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Archiv "Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin: Chirurgen kämpfen um ihren Stammsitz" (06.11.1998)

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D

ie Wiedervereinigung Deutschlands, ein uner- wartetes Jahrhundert- ereignis, hat manche Erwar- tungen bisher nicht erfüllt.

Hierzu zählt auch die Rück- gabe des traditionsreichen Langenbeck-Virchow-Hau- ses in Berlin an die alten Ei- gentümer. Dieses waren die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie und die Berliner Medizinische Gesellschaft.

Durch gemeinsame Bemühungen und einen Zusammenschluß in Form einer Langen- beck-Virchow-Haus-Ge- sellschaft bürgerlichen Rechts errichteten die zwei Dioskuren medi- zinischer Wissenschaft in ihrer großen Auf- bruchphase im letzten Jahrhundert ein in sei- ner Art einzigartiges Denkmal. Es betraf Bernhard von Langen- beck (1810 bis 1887), den bedeutendsten Chirurgen seiner Zeit und Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie.

Zugleich war es Rudolf Virchow (1821 bis 1902) zu- gedacht, einem der größten Forscher und Ärzte aller Zei- ten, Vorsitzender der Berli- ner Medizinischen Gesell- schaft über 20 Jahre hinweg.

Das Langenbeck-Vir- chow-Haus, während des Er- sten Weltkrieges erbaut, dann viele Jahre Stätte der jährlichen Chirurgen-Kon- gresse, wurde zu einem Wahrzeichen Berlins als des Zentrums der Medizin jener Jahre, und dies nicht nur für Deutschland (11). Der Er-

richtung dieses respektablen Gebäudes im alten Medizini- schen Viertel Berlins war auf Anregung der damaligen Kaiserin Augusta (2) das alte Langenbeck-Haus der Deut- schen Gesellschaft für Chir- urgie in der Ziegelstraße un- mittelbar am Ufer der Spree vorausgegangen (1892).

Da sich die Gesellschaft aber in nicht vorauszusehen- der Weise vergrößerte, muß- te schon bald an eine Ersatz- lösung gedacht werden. In diesem Zuammenhang spiel- te ein Versprechen der Berli- ner Medizinischen Gesell- schaft Rudolf Virchow ge- genüber, die Schaffung eines mit seinem Namen verbunde- nen Hauses betreffend, eine wichtige Rolle. So gab es auf seiten beider Medizinischer

Gesellschaften Überlegun- gen zu einem auf gemeinsame Kosten zu errichtenden Lan- genbeck-Virchow-Haus, das als würdiges Denkmal für die beiden großen Wissenschaft- ler gedacht war. Die erhebli- chen finanziellen Mittel wur- den von beiden Gesellschaf- ten sowie durch größere

Spenden und durch ein großzügiges hypothekari- sches Darlehen (nach zehn Jahren rückzahlbar) durch die Stadt Berlin erbracht (1).

Nach Erwerb eines Grundstücks in der Luisen- straße 58/59 – einer Seiten- straße von „Unter den Lin- den“ – unmittelbar gegen-

über von den Charité-Gebäu- den und Erstellung mehrerer Bauplanungen erhielt der Regierungsbaumeister H.

Dernburg (5) den Zuschlag.

Baubeginn war der 1. Okto- ber 1913. Trotz der kriegs- bedingten Erschwernisse konnte der Bau dank des Entgegenkommens hoher Militärbehörden und der Stadt Berlin in knapp zwei Jahren fertiggestellt werden.

Der Kern des Gebäudes (7, 8) bestand aus einem großen, von der Eingangshal- le über eine stattliche Haupt- treppe erreichbaren Vor- tragssaal. Die zur verglasten Decke hin an den Wänden reichhaltig aufgeführten anti- ken figürlichen Darstellun- gen aus dem Gebiet der ärzt- lichen Tätigkeit sind noch heute erhalten. Es gab wei- terhin zwei kleinere Säle, Vorbereitungszim- mer, Laboratorien, meh- rere Vorstandszimmer, Lesesaal und eine be- deutende Bibliothek mit 200 000 Bänden. Über vier Geschosse hin be- standen zahlreiche Räu- me, die zunächst zum Teil an die Firma Sie- mens und Halske ver- mietet wurden.

Die Fassade mit zwei Haupteingängen in den seitlichen Risaliten wur- de in Altberliner Putz- Charakter antikisieren- der Form ausgestattet.

