Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Medizinsoziologie
derts der „homo biologicus", des- sen Konstrukt bis heute der natur- wissenschaftlichen Medizin zu- grunde liegt. Inzwischen ist dane- ben der „homo sociologicus" getre- ten, dessen Konstrukt beziehungs- weise Modell in seinen Grundan- nahmen oben beschrieben worden ist. Derartige hypothetische Begrif- fe und Modelle ermöglichen es, ei- nen abstrakten, hypothetischen Gesamtzusammenhang neben den in der Umgangserfahrung und in der „Weltweisheit" unmittelbar er- fahrenen „ganzen Menschen" zu setzen.
Die so gewonnenen Konstrukte und Modelle stellen jedoch kein Abbild der Wirklichkeit dar; sie erlauben es lediglich, eine vorgefundene Wirklichkeit zu problematisieren.
Als methodische Hilfsmittel haben sie keinen inhaltlich bestimmten Gehalt, der außerhalb ihrer Werk- zeugfunktion läge; sie helfen
„Weltstücke" ordnen, sind aber selbst keine Weltstücke, genau wie ein zur Montage benützter Schrau- benschlüssel kein Bestandteil der fertigen Maschine ist.
Es muß allerdings darauf hingewie- sen werden, daß Vertreter der me- dizinischen Wissenschaft sich nicht immer dessen bewußt waren und bewußt sind, daß die mit einzelwis- senschaftlichen Methoden gewon- nenen Einsichten sich nicht auf das „Ganze", sondern jeweils auf Teilbereiche beziehen und daß die Modelle subtraktive Artefakte dar- stellen, die aufgrund einer reflek- tierenden Analyse durch Reduktion gewonnen worden sind. Die ontolo- gische Hypostasierung solcher Ar- tefakte ist weder im Bereich der naturwissenschaftlichen Medizin noch in der Medizinsoziologie im- mer vermieden worden.
Eine recht verstandene Besinnung und Reflexion auf Möglichkeiten und Grenzen der Medizinsoziologie wird zwar nicht die Stelle einneh-
men können, welche die Philoso- phie für den Arzt Alteuropas einst innegehabt hat; dennoch vermag sie für die moderne Welt dem künf- tigen und dem praktisch tätigen
Arzt jenen Dienst zu leisten, den ihm seinerzeit eine pragma- tisch-philosophische Besinnung und Reflexion geleistet hat. Inso- fern kann eine recht verstandene Ausbildung in Medizinsoziologie als die Nachfolge des im Laufe des 19. Jahrhunderts in Fortfall gerate- nen „tentamen philosophicum" an- gesehen werden.
(Bei dem zur Verfügung stehen- den Raum konnte nur eine umriß- hafte Skizzierung der hochdifferen- zierten Sinnzusammenhänge und Sachverhalte gegeben werden. Für eine entsprechende, ausführliche Darlegung sei auf unsere dem- nächst erscheinende Veröffentli- chung „Medizinsoziologie", Arzt und Patient im sozialen Wandel, Stuttgart 1976, verwiesen.)
Literatur bei den Verfassern Anschrift der Verfasser:
Dr. phil. Wilhelm Roeßler, Ordentlicher Professor für Sozialpsychologie
Dr. med. Herbert Viefhues, Ordentlicher Professor für Sozialmedizin
Ruhr-Universität Bochum, Postfach 21 48
4630 Bochum
ECHO
Zu: „Methaqualon-Mißbrauch — ein ernstes Problem" von Prof.
Dr. med. Günther Stille in Heft 14/1976, Seite 959 ff.
Immer mehr Süchtige durch Schlafmittel
„Schlafmittel, die Methaqua- Ion enthalten, werden zuneh- mend auch in Deutschland als berauschende Droge ein- genommen, berichtet Günther Stille (Bundesgesundheits- amt) im DEUTSCHEN ÄRZTE- BLATT. Die Zeitschrift nennt über fünfzig verschiedene Na- men, unter denen methaqua- lonhaltige Spezialitäten ver- kauft werden ..." (Süddeut- sche Zeitung vom 8. 4. 1976 und andere Tageszeitungen)
NOTIZEN
SI-Einheiten
für Blutdruckmessung und medizinisches Labor ungeeignet
Anläßlich ihrer kürzlich in Sydney, Australien, abgehaltenen Sitzungen haben der Scientific Council an Hypertension der International So- ciety of Cardiology und die Mitglie- derversammlung der International Society of Hypertension einstimmig zur Frage der Einheiten zur Mes- sung des Blutdruckes Stellung ge- nommen und empfohlen, daß die Einheit Millimeter Quecksilber (mm Hg) für die Messung des Blutdruk- kes sowohl für klinische als auch für den Gebrauch im klinischen La- boratorium und in allen diesbezüg- lichen wissenschaftlichen Publika- tionen beibehalten wird. Die Inter- national Society of Hypertension ist der Überzeugung, daß der Ge- brauch von SI-Einheiten (kilopas- cal — kPa oder millibar — mbar) für die genannten Zwecke unge-
eignet ist. SJDC/H
Zelltherapie
bei Down-Syndrom nicht empfehlenswert
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte in Marburg hat sich erneut mit der Problematik der Zelltherapie beim Down-Syn- drom befaßt und abschließend eine Stellungnahme abgegeben. Er ist aufgrund der vorliegenden Unter- suchungs- und Umfrageergebnisse sowie nach Kenntnis der durch die Deutsche Gesellschaft für Kinder- heilkunde abgegebenen Gutachten der Meinung, daß ein positiver Ein- fluß der Zelltherapie auf das Down- Syndrom bisher unbewiesen ist und daß es sich dabei um eine wissenschaftliche Behandlungsme- thode handelt. Darüber hinaus sind nach Meinung des Beirats ernste Komplikationen möglich, deshalb kann nach seiner Ansicht diese Therapiemethode nach wie vor nicht empfohlen werden. PdL/H 1306 Heft 19 vom 6. Mai 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT