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Archiv "Berlin: Sparmaßnahmen gefährden Patientenversorgung" (06.04.1978)

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AUS DEN BUNDESLÄNDERN

ten, die Laboruntersuchungen veranlassen; dies ergibt sich dar- aus, daß Laborärzte mehr und bes- ser gezielte Überweisungsaufträge erhalten. Es scheinen sich auch Auswirkungen auf die Kostenent- wicklung ergeben zu haben, die jetzt durch ein Gutachten abge- sichert werden sollen.

Ferner berichtete Dr. Rusche über den Verlauf des Modellversuches zur Früherkennung von Herz- und Kreislauferkrankungen, den die KV zusammen mit den Betriebs- krankenkassen des ehemaligen Kreises Lüdenscheid und dem Ar- teriosklerose-Institut der Universi- tät Münster durchführt. Seit Be- ginn des Versuches vor zweiein- halb Jahren sind fast 6000 Versi- cherte, die jeweils zum Geburtstag einen Berechtigungsschein erhal- ten, untersucht worden. Die 114 beteiligten Ärzte erhalten jeweils einen Einheitssatz von 60 DM.

Außerdem aber hebt der Vorstand der KV Westfalen-Lippe hervor, daß ein solches Experiment über- haupt nur im Rahmen einer einzel- nen KV in Selbstverwaltung und in Zusammenarbeit mit kleinen, überschaubaren Krankenkassen — in diesem Falle Betriebskranken- kassen — durchgeführt werden kann.

Den Abschluß der Veranstaltung in Gelsenkirchen bildete ein Bericht von Vorstandsmitglied Dr. Rudolf Schulte über das Disziplinarwesen bei der KV Westfalen-Lippe, bei dem — ebenso wie in der nachfol- genden, eingehenden Diskussion

— nicht nur eine statistische Über- sicht über die Disziplinarmaßnah- men gegeben, sondern auch die rechtliche Problematik angespro- chen wurde; sie liegt unter ande- rem darin, daß ein Kassenarzt bei ernsten Verfehlungen für die glei- che Tat mehrfach bestraft werden kann (Disziplinarmaßnahmen der KV, der Ärztekammer, Sozialge- richte, ordentliche Gerichte) oder zum Beispiel darin, daß nach einer Entziehung der Kassenzulassung keine automatische Verjährung vorgesehen ist. gb

BERLIN

Sparmaßnahmen gefährden

Patientenversorgung

Durch eine „unerträgliche Über- tragung der finanziellen Situation im Gesundheitswesen auf die Krankenhäuser und Patienten"

durch den Senat ist die Kranken- versorgung in Berlin gefährdet, er- klärte der Vorsitzende des Verban- des der Leitenden Krankenhaus- ärzte, Prof. Dr. Werner Schlung- baum, auf einer von der Ärztekam- mer Berlin einberufenen Presse- konferenz, auf der drei ärztliche Berufsverbände die verhängnis- volle Entwicklung in den Berliner Krankenhäusern kritisierten.

Viele Krankenhäuser seien so überbelegt, daß auch die Reserve- betten belegt sind und nur noch Tragen in den Zimmern aufgestellt werden könnten. Eine Station, die nach dem Bettenbedarfsplan des Senators für Gesundheit und Um- weltschutz, Erich Pätzold, längst geschlossen sein müßte, sei inzwi- schen wieder restlos belegt; nur das Personal fehle, weil es zuvor auf den gesamten Bezirk verteilt worden sei.

Prof. Schlungbaum hob hervor, daß die tatsächlichen Kosten durch den Pflegesatz nicht ge- deckt und dessen jährliche Steige- rungen unzureichend seien, weil sie nicht einmal die „tarifliche An- hebung der Löhne und Gehälter decken". Deshalb müßten Einspa- rungen vorgenommen werden, die aus sachlichen Gründen nicht zu rechtfertigen seien. Nachdem die Personaleinsparungssperre auf- gehoben worden sei, bliebe den Krankenhäusern nichts anderes übrig, als die offenen Stellen nicht zu besetzen, um Mittel einzuspa- ren.

