MIRKO NOVäK
Das „Haus der Totenpflege"
Zur Sepulkralsymbolik des Hauses im Alten Mesopotamien
Die Betrachtung der Sepulkralsymbolik, eines ausgesprochen weitreichenden Betätigungsfeldes von Anthropologen, Ethnologen und Archäologen, umfaßt bislang zahllose Bereiche.
1Dabei wurde mehrfach auch das „Haus" in seiner symbolischen Bedeutung analysiert, so zum Beispiel bei der Betrachtung neo- lithischer ..Langhausbestattungen" in Europa.
2In der altorientalischen Archäolo
gie sind dagegen - trotz reichhaltiger Datenfülle - bislang nur wenige Ansätze zur Untersuchung dieser Thematik erfolgt.
Infolge dessen erscheint es sinnvoll, die Frage nach der Bedeutung des Hau
ses in der sepulkralen Kultur des alten Mesopotamiens aufzugreifen und zu durchleuchten. Aufgrund der Komplexität dieses Themas werden an dieser Stel
le nur einige Aspekte angesprochen; eine tatsächlich umfassende Analyse erscheint sinnvoll, kann jedoch hier nicht geleistet werden.
Um sich der Problematik nähern zu können, muß zunächst die Funktion des Hauses und seiner elaborierten Form - des Palastes - als Bestattungsort aufge
zeigt werden, um über die formale und funktionale Einordnung von Gräbern und Grüften als Abbilder von Häusern zu einer Aussage bezüglich der Sepul
kralsymbolik zu gelangen.
1. Häuser und Paläste als Bestattungsorte
Die Sitte der Bestattungen unter Fußböden bewohnter Häuser weist in Meso
potamien eine lange Tradition auf.
3Obgleich parallel hierzu auch intra- oder extramurale Friedhöfe existierten, kam den Hausbestattungen vom ausgehen
den Neolithikum bis zur parthischen Zeit eine grolse Bedeutung zu. Zwar feh
len entsprechende literarische Evidenzen, doch es darf vermutet werden, daß nur besondere, für die jeweilige Familie bedeutende Personen in den Häusern
1
Siehe beispielsweise mehrere Aufsätze in Metealf - Huntington 1991.
1
Hodder 1984: 51 ff.
1
Strommenger in: Hrouda - Orthmann - Strommenger 1957-71: 591 ff.
Das „Haus der Totenpflege" 133 beigesetzt wurden. Nicht zuletzt d e s w e g e n k a n n v o n einer Totenverehrung im häuslichen Bereich ausgegangen werden.
Paläste galten schlichtweg als „Große Häuser" (sumerisch e . g a l ) und so ver
wundert es nicht, daß sie e b e n s o w i e g e w ö h n l i c h e Wohnhäuser häufig als Bestattungsplätze dienten. Beispiele hierfür sind die beiden Residenzen in Mari, der Sin-käsid-Palast in Uruk und der Palast im elamischen Dür-Untas.
1Vor allem alte, nicht mehr als tatsächliche Residenzen genutzte Paläste schei
nen beliebte Bestattungsplätze v o n Königen gewesen zu sein. Ein interessanter H i n w e i s hierauf stammt aus einer in Ninuwa gefundenen Abschrift der soge
nannten „Dynastie Chronical", in der die Beisetzungsorte einiger Könige der frühen neubabylonischen Zeit genannt werden."
1Nach Auskunft dieses Textes w u r d e n Simbar-sihu (ca. 1017-1000 v. Chr.), König aus der „2. Seeland-Dyna
stie", und Mär-biti-apla-usur (ca. 975-970 v.Chr.), König der „Dynastie v o n Elam", ina ekal Sarru-kin „im Palast Sargons" bestattet.'' Aufgrund der Tatsa
che, daß es in Babylonien nur einen K ö n i g dieses Namens gab, m u ß man in d e m erwähnten G e b ä u d e das des Herrschers v o n A g a d e sehen. Die fehlende Ortsbezeichnung mag z u d e m darauf hinweisen, daß nicht irgend ein v o n Sarru- k l n erbauter Palast in einer beliebigen Stadt seines Reiches sondern der Resi
denzpalast dieses Königs gemeint war.
Die Beisetzungsorte der späteren Herrscher - vor allem der kaldäischen Dynastie - sind weitgehend unbekannt, obgleich sie mehrfach in einem der Paläste Bäbilis vermutet wurden. Lediglich das Grab Nabu-na'ids, des letzten a u t o n o m e n Königs Babyloniens, k a n n neuerdings in einer provisorischen Gruft innerhalb der Nordmauer der Südburg v o n Bähiii - der Residenz der Kalcli- K ö n i g e - lokalisiert werden.
7Im Assyrien der späten mittel- und der neuassyrischen Zeit k a m d e m soge
nannten „Alten Palast" in Assur die Funktion des Bestattungsoites der Herrscher zu (Abb. 1): Damals hatte dieses - im Urplan bereits im ausgehenden 3- Jahr
tausend errichtete - G e b ä u d e seine Rolle ,als Residenz der assyrischen Könige verloren. Der in seinen D i m e n s i o n e n bescheidene Bau konnte den gestiegenen W o h n - und Repräsentationsbedürfnissen der Herrscher längst nicht mehr G e n ü ge leisten; diese residierten statt dessen in ihren neuen Palästen in Kär-Tukulti- Ninurta, Kalhu, Dür-Sarruken oder Ninuwa. D e n n o c h war das Prestige des altehrwürdigen G e b ä u d e s o b seiner langen Geschichte und seiner Nähe z u m Hauptheiligtum des Reiches - d e m Tempel des Assur - v o n immenser Trag
weite. Dies führte dazu, daß mehrere der b e d e u t e n d e n Herrscher der mittel-
1
Strommenger in: Hrouda - Orthinann - Strommenger 1957-71: 592.
1
Grayson 1975: 40ff.
6
Grayson 1975: 142 f.; zur Datierung siehe Noväk 1999: 427f.; zum Palast Sarm-kins in Agacle siehe Noväk 1999: 79ff.
7
Moortgat-Correns 1996.
und neuassyrischen Epoche hier, im „Palast der Väter", ihre Grüfte anlegen ließen.*
In Kalhu wurden im Südtrakt des Nordwestpalastes von Assur-näsir-apli II. die Grüfte dreier Palastdamen freigelegt, die sich unterhalb des Pflasters in einem schlichten Raum befanden.
9Es handelte sich hierbei um zwei unterirdisch ange
legte Kammern mit den Gräbern der „Palastdamen" Jabä und Mulissu-mukannisat- Ninua aus der Zeit des Salmänu-asared (Salmanasser) III.
