Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 25⏐⏐20. Juni 2008 A1367
P O L I T I K
D
ie Psychologischen Psycho- therapeuten haben bereits vor rund einem Jahrzehnt vorgemacht, wie es geht. Das Psychotherapeuten- gesetz befreite sie vom Delegations- verfahren und verschaffte ihnen den direkten Zugang zum Patienten.Die Heilmittelerbringer, als da sind Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Masseure, streben mehr oder minder nun auch für sich eine Lockerung von der ärztlichen Delegation an. Die Physiotherapeu- ten sind bei diesen Bemühungen mit dem Pflege-Weiterentwicklungsge- setz einen wichtigen Schritt vorange- kommen. Nach § 63 SGB V können sie demnächst in Modellversuchen die Auswahl und die Dauer der phy- sikalischen Therapie bestimmen.
Anders als die Pflegeberufe sind sie bei diesen Modellvorhaben nicht auf Vorgaben aus dem Gemeinsamen Bundesausschuss angewiesen. Dies berichtete nicht ohne Stolz die Vor- sitzende des Bundesverbandes Selbst- ständiger Physiotherapeuten – IFK e.V., Ute Repschläger, auf einer von ihrem Verband am 5. Juni in Berlin organisierten Tagung zum Thema
„Neue Aufgabenverteilung der Ge- sundheitsberufe“.
Neuer Professionenmix
Für Arnd Longrée, den stellvertre- tenden Sprecher der Bundesarbeits- gemeinschaft der Heilmittelverbän- de e.V. (BHV), kann dies allerdings nur den ersten Schritt darstellen.„Nun gilt es, für die Physiothera- peuten entsprechende Modellvorha- ben in der Praxis zu etablieren, ihre Wirksamkeit herauszustellen, wie- der im Sinne der Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung, und gleichzeitig für die anderen drei durch die BHV vertre-
tenen Berufe entsprechende Rege- lungen zu erwirken.“
Der Vorsitzende des Sachverstän- digenrats für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesens, Prof. Dr. rer. pol. Eberhard Wille, hält es aufgrund der demografischen Ent- wicklung für unausweichlich, dass die Angebotsstrukturen im Gesund- heitssystem nicht mehr lange den Er- fordernissen genügen werden. „Man muss sich der Auseinandersetzung um einen neuen Professionenmix bei der gesundheitlichen Versorgung stellen“, betonte Wille. Er schlug re- gionale Modellprojekte zur Erpro- bung neuer Kooperationen vor. Wo die Evaluation positive Ergebnisse aufzeige, hält er auch die dauerhafte Übertragung von bisher ärztlichen Tätigkeiten für sinnvoll. Nötig sei bei den Beteiligten die Bereitschaft zur Abgabe und Übernahme von Ver- antwortung. Fragen der Rechtssi- cherheit müssten geklärt werden.
Verbesserte Kooperationsmöglich- keiten sieht Wille
> bei ambulanten multiprofes- sionellen Teams zur Versorgung chronisch kranker und multimorbi- der Patienten
> beim transsektoralen Case- Management
> bei hochspezialisierten Be- handlungsteams im Krankenhaus
> in umfassenden Versorgungsein-
richtungen unter Einbezug aller für eine regionale Versorgung notwen- digen Leistungserbringer.
Gegenseitige Anerkennung
Auch die Vizepräsidentin der Bun- desärztekammer, Dr. med. Cornelia Goesmann, ist davon überzeugt, dass die Aufgaben der Zukunft im Gesundheitswesen nur durch ko- operative Prozesse bewältigt wer- den können. „Wir müssen auch neue Wege gehen, schauen, was man noch machen kann. Wir brauchen vor allem mehr Vernetzung, mehr Ausbau kooperativer Strukturen.“Für die Patientensicherheit sei es zwar unabdingbar, betonte Goes- mann, dass der Arztvorbehalt und damit die Gesamtverantwortung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen weiter gelten müsse.
Aber: Man sollte sich jeweils kon- kret vor Ort Gedanken darüber ma- chen, welche Kooperationsformen wünschenswert seien. Sie selbst könne sich sehr gut eine gemeinsam mit Heilmittelerbringern betriebene Großpraxis vorstellen, aus der her- aus die umfassende Gesundheits- versorgung eines ganzen Wohnvier- tels erfolgt. „Wichtig ist eine gegen- seitige Wertschätzung, ein gegen- seitiges Anerkennen der Kompeten- zen der einzelnen Gesundheitsberu- fe.“ Gruppenegoismen sollten hint- anstehen, wenn es um den Nut- zen für die Patienten gehe. I Thomas Gerst
AUFGABENVERTEILUNG DER GESUNDHEITSBERUFE
Kooperative Strukturen aufbauen
Den Herausforderungen der künftigen Gesundheitsversorgung kann nur mit einem kooperativen Handeln aller Beteiligten begegnet werden.
Foto:Peter Wirtz