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Archiv "Sterilitätsmedizin in Deutschland: Im Spannungsfeld von Recht und Politik" (28.11.1997)

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In der Bundesrepublik Deutsch- land sind zirka zwei Millionen Paare ungewollt kinderlos, die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Ungewollte Kin- derlosigkeit stellt ein sehr ernst zu nehmendes und weitverbreitetes so- ziales Problem dar, weswegen die Ste- rilitätsmedizin mit ihren Möglichkei- ten immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses tritt. Bereits heute ist bei über drei Prozent aller Lebendge- burten – also über 20 000 Kindern pro Jahr – eine Sterilitätstherapie in ir- gendeiner Form vorausgegangen; die Tendenz ist eindeutig steigend. Damit ist schon jetzt eine Größenordnung er- reicht, die im Hinblick auf unser Sozi- alsystem und seine künftige Finanzie- rung nicht ohne Interesse ist. Dies gilt um so mehr, als zukünftig mit einem weiteren Anstieg der Geburten infol- ge Sterilitätstherapie zu rechnen ist.

Werden „natürliche“

Barrieren übersprungen?

Zu den großen Fortschritten der Sterilitätsmedizin gehört die in- tracytoplasmatische Spermieninjekti- on (ICSI), bei der – in Nachahmung des natürlichen Befruchtungsvor- gangs – ein Spermium in eine Eizelle eingeschleust wird. Nach dieser Mi- kroinsemination kann man damit rechnen, daß sich etwa 50 Prozent der Eizellen befruchten und als Präim- plantationsembryo in die Gebärmut- ter zurückgeführt werden können.

Die Schwangerschaftsraten liegen zwischen 30 und 35 Prozent pro Be- handlungszyklus, nach vier Behand- lungszyklen sind knapp zwei Drittel (!) dieser Patientinnen schwanger.

Diese Methode stellt einen revo- lutionären Durchbruch in der Be- handlung der schweren und schwer-

sten männlichen Subfertilität dar, also gerade in einem Bereich, dessen Zu- nahme in letzter Zeit so stark disku- tiert wird. Die ICSI-Methode ermög- licht es auch, selbst mit Spermien aus dem Hoden oder dem Nebenhoden erfolgreiche Behandlungen durchzu- führen. All dies war in der Vergangen- heit nicht möglich, hier bestand selbst in der Kombination chirurgischer, medikamentöser und technischer Verfahren (IVF oder GIFT) allenfalls

die Möglichkeit, mittelgradige Ein- schränkungen der männlichen Ferti- lität erfolgreich anzugehen. Alle an- deren Paare waren gezwungen, sich zur Erfüllung ihres Kinderwunsches der heterologen Insemination, also der Samenspende, zu „bedienen“.

Seit der Einführung dieser Me- thode ist immer wieder gemutmaßt worden, daß „natürliche Barrieren“

übersprungen werden und infolgedes- sen die Fehlbildungsrate der gebore-

nen Kinder erhöht sein müsse. Aus Untersuchungen von weit in die Tau- sende gehenden Kindern weiß man mittlerweile, daß die Fehlbildungsra- te im Vergleich zur Normalbevölke- rung sicher nicht erhöht ist.

Dies war aus humangenetischer Sicht auch so zu erwarten, da es gera- de beim Menschen keine Verbindung zwischen Spermienzahl, Aussehen der Spermien und dem transportier- ten Erbgut gibt. Insofern stellt die Eihülle auch keine „natürliche Bar- riere“ für das Erbgut dar. Sie achtet im wesentlichen nur darauf, daß nicht mehr als ein Spermium eindringt.

Auch bei der natürlichen Be- fruchtung ist es so, daß unter den „be- sten und schnellsten“ Spermien, die die Eizelle befruchten, solche sind, die mit statistischer Regelhaftigkeit bestimmte Erbkrankheiten übertra- gen – es findet also auch hier keine

„Selektion“ statt. Eine weitere Be- fürchtung ging dahin, daß durch ICSI bestimmte Erbfaktoren, die zu einer erheblichen männlichen Fruchtbar- keitsstörung führen, von einer Gene- ration auf die andere übertragen wer- den. Tatsächlich existieren solche Faktoren, wie zum Beispiel der Azoospermiefaktor (AZF). Ihre Be- deutung ist jedoch bei der Gesamt- zahl der betroffenen Männer gering.

