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Archiv "Bioverfügbarkeit – abhängig von vielen Faktoren" (30.07.1993)

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MEDIZIN

Wolfgang Forth

D

er Begriff der Bioverfüg- barkeit von Wirkstoffen in unseren Arzneimitteln taucht in der letzten Zeit erneut in der Diskussion der Phar- makotherapie auf.

Einige Ärztinnen und Ärzte for- dern gar eine Bewertungsliste, am be- sten jeweils wöchentlich aktualisiert, um sich dadurch auf die Seite der Si- cherheit zu begeben, soweit es die Arz- neitherapie angeht. Hier bedarf es klä- render Worte, damit Mißverständnis- se vermieden werden können.

Definition

Die Bioverfügbarkeit wird nach Ausmaß und Geschwindigkeit des Erscheinens eines Wirkstoffs aus ei- nem Arzneimittel, zumeist im Blut oder im Plasma, definiert. Das Kom- partiment Blut oder Plasma für die Bestimmung des Wirkstoffs stellt in- sofern einen Kompromiß dar, als der Wirkstoff eigentlich am Wirkort be- stimmt werden müßte, wenn man sei- ne Bioverfügbarkeit beurteilen will.

Das macht aber sogar im Tierexperi- ment Schwierigkeiten. Deshalb bein- haltet der Kompromiß die still- schweigende Annahme, daß aus dem Blut oder Plasma-Kompartiment die Anflutung des Wirkstoffs am Wirkort problemlos ist. Hingegen sind die Vorgänge, die für das Erscheinen des Wirkstoffs, zum Beispiel nach der Resorption aus dem Magen-Darm- Trakt, im Blut oder Plasma, schon mit mehr Unsicherheiten behaftet.

Die Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffs aus einem Arzneimittel kann bestimmt werden, wenn der Wirkstoff in einer Form verfügbar ist, die eine intravenöse und orale Zu- fuhr erlaubt. Bei diesem Verfahren

KURZBERICHT

sprechen wir von der Bestimmung der absoluten Bioverfügbarkeit, die auf dem von Dost eingeführten Prinzip der korrespondierenden Flächen be- ruht: Die Konzentrationszeitkurve im Blut oder Plasma ergibt für den Wirkstoff die gleiche Fläche, unab- hängig davon, ob seine Zufuhr intra- venös oder oral erfolgt ist, wenn die Bioverfügbarkeit vollständig ist. In diesem Zusammenhang sei gesagt, daß Arzneimittel, die bei der Bestim- mung der absoluten Bioverfügbarkeit 80 bis 100 Prozent des Flächenwerts nach der intravenösen Injektion er- geben, als gut resorbierbar bezeich- net werden; Arzneistoffe, deren Flä- chenwerte (AUC = area under the curve) zwischen 60 und 70 Prozent anzusiedeln sind, werden als befrie- digend resorbierbar bezeichnet; im Bereich von 50 bis 60 Prozent spricht man von einer ausreichenden Re- sorption. Problemarzneistoffe sind dort anzusiedeln, wo die absolute Bioverfügbarkeit 30 Prozent und we- niger beträgt.

Manchmal gibt es die Wirkstoffe nicht in einer oral und intravenös an- wendbaren Arzneiform. Zuweilen ist aber auch der Aufwand der Bestim- mung der absoluten Bioverfügbarkeit nicht nötig. Dies trifft beispielsweise für die Bewertung von Generika in Arzneistoffen zu, bei denen man sich mit der Bestimmung der relativen Bioverfügbarkeit begnügt. Damit ist gemeint, daß nach der oralen Zufuhr ein Vergleich der Bioverfügbarkeit des Generika-Wirkstoffs mit dem Originalpräparat beziehungsweise dem Präparat des „Marktführers"

durchgeführt wird. Wichtig ist, daß beide Informationen, sei es die Be- stimmung der absoluten oder die der relativen Bioverfügbarkeit, bei der

Walther-Straub-Institut für Pharmakologie und Toxikologie (Vorstand: Prof. Dr. med.

Wolfgang Forth) der Ludwig-Maximilians Universität München

Zulassung eines Arzneimittels durch das BGA zu den unbedingt vorzule- genden Daten der pharmakokineti- schen Untersuchung gehören. Mit anderen Worten: Ein Teil der Aufre- gungen in der Ärzteschaft ist über- trieben, weil durch die Genehmi- gungsverfahren die Überprüfung der Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen in Arzneimitteln sichergestellt ist.