Es sei auch nicht zu verantworten, wenn wegen der prekären Perso- nalsituation die ärztliche Weiter- bildung beeinträchtigt werde. Ein besonderes Problem sei die Wei-

terbildung zum Allgemeinarzt, für die keine Stellen vorhanden seien, zumal der Senat andernorts disku- tierte Regelungen strikt ablehne.

Für den Berufsverband Arzt in Krankenhaus und Behörde wies Dr. Heinz Salbach darauf hin, daß die durch den Zusammenschluß zu Krankenhausbetrieben entstan- denen Mammut-Betriebe einen riesigen Verwaltungsapparat be- nötigten und deshalb nie wirt- schaftlich sein könnten. Während diese Verwaltungen ihr Personal unentwegt aufstockten, schrump- fe das medizinische Personal im- mer mehr zusammen.

Dr. Cyrus Arasteh, der Vertreter des Marburger Bundes, schilderte auf der Pressekonferenz Einzel- heiten über die Situation bei der Krankenbehandlung.

So könnten zum Beispiel im Augu- ste-Viktoria-Krankenhaus neue therapeutische Möglichkeiten, wie die Behandlung in der Überdruck- kammer oder die ambulante Nach- sorge für Patienten mit Herz- schrittmachern, nur durchgeführt werden, wenn das vorhandene Personal diese Arbeiten zusätzlich übernehme, weil keine Kollegen dafür eingestellt würden.

Der Marburger Bund beobachte schon seit 1972, daß für den Senat in seinem Bestreben, „im Bereich des Krankenhauswesens eine Schrumpfung herbeizuführen", nicht der Bedarf des kranken Men- schen den Umfang der Leistung bestimme, sondern das neu einge- führte kaufmännische Kranken- hausrechnungswesen.

Vom grünen Tisch angeordnete, nicht bedarfsgerechte Bettenstrei- chungen hätten die Aufnahme- und Behandlungsmöglichkeiten verkleinert; den akuten Betten- mangel versuche der Senat, durch ein Belohnungssystem für vorzeiti- ge Patientenentlassungen und ei- nen Runderlaß auszugleichen, nach dem zusätzliche Betten auch in fachfremden Abteilungen auf- gestellt würden. zel

DEUTSCHES ARZ I EBL ATT Heft 14 vom 6. April 1978 843

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Die medizinische Versorgung auf Kalimantan ist in den wenigen Städten in Küstengebieten ausrei- chend; in der Hauptstadt Banjar- masin sind sogar einige Fachärzte verschiedener Richtungen tätig.

Die Arzt-Patienten-Relation wird für Kalimantan auf 1:7000 geschätzt.

Im Innern der Insel mit ihren vielen Dörfern jedoch ist die ärztliche Be- treuung der Bevölkerung mehr als mangelhaft. Die Regierung Indone- siens versucht, diesem Notstand abzuhelfen, indem sie junge Medi- ziner nach dem Examen aus Java jeweils für die Dauer von drei Jah- ren auf die unterentwickelten In- seln schickt. Die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten dort sind für diese Kollegen jedoch minimal, in Ermangelung techni- scher und finanzieller Vorausset- zungen.

Da die meisten Dorfbewohner un- serer Insel keine Möglichkeit ha- ben, ohne längere und für sie teure Schiffsreise einen Arzt zu errei- chen, lassen sie sich vielfach von den sogenannten „dukuns" behan- deln, einer Art Medizinmänner und -frauen, deren undurchsichtiges Handwerk mit Zaubereien und ok- kulten Praktiken verknüpft ist, und dementsprechende „Erfolge" zei- tigt. Die Regierung hat aber An- strengungen unternommen, in die- sen Gebieten kleine Gesundheits- zentren mit ausgebildeten Kran- kenpflegern und -schwestern ein- zurichten. Allmählich siedeln sich auch immer mehr relativ gut aus- gebildete Hebammen in größeren Ortschaften an. Es wird jedoch noch lange dauern, bis ein nur an- nähernd ausreichendes Gesund- heitssystem aufgebaut sein wird.