Zwei in das reichhaltig ausgestattete Hauptge- sims eingefügte Büsten ent- sprachen dem Vorhaben, die beiden bedeutenden „Für- sten der Wissenschaft“ (4) zu ehren.

Nachdem das Haus durch eine schlichte Einweihungs- feier durch F. Trendelenburg und L. Landau (10) am 1. Au- gust 1915 eingeweiht worden war, vollzog August Bier an- läßlich der 44. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie am 7. April 1920 die feierliche Einweihung und Inbetriebnahme nach dem unglücklichen Ausgang des Krieges (4). Von 1920 bis 1940 versammelten sich hier jährlich die Mitglieder der A-2855 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 45, 6. November 1998 (63)

V A R I A GESCHICHTE DER MEDIZIN

Langenbeck-Virchow-Haus in Berlin

Chirurgen kämpfen um ihren Stammsitz

Nach fragwürdiger Enteignung durch die DDR war das traditionsreiche Haus in der Luisenstraße zeitweilig Sitz der Volkskammer. Eine Rückführung an die Eigentümer wird durch die Stadt Berlin behindert.

Blick in den großen Vortrags- saal des Langenbeck-Virchow- Hauses in Berlin, der auch über eine Empore verfügt (links).

Die Haupttreppe von der Ein- gangshalle zum großen Vor- tragssaal besticht durch deko- rative Ornamente.

(2)

Deutschen Gesellschaft für Chirurgie zu ihren Tagungen.

Schon bald erwies sich die Lage des Langenbeck- Virchow-Hauses in der Lui- senstraße als besonders glücklich.

Jörg Schönbohm hat als Senator für Inneres von Ber- lin anläßlich der Eröffnungs- veranstaltung des diesjähri- gen 115. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie in der Staatsoper Unter den Linden nach- drücklich auf diesen Um- stand hingewiesen: „Der Ge- nius der Luisenstraße war künstlerischer und wissen- schaftlicher Anfang, Auf- bruch, Experimentierfeld und Werkstatt.“ Hier lag nicht nur das medizinische Herz Berlins, sondern auch die Namen von herausragen- den Geistesgrößen und Künstlern aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhun- derts sprechen dafür.

In unmittelbarer Nach- barschaft hatten in der Lui- senstraße Theodor Fontane, Leopold von Ranke, Adolf Menzel, Christian Morgen- stern, Albert Lortzing und Karl Marx gelebt und ge- wirkt. Und nicht zuletzt gehörte die Charité mit den großen Gelehrten Rudolf Virchow, Robert Koch und Ferdinand Sauerbruch zur Luisenstraße.

Trotz verheerender Bom- benangriffe und der Kämpfe um Berlin am Ende eines er- neuten Weltkrieges über- stand das Langenbeck- Virchow-Haus diese Kata- strophe als eines der wenigen Gebäude im Zentrum Berlins weitgehend unbeschädigt. Im sowjetischen Sektor bezie- hungsweise der Hauptstadt der späteren Deutschen De- mokratischen Republik gele- gen, entzog es sich Jahrzehn- te dem Zugriff der Besitzer.

Die wertvolle Innenaus- stattung einschließlich der großen, bedeutenden Biblio- thek war allerdings verloren- gegangen. Nur einem glückli- chen Zufall ist es zu verdan- ken, daß 1983 bei Umbau- maßnahmen in dem ehemali- gen Gebäude der Chirurgi-

schen Klinik der Charité beim Abtragen einer Ziegel- wand aus der früheren Lei- chenkammer in einem dahin- ter liegenden Raum elf Por- trätbüsten aus weißem Carra- ra-Marmor gefunden wurden (9). Sie betrafen bedeutende Persönlichkeiten aus der klassischen Pionierzeit der Deutschen Chirurgie. Sie be- finden sich nach ihrer Restau- rierung jetzt in dem neuen Chirurgiegebäude der Cha- rité. Diese historisch bedeu- tungsvollen Kunstwerke sol-

len eines Tages an ihren ur- sprünglichen Ausstellungs- ort, für den sie geschaffen wa- ren, zurückkehren können.

