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8. Juli 2013STUDIEN IM FOKUS
Ob bei akuter Exazerbation einer chronisch-obstruktiven Lungener- krankung (COPD) eine fünftägige systemische Steroidtherapie der üb- lichen 14-tägigen Gabe ebenbürtig ist, war Fragestellung der REDUCE- Studie (Reduction in the Use of Corticosteroids in Exacerbated COPD). Die Studienteilnehmer wa- ren mit akuter Exazerbation in die Notaufnahme gekommen: 311 Pa- tienten in der Intention-to-treat- Gruppe (ITT) und 296 Patienten in der Gruppe, die per Protokoll (PP) behandelt wurden. Sie erhielten 5 oder 14 Tage lang 40 mg Predniso- lon. Primärer Endpunkt war die Zeit bis zur nächsten Exazerbation in den folgenden sechs Monaten.
Die Nichtunterlegenheit der Kurzzeittherapie wurde belegt: In der ITT-Gruppe betrug die Hazard Ratio (HR) für den primären End- punkt im Vergleich mit der längeren Steroidtherapie 0,95 (90-%-Kon - fidenzintervall [KI] 0,70–1,29;
p = 0,06), in der PP-Gruppe 0,93 (90%-KI 0,68–1,26; p = 0,05). Un- ter der Kurzzeittherapie erreichten 35,9 % der Patienten den primären Endpunkt gegenüber 36,8 % bei konventioneller Therapie. Die Re - exazerbationsrate innerhalb von sechs Monaten lag bei 37,2 % (95-%-KI 29,5–44,9 %) unter der Kurzzeittherapie und bei 38,4 % (95-%-KI 30,6–46,3 %) bei kon- ventioneller Behandlung. Der Un- terschied betrug –1,2 % (95-%-KI –12,2 bis 9,8 %). Bei Patienten mit Reexazerbation betrug die mittlere Zeit bis zum Ereignis bei der Kurzzeittherapie 43,5 Tage und in der Vergleichsgruppe 29 Tage. Die mittlere kumulative Steroiddosis war in der konventionell therapier- ten Gruppe signifikant höher als bei der Kurzzeittherapie (793 vs.
379 mg; p < 0,001), ohne dass je- doch signifikant vermehrt uner- wünschte Begleitreaktionen regis- triert wurden.
Fazit: Die Frage, ob eine kürzere Steroidbehandlung als von den Leitlinien empfohlen ausreichend
sei, habe hohe Praxisrelevanz, da sich so möglicherweise das Infek - tionsrisiko unter der Steroidgabe minimieren lasse, erklärt Prof. Dr.
med. Claus Vogelmeier, Leiter der Klinik für Innere Medizin, Schwer- punkt Pneumologie der Univer - sitätsklinik Marburg. „Die Studie weist darauf hin, dass offenbar kein entscheidender Unterschied zwi- schen einer fünftägigen und einer zweiwöchigen Behandlung be- steht.“ Der Endpunkt, die Zeit bis zur nächsten Exazerbation, sei al- lerdings nicht optimal. Aussage- kräftiger wären als Endpunkte die Dauer und/oder der Schweregrad der Exazerbation, in Studien aller- dings schwierig umzusetzen.
Christine Vetter
Leuppi JD, et al.: Short-term vs conventional glucocorticoid therapy in acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease.
JAMA 2013; 309: 2223–31.
CHRONISCH-OBSTRUKTIVE LUNGENERKRANKUNG
Kurzzeit-Steroidtherapie über fünf Tage reicht aus
GRAFIK
Anteil der Patienten (Intention-to-treat-Analyse) ohne Reexazerbation seit Studienbeginn
Daclizumab ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der an CD25-Rezeptoren antagonistisch wirkt und immunologische Prozes- se beeinflusst, die bei der multiplen Sklerose (MS) eine Rolle spielen.
Bei einer Modifikation des Antikör- pers (DAC HYP) wurde das Glyko- sylierungsprofil geändert, um die zelluläre Zytotoxizität zu verrin- gern. Wirksamkeit und Verträglich- keit wurden in der doppelblinden randomisierten Phase-II-b-Studie SELECT und der Extensionsstudie SELECTION untersucht.
