik-Kon- vention (des Europarats, verabschie- det 1999, von Deutschland bisher

nicht ratifiziert) dar, dass seit „Nürn- berg“ immer wieder versucht werde, das Prinzip des informed consent ein- zuschränken. Prüfstein des informed consent sei der Umgang mit Men- schen, die nicht einwilligen können.

Schon die Deklaration von Helsinki sehe vor, dass beim Heilversuch der gesetzliche Betreuer zustimmen kön- ne, falls die Versuchsperson einwilli- gungsunfähig sei. Für die fremdnüt- zige Forschung sei die Deklaration zweideutig. Sie stelle auf den wissen- schaftlichen Fortschritt ab und relati- viere die Rechte des Individuums.

Mit der letzten großen Revision (Edinburgh, 2000) werde fremdnützi- ge Forschung an Nichteinwilligungs- fähigen ermöglicht, ohne sie an eine Bedingung wie ein „minimales Risi- ko“ oder den mutmaßlichen Willen zu knüpfen.

Vermächtnis von Nürnberg

Die Bioethik-Konvention des Euro- parats hält Wunder gar für „den Schlusspunkt des Kampfs der Ex- perimentalmedizin um die nicht ein- willigungsfähigen Menschen“. Sie lasse die Einwilligung des Vor- munds in fremdnützige Forschungs- vorhaben zu, wenn ein Gruppen- nutzen zu erwarten sei und die Versuchspersonen nur einem mini- malen Risiko und einer minimalen Belastung ausgesetzt seien. Wunder bezweifelte, dass es dabei lediglich um sanfte Methoden, wie Wiegen oder Mitnutzung von Blut-, Spei- chel- oder Urinproben, gehe, und zitierte einen namhaften Forschungs- praktiker, der auch klinische Studi- en für möglich hält, „die theoretisch geignet sind, das Leben eines ko- matösen Patienten zu verkürzen und ihm Schaden zuzufügen“.

Demgegenüber postulierte Wun- der in Sachsenhausen als „Ver- mächtnis von Nürnberg“, dass hu- mane medizinische Forschung im- mer dem Wohl des konkreten Men- schen verpflichtet sei. Übergeord- nete Interessen oder das Wohl kom- mender Generationen rechtfertigten nicht, den Schutz des Einzelnen und das Prinzip des informed consent zu unterlaufen – „auch wenn dies mög- licherweise eine Verlangsamung der Forschung bedeutet“. I Norbert Jachertz

60 JAHRE NACH DEM NÜRNBERGER ÄRZTEPROZESS

Notwendige Erinnerung

Die Gedenkstätte Sachsenhausen dokumentiert „Medizin und

Verbrechen“ und weist darauf hin, wie aktuell der Nürnberger Kodex ist.

HINWEISE

Die Ausstellung in den früheren Krankenbaracken infor- miert nicht nur über Medizinverbrechen, sondern auch über die Krankenversorgung im KZ, die vorwiegend von Häftlingsärzten geleistet wurde. Weitere Schwerpunkte der Ausstellung sind die dubiosen Forschungen an Sinti und Roma sowie das Schicksal der in Sachsenhausen ver- hörten Beteiligten des 20. Juli 1944.

Die Ausstellung ist Teil der Gedenkstätte Sachsenhau- sen. Diese ist täglich von 8.30–18 Uhr (vom 15. Oktober bis zum 14. März nur bis 16.30 Uhr) geöffnet.

Telefon: 0 33 01/20 02 00, Fax: 0 33 01/20 02 01.

Umfangreiche Informationen im Internet unter: www.

stiftungbg.de, speziell zum Krankenrevier: Astrid Ley:

„Krankenrevier und Konzentrationslager: Ort der Hilfe und des Mordens“, Deutsches Ärzteblatt, Heft 5/2007.

Der Katalog der Ausstellung ist im Buchhandel für 22 Euro erhältlich (für Besucher in der Gedenkstätte 13,30 Euro): Astrid Ley, Günter Morsch: „Medizin und Verbrechen. Das Krankenrevier des KZ Sachsenhausen 1936–1945“. 413 Seiten, Berlin 2007 (Metropol-Verlag), ISBN 978-3-938690-12-3.

Eine von vielen Übersetzungen des Nürnberger Kodex kann im Internet aufgerufen werden unter:

www.ippnw-nuernberg.de/aktivitaet2_1.html

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