Während der DDR-Zeit war zunächst ein Pachtver- trag abgeschlossen worden, doch folgte dann eine soge- nannte Inanspruchnahme nach der Aufbauverordnung (1953), ohne daß die für die nach dieser Verordnung zu erfolgende Enteignung erfor- derliche Zustimmung des Oberbürgermeisters von Ber- lin jemals erteilt und eine Entschädigung gezahlt wor- den wäre. Dennoch kam es zur Eintragung in das Grund- buch als „Eigentum des Volkes“.

Das Langenbeck-Virchow- Haus war dann auch bis zur Fertigstellung des Volkspa- lastes Sitz der Volkskammer.

Dort wurde Wilhelm Pieck 1953 zum Präsidenten der DDR gewählt. 1956 haben Vertreter des ersten „Arbei- ter- und Bauern-Staates“ an dieser Stelle ihre eigene

„Volksarmee“ ausgehoben.

Kurz nach der Wende wurde

vom Magistrat eine baldige Rückgabe des Hauses in Aus- sicht gestellt, so daß der Tag unserer Rückkehr in die alte Heimat in greifbare Nähe gerückt zu sein schien. Um so verwunderlicher und enttäu- schender mußte dann ein überraschender Besitzan- spruch auf das Haus seitens der Stadt Berlin sein. Mit der Begründung, daß das Lan- genbeck-Virchow-Haus doch

„Eigentum des Volkes“ (!) sei, wurde dieser Bescheid er- klärt.

Die alten Eigentümer, die bereits ein Sanierungspro- gramm aufgestellt hatten, ließen in der Folge nichts un- versucht, um ihren berechtig- ten Besitzanspruch durchzu- setzen. Weder auf juristi- schem Wege durch Klage ge- gen den ablehnenden Be- scheid des Amtes zur Rege- lung offener Vermögensfra- gen wie auch der Wider- spruchsbehörde beim Ver- waltungsgericht noch durch ein parallel laufendes Kauf- gesuch konnte seither eine Rücküberstattung des Lan- genbeck-Virchow-Hauses er- reicht werden.

Diesen Bemühungen ent- gegenlaufend war vielmehr die Erteilung eines Nutzungs- rechtes an die Charité, was ei- ne teilweise Sanierung des Gebäudes mit sich brachte, zudem aber die Möglichkeit eines Umbaus des histori-

schen Hörsaals für die Belan- ge der derzeitigen Nut- zer befürchten lassen muß.

Die Alteigentümer werden nichtsdestotrotz unvermin- dert für ihr Recht kämpfen.

Erste Ansätze eines Über- denkens dieses grotesken Rechtsbruchs seitens der Stadt Berlin und ein mögli- ches Einlenken auf einen denkbaren Kompromiß ließ die bereits erwähnte Be- grüßungsrede des Innense- nators Schönbohm beim diesjährigen Deutschen Chir- urgen-Kongreß in Berlin er- kennen.

Außer dem Hinweis, daß der Unrechtsstaat der DDR unsere Gesellschaft 1953 aus Berlin vertrieben und im Langenbeck-Virchow-Haus sein Scheinparlament na- mens „Volkskammer“ unter- gebracht hatte, führte er aus:

„Wir sollten uns jedoch von dieser tragikomischen Histo- rie nicht länger hypnotisieren lassen. Diese Zeiten sind Gott sei Dank Vergangen- heit!“ Er gab seiner Freude darüber Ausdruck, daß uns die Ironie der Geschichte nach 1990 die Möglichkeit zu Genugtuung und couragier- tem Handeln in unsere eige- nen Hände gelegt habe.

Die Deutsche Gesell- schaft für Chirurgie und die Berliner Medizinische Ge- sellschaft werden in ihren Bemühungen um Rückge- winnung dieses traditions- reichen Hauses nicht nach- lassen, bevor es zu einer dem Eigentumsrecht entspre- chenden Regelung gekom- men sein wird, wobei durch- aus eine gemeinsame Nut- zung mit anderen, für Berlin wichtigen, medizinischen Ein- richtungen denkbar wäre.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers em. Prof. Dr. med.

Hans-Jürgen Peiper Klinik und Poliklinik für Allgemeinchirurgie der Georg-August-Universität Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen A-2856

V A R I A

(64) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 45, 6. November 1998

GESCHICHTE DER MEDIZIN

Heutiger Zustand des Langenbeck- Virchow-Hauses in der Luisenstraße, im Hintergrund das neue chirurgische Zentrum der Charité Fotos: H.-J. Peiper

Referenzen

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