1" Wie aus weiteren, in der Gruft aufgefunden Inschriften der Zeit Adad-NIräris III. und Tukulfi-apil- Esarra (Tiglat-Pileser) III. hervorgeht, scheint der Bestattungsplatz auch in den fol
genden Dekaden bis ins späte 8. Jh. hinein genutzt worden zu sein.
11Diese Beispiele belegen, daß im vorhellenistischen Mesopotamien Hausbe
stattungen sowohl einfacher Bürger wie auch bedeutender Könige eine große Rolle spielten. In Babylonien und Assyrien verdeutlichte der Status des Bestat
tungsortes eines Königs offenbar auch dessen Legitimität und Prestige im Leben:
Im Gegensatz zu angesehenen Königen, die in altehrwürdigen Palästen beige
setzt wurden, warf man beispielsweise Usurpatoren wie Ea-mukin-zeri (ca. 999 v. Chr.) einfach in den Sumpf: „Note that he (der Verfasser der Chronicle 18) calls Ea-mukin-zeri an usurper and says he was buried in the swamp of Blt- Hasmar. A swamp is certainly an ignominious place for anyone to be buried."
12Während im Babylonien des frühen 1. Jahrtausends der Palast Sarruklns in Agade die Position des angesehensten Grabplatzes einnahm, wurde in Assyrien der Alte Palast in Assur - als „Palast der Väter" sozusagen der „Stammsitz" des assyrischen Königshauses - favorisiert.
Die Sepulkralsymbolik, die dem Haus - und somit auch dem Palast - inne lag, äußerte sich besonders deutlich an einem Beispiel aus Ur: Als Überbau für die Griifte der Könige der III. Dynastie, die außerhalb des Palastes im Bereich des ehemaligen Friedhofes der frühdynastischen Zeit lagen, wurde ein Gebäu
de errichtet, das in seiner räumlichen Struktur einem typisch babylonischen Hofhaus entsprach (Abb. 2). Dieses wurde jedoch - dem vorliegenden Befund zufolge - zu keinem anderen Zweck genutzt als zur Aufnahme der Grüfte:
13Kern der Anlage war ein von Sulgi erbautes Hofhaus, an das von Amar-Su'ena zwei kleinere Gebäude angebaut wurden. Als einzige Installationen in den Räu
men fanden sich Libationsaltäre, die vermutlich dem Totenkult dienten. Die Ein
gänge zu den eigentlichen Grüften waren zugemauert (Abb. 3).
Soweit ersichtlich, wurden nur ausgewählte Personen innerhalb von Gebäu
den beigesetzt; offenbar handelte es sich hierbei um Menschen mit einem
* Heinrich 1984: 112f.
9 Harak 1990: 5ff.; Roaf 1991: 162: Damerji 1999: 3ff.
10 Fadhil 1990: 471 ff; Damerji 1999: 3ff.
11 Fadhil 1990: 48011; Damerji 1999: 3ff.
12 Grayson 1975: 41.
13 E. Heinrich in: Orthmann 1975: 153f.
Das „Haus der Totenpflege"
135 besonderen Prestige: Je höher das Ansehen, desto wahrscheinlicher die Beiset
zung im Haus beziehungsweise im ehrwürdigen Palast. Der Hintergrund dieser Sitte dürfte wohl in einer ausgeprägten Totenverehrung gelegen haben, die sich in der Totenpflege, dem kispum äußerte."
2. Grabbau und Felsrelief - Palastimitationen als Bestattungsplätze Bevor die Gräber selbst betrachtet werden, sei an dieser Stelle die weitere Tra
dition von ..Hausbestattungen" kurz dargelegt. Ein hierbei besonders interes
santes Phänomen sind die orientalischen Felsengräber, deren Fassaden die Dar
stellungen architektonischer Elemente von Palästen erkennen lassen.
Die ältesten bekannten Felsengräber mit Fassadengestaltungen des Alten Ori
ent stammen aus Urartu: Mit der Etablierung des Reiches von Van kam dieser Grabtyp auf und wurde für die Königsbestattungen in der Hauptstadt Tuspa und der jüngeren Residenzstadt Rusahinili genutzt. Es wurde bereits mehrfach vermutet, daß es sich hierbei um die Imitation von Zelten oder Häusern in Stein handeln würde."
Die nächstjüngeren Felsengräber stammen aus Medien und gehen mögli
cherweise auf urartäischen Einfluß zurück.
1(1Über die Personen, die in ihnen bestattet wurden, lassen sich in Ermangelung von Texten keine sicheren Aus
sagen machen. Allerdings fällt bei der Betrachtung der Fassadengestaltung auf, daß Säulenstellungen, Pyloi und Architrave von Palastbauten imitiert wurden.
1' Diese Felsengräber dienten vermutlich ihrerseits als Vorbilder für die achä- menidischen Königsgräber der Zeit ab Dareios I. Die ersten Achämenidenherr- scher wählten jedoch zunächst andere Grabformen:
Der eigentliche Reichsgründer Kyros II. ließ sich in seiner Residenz Pasar- gadae einen gut sichtbaren Grabbau inmitten eines weitläufigen Paradiesgartens errichten (Abb. 4).
1HAuf einem siebenstufigen Sockel befand sich ein recht
eckiger, hausförmiger Steinbau mit Giebeldach. Zwei vergleichbare Anlagen wurden an anderen Orten der Fars, in Gur-i Dohtar und südlich von Naqs-i Rustam, gefunden. Obgleich bislang nicht mit Sicherheit geklärt werden konn
te, welcher Gebäudetyp - Ziqqurat, Tempel oder Palast - im einzelnen als Vor
bild für diese Grabbauten anzusehen ist, steht deren Interpretation als Abbilder von „Häusern" außer Frage.
19!l Tsukimoto 1985.
" Burney 1995: 207.
1(1
Zur umstrittenen Datierung siehe jedoch Strommenger in: Hrouda - Orthmann - Strommenger 1957-71: 590f.
17 von der Osten 1956: 79; TF. 39.
18
Strommenger in: Hrouda - Orthmann - Strommenger 1957-71: 589; Stronach 1978:
24 ff.
19 von der Osten 1956: 75; Stronach 1978: 39ff.
Seit Dareios I. ließen sich die achämenidischen Großkönige in Felsengräbern beisetzen (Abb. 5). Diese Sitte könnte — wie erwähnt - von den urartäischen
20oder medischen
21Grabbauten Irans angeregt worden sein. Der König selbst sowie seine ersten Nachfolger nutzten den Felsen von Naqs-i Rustam als Bestat
tungsplatz, während die späteren Herrscher den Berg von Persepolis wählten.