Die am meisten verbreiteten Krank- heiten sind Tuberkulose, Malaria, Typhus, Lepra, Wurmkrankheiten mit oft extremen Anämien bis zu 2g°/0 Hb (infolge Ankylostomiasis), Darminfektionen und Mangelernäh- rungszustände besonders bei Kin- dern, Tetanus, Hepatitis und Leber- zirrhosen. Die Pocken sind dank der allgemeinen Impfpflicht seit kurzer Zeit vollständig ausgerottet.

Die Kindersterblichkeit ist hoch, die Familienplanung steckt infolge der geringen Bevölkerungsdichte noch in den Anfängen. Die mittlere Lebenserwartung liegt derzeit bei etwa 40 Jahren.

Vor zwei Jahren hatte eine christli- che Gemeinde in der Hauptstadt von Mittel-Kalimantan, Palangka Raya, um unsere Hilfe gebeten an- gesichts der fehlenden Möglichkeit zu chirurgischer Behandlung in dem ganzen zugehörigen Gebiet von der Größe Baden-Württem- bergs. So haben wir als chirurgi- sches Team der Christusträger- Bruderschaft, im Ausland als

„deutsche Initiativ-Hilfe in Über- see" bezeichnet, dieser Bitte ent- sprochen. Nach den nötigen Vor- bereitungen habe ich dann im No- vember 1974 zusammen mit einer Op.-Schwester, einer Kranken- schwester und einer Laborantin die uns gestellte Aufgabe in Angriff ge- nommen. Man hatte das Regie- rungshospital der Stadt mit seinen 100 Betten schon vor Bekanntwer- den unseres Kommens für die Ein- richtung einer chirurgischen Abtei- lung vorbereitet, das heißt ein ge- sondertes Gebäude mit zwei Op.- Sälen und mehreren sonstigen Räumen gebaut. Zur Einrichtung dieses Hauses hatten die Finanzen

Borneo, die größte der vier Sundainseln innerhalb des Archipelstaates Indonesien, heißt jetzt Kalimantan, Land der Flüsse. Daß dieser neue Name zu Recht besteht, zei- gen die vielen Wasseradern, die — vielfach durch Kanäle verbunden — die riesigen Ur- waldflächen durchziehen und zum Lebenselement der Men- schen gehören. Das Leben der Einheimischen, der Da- jaks, ist einfach und natur- verbunden; nur in die weni- gen Städte dringt die Zivilisa- tion in zunehmendem Grade ein. Die Bevölkerungsdichte ist gering, im Gegensatz zu der südlich gelegenen Insel Java, welche mit ihren 80 Millionen Menschen auf en- gem Raum die größte Bevöl- kerungsdichte der Welt auf- weist. Kalimantan gehört zu den unterentwickelten Inseln des Landes.

der Regierung nicht mehr gereicht.

Dem Hospital ist eine Krankenpfle- geschule mit 60 Schülern und Schü- lerinnen angeschlossen, außerdem auch noch eine Hebammenschule.

Die Stadt mit ihren 30 000 Einwoh- nern, etwa 200 km nördlich der Kü- ste gelegen, wurde erst vor 20 Jah- ren gegründet und nach der Ro- dung des Urwalds auf dem sehr sandigen Boden rasch aufgebaut.

Ursprünglich als Musterstadt und Zentrum nicht nur Kalimantans, sondern ganz Indonesiens geplant, ist sie zu einer Schul- und Beam- tenstadt mit der Regierung Mittel- Kalimanfans, und immerhin mit ei- nem Flugplatz, geworden. Eine all- gemeine Stromversorgung besteht heute wenigstens während der Nacht, die Wasserversorgung ist ausreichend. Die Anzahl der moto- risierten Fahrzeuge in der Stadt

*) Meinem chirurgischen Lehrer, Herrn Chefarzt Dr. Erich Jäger, Diakoniekran- kenhaus Schwäbisch Hall, in Dankbar- keit gewidmet.

