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Bericht und Meinung
BRIEFE AN DIE REDAKTION
BESTELLPRAXIS Ein überaus lebhaftes Echo hat der Diskussionsbeitrag
"Bestellpraxis - ein trojani- sches Pferd?" von Dr. med.
Dietmar Färber, Orthopäde in Balingen (vgl. DÄ Heft 4/1982, Seite 43 ff.), ausgelöst (weitere Zuschriften und das Schluß- wort des Verfassers des Ur- sprungsaufsatzes folgen):
Das System funktioniert
Wollen wir nicht einmal vom Ausdruck "Bestellpra- xis" abrücken? Ich bestelle Ware. Ich bestelle keine Menschen (vom Militär und seinen Ausdrucksweisen wollen wir hier nicht re- den). Ich verabrede mich mit Menschen, und das schon seit über 20 Jahren.
Das bekommt auch jeder Patient zu hören, der das Wort "Bestellpraxis" mir gegenüber benutzt. Den feinen Unterschied zwi- schen "bestellen" und
"verabreden" haben wir in
der Schule gelernt.
Wir haben kleine Karten in DIN A 7 mit Zeilen für Da- tum und Uhrzeit - auch rückseitig beschriftbar. Da- neben haben wir einen Ka- lender in etwa DIN A 4 mit sechs Spalten mit jeweils 45 Zeilen. Die in der Sprechstunde schon oder am Telefon vereinbarten Daten werden auf die Karte - bis sie voll ist -, in das Diarium und in die Kartei (in letztere wegen eventuel- ler Rückfragen oder dem Patienten sofort mitzutei- lender, eingegangener pa- thologischer Befunde) ein- getragen. Die jeweils rote, blaue oder grüne Namens- eintragung sagt aus, zu welcher Art der Behand- lung der Patient kommen wird.
Einige Patienten kommen früher als verabredet; wir auch! So entstehen größere Pufferzeiten. Sollten diese ohne Patienten sein, ziehen wir die Praxisarbeiten vom
Mittag oder Abend vor (Post, Tupferschneiden .. . ) Sind Stauungen im Warte- zimmer, gehe ich hinaus und erkläre das. Das tue ich auch, wenn ich mitbekom- men habe, daß (z. B.) der Schnee nicht geräumt wur- de und für alle das pünktli- che Kommen schwierig ist.
Ist zu ersehen, daß ein Pa- tient längere Zeit in An- spruch nehmen wird, dann kommt in die Kalenderzeile unter seinem Namen ein Kreuz. Damit habe ich die doppelte Zeit für ihn frei.
Bei unserem System ist der Zeitaufwand für die Eintra- gung minimal, die Kosten sind unerheblich. Das Ar- beiten macht Spaß. Übri- gens: Seine Grippe muß der Arzt vier Wochen vor- her einplanen sonst klappt's nicht.
Dr. med.
Reinhart Kronenberg Strünckweg 3 1000 Berlin 13
Flexible Handhabung
Kollege Färber stellt das Bestellsystem vor, mit dem in seiner Praxis gearbeitet
wird. Es werden Bestellkar-
ten verwandt, die gleichzei- tig Ausweis für verschiede- ne Behandlungsarten sind, als Zeit-Einheitsbeleg für die Praxis dienen und dem Patienten, falls notwendig, als Beleg für den Arbeitge- ber. Dieses Bestellkarten- system erscheint mir sehr gut und originell.
Die Vorteile des Bestellsy- stems nach Färber: Die Vorplanung ermögliche dem Arzt auch Zeitausspa- rung für praxisexterne An- gelegenheiten und eine Ka- pazitätsausweitung durch geplante Verlängerung der Arzt-Arbeitszeit. "Weitge- hende Flexibilität" sei durch dieses System in der Praxisführung möglich.
Als Nachteile des Bestellsy- stems führt Färber an: 1.