Die kreuzförmig angelegten, geglätteten Fassaden um die Eingangsbereiche zu den Felskammern wurden aufwendig gestaltet. Dabei ließ man dekorative Elemente als vollplastische Gebilde oder als Reliefs stehen: Neben Säulenstel
lungen mit typisch achämenidischen Kapitellen und Architraven sind Bildsze
nen zu finden, die das Motiv des Großkönig vor dem Feueraltar zum Inhalt haben. Alle Merkmale der Fassadengliederung zeigen bis ins kleinste Detail eine Imitation der Apadanabauten von Persepolis.
22Die veränderten Jenseitskonzeptionen und Bestattungssitten im achämenidi
schen Iran erzwangen gegenüber den älteren mesopotamischen und elamischen Gepflogenheiten neue Grabformen. Die Hausform der frühachämenidischen Mausoleen sowie die bewußte Imitation der Apadana durch die Fassaden der Felsengräber können jedoch als Reminiszenzen an die altorientalischen Palast
bestattungen aufgefaßt werden: Das verbindende Element zwischen den frühachämenidischen Grabformen zur Zeit Kyros II. und den späteren Anlagen seit Dareios I. war ja gerade die Umsetzung des architektonischen Vorbildes ..Haus" beziehungsweise ..Palast" im Grabmonument. Das Bild des Palastes als Bestattungsplatz des Großkönigs wurde in beiden Fällen dem Betrachter vor Augen geführt. Besonders offenkundig wurde dieser Zusammenhang in Perse
polis selbst, wo sich oberhalb der Paläste der Lebenden diejenigen der Toten befanden (Abb. 6).
Eine vergleichbare Verbindung von Felsengräbern und Palast- beziehungs
weise Hausarchitektur findet sich auch in anderen Regionen des Vorderen Ori
ents. Von besonderem Interesse sind die Felsengräber in Lykien
23sowie im nabatäischen Reich: Vor allem letztere - unter denen diejenigen von Petra besondere Erwähnung verdienen - sind unabhängig von ihrer typologischen Zuordnung als Gebäudeimitationen aufzufassen.
2' Dies äußerte sich sowohl in der Pylongestaltung als auch in weiteren Details wie Pilasterformen mit Kapi
telldarstellungen oder Zinnenreliefs. Während die „Zinnen-" und die „Treppen
gräber" möglicherweise mit südarabischen Wohntürmen in Verbindung gebracht werden können, wirken die sogenannten „Giebelgräber", die eine besondere
2,1
Burney 1995: 205ff.
21
von der Osten 1956: 79.
22
von der Osten 1956: 79.
23
Zur Bedeutung von hausförmigen Grabbauten in Anatolien und der lykischen Fel
sengräbern im Besonderen siehe Waelkens 19B2, der deutlich auf die Haussymbolik anatolischer Grabanlagen hinweist.
21
Schmidt-Colinet - Weber - Zangenberg 1997: 87 ff.
Das „Haus der Totenpflege"
137
Affinität zu römisch-hellenistischen Baudekorelementen erkennen lassen, w i e Imitationen v o n mehrstöckigen Palästen.
2^
W i e die Beispiele aus Urartu, d e m achämenidischen Iran, Lykien und d e m nabatäischen Reich beweisen, blieb im Orient die Vorstellung der ..Haus-" bezie
hungsweise „Palastbestattung" in stark abstrahierter Form noch lange lebendig.
Waren es n u n m e h r nicht mehr „reale" Häuser, in denen die Toten beigesetzt w u r d e n , so imitierte m a n bei der Gestaltung der Grabfassaden ganz o f f e n k u n dig die damals übliche Haus- oder Palastarchitektur. Verdeutlicht wird der Z u s a m m e n h a n g zusätzlich dadurch, daß das nabatäische Grab in den Inschrif
ten explizit als „Haus" (byt) oder „ewiges Haus" (byt Im') des Toten bezeich
net wurde.
2 6Es zeigt sich also, daß d e m orientalischen Haus bis in die Zeit der Christianisierung eine gewisse Sepulkralsymbolik inne lag beziehungsweise - andersherum betrachtet - das Grab selbst mit einem Haus assoziiert wurde.
3. Grüfte u n d Lehmziegelgräber
Vor diesem Hintergrund kann nun die Gestaltung der Gräber betrachtet wer
den : Im alten Mesopotamien dominierten über mehrere Jahrtausende hindurch n e b e n den Topfbestattungen u n d Erdgräbern vor allem zwei Grabformen: Grüf
te und Lehn l/iegeK k isten )gräber. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit sie z u m K o m p l e x der Haussymbolik zu rechnen sind.
Linter einer Gruft
2" ist ein begehbares, unterirdisch angelegtes Grab zu ver
stehen, dessen Kern eine K a m m e r bildet u n d das durch einen Einstiegsschacht o d e r einen D r o m o s betretbar ist. Die in mittelalterlichen Kirchen gelegenen Grüfte v o n Bischöfen oder Adligen w e r d e n auch als Krypta
28bezeichnet.
Grüfte mit g e w ö l b e - oder giebelförmigen Dachkonstruktionen stellten in M e s o p o t a m i e n einen der langlebigsten Grabtypen dar.
29Die frühesten Beispiele aus Kis und Ur datieren in die frühdynastische Zeit. Die verhältnismäßig gut erforschten, a u l w e n d i g e n Anlagen im „Königsfriedhof" v o n Ur sow ie der nahe
gelegene Grabbau der Herrscher der III. Dynastie bilden prominente Beispiele mesopotamischer Grüfte (Abb. 2, 3). Die Ü b e r w ö l b u n g w u r d e zumeist durch Kraggewölbe, in mehreren Fällen jedoch auch durch T o n n e n g e w ö l b e in Radial-
2=1
Schmidt -Coline! - Weber - Zangenberg 1997: 88.
26
Schmidt-Colinet - Weher - Zangenberg 1997: 97.
- Der Begriff Gruß leitet sich vom mittel- und althochdeutschen grüß, krufi ab. das unter Einfluß von vulgärlateinisch crupta „(hotte" zu althochdeutsch girophti „Gra
ben" wurde. Er ist etymologisch mit Grotte (von italienisch grotta, vulgärlateinisch
crupta, lateinisch crypta) „Felsenhöhle" verwandt.28
Das griechische Lehnwort Krypta, abgeleitet v on kryptä „unterirdischer Gang; Gewöl
be" aus kryptein „verbergen", kam über das lateinische crypta ins Deutsche und Fran
zösische und bezeichnet einen unterirdischen Raum, der als Grabstätte dient. Er wird vor allem im Zusammenhang mit dem Kirchenbau verwendet.
Strommenger in: Hrouda - Orthmann - Strommenger 1957—71: 588.
schichten erwirkt (Abb. 7). Den frühbronzezeitlichen Kammergräbern des Mitt
leren Euphrat
30lagen vermutlich vergleichbare ideologische Konzeptionen zugrunde wie den frühdynastischen und neusumenschen Grüften in Babyloni- en.