Chirurgische Erfahrungen auf Borneo

Elisabeth Bartholomäus*)

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Chirurgie auf Borneo

(außerhalb gibt es ja keine Stra- ßen) nimmt ständig zu.

Im Krankenhaus ist ein einfacher, von den USA gestifteter Röntgen- apparat in Betrieb, der für Thorax- und einfache Knochenaufnahmen ausreichend ist, bei adipösen Pa- tienten (es sind die Reichen der Stadt) und bei spezieller Diagno- stik jedoch seinen Dienst versagt.

Ein kleiner Generator gewährleistet die nötigste Stromversorgung wäh- rend des Tages. Als wir mit unse- rer Arbeit begannen, waren immer- hin schon ein alter Operationstisch, eine kleine Op.-Lampe und einige alte Instrumente vorhanden. Es fehlte aber an Medikamenten, Ver- bandmaterial, Stoffen und vielen anderen notwendigen Dingen, die nach und nach erst beschafft wer- den mußten.

Bereits in den ersten Tagen unse- res Aufenthaltes in Palangka Raya sollten wir erfahren, daß unser Ar- beitsfeld viel weiter gesteckt sein würde, als es dem in Deutschland üblichen Umfang der allgemeinen Chirurgie entspricht. Schon bevor wir in unsere — von der Regierung zur Verfügung gestellte — Woh- nung einziehen konnten, wurde ich zu einem „Notfall" ins Kranken- haus gerufen, da vielleicht ein Kai- serschnitt gemacht werden müsse.

Die Frau, die ich vorfand, bot das Bild einer schwersten Eklampsie.

Es war eine 28jährige Erstgebären- de mit Fruchtwasserinfektion und bereits abgestorbenem Kind. We- gen des zusätzlichen Mißverhält- nisses zwischen Kopf und Becken mußte das Kind nach Kraniotomie mit der Zange entwickelt werden, die Plazenta mußte manuell gelöst werden. Die Frau erholte sich rasch und ging nach fünf Tagen nach Hause. Dies war also der Be- ginn meiner „chirurgischen" Tätig- keit auf Borneo. Am folgenden Tag wurde mir der zweite Notfall prä- sentiert: Ein 20jähriger, der zwei Tage vorher vom Baum gefallen war, hatte sich eine schwere Pfäh-

lungsverletzung mit Rektumperfo- ration und Zerreißung des Anus zu- gezogen. Es boten sich die Zei- chen einer Unterbauchperitonitis,

die Wunde war schwer infiziert. So galt es, die erste Laparotomie un- ter den beschriebenen Verhältnis- sen durchzuführen, unter einfacher Masken-Narkose mit Äther, den ich im Lauf der Zeit neu kennen und schätzen gelernt habe, weil er für uns das Gegebene ist. Die weitere Krankengeschichte des jungen Mannes verlief komplikationslos.

Nachdem die analen und rektalen Wunden abgeheilt waren, konnte der Sigma-Anus wieder verschlos- sen werden, und nach insgesamt sechs Wochen wurde der Patient entlassen. Eine Woche nach dem Beginn unserer Arbeit wurde spät- abends eine Frau mit der Ver- dachtsdiagnose „Uterusruptur" ein- geliefert. Es war eine Schwange- re am Geburtstermin. Es muß in diesem Zusammenhang gesagt werden, daß unkomplizierte Ent- bindungen fast niemals im Kran- kenhaus vor sich gehen, denn dorthin kommen die Frauen nur bei Auftreten von Schwierigkeiten.

Krankenkassen fehlen

Da es keine Krankenkassen gibt, müssen die Patienten alles selber bezahlen. Und so gehen sie eben zur Dorfhebamme oder zum „du- kun". Ein solcher war nun auch un- serer Patientin zum Verhängnis ge- worden. Er hatte sie schon zwei Tage vor der Ankunft im Kranken- haus durch Kompression des Bauchs auf solche Weise „behan- delt", daß es zur Uterusruptur ge- kommen war. Eine anschließend konsultierte Hebamme im nächsten Dorf, die gerade vorher über das Radio von der neuen chirurgischen Abteilung unseres Krankenhauses erfahren hatte, hatte die Frau so- gleich weitergeschickt. Nach der langen Bootsfahrt war die Patientin dann in erwartungsgemäß schlech- tem Zustand bei uns angekommen.