Unter- und Überdosierungs- erscheinungen

Selbstverständlich bezieht sich jede Aussage der Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffs nur auf ein spezifi- sches Arzneimittel, mit einer be- stimmten galenischen Zusammenset- zung seiner Hilfsstoffe etc. Daraus kann bereits abgeleitet werden, daß beispielsweise bei der Zulassung von Generika hinsichtlich der Bioverfüg- barkeit immer die Orientierung am Originalpräparat oder am Marktfüh- rer erfolgt. Das Problem, daß ein Hersteller die Bioverfügbarkeit eines Wirkstoffes in einem Generikum so verbessern kann, daß zum Beispiel eine Dosisminderung des Wirkstoffes im Arzneimittel erfolgen könnte, ist bisher ganz selten aufgetreten. Diese Frage hat einmal in der Therapie des Diabetes-Typs II mit Glibenclamid eine Rolle gespielt. Ausweislich der Roten Liste und der dort aufgeführ- ten Glibenclamid-Präparate kann da- von aber heute nicht mehr die Rede sein. Man kann aber aus dieser Über- legung keinesfalls den Schluß ziehen, daß Wirkstoffe überall auf der Welt von Wladiwostock bis San Francisco und von Kapstadt bis nach Rejkjavik mit der gleichen Bioverfügbarkeit in Arzneimitteln ausgeboten werden sollen. Es gibt durchaus auch die Aussicht auf therapeutischen Fort- schritt, wenn die Bioverfügbarkeit zum Beispiel so verbessert werden kann, daß dadurch eine Minimierung der Belastung des Organismus durch Arzneistoffe erzielt werden kann.

Die Bioverfügbarkeit geht außerdem in die Dosierungsempfehlungen ein, so daß schon von daher keine Gefahr der Über- oder Unterdosierung bei unterschiedlicher Bioverfügbarkeit besteht.

Bioverfügbarkeit

abhängig von vielen Faktoren

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 30, 30. Juli 1993 (41) A1-2073

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MEDIZIN

Veränderungen der Bioverfügbarkeit durch unterschiedliche

Ernährung ...

Arzneitherapie ist in jedem Fall ein Experiment. Die Dosierungsemp- fehlungen erlauben es, eine Therapie zu beginnen, sie aber durch die Be- obachtung der Wirkung im Einzelfall individuell anzupassen. Schon die in- dividuellen Nahrungsgewohnheiten können beispielsweise durch Verän- derungen der Entleerungsgeschwin- digkeit des Magens oder die Zusam- mensetzung des Nahrungsbreies im Magen-Darm-Trakt die Anflutung eines Wirkstoffes erheblich verän- dern. Außerdem darf davon ausge- gangen werden, daß die Probemahl- zeiten von Probanden, an denen die Bioverfügbarkeit standardisiert erar- beitet wurde, nicht so ohne weiteres mit den individuellen Nahrungsge- wohnheiten der Patienten zu verglei- chen ist. Hier gibt es ungezählte Va- rianten der Änderungen der Biover- fügbarkeit von Wirkstoffen, je nach- dem, ob der Patient zum Beispiel ein englisches Frühstück mit Rührei und Würstchen, die amerikanische Vari- ante mit Kartoffelhash, oder ein schlichtes Kontinentalfrühstück mit Brötchen und Marmelade zu sich nimmt; ganz zu schweigen davon, daß Arzneimittel ja auch auf leeren Ma- gen eingenommen werden können.

Die hier zu erwartenden Abweichun- gen von der experimentell bestimm- ten Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen können nur abgeschätzt werden, weil es keine systematischen Untersu- chungen zu dieser Frage gibt. Im Tierexperiment ergaben sich für die Resorption von Eisen bei gefütterten und nüchternen Ratten Unterschiede von rund 20 Prozent der Resorpti- onsquote, wobei die gefütterten Tie- re weniger Eisen resorbieren als die nüchternen. Trotzdem möchte ich die Empfehlung aufrechterhalten, Eisenpräparate nie auf den nüchter- nen Magen einzunehmen, sondern immer mit der Mahlzeit, schlicht des- halb, weil die Verträglichkeit erwie- senermaßen besser ist und damit die Compliance, das heißt die Kooperati- on von Arzt und Patient leichter er- halten werden kann.