Grüfte wurden in Mesopotamien mindestens bis zur parthischen Zeit genutzt.
Von besonderer Bedeutung waren die unter den Palästen gelegenen, in denen die Könige Assyriens und Babyloniens bestattet wurden (siehe oben).
Eine Gruft wurde aus verschiedenen Motivationen heraus angelegt: Zum einen bestand häufig der Wunsch der Wiederverwendung der Grabanlage (Familiengrüfte, Bischofsgrüfte etc.), zum anderen sollte die Zugänglichkeit zum Zweck einer Totenverehmng gewährleistet bleiben. Weiterhin drückte eine Gruft die soziale Privilegierung der nutzenden Gruppe aus. Darüber hinaus ist sie jedoch ebenso wie das einfache Grab eine Form der Beisetzung des Toten in der Erde - grundlegende ideologische Unterschiede zwischen Grab und Gmft sind demnach nicht anzunehmen. Die Innengestaltung einer Gruft - namentlich derjenigen der Könige von Ur III - erinnert mit seiner länglichen Kammer und seiner gewölbe- oder giebelförmigen Abdeckung entweder an eine unterirdische Höhle oder an ein Haus beziehungsweise einen Raum des
selben.
Eine weitere, häufig belegte Grabform Mesopotamiens war das sogenannte
„Lehmziegel(kisten)grab". Als sein wesentliches Charakteristikum ist eine Ein- fassungs- und Abdeckungsarchitektur aus Lehmziegeln oder gebrannten Ziegeln anzusehen. Im Gegensatz zu den Ziegelgrüften waren sie nicht begehbar und verfügten über keinen Dromos im eigentlichen Sinne. Lehmziegelgräber in unterschiedlichen Ausprägungen waren bereits in vorhellenistischer Zeit in Mesopotamien bekannt und sind in größerer Zahl an verschiedenen Orten belegt.
31Wie Beispiele aus Tal] Huera zeigen, fanden Lehmziegelgräber späte
stens im Zuge der mittelassyrischen Reichsexpansion Eingang in die Grabar
chitektur Nordmesopotamiens: Im Bereich des mittelassyrischen Palastes G wur
den bislang 30 Hausbestattungen erfaßt, darunter - neben Topf- und Doppel
topfgräbern sowie einfachen Erdgräbern - auch einige Lehmziegelgräber mit flacher Abdeckung.
32Eine besonders große Verbreitung erfuhr diese Grabform während der helle- nistisch-parthischen Epoche:
33In zahlreichen mesopotamischen Friedhöfen die
ser Zeit konnten Lehmziegelgräber freigelegt werden, so etwa in Uruk
34, Baby
30 Orthmann 1981; Kampschulte - Orthmann 1984; Orthmann 1989; Orthmann - Rena 1991; Meyer 1991; Carter - Parker 1995.
31 .Haller 1954: 32ff.; Strommenger 1964: 158, Abb. 1; Strommenger in: Hrouda - Orth
mann - Strommenger 1957-71: 586 ff.
32 H. Klein in: Orthmann et al. 1995: 186ff.
33 Oefsner 1980: 251 ff.
34 F. Redde in: Boehmer - Pedde - Salje 1995: 159ff.
Das „Haus der Totenpflege" 139
I o n3- , N i p p u r3 6, S e l e u k e i a3 7, T a l l e d - D e r3 , s, A b u , Q u b ü r , M a h m ü d i y a , N u z i3 9, A s s u r4 0, N i m r u d4 1, H a l ä w a ' - u n d a u f d e r B i g ä n - I n s e l .
I m p a r t h i s c h - r ö m i s c h e n F r i e d h o f v o n T a l l S e h H a m a d s t e l l t e n d i e L e h m z i e g e l g r ä b e r d i e b e i w e i t e m h ä u f i g s t e F o r m g r u p p e d a r ( A b b . 8, 9).1 3 D i e ä u ß e r e U m r a n d u n g d e r in d i e S o h l e d e r G r u b e e i n g e l a s s e n e n e i g e n t l i c h e n G r a b l e g e w u r d e m i t H i l f e v o n flach v e r l e g t e n L e h m z i e g e l n stabilisiert u n d d i e n t e als A u f l a g e r f ü r d i e A b d e c k u n g , d i e in d e n m e i s t e n F ä l l e n in F o r m e i n e s e i n - o d e r m e h r r e i h i g e n „ P s e u d o g i e b e l s " k o n s t r u i e r t w u r d e : I m F a l l e d e r e i n r e i h i g e n P s e u - d o g i e b e l w u r d e e i n e R e i h e v o n h o c h k a n t u n d m i t e i n e r E c k e n a c h o b e n a u f g e s t e l l t e n Z i e g e l n a u f d i e E i n f a s s u n g g e s e t z t . D e r s o g e n a n n t e d r e i r e i h i g e P s e u - c l o g i e b e l b e s t a n d d a g e g e n a u s d r e i p a r a l l e l e n , in d e r L ä n g s a c h s e d e s G r a b e s v e r l a u f e n d e n R e i h e n . F ü r d i e b e s c h r i e b e n e K o n s t r u k t i o n w i r d d e r B e g r i f f „ P s e u - d o g i e b e l " v e r w e n d e t , d a d i e s e in d e r D r a u f s i c h t e i n e g i e b e l a r t i g e F o r m e r k e n n e n läßt, o h n e e i n e n k o n s t r u k t i v e n G i e b e l i m e i g e n t l i c h e n S i n n e d a r z u s t e l l e n . N u r i n v e r h ä l t n i s m ä ß i g w e n i g e n F ä l l e n w u r d e e i n e c h t e r , a u s j e w e i l s v o n z w e i S e i t e n a n e i n a n d e r g e l e g t e n Z i e g e l n b e s t e h e n d e r G i e b e l a n g e l e g t ( A b b . 10, 11).
W i e b e r e i t s in d e n ä l t e r e n P e r i o d e n z e i g t e n L e h m z i e g e l g r ä b e r i m p a r t h i s c h e n M e s o p o t a m i e n e i n v e r h ä l t n i s m ä ß i g g r o ß e s F o r m r e p e r t o i r e , d a s m ö g l i c h e r w e i s e a u f r e g i o n a l e S o n d e r e n t w i c k l u n g e n z u r ü c k z u f ü h r e n ist. I n v i e l e n F ä l l e n b e s t a n d d i e E i n f a s s u n g s - u n d A b d e c k a r c h i t e k t u r a u s g e b r a n n t e n Z i e g e l n , d i e m i t e i n e m G i p s - o d e r B i t u m e n m ö r t e l v e r b a u t w a r e n . E n t g e g e n d e n in T a l l S e h H a m a d b e z e u g t e n V e r h ä l t n i s s e n s c h e i n e n in fast a l l e n N e k r o p o l e n E i n f a s s u n g e n a u s g e m a u e r t e n Z i e g e l k i s t e n d o m i n i e r t z u h a b e n . D i e h ä u f i g s t e A b d e c k f o r m ist d i e j e n i g e d e s e c h t e n G i e b e l s , d i e i n n a h e z u a l l e n e r w ä h n t e n F r i e d h ö f e n b e l e g t ist, u n d d i e d e s e i n - o d e r d r e i r e i h i g e n P s e u d o g i e b e l s .
B e i a l l e n L e h m z i e g e l g r ä b e r n - s o w o h l d e n e n m i t P s e u d o g i e b e l als a u c h m i t e c h t e m G i e b e l - w u r d e d e r E i n d r u c k e i n e r G i e b e l a b d e c k u n g b e z i e h u n g s w e i s e e i n e s K r a g g e w ö l b e s e r w e c k t , d e r s i e o p t i s c h m i t L e h m z i e g e l g r ü f t e n v e r b a n d . S e l b s t i m F a l l e d e r F l a c h a b d e c k u n g k a n n e i n e b e w u ß t e A s s o z i a t i o n m i t G r ü f t e n u n d K a m m e r g r ä b e r n a n g e n o m m e n w e r d e n . Es e r s c h e i n t d a h e r w a h r s c h e i n l i c h , d a ß b e i d e r A n l a g e v o n L e h m z i e g e l g r ä b e r n mit e i n f a c h e n M i t t e l n a u f w e n d i g e G r ü f t e imitiert w u r d e n . D i e v e r t i k a l e G r a b g r u b e vertrat d e n S c h a c h t b e z i e h u n g s w e i s e d e n D r o m o s . M a n g e l n d e ö k o n o m i s c h e Mittel m ö g e n d a f ü r v e r a n t w o r t l i c h g e w e s e n s e i n , d a ß statt G r ü f t e n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e i n f a c h e L e h m -
" Reuther 1926: 253h. und Taf. 8 8 - 9 1 u n d Stronunenger 1964: 163. Abb. 4, 6 - 7 .
36 G i b s o n 1978.
37 Valtz 1986: 16ff, Fig. B und Fig. 15; P e d d e in: B o e h m e t - P e d d e - Salje 1995: 160.
38 d e Meyer 1977, 133: Fig. 6.1.; O e l s n e r 1980: 253. A n m e r k u n g 25a; G a s e h e 1996.
!" Ehrich in: Starr 1939: 545ff.
10 A n d r a e - Lenzen 1967: 96f. und Tafel 47, k - m .
" Oates - G a t e s 1958: 156 und Tafel 29a und b.
12 J . - W . Meyer in: O r t h m a n n 1981: 1 I ff.
13 N o v ä k - Oettel 1998: 325ff.; Noväk - Oettel - Witze! 2000.
ziegelgr
äber errichtet wurden. Ein weiterer B e w e g u n g s g r u n d könnte darin gele
gen haben, daß w e d e r Nachbestattungen n o c h eine aufwendige, in der Gruft d u r c h z u f ü h r e n d e Totenverehrung beabsichtigt waren u n d somit kein Grund für die Begehbarkeit des Grabes vorlag.
Gerade der grundsätzlich gleiche ideologische Hintergrund v o n Grab and Gruft dürfte diese beabsichtigte W i r k u n g der Imitation v o n einem durch das andere erklären: Da s o w o h l Grüfte als auch Lehmziegelgräber unterirdisch angelegt u n d letztere z u d e m nicht begehbar waren, stellt sich die Frage, w e s w e g e n überhaupt ein solcher, mit der Errichtung der Grabarchitektur verbun
dener A u f w a n d getrieben wurde. W e n n der Betrachter des Grabes kein m e n s c h licher war, so liegt die Vermutung nahe, daß s o w o h l das Grab als auch die Gruft architektonische G e b i l d e formten, w e l c h e für die Jenseitskonzeption v o n B e d e u t u n g waren.
4. Das ..Haus der Totenpflege" - Zur Sepulkralsymbolik des Hauses
D e r H i n t e r g m n d des „Vergrabens" eines Toten liegt in der Rückführung des Leichnams zur „Mutter" Erde.'
4Dahinter steht die Vorstellung, daß einerseits die G e b e i n e der Erde zur Zersetzung übergeben werden, andererseits die Seele v o n hier aus ins Jenseits gelangen soll. Unterirdische Grüfte hatten dabei die glei
che Funktion w i e einfache Gräber, jedoch - w i e erwähnt - um die Aspekte der Nachbestattung u n d der T o t e n v e r e h m n g erweitert.
W i e die Textquellen belegen, galt das G r a b im alten M e s o p o t a m i e n als ein Ort des Übergangs zwischen z w e i Welten: derjenigen der L e b e n d e n auf der einen und derjenigen der Toten auf der anderen Seite. " W i e B e s c h w ö m n g e n vor b ö s e n Geistern zeigen, konnte dieser Übergang in beide Richtungen passiert werden.'"
D i e „Unterwelt" w u r d e dabei tatsächlich als „unten" liegend a n g e s e h e n .
rI m A k k a d i s c h e n gab es zwei A u s d r ü c k e für „Grab": das allgemeinsemitische
qabm(m)v o n qeberu „graben" s o w i e das sumerische Lehnwort
kimahbu(m)v o n k i . m a h „ehrwürdiger Platz".
48Das sumerische Wort e k i . s i . g a „Haus der Totenpflege" w u r d e v o n den A k k a d e r n mit kimah gleichgesetzt und somit gleichfalls als „Grab" verstanden.
wOffenbar g a b es keine sprachliche Differenzierung zwischen „Grab" u n d
„Gruft". Zwar w u r d e zwischen kimahhu u n d bit kimabhi unterschieden - die Gruft der Jabä in Kalhu wird in ihrer Grabinschrift als kimahhu, diejenige einer anderen Königin der Zeit Assarhacldons dagegen als e. k i . m a h /;// kimahhu
" Linker 1991: 260.
15
Groneberg 1990: 25-r Tsukimoto 1985: 6.
|7
Fadhil 1990: 468; Lundström infra.
Siehe hierzu Lundström infra.
'" Tsukimoto 1985: 31.
Das „Hans der Totenpflege" 141
„Grabhaus" bezeichnet"
1" —, doch scheint dieses auf andere P h ä n o m e n e zurück
zugehen: Unter ersterem w u r d e nach S. Lundström die unterirdische Grabanla
ge, unter letzterem entweder nur der oberirdische Kultraum, in d e m das kispu durchgeführt wurde, oder die Gesamtanlage verstanden.