Sie hatte hohes Fieber, der Blut- verlust schien jedoch nicht über- mäßig stark gewesen zu sein. Bei der sogleich durchgeführten Lapa- rotomie fand sich der gesamte Ge- bärmutterinhalt in der freien Bauchhöhle. Das Kind war voll ausgetragen, und es War völlig un-

ersichtlich, weshalb jener „Ge- burtshelfer" gemeint hatte, die Ge- burt auf so brutale Weise be- schleunigen zu müssen. Zudem waren schon drei normale Entbin- dungen vorausgegangen. Man hät- te allenfalls vermuten können, daß es sich um eine geburtsunfähige Lage gehandelt hätte. Die Frau hat sich postoperativ allmählich erholt und konnte dann, nachdem sie eine zusätzliche Typhuserkrankung überstanden hatte, in ihr Dorf zu- rückkehren.

Vor nicht so dringlichen Operatio- nen sind bei unseren Patienten oft lange Warte- und Vorbereitungszei- ten notwendig. Da sie selber keine Geldvorräte haben und von der Hand in den Mund leben, müssen sie oft erst innerhalb ihrer Großfa- milie „Geld suchen", um die Be- handlung bezahlen zu können.

Wenn die Krankenhauskosten auch für europäische Begriffe minimal sind (umgerechnet 2 DM pro Tag), so bedeuten sie doch für unsere Patienten oft ein ganzes Vermögen.

Außerdem leiden viele von ihnen, wenn sie aus ihren Urwalddörfern kommen, an zusätzlichen Krank- heiten wie Malaria, Spul- oder Ha- kenwürmern, schweren Anämien, Tbc u. a., die vor dem operativen Eingriff behandelt werden müssen.

Schwierigkeiten gibt es außerdem oft in der Beschaffung von Blutkon- serven, wobei zunächst Familien- angehörige, weiterhin einige durch das Rote Kreuz registrierte Spen- der herangezogen werden.

Im Rahmen der allgemeinen Chir- urgie sieht man auch auf Kaliman- tan alle nur denkbaren Krankheits- bilder; sehr selten allerdings Cho- lelithiasis und periphere Durchblu- tungsstörungen (allenfalls bei den wenigen Diabetikern). Erfreulich ist die geringe bzw. nach unseren bisherigen Erfahrungen völlig feh- lende Neigung zu Thromboemboli- en, was die postoperative Behand- lung erheblich erleichtert. In der

„kleinen Chirurgie" dominieren in- fizierte Wunden, Abszesse jegli- cher Lokalisation und Größe (ein- mal war es nach Spritzenabszes- sen zu weitgehender Einschmel- DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 6. April 1978 845

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zung der Gesäßmuskulatur beid- seits gekommen), Fremdkörperver- letzungen (ein Patient kam von weit her vier Wochen nach Eindrin- gen eines Holzsplitters mit einer Hohlhandphlegmone), sehr häufig durch Angelhaken, die — mit Wi- derhaken versehen — aus Händen, Füßen, sogar Augen entfernt wer- den müssen. Das Angeln ist eine Hauptbeschäftigung der Knaben und Männer. Weil diese auch oft ins Wasser gehen, und zwar ohne Hose, kann es vorkommen, daß ganze Schwärme einer bestimmten kleinen Fischgattung die Jünglinge durch multiple Bisse verletzen, so daß es zu schwerwiegenden Fol- gen wie Teilamputationen des Pe- nis kommen kann. Ich habe einen Jungen nach einer derartigen Ver- letzung wegen traumatischer (nar- biger) Phimose und Meatusstenose operiert.

