Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 43|
25. Oktober 2013 733M E D I Z I N
Zeitliche Begrenztheit und
Unumkehrbarkeit der Hirnentwicklung
Bei der psychischen Entwicklung (vergleiche Artikel von Konrad) kommt es durch den Anstieg der Pubertätshormone zur Stimulation der Entwicklung der Hypothalamus-Hypo- physennebennierenachse.
Androgene haben hier einen eher inibierenden Effekt auf die CRH-Produktion, Östrogene einen steigernden. Dies be- einflusst die Emotionen und Stresstoleranz. Stresshormone wiederum regen die Entwicklung der subkortikalen Struktu- ren an, diese wiederum die Entwicklung der kortikalen Struk- turen.
Somit kann zusammenfassend festgehalten werden, dass auch diese Entwicklung den üblichen Grundsätzen der zeitli- chen Begrenztheit und Unumkehrbarkeit sowie der schrittwei- sen Abfolge erfolgt.
Sowie unter physiologischen Bedingungen das Knochen- wachstum letztendlich das Herzwachstum induziert, der Um- kehrschluss jedoch nicht gilt, gilt auch für die psychische Ent- wicklung, dass der Anstieg der Pubertätshormone letztendlich die Entwicklung kortikaler Strukturen induziert, der Umkehr- schluss jedoch nicht gilt.
Die Entwicklungsdiskrepanz zwischen subkortikalen und kortikalen Struktur, das heißt die Emotionalität ohne ausrei- chende kortikale Kontrolle bedingen nun die pubertätsspezifi- schen Verhaltensweisen. Unter physiologischen Bedingungen wird jedoch nicht zu beobachten sein – in Analogie zur kör- perlichen Entwicklung –, dass kortikale Strukturen weiter ent- wickelt sind als subkortikale oder gar deren Wachstum anre- gen.
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0733a LITERATUR
1. Konrad K, Firk C, Uhlhaas PJ: Brain development during adolescence: neuros- cientific insights into this developmental period. Dtsch Arztebl Int 2013; 110(25):
425–31.
Dipl.-Psych. Dr. phil. Dr. med. Helmut Niederhofer Sächsisches Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie Rodewisch
helmut.niederhofer@skhro.sms.sachsen.de
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Schlusswort
Wir danken den Kollegen für die interessanten Gedanken zu unserem Artikel und möchten kurz die Gelegenheit nutzen, auf einige wichtige Diskussionspunkte einzugehen.
Herr Calia hebt zu Recht die Bedeutung einer genaueren Diagnostik unter Einbeziehung des Lebensumfeldes des ju- gendlichen Patienten für die Früherkennung von psychiatri- schen Erkrankungen in der Adoleszenz hervor. Im Bereich der Psychosen beispielsweise erlauben es mittlerweile diagnosti- sche Verfahren zwar recht gut, das Psychose-Risiko bei Ju- gendlichen und jungen Erwachsenen einzuschätzen, jedoch hat sich auch gezeigt, dass Probanden, die die Ultra-high-risk- Kriterien für Psychosen erfüllen, häufig auch andere Stö- rungsbilder aufweisen (1).
Daher scheint in der Tat die Adoleszenz ein pluri-potent- risk-stage darzustellen, aus der sich verschiendenste psy- chische Erkrankungen herauskristallisieren können. Weitere
Langzeitstudien sind hier erforderlich, um besser die Verläufe und das Auftreten von verschiedenen Störungsbildern in der Adoleszenz zu verstehen.
Der Beitrag von Prof. Dr. med. T. Esch betont die Korres- pondenz zwischen der phänomenologischen Ebene und der aus der unterschiedlichen Reifung von kortikalen und sub- kortikalen resultierenden neurobiologischen Dynamik in der Adoleszenz, die sich in verschiedenen Grundbedürfnissen von
„Sicherheit und Verbundenheit“ versus „Autonomie und Frei- heit“ äußert. Hier ist es sicherlich richtig festzustellen, dass die Plastizität des Belohnungsystems, das zum Beispiel das Risikoverhalten entscheidend beeinflusst, über das Erwachse- nenalter hinaus erhalten bleibt. Jedoch scheinen die Daten aus Human- und Tierstudien auch darauf hinzuweisen, dass gera- de dieses System besonders tiefgreifenden Veränderungen in der Adoleszenz unterliegt.
Der Zusammenhang der hormonellen Reifungsprozesse der Pubertät und den neurobiologischen Veränderungen der Ado- leszenz ist ein weiteres und zentrales Thema der zukünftigen Forschungsarbeit.
Die Autoren stimmen Herrn Dr. phil. Dr. med. H. Niederho- fer zu, dass die Reifung von kortikalen Strukturen keinen An- stieg der Pubertätshormone per se verursacht. Ebenfalls wird nicht angenommen, dass striatale Veränderungen direkt das Wachstum in kortikalen Strukturen anregen.
Daraus ist jedoch nur bedingt zu folgern, dass die neuro - biologischen Veränderungen nur Resultat hormoneller Ein- flüsse sind. Vielmehr ist von einem komplexen Wechselspiel von sowohl organisierenden als auch aktivierenden Effekten von Geschlechtshormonen auf die Hirnentwicklung auszuge- hen, das heißt, dass es einerseits unter hormonellen Verände- rungen es zur dauerhaften Reorganisation von neuronalen Netzwerken kommen kann, aber auch, dass sich die Aktivität des ausgereiften Netzwerks sich unter akutem Hormon - einfluss verändert (2).
DOI: 10.3238/arztebl.2013.0733b LITERATUR
1. Fusar-Poli P, et al.: The psychosis high-risk state: a comprehensive state-of-the- art review. JAMA Psychiatry 2013; 70: 107–20.
2. Schulz KM, Molenda-Figueira HA, Sisk CL: Back to the future: The organizational- activational hypothesis adapted to puberty and adolescence. Horm Behav 2009, 255: 597–604.
3. Konrad K, Firk C, Uhlhaas PJ: Brain development during adolescence: neuro - scientific insights into this developmental period. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(25): 425–31.
Prof. Dr. rer. nat. Kerstin Konrad
Lehr- und Forschungsgebiet Klinische Neuropsychologie des Kindes- und Jugendalters
Klinik für Psychiatrie
Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters Universitätsklinikum der RWTH Aachen
kkonrad@ukaachen.de
Dr. PhD Christine Firk Klinik für Psychiatrie
Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters Universitätsklinikum der RWTH Aachen
Dr. PhD Peter J. Uhlhaas
Institute of Neuroscience and Psychology, University of Glasgow
Interessenkonflikt
Prof. Konrad hat Vortragshonorare erhalten von den Firmen Medice, Lilly und Novartis.
Sie bekam Studienunterstützung (Drittmittel) von der Firma Vifor Pharma Ltd.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.