In der SELECT-Studie wurden Wirksamkeit und Verträglichkeit von DAC HYP über ein Jahr bei schubförmig remittierender MS un- tersucht. Patienten mit schubförmig remittierender MS erhielten über ein Jahr Placebo (n = 204), DAC HYP 150 mg (n = 208) oder 300 mg (n = 209) s.c. alle vier Wochen. Der primäre Endpunkt, die jährliche
Schubrate (ARR), wurde mit Dacli- zumab 150 mg um 54 % (ARR 0,21) und mit der höheren Dosie- rung um 50 % (ARR 0,23) signifi- kant im Vergleich zu Placebo (ARR 0,46) verringert. In den Daclizu- mab-Gruppen waren mit 81 und 80 % signifikant mehr Patienten schubfrei als unter Placebo. Das Risiko für eine über drei Monate anhaltende Behinderungsprogres - sion sank nach einem Jahr Verum- therapie (150 mg) um 57 % und um 43 % bei höherer Dosierung im Vergleich zu Placebo. Neue Läsio- nen (MRT) wurden mit Daclizu- mab ebenfalls signifikant verrin- gert. Schwere unerwünschte Ef - fekte traten bei 9 % unter höherer Antikörperdosierung, bei 7 % un- ter niedrigerer und bei 6 % unter Placebo auf.
Inzwischen liegen erste Daten der Extensionsstudie SELECTION mit 517 Patienten vor (2). Darin MULTIPLE SKLEROSE
Ein Anti-CD25-Antikörper verringert die Schubrate
Patienten ohne Exazerabtion (in %)
Tage nach Einschluss in die Studie Konventionelle Therapie
Kurzzeittherapie
modifiziert nach: JAMA 2013; 309: 2223–31
100
75
50
25
0
0 50 100 150 200
M E D I Z I N R E P O R T
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8. Juli 2013 Mutationen in den BRCA-Genensind die wichtigsten genetischen Risikofaktoren für Mamma- und Ovarialkarzinome. Die Frage, wie BRCA-Mutationen die Prognose von Patienten mit histologisch ge - sichertem Prostatakarzinom beein- flussen, ist in einer Studie mit 2 019 Teilnehmern untersucht wor- den. 79 Patienten waren Mutations- träger (BRCA1- Mutationen n = 18;
BRAC2- Mutationen n = 61).
In der Histologie der Biopsate korrelierten die BRCA-Mutationen doppelt so häufig mit einem hohen Entdifferenzierungsgrad (Gleason- Score ≥ 8 bei 35 % der Mutations-
träger vs. 15 % der Nichtträger;
p = 0,00003), mit fortgeschrittenem Stadium (T3/4: 37 % bei Carriern, 28 % bei Nicht-Carriern; p = 0,003), Lymphknotenbefall (N1:
15 % Carrier vs. 5 % Non-Carrier) und Fernmetastasierung (M1: 18 % Carrier vs. 9 % Nicht-Carrier; p = 0,005). Das mediane krebsspezifi- sche Überleben lag bei 15,7 Jahren für Nichtträger und bei 8,6 Jahren für BRCA-Mutationsträger, mit ei- nem Trend zur besseren Prognose bei BRCA1-Trägern (median 10,5 vs. 8,6 Jahre; p = 0,37).
Auch unter den Patienten mit lo- kalisiertem Prostatakarzinom gab es eine Assoziation zwischen BRCA-Mutationen und aggressive- rem Verlauf im Vergleich mit Nicht- trägern: Das fünfjahreskrankheits- spezifische Überleben betrug 96 bei Non-Carriern versus 82 % bei Car- riern, ohne Metastasen waren zu diesem Zeitpunkt nur noch 77 % der BRCA1/2-Träger gegenüber 93 % der Nichtträger.
Fazit: Mutationen in den BRCA1- und -2-Genen sind beim Prostata- karzinom mit aggressiverem Tu- morwachstum und einer höheren Rate an Lymphknotenbefall und Fernmetastasierung des Tumors as- soziiert. Eine klinische Konsequenz
könnte sein, Mutationsträger auch im frühen Stadium der Erkrankung zu behandeln: normalerweise chir - urgisch und mit Nachbestrahlung.