In der Knochenbruchbehandlung wenden wir weitgehend konservati- ve Methoden an, wobei die Beweg- lichkeit der Gelenke im Anschluß an die Ruhigstellung bei unseren Patienten gewöhnlich überraschend schnell zunimmt. Oft sehen wir ver- altete Frakturen und Luxationen, auch posttraumatische Osteomyeli- tiden. In der Unfallchirurgie gibt es bei uns erfreulicherweise nur sel- ten Schwerverletzte und Polytrau- matisierte, was auf die noch ge- ringe Zahl motorisierter Fahrzeuge am Ort und das Fehlen von Stra- ßen außerhalb der Stadt zurückzu- führen ist. Verbrennungen sehen wir ebenso häufig wie in Deutsch- land. Gefährdet sind besonders die Kinder durch die offenen Feuer- stellen, an denen in den Hütten ge- kocht wird.

Bei einer Frau, die während einer Schiffsfahrt am Motor hängenge- blieben war, fand sich eine voll- ständige Skalpierung des Schä- dels, der Defekt wurde durch Hauttransplantationen gedeckt. — Eine besondere Gruppe unserer verletzten Patienten bilden die Op- fer von Messerstechereien, die in- nerhalb einer bestimmten Volks- gruppe (Zuwanderer von einer an- deren Insel) an der Tagesordnung

sind. Unter diesen Leuten gilt noch die Blutrache. Bei einem dieser Männer war, als er in unsere Be- handlung kam, der rechte Ober- bauch durch einen 30 cm langen Schnitt eröffnet; dabei waren Le- ber, Magen, Dünn- und Dickdarm sowie das Mesocolon transversum mehrfach verletzt worden. Der Pa- tient ist neun Tage nach der opera- tiven Versorgung der schweren Wundinfektion erlegen. Er hatte es unbedingt erzwingen wollen, sei- nen Rivalen zunächst umzubringen und anschließend selber zu ster- ben; deshalb war er zeitweilig nur sehr schwer zu bändigen gewesen. — Wie verbreitet der animistische Geisterkult und magische Kräfte bei unseren Leuten sind, zeigt die Fortsetzung dieser Geschichte:

Eine mir bekannte Frau (sie war kurz vorher appendektomiert wor- den) kam an dem Tag, an dem je- ner Patient gestorben war, mit der Bitte zu mir, einen Fingerknochen des eben Verstorbenen zu bekom- men. Sie wolle eine Verwandte, die von bösen Geistern besessen sei, damit am Kinn ritzen, bis es blute;

erst dann könne sie gesund wer- den.

Großes Problem:

Der Tetanus

Bei einem anderen Opfer von Mes- serstechereien fanden sich multi- ple, bereits schwer infizierte Schnit- te am Kopf und an allen Extremi- täten; dabei waren Klavikula und Plexus brachialis verletzt, an bei- den Händen verschiedene Sehnen und am Fuß die Achillessehne durchtrennt. Natürlich gibt es auch in unserem Urwaldhospital immer wieder Schädel-Hirn-Traumen zu versorgen. Ein zweijähriges Kind, das vier Tage vorher vom Baum gefallen war, wurde mit einer parietookzipitalen Impressionsfrak- tur, offener Hirnverletzung und Hirnprolaps zu uns gebracht. Elf Tage nach der operativen Versor- gung der Verletzung konnte die Kleine schon in . unauffälligem Zustand entlassen werden. Da un- sere Patienten alles selber bezah- len müssen, wird die stationäre

Aufenthaltsdauer so kurz wie mög- lich bemessen, und sie gehen auch immer wieder auf eigene Verant- wortung vorzeitig nach Hause.

Ein unerfreuliches Problem ist bei uns der Tetanus. Es ist bislang sehr schwierig, eine prophylakti- sche Impfung allgemein durchzu- führen, weil das Toxoid in sehr be- schränkter Menge nur in einer Stadt auf Java hergestellt wird und auch der Transport nach Kaliman- tan einige Schwierigkeiten bereitet.