MAls weitere Epitheta für „Grab" wurden häufig Begriffe wie ekal saläli „Palast des Ruhens",
kitnah tapsuhti „Grab der Beruhigung" oder subat däräti „ewige W o h n u n g " v e r w e n det.'
12D a n e b e n wurde eine Gruft - vermutlich insbesondere die „Familiengruft"
- bisweilen auch als Int kimti ..Familienhaus" b e z e i c h n e t .
vDiese Terminologie belegt, daß das Grab e b e n s o wie die Gruft einerseits als Ort des Überganges, andererseits jedoch auch als „Haus der Totenpflege"'''
1beziehungsweise „Haus des Toten" galt.
55Dies wiederum verbindet die altme- sopotamische Vorstellung mit der nabatäischen (siehe oben).
Es erscheint an dieser Stelle sinnvoll, einen kurzen Blick auf die mesopota- mischen Jenseitskonzeptionen zu werfen: Diese waren im Allgemeinen sehr k o m p l e x aufgebaut und variierten vermutlich zeitlich und räumlich mehr oder minder stark. Es ist somit schwierig, die mesopotamische Jenseitsvorstellung als solche darzustellen.
Der T o d w u r d e nicht als ein abruptes Ende des Lebens, sondern als ein Liber
gang zu einer neuen Existenzform angesehen"'
1', w o b e i sich der Mensch in zwei K o m p o n e n t e n teilte: die materielle mit den G e b e i n e n und die immaterielle der
„Seele" beziehungsweise des ..Totengeistes".'
1Die G e b e i n e des Verstorbenen, die esemtü, mußten in der Erde bestattet werden, da selbige - beziehungswei
se das in sie eingreifende Grab - als ein „Vorraum*' auf d e m Weg zur LJnter- welt angesehen w u r d e .
wW ä h r e n d und nach der Beisetzung hatten die Hin
terbliebenen dafür Sorge zu tragen, daß es der Seele des Toten, seinem etemmu
„Schatten", an nichts mangelte. Diese fuhr in die von der Göttin Ereskigal und ihrem G e m a h l Nergal regierte Unterwelt hinab, die fortan als permanenter Auf
enthaltsort diente. Als Ausstattung w u r d e d e m Toten - je nach sozialem Rang - einiges an Gegenständen mitgegeben; dabei ist zwischen persönlichem Besitz, Verpflegung auf dem m ü h s a m e n Weg und Gastgeschenk an die Unterweltsgöt-
50
Fadhi] 1990: 46«.
,J
Lundström infra.
'
JTsükimöto 1985: 6.
S3
Freundlicher Hinweis von Herrn Dr. A, Tsukimoto.
11
Zur Totenpflege selbst siehe Tsukimoto 198S. zu den Begrifflichkeiten „Toten- und Ahnenkult" Tsan infra und Lundström infra.
" Eine vergleichbare Konzeption des Grabes als „Haus" des loten lag in Ägypten vor.
Siehe hierzu Görg 1998: 29 („Mit den Häusern sind also womöglich solche 'Gräb
häuser' gemeint, denn das Grab ist für den Ägypter immer ein Haus gewesen, ein Haus für die Ewigkeit").
56
Groneberg 1990: 244 ff.
57
Tropper 1989: 47.
* Tsukimoto 1985: 8: Penglase 1995: 193.
ter zu unterscheiden, A u c h nach tler Bestattung mußte der Tote in regelm
äßi
gen Abständen mit Speisen u n d Getränken versorgt werden
5 9, da sein Geist ansonsten als H e i m s u c h u n g der Lebenden hätte wiedererscheinen k ö n n e n . Als Gegenleistung konnte der Tote bei den Göttern Fürbitte für seine N a c h k o m m e n einlegen. U m in die Unterwelt zu gelangen, mußte die Seele einige Hin
dernisse überwinden, darunter den Unterweltsfluß Hubur, der mit Hilfe des Fährmannes Humut-tabal passiert wurde.
6" A m Eingang zur Unterwelt erwarte
te ihn eine Art Bewertung, die zu seiner Z u w e i s u n g an einen bestimmten Ort führte."
1Zurück z u m Grab selbst: W i e die Betrachtung des archäologischen B e f u n d e s zeigt, w u r d e n die Gräber bedeutender Personen im alten Mesopotamien bevor
zugt in Häusern - im Falle v o n K ö n i g e n in Palästen - angelegt. D i e s verdeut
licht, daß der Hausbestattung eine sehr weitgehende symbolische Bedeutung z u g e k o m m e n s e i n muß: D i e Beisetzung bedeutender K ö n i g e in altehrwürdigen Palästen B a b y l o n i e n s u n d Assyriens belegt dies e b e n s o w i e die b e w u ß t e Imi
tation v o n Palastarchitektur bei der Anlage urartäischer, achämenidischer, lyki- scher oder nabatäischer Felsengräber. Das Prestige des Verstorbenen äußerte sich gleichsam in der Wahl seines Bestattungsortes s o w i e in seiner Verehrung über den T o d hinaus u n d damit der A u s ü b u n g des kispum, der „Totenpflege".
wD i e in d e n Bauten gelegenen, unterirdischen Grüfte u n d Gräber w u r d e n gleichfalls als „Häuser" angesehen, v o n d e n e n aus die Seele des Verstorbenen seine Reise in die Unterwelt antrat. In oder über diesem „Haus der Totenpfle
ge" (sumerisch e k i . s i . g a ) , das zugleich der „Palast des Ruhens" (ekal saläli) u n d die „ewige W o h n u n g " (subat däräti) des Verstorbenen s o w i e das „Haus der Familie" {int kimti) war, w u r d e vermutlich im „Grabhaus" (blt kimahbit^ d e m Totenkult nachgegangen. D i e architektonische Gestaltung der Anlagen mit ihren D r o m o i , K a m m e r n u n d vielfältigen Überdachungskonstruktionen war zum Teil recht a u f w e n d i g u n d betonte das Prestige des hier Bestatteten. D i e weitver
breitete G r a b f o r m des Lehmziegel(kisten)grabes scheint eine einfache K o p i e dieser Grüfte mit ihren Giebel- oder G e w ö l b e a b d e c k u n g e n g e w e s e n zu sein, w a s den identischen gedanklichen Hintergrund beider Grabformen verdeutlicht.
6. Z u s a m m e n f a s s u n g
Im vorliegenden Beitrag w u r d e zu zeigen versucht, daß d e m Haus im alten M e s o p o t a m i e n - u n d darüber hinaus in weiten Teilen des Alten Orients - eine b e d e u t e n d e Sepüikralsymbolik inne lag. Dies äußerte sich s o w o h l in d e m
59
Potts 1997: 228
60
Penglase 1995: 193-
61
Tsukimoto 1985: US.
62
Tsukimoto 1985; van der Toorn 1996.
63
Lundström infra.