Eine Assoziation mit dem Risi- ko für Prostatakarzinom, aggressi- veren Tumoren und schlechterem Überleben sei bereits früher be- richtet worden, erläutert Prof. Dr.
med. Herbert Rübben, Universi- tätsklinik Essen (2, 3). „In der ak- tuellen Studie mit mehr als 2 000 Patienten aus zwei prospektiven Beobachtungsstudien – allerdings hatten nur 18 Männer eine BRCA1-Mutation und 61 Männer eine BRCA2-Mutation – wurden retrospektiv Assoziationen zu den Polymorphismen beobachtet“, kommentiert Rübben. Mutationen in diesen Genen seien beim Pros - tatakrebs selten (1,2 % beim BRCA1- Gen, 0,44 % beim BRCA2- Gen). Es sei daher fraglich, ob die Daten klinisch relevant seien.
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
1. Castro E, Goh C, Olmos D, et al.: Germline BRCA mutations are associated with higher risk of nodal involvement, distant metasta- sis, and poor survival outcomes in prostate cancer. JCO 2013; e-pub before print: doi:
10.1200/JCO.2012.43.1882
2. Kote-Jarai Z, Leongamornlert D, Saunders E, et al.: BRCA2 is a moderate penetrance gene contributing to young-onset prostate cancer: implications for genetic testing in prostate cancer patients. British Journal of Cancer 2011; 105: 1230–4.
3. Cancer Risks in BRCA1 Mutation Carriers.
J Natl Cancer Inst 1999: 6.
PROSTATAKARZINOM
BRCA-Mutationen mit ungünstiger Prognose assoziiert
GRAFIK
Krankheitsspezifisches Überleben (Kaplan-Meier-Kurven) von Prostatakarzinompatienten mit und ohne BRCA-Mutationen
Nichtträger BRCA1-Mutationen BRCA2-Mutationen
Zeit (in Jahren)
Krankheitsspezifisches Überleben
1,0
0,8
0,6
0,4
0,2
0
0 2,5 5 7,5 10 12,5 15 17,5 20
modifiziert nach: JCO 2013; doi: 10.1200/JCO.2012.43.1882
wurden SELECT-Placebopatienten (n = 170) randomisiert mit monat- lich 150 mg oder 300 mg s.c. Dacli- zumab HYP behandelt. SELECT- DAC-HYP-Patienten (n = 347) wurden in zwei Gruppen randomi- siert. Eine Gruppe wurde mit der bisherigen Dosis weiter behandelt, bei der anderen Gruppe wurde die Behandlung 24 Wochen unterbro- chen, dann erhielten die Patienten erneut ihre bisherige Dosis. Die Er- gebnisse der Dosisgruppen wurden gepoolt. Bei Patienten, bei denen in SELECTION eine DAC-HYP-Be- handlung begonnen wurde, verrin- gerte sich die 52-Wochen-ARR um 59 % im Vergleich zum Vorjahr
(0,18 vs. 0,43; p < 0,001). Der An- teil der Patienten mit bestätigter Behinderungsprogression nach drei Monaten wurde um 50 % (5 % vs.
10 %; p = 0,033) im Vergleich zum Vorjahr reduziert. Bei den Patien- ten, die für zwei Jahre den Antikör- per erhielten, hielt die im ersten Jahr erreichte ARR auch im zweiten an (0,148 vs. 0,165).
Fazit: „Die Ergebnisse der SELECT- Studie belegen überzeugend, dass Daclizumab in der Behandlung der schubförmigen MS sehr wirksam ist“, kommentiert Prof. Dr. med.
Volker Limmroth von der Universi- tätsklinik Köln. Im Vergleich zu
den herkömmlichen Immunmodu- latoren sei es, gemessen anhand der klinischen und MRT-Parameter, wirksamer. Zudem müsse es nur al- le 2 bzw. 4 Wochen subkutan appli- ziert werden und sei nach bisheriger Kenntnis gut verträglich.
Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
1. Gold R, et al.: Daclizumab high-yield pro- cess in relapsing-remitting multiple sclero- sis (SELECT): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2013;
http://dx.doi.org/10.1016/S0140–6736 (12)62190–4
2. Giovannoni G, et al.: The safety and efficacy of daclizumab HYP in relapsing-remitting multiple sclerosis in the SELECTION exten- sion study: Primary Results. American Col- lege of Neurology 2013; S01.001.