KURZBERICHT

... durch Krankheiten

Die Bioverfügbarkeit von Wirk- stoffen kann auch durch Krankheiten verändert werden. Die Anflutung ei- nes Wirkstoffs im systemischen Blut oder Plasma hängt nämlich auch vom

„first pass"-Effekt ab, das heißt da- von, wieviel vom Wirkstoff schon vom Mucosa-Epithel des Darmes, vor al- lem aber der Leber, abgefangen und verstoffwechselt wird. Wenn der Arz- neistoff nicht wie im gewöhnlichen Umfange von der Leber verstoff- wechselt werden kann, können sich erhebliche Abweichungen von der normalen Bioverfügbarkeit ergeben.

Beispiele dafür sind aus der Reihe der Kalzium-Antagonisten (Nifedi- pin, Verapamil), der Beta-Blocker (Propranolol, Metoprolol), sowie für den a- und ß-Blocker Labetalol, die Opioide (Pentazocin, Petidin) oder für Clomethiazol bekannt. Zugege- benermaßen muß es sich schon um schwere Einschränkungen der Leber- funktion handeln, ehe derartige Aus- wirkungen durch Überdosierungser- scheinungen sichtbar werden.

Schlußfolgerungen

Was bleibt also übrig von dem Verdacht, daß die Unsicherheit der Bioverfügbarkeit die Sicherheit in der Arzneimittelanwendung so nach- haltig beeinflussen könnte? Offenbar nicht allzu viel. Die Bandbreite der möglichen Beeinflussung der Biover- fügbarkeit, das heißt der Anflutung des Wirkstoffes im Blut oder Plasma hinsichtlich Ausmaß und Geschwin- digkeit nach oraler Verabreichung ist zwar beachtlich, aber wiederum nicht so groß, daß dieser Teil der Arznei- mittelanwendung außer Kontrolle geraten könnte. Allemal dann nicht, wenn die Therapie kontrolliert einge- leitet und durchgeführt wird. Die Va- riation des Parameters „Bioverfüg- barkeit" kann nicht außer Kontrolle geraten, wenn Arzt und Patient ko- operieren und die erwünschten wie die unerwünschten Wirkungen im Auge behalten. Auch dort, wo erwie- senermaßen Interaktionen von Arz- neistoffen im Magen-Darm-Trakt zu befürchten sind, wie etwa bei der Verminderung der Bioverfügbarkeit

von Tetracyclinen durch Metalle, wie sie in den Antacida oder Milchpro- dukten vorhanden sind, wird im Bei- packzettel darauf verwiesen, wie man dieser Schwierigkeit aus dem Wege gehen kann. Beispielsweise dadurch, daß Tetracycline in einem zeitlichen Abstand zur Einnahme von Antacida verabfolgt werden, oder eben auch in einem zeitlichen Abstand zur Nah- rungsaufnahme, wenn die Nahrungs- mittel schon besonders kalziumreich sind. Hier gibt es aber wieder den Konflikt mit der Einschätzung der Si- tuation durch den Patienten. Milch wird als nicht gerade geeignetes Ve- hikel für die Tetracyclin-Einnahme zu betrachten sein. Ob der Patient aber auch den Kalziumgehalt eines Käsebrotes einzuschätzen weiß, halte ich aufgrund der Kenntnis der Zu- sammensetzung unserer Klinikkost schon für fraglich. Und wer weist den Patienten darauf hin, daß Hülsen- früchte beispielsweise besonders kal- ziumhaltig im Bereich unserer pflanzlichen Nahrungsmittel sind?

Hier stoßen wir auch an die Grenzen der Durchführbarkeit aller beherzigenswerten Vorschriften. Da der Patient aber in der Regel nicht mit einer einzigen Dosis behandelt und geheilt werden kann, gleichen sich viele derartige Schwankungen der Bioverfügbarkeit bei der repetiti- ven Arzneimittelbehandlung aus. Ich fürchte allerdings nichts so sehr wie einen umsichtigen Ökonomen, der dann ausrechnet, wieviel Geld allein dadurch verschwendet wird, daß die Therapie durch derlei Vorgänge nicht auf die Mindestzeit der Be- handlung optimiert worden ist.

Literatur:

1. Dost, F. H.: Grundlagen der Pharmakoki- netik, Stuttgart 1968

2. Fichtl, B., W. Forth: Pharmakokinetik ohne Mathematik, DÄB 84, Heft 4 (1987), S.

142-144

3. Forth, W.: Das Problem großer Dosen in der Pharmakologie, DÄB (A) 87, Heft 20 (1990), S. 1624-1628

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Wolfgang Forth Vorstand des Walther-Straub-Insti- tuts für Pharmakologie und Toxiko- logie der Ludwig-Maximilians-Uni- versität

Nußbaumstraße 26 80336 München A1-2074 (42) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 30, 30. Juli 1993

Referenzen

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