Das „Haus der Tötenpflege" 143
Bestattungsort als auch in der Grabgestaltung und -bezeichnung: Das „Haus der Toten" lag in beziehungsweise unter dem „Haus der Lebenden".
Es ist bislang nicht möglich, den ideologischen Hintergrund dieses Umstan- des zu erkennen, doch erscheint es als evident, daß das Haus - das Heim des Menschen - auch seine Ruhestätte nach dem Tod und der Ausgangspunkt für die lange und beschwerliche Reise seiner Seele in die Unterwelt war. Die Toten
pflege, die die Hinterbliebenen im Haus beziehungsweise am Grab vollzogen, sollte ihm helfen, das Ziel zu erreichen. Damit unterstützte man nicht nur die Seele des Verstorbenen; man schützte sich auch selbst vor seinem Geist, der die Lebenden heimsuchen würde, falls er nicht in die Unterwelt gelangen konn
te. Die Beziehung zum Grab und die Vollziehung des Totenkultes garantierte die Unversehrtheit der Lebenden durch die Toten.
Die Nähe des „Hauses des Toten" zum „Haus der Lebenden" führte letztlich zur Distanz zwischen den Toten und den Lebenden - ein im Hinblick auf die weitverbreitete Totenfurcht wichtiges Anliegen.
Literaturverzeichnis
Andrae, W. - Lenzen, H. 1967: Die Partherstadt Assur. Wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft 57. Osnabrück.
Boehmer. R. M. - Pedde, F. - Salje, B. 1995: Uruk - Die Gräber. Ausgrabungen in Uruk- Warka Endberichte 10. Mainz.
Burney, Ch. 1995: Urartian Funerary Customs. In: Stuart Campbell - Anthony Green (Hrsg.), The Archaeology of Death in the Ancient Near East, 205-208. Oxford.
Carter, E. - Parker, A. 1995: Pots, People and the Archaeology of Death in Northern Syria and Southern Anatolia in the latter Half of the Third Millennium B.C. In: Stuart Camp
bell - Anthony Green (Hrsg.), The Archaeology of Death in the Ancient Near East, 96-116. Oxford.
Damerji, M. S. B. 1999: Gräber assyrischer Königinnen aus Nimrud. Sonderdruck aus dem Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 45. Mainz.
Fadhil, A. 1990: Die in Nimrud/Kalhu aufgefundene Grabinschrift der Jaba. Die Grabin
schrift der Mulissu-mukannisat-Ninua aus Nimrud/Kalhu und andere in ihrem Grab gefundene Schriftträger. Baghdader Mitteilungen 21, 461-470 und 471-482.
Gasohe. H. 1996: Les Tombes Achemenides tärdives et Seleucides de Teil ed-Der, Abu Qubür et Mali müdiya. Mesopotamian History and Environment Series I, Northern Akkad Project Reports 10, 39-84.
Gibson, McC. et al. 1978: Exeavations at Nippur. Twelfth Season. Oriental Institute Com
munications 23. Chicago.
Görg, M. 1998: Ein Haus im Totenreich - Jenseitsvorstellungen in Israel und Ägypten.
Düsseldorf.
Grayson, A. K. 1975: Assyrian and Babylonian Chronicles. Texts from Cuneiform Sour- ces 5. New York.
Groneberg, B. 1990: Zu den mesopotamischen Unterweltsvorstellungen: Das Jenseits als Fortsetzung des Diesseits. Altorientalische Forschungen 17, 244-261.
Haller, A. 1954: Die Gräber und Grüfte von Assur. Wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft 65. Berlin.
Harak, A. 1990: The Royal Tombs of Nimrud and their Jewellery. Bulletin of the Cana- dian Society for Mesopotamian Studies 20. 5-28.
Heinrich, E. 1984: Die Paläste im Alten Mesopotamien. Berlin.
Hodder, I. 1984: Burials, Houses, Women and Men in the European Neolithic. 1). Miller - C. Tilley (Hrsg.), Ideology, Power and Prehistory 51-68. Cambridge.
Hrouda, B. - Strommenger, E, - Orthmann, W. 1957-71: Stichwort „Grab". Reallexikon der Assyriologie und Vorderasiatischen Archäologie 3, 581-605.
Kampschulte, I. - Orthmann, W. 1984: Gräber des 3- Jahrtausends v.Chr. im syrischen Euphrattal 1: Ausgrabungen bei Tawi 1975 und 1978. Saarbrücker Beiträge zur Alter
tumskunde 38. Bonn.
Lundström, S. infra: Kimahhu und Qabru - Untersuchungen zur Begrifflichkeit akkadi- seher Grabbezeichnungen. In diesem Band.
Lurker, M. 1991: Wörterbuch der Symbolik. Stuttgart.
Metealf, P. - Huntington, R. 1991: Celebrations of Death. The Anthropology of Mortuary Ritual. Cambridge.
Meyer,J.-W. 1991: Gräber des 3- Jahrtausends v.Chr. im syrischen Euphrattal 3: Aus
grabungen in Samseddin und Djerniye. Schriften zur Vorderasiatischen Archäologie 3.
Saarbrücken.
de Meyer, L. 1977: La septieme Campagne de Fouilles ä Teil ed-Der. Sumer 33, 128—133- Moortgat-Correns, U. 1996: Das Grab des Nabonid. In: Studi Micenei ed Egeo-Anatolici
38. 153-177.
Noväk, M. 1999: Herrschaftsform und Stadtbaukunst - Programmatik im mesopotami- schen Residenzstadtbau von Agacle bis Surra man ra'ä. Schriften zur \ orderasiatischen Archäologie 7. Saarbrücken.
Noväk, M. - Oettel, A. 1998: Ein parthisch-römischer Friedhof in Tall Seh Hamad/Ost- Syrien. Antike Welt 29/4, 325-337.
Noväk, M. - Oettel, A. - Witzel, C. 2000: Der parthisch-römische Friedhof in Magdala/
Tall Seh Hamacl I. Berichte der Ausgrabung in Tall Seh Hamacl 5. Berlin.
Oates, D. - Oates, J. 1958: Nimrud 1957, the Hellenistic Settlement. Iraq 20, 114-157.
Oelsner, J. 1980: Bestattungssitten im hellenistischen Babylon als historisches Problem.
Zeitschrift für Assyriologie 70, 246-257.
Orthmann. W. 1975: Der Alte Orient. PKG 14. Berlin
Orthmann, W. 1981: Halawa 197" bis 1979. Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 31.
Bonn.
Orthmann, W. 1989: Halawa 1980 bis 1986. Saarbrücker Beiträge zur Altertumskunde 52.
Bonn.
Orthmann, W. et al. 1995: Ausgrabungen in Teil Chuera in Nordost-Syrien. Vorderasiati
sche Forschungen der Max Freiherr von Oppenheim-Stiftung 2. Saarbrücken.