Bezüglich des Vererbungsganges solcher Faktoren ist generell zu be- denken, daß die Männer, die solche Faktoren heute besitzen, diese zum Beispiel von ihren Vätern geerbt ha- ben müßten. Würde dies zutreffen, wäre eine Zeugung der heutigen Pati- enten durch ihre Väter wohl kaum möglich gewesen. Dies zeigt, daß es sich bei den genetischen Faktoren im wesentlichen um De-novo-Mutatio- nen handeln muß; dies erklärt aber nicht die Hunderttausende von be- troffenen Männern allein in der Bun- desrepublik.

Einen möglichen Mißbrauch die- ser und anderer Methoden der mo- dernen Sterilitätsmedizin hat der Ge- setzgeber in der Bundesrepublik Deutschland schon früh unterbunden.

So verbietet das Embryonenschutzge- setz (ESchG) bei Verfahren wie IVF, ICSI, GIFT die Hinzuziehung Dritter, untersagt also Eizell- und Samen- spenden sowie Leihmutterschaften.

Zudem regelt es im Hinblick auf die A-3254 (42) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 48, 28. November 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

Sterilitätsmedizin in Deutschland

Im Spannungsfeld von Recht und Politik

Wolfgang Würfel, Klaus Fiedler, Gottfried Krüsmann, Irene von Hertwig

Die intracytoplasmatische Spermieninjektion hat die Sterilitätsmedizin revolutioniert. Foto: Bayer AG

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Vermeidung höhergradiger Mehr- lingsschwangerschaften die maximale Anzahl der zu transferierenden Em- bryonen; die Obergrenze liegt bei drei. Darüber hinaus sieht es ein For- schungsverbot an menschlichen Prä- implantationsembyronen vor; bei Zu- widerhandlung drohen Gefängnis- strafen bis zu fünf Jahren. Das Em- bryonenschutzgesetz wurde – im Hin- blick auf die gesamteuropäische Si- tuation – anfangs etwas belächelt, ist jedoch mittlerweile zum Vorbild für ähnliche Gesetze in vielen anderen Ländern geworden.

Obwohl das Embryonenschutz- gesetz nur für die Sterilitätsmedizin und ihre möglichen Mißbräuche ge- dacht war, ist es dennoch in einem Ge- samtkontext zu sehen, und zwar im Hinblick auf die Frage, wie der Staat den Schutz der verschiedenen menschlichen Lebensformen regelt.

Unter diesem Gesichtspunkt besteht in der Bundesrepublik aufgrund der derzeit geltenden Gesetze eine wider- sprüchliche Situation.

So ist der außerhalb des Mutter- leibs gezeugte Embryo bis zu 14 Tagen – aufgrund des Embryonenschutzge- setzes – sehr gut geschützt, sein „Anta- sten“ kann mit bis zu drei Jahren Ge- fängnis bestraft werden. Demgegen- über besitzt der im Mutterleib gezeug- te Embryo bis dorthin überhaupt kei- nen strafrechtlichen Schutz (anderen- falls wäre ja jede IUP-Trägerin ein Fall für den Staatsanwalt).

Danach beginnt der Geltungsbe- reich des jetzt novellierten § 218, wo- nach der Schwangerschaftsabbruch zwar rechtswidrig, aber straffrei ist.

Berücksichtigt man nun noch die mög- lichen Strafzumessungen bei Körper- verletzung eines geborenen Men- schen, so zeigt sich, daß der in vitro ge- zeugte Embryo bis zum Zeitpunkt sei- ner Implantation nach unserem Rechtssystem die wohl am besten ge- schützte menschliche Lebensform darstellt. Es ist unter Experten relativ unstrittig, daß diese Situation einer möglichen Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht standhalten würde. Die Autoren möchten keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß sie das Embryonenschutzgesetz für eine sehr vernünftige Regelung halten. Es soll jedoch gezeigt werden, wie schwer sich unser Staat mit durch-

gehenden und nachvollziehbaren ge- setzlichen Regelungen tut.