Zusätzliche Kosten und Personalbelastung. 2. Not- fälle schaffen Hektik und Durchbrechung des ge- planten Praxisablaufes. 3.
Die gehäuften Terminwün- sche der Patienten an Markt- oder Schlußver- kaufstagen bringen eben- falls Hektik. 4. Als Haupt- nachteil beklagt Färber, daß durch das Bestellsy- stem nicht genügend Zeit im Einzelfall für die persön- liche Zuwendung bleibe, wenn sich hierfür ein (un- geplanter) Bedarf während der (geplanten) Begeg- nung ergebe. ..Der volle Terminplan steht drohend vor dem Arzt". Aus Zeit- druck werde das an sich notwendige, zeitaufwendi- ge ärztlich therapeutische Gespräch nicht geführt, was zu "schlechtem Gewis- sen gegenüber dem Patien-
ten" führe. Nehme der Arzt
sich die Zeit trotzdem, ge- be es "Aufruhr im Warte- zimmer" ...
Was Dr. Färber hier be- klagt, ist nicht Folge des Bestellsystems, sondern kann nach meiner Erfah- rung nur dadurch bedingt sein, daß die Zahl der Pa- tienten in dieser Praxis sehr groß ist. Aus der Er- fahrung vieler Bestellpra-
xen, die aufgrund von Mo-
dellversuchen schon vor vielen Jahren im Bereich der KV Südwürttemberg eingeführt wurden, ergibt sich die Tatsache, daß lei- der ab einer gewissen Pra- xisgröße eine Planung nicht mehr möglich ist, ob mit oder ohne Bestellsy- stem.
Jeder Notfall, der Zeit braucht und natürlich un- geplant in die Praxis kommt, erzeugt einen Stau im Wartezimmer, ob mit oder ohne Bestellsystem. An Markt- und Schlußver- kaufstagen wird der Patien- tenandrang mit seinen ne- gativen Folgen für den Pra-
10 Heft 26 vom 2. Juli 1982 79. Jahrgang
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Ausgabe Bxisablauf groß sein, ob mit oder ohne Bestellsystem.
Eine zeitaufwendige Zu- wendung zum Patienten (die nicht vorhersehbar war) muß zu Hektik durch Stau im Wartezimmer füh- ren, auch wenn kein Be- stellsystem besteht. Die Wahrscheinlichkeit, daß zufällig einmal bei nicht ge- plantem Praxisablauf das Wartezimmer dann leer ist, wenn gerade ein unvorher- gesehenes Gespräch not- wendig wird oder ein nicht vorhersahbarer Notfall ein- tritt, ist äußerst gering.
ln einem Bestellsystem können Notfälle und son- stige u nvorhersehbare, zeitaufwendige Verrichtun- gen dadurch "eingeplant"
werden, daß einige (von Bestellung freigehaltene)
"Pufferzeiten" eingeplant werden, so daß Zeit für ge- wisse Verschiebungen vor- handen ist ...
Ein Bestellsystem muß vom Arzt und von der Helferin
"flexibel" gehandhabt wer-
den. Man darf nicht als Arzt
selbst zum Sklaven des Sy- stems werden, indem man sich ihm ganz unterordnet und Patienten, die einen Termin nicht einhalten oder ungeplant kommen, schroff abweist oder zu kurz behandelt.
..,.. Mein Vorschlag: das Bestellsystem als grobes Planungsraster beibehal- ten, Pufferzonen einbauen und flexibel bleiben in der Handhabung des Systems und unter Umständen auch einmal einen Aufruhr im Wartezimmer oder eine Verschiebung der Zeit bis in die Abendstunden in Kauf nehmen, was inner"
halb des Systems erträgli- cher ist, als wenn dies häu- fig bei nicht vorhandener Planung eintritt.
Dr. med. Werner Ohl Arzt für Allgemeinmedizin Gartenstraße 7
7410 Reutlingen 1