Orthmann. W. - Rova, E. 1991: Gräber des 3. Jahrtausends v. Chr. im syrischen Euphrat
tal 2: Ausgrabungen in Wreide. Schriften zur Vorderasiatischen Archäologie 2. Saar
brücken.
von der Osten, H. H. 1956: Die Welt der Perser. Stuttgart.
Penglase. Ch. 1995: Some Concepts of Afterlife in Mesopotamia and Greece. Stuart Campbell - Anthony Green (Hrsg.), The Archaeology of Death in the Ancient Near East, 96-116. Oxford.
Potts, D. T. 1997: Mesopotamian Civilization. The Material Foundations. London.
Roaf, M. 1991: Weltatlas der Kulturen - Mesopotamien. München.
Retither, O. 1926: Die Innenstadt von Babylon. Wissenschaftliche Veröffentlichung der Deutschen Orient-Gesellschaft 47. Leipzig.
Schmidt-Colinet, A. - Weber. Th. - Zangenberg. J. 1997: Arabischer Barock - Sepulkra- le Kultur in Petra. In: Th. Weber - R. Wenning (Hrsg.). Petra - Antike Felsstadt zwi
schen arabischer Tradition und griechischer Norm, 87-97. Mainz.
Das „Hans der Totenpflege"
145
Starr, R. F. S. 1939: Nuzi. Report on the Excavations at Yorgan Tepe near Kirktik. Iraq 1927-1931. Cambridge-Massachusetts.
Strommenger. E. 1964: Grabformen in Babylon. Baghdader Mitteilungen 3, 157-173.
Stronach, D. 1978: Pasargadae. Oxford.
van der Toorn, K. 1996: Family Religion in Babylonia. Syria and Israel. Leiden.
Tropper, J. 1989: Nekromantie. Totenbefragung im Alten Orient und im Alten Testament.
Alter Orient und Altes Testament Band 223. Neukirchen-Vluyn.
Tsan, T.-S. infra: Ahnenkult aus einer ostasiatischen Sicht. In diesem Band.
Tsukimoto, A. 1985: Untersuchungen zur Totenpflege (kispurri) im alten Mesopotamien.
Alter Orient und Altes Testament Band 216. Neukirchen-Vluyn.
Valtz, E. 1986: Trench on the East Side of the Archive Square. Mesopotamia 21, 11-20.
Waelkens, M. 1982: Hausähnliche Gräber in Anatolien vom 3-Jht. v.Chr. bis in die
Römerzeit. D. Papenfuss - V. M. Strocka (Hrsg.), Palast und Hütte, 421-445. Mainz.
m
T--
fiät »tum« R™
. V 3 TP»U Sgl
* ®i £
»Öi
SS* Ä »
!# 1
NORD O S T HOF
i
KNAUF
FLIESEN
RAUM
IT
HAUPT- HOF f
=i MkQfc
n
Abb, 1. Der „Alte Palast" in Assur in neuassyrischer Zeit mit den Grüften der Könige (9.-7. Jh v.,Chi\; aus E. Heinrich, Die Paläste in Mesopotamien, Berlin 1984)
Das „Haus der Totenpflege"
147
1
Abb. 2. Mausoleum der Könige der [II. Dynastie in Ur, Grundriß (ca. 2101) v.Chr.; aus: L. Wool- ley, Ur Excavations VI, The Buildings of the Third Dynasty, London 1974. PI. 54).
s
Abb. 3. Mausoleum der Könige der [II. Dynastie in Ur, Schnitte (ca. 2100 v. Chr.; aus: L. Woolley, Ur Excavations VI, The Buildings of (he Third Dynasty, London 1974, PI. 55).
Abb. 4. Grab des Kyros in Pasargadae (spätes 6. [h. v.Chr.; aus: D. Stronach, Pasargadae Oxford 1978, S. 39. Fig. 21).
Das „Haus der Totenpflege"
149
11 i J r r r TI i p 11 T 11 T Ii r TT T r r r T i MM p T p i"] III r r p r p1M r p< uVliiiiii M M T M rrrr rn ;r FrirnMrrrTFFrTniM PTT.M'
p
W H
4 fc r
10 m
tu m
Abb. 5. Das Felsengrab des achärnenidischen Königs Dareios I. in Naqä-i Rustam bei Persepolis (frühes 5. Jh. v. Chr.; aus: II. Koch. Es kündet Dareios der König, Mainz L992, S. 291, Abb. 197 und 198).
Vj, .•i.vj —ZT~~~'—~~ 1 r~
BH wSMPB
' 1 1 \m;i
xi"' wfe-.
Ii ! i
, 4
n —mm
3«*
* tf \
0
.Ii
Abb. 6. Persepolis, Blick auf den „Hundertsäulensaal" und den ..Speisesaal" auf der PalastterrasSe und das darüber liegende Felsgrab des Artaxerxes II. C5.HLjh. v.Chr.; Zeichnung F. Krcfter. aus:
L. Trümpelmann. Persepolis. Main/ 1988, S. 84. Kat. 21).
1
m
1 !i. »gim
S T
£2
bfc^
Abb. 7. Assyrische Gruft in Assur (aus: A. I laller. Die Gräber und Grüfte von Assur, W V D O G 65.
Berlin 1954, S. 154, Abb. 174).
Das ..I laus der Totenpflege" 151
Abb. 8. Das parthische Lehmziegelgrab 94 iS mii „Pseudogiebel" aus Magdala,Tall Seh Hamad, Aufsichl (1.-2. fh. n. Chr.; Zeichnung Gabi Elsen-Noväk).
A - Ä
233,99
AN
232.96
232.70 232,71
232,66 _ _ I
50cm
^ ^ 2^2,25 ^ ^ "
G9AM8
\ \ \ \ \ \ \ \ \ \
Abt). 9. Das parthische Lehmziegelgrab 94/48 mit „Pseudogiebel" aus Magdala/Tall Seh Hamad Schnitt (1.-2. Jh. n. Chr.; Zeichnung Gabi Elsen-Novak).
Das „Haus der Totenpflege'
153
"E o z E
Abb. 10. Das parteiische Lehmziegelgrab 92/20 mit echtem Giebel aus Magdala/Tall Seil Hamad, Aufsicht (1.-2. Jh. n. Chr.; Zeichnung Gabi Elsen-Novak).
232.52
50cm 392 120
B - B \
-r^~7 i> /
K / 1 1
• /
•~c
;1
l \ I
» 2 52
50cm G92/20 \ ,
Abb. Ii. Das parthische Lehrnziegelgrab 92/20 mit echtem Giebel aus Magdala/Tal] Seh Hamad Schnitte (1.-2. Jh. n. Chr.: Zeichnung Gabi Elsen-Noväk).