Und hierzu gibt es in jüngster Zeit ein weiteres Beispiel. Gerade die No- vellierung des § 218 hat gezeigt, daß es einen breiten gesellschaftlichen Kon- sens – Beratung hin oder her – dahin- gehend gibt, daß ein Abbruch einer Schwangerschaft aus verschiedenen Gründen, also auch aus genetischen, statthaft ist. Die vorgeburtliche Un- tersuchung eines Embryos oder Fetus auf mögliche Erbkrankheiten oder an- dere genetische Schädigungen ist also nicht nur eine vielfach geübte Praxis, sondern entspricht auch dem mehr- heitlichen Willen der Bevölkerung.

Tägliche Praxis in Großbritannien

Nun besteht neuerdings die Mög- lichkeit, genau diese diagnostischen Methoden auf einen Zeitpunkt vor der Implantation, also in die Präim- plantationsphase, zu verlegen. Zwar ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) nach dem Embryonenschutz- gesetz allenfalls nur sehr begrenzt statthaft, dennoch hat durch die PID eine lebhafte Diskussion eingesetzt, zumal die PID in Belgien und Groß- britannien längst tägliche Praxis ist;

und in dieser öffentlichen Diskussion wird von manchen gesellschaftlichen Gruppen der Eindruck erweckt, daß es sich bei der PID um etwas grundle- gend anderes handele als beim Ab- bruch einer Schwangerschaft aus ge- netischer Indikation.

Interessanterweise sind dabei ge- rade die engagiertesten Befürworter der Liberalisierung des § 218 nun oft die schärfsten Gegner der Präimplan- tationsdiagnostik. Auch wir stehen der Präimplantationsdiagnostik – aus verschiedenen Gründen – sehr skep- tisch gegenüber, aber es kann ja wohl nicht sein, daß wir in unseren Geset- zen – geradezu nach Gutdünken – für die verschiedenen Phasen menschli- chen Lebens gänzlich unterschiedli- che Normen definieren.

Verwunderlich ist, daß die Steri- litätsmedizin von staatlicher Seite so wenig gefördert wurde und wird. Dies hätte zum Beispiel im Rahmen der Hochschulgesetzgebung und der Strukturierung der Universitäten er-

folgen können. Tatsache ist, daß es bis heute nur sehr wenige eigenständige Abteilungen an Universitätsfrauen- kliniken gibt und bislang nur ein Lehr- stuhl mit einem Sterilitätsmediziner besetzt wurde (Prof. Dr. Klaus Died- rich, Lübeck).

Im Gegensatz zu der Situation auf der politischen Ebene erscheint das Bemühen der verfaßten Ärzte- schaft um eine Strukturierung und Qualitätssicherung auf dem Gebiet der Sterilitätsmedizin geradezu bei- spielhaft. Zum einen handelt es sich um den § 6a in den Berufsordnungen aller Landesärztekammern sowie den entsprechenden Anhang, in dem nicht nur die Indikationen zur Durch- führung der künstlichen Befruchtung geregelt, sondern auch verbindliche Vorgaben definiert werden, wie steri- litätsmedizinische Zentren aufgebaut, organisiert und strukturiert werden sollten.

Erwähnenswert ist auch die Ein- richtung von Ethik- und Zulassungs- kommissionen bei den Landesärzte- kammern. Insgesamt haben diese Vor- gaben zu einer erheblichen Professio- nalisierung der Sterilitätsmedizin und zu ihrer Qualitätssicherung geführt.

Ein weiterer wichtiger Schritt war die Novellierung der Weiterbildungsord- nung, die nach der Ausbildung zum Frauenarzt auch die fakultative (zwei- jährige) Weiterbildung „Gynäkologi- sche Endokrinologie und Reproduk- tionsmedizin“ vorsieht.

Somit kann zusammenfassend festgehalten werden, daß es gerade die Ärzteschaft gewesen ist, die sich frühzeitig um eine positive Struktu- rierung dieses so wichtigen Fachge- bietes gekümmert hat. Die politi- schen Impulse sind bis heute schwach geblieben, sie haben sich vielerorts ei- gentlich nur auf die Abwehr von ver- muteten Gefahren beschränkt.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-3254–3256 [Heft 48]

Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. habil.

Wolfgang Würfel

Frauenklinik Dr. Wilhelm Krüsmann Schmiedwegerl 2 – 6

81241 München A-3256 (44) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 48, 28. November 1997

T H E M E N D E R Z E I T AUFSÄTZE

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