So müssen wir uns auf die Gabe von ATS bei Verletzten beschrän-

ken. Erschreckend hoch ist die Zahl der Fälle mit Tetanus neona- torum, wobei es sich fast immer um sieben Tage alte Säuglinge handelt. Trotz intensiver Aufklä- rungs- und Schulungsversuche von seiten des Regierungs-Gesund- heitsdienstes pflegen die „dukuns"

und die alten Dorf-„Hebammen"

die Nabelschnüre der Neugebore- nen mit einem Bambusstab zu durchtrennen. Anschließend wird dann der Nabel auch noch mit spe- ziellen Kräutern behandelt, so daß einer Infektion Tür und Tor geöff- net sind. Natürlich ist diese Erkran- kung in den Augen der animisti- schen, islamischen — und auch oft noch der christlichen — Bevölke- rung eine Auswirkung der Macht böser Geister. Man sagte uns, daß früher kein Tetanuspatient im Krankenhaus überlebt habe. Die Mortalitätsrate ist aber auch unter den uns zur Verfügung stehenden Behandlungsmethoden (Valium, Tracheotomie, jedoch keine Mus- kelrelaxantien oder Beatmungsge- räte) im Durchschnitt 50 Prozent.

An chirurgischen Erkrankungen gibt es bei uns weiterhin auffallend viele Hernien und Strumen, auch Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten (bei einem Kind mit doppelseitiger durchgehender Spaltbildung eine zusätzliche frontale Myelozele), auch andere Fehlbildungen wie Hy- pospadien, Polydaktylien u. a. Ein 42jähriger wurde wegen eines Me- gakolons extremen Ausmaßes ope- riert. Das monströs erweiterte Sig- ma und Colon descendens, das den übrigen Bauchinhalt verdrängt

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Chirurgie auf Borneo

und zu einem Glockenthorax ge- führt hatte, konnte reseziert wer- den, und dem Mann geht es seither erfreulich gut. Appendizitis- und Ileusfälle stehen auf unserem Not- fall-Operationsprogramm gleicher- maßen wie in Deutschland. Ein 1 1/2jähriges Kind und ein junger Mann, die beide erst drei Tage nach Beginn der Erkrankung mit schwer geschädigtem bzw. gan- gränösem Darm infolge Strangula- tion durch mesenteriale Lückenbil- dung bzw. Volvulus zur Behand- lung kamen, sind postoperativ ihrer schweren Allgemeinschädigung er- legen. Bei einem 17jährigen chine- sischen Mädchen fand sich ein pe- rityphlitischer Abszeß, der bis zur Leber reichte und die ganze rechte Bauchseite eingenommen hatte.

Unter konservativer Behandlung kam es zum Rückgang der' Ge- schwulst bis auf Hühnereigröße, die Intervallappendektomie ist noch vorgesehen. Ein häufig gese- henes Bild ist bei uns auch der kindliche Anal- bzw. Rektumpro- laps.

Auch an Geschwulsterkrankungen fehlt es auf Kalimantan so wenig wie im 'Westen: Neben den ver- schiedensten Hauttumoren beni- gner und maligner Art sehen wir Mamma-, Nieren-, Rektumge- schwülste u. v. a. teilweise leider schon sehr weit fortgeschritten bzw. inoperabel. Eine etwa 50jähri- ge Frau wurde operiert wegen ei- ner weit fortgeschrittenen papillo- matösen Blasengeschwulst, die die ganze Blase ausgefüllt, zu extre- mer Stauung der Ureteren und zu einer schweren Nierenschädigung geführt hatte. Beide Harnleiter wur- den nach Zystektomie ins Sigma eingepflanzt. Der Eingriff wurde von der Patientin erstaunlich gut überstanden, der Harnstoffspiegel im Serum sank immerhin von 160 auf 120 mgVo.

In vielfältiger Ausprägung findet sich bei unseren Patienten die Tu- berkulose verschiedenster Lokali- sation. Die Volksseuche Lungen- Tbc ist eine Hauptursache der noch niedrigen Lebenserwartung.

Die bei uns operativ behandelten

tuberkulösen Erkrankungen betref- fen die Halslymphknoten, den Ma- gen (oft mit einer Anamnese von vielen Jahren und dem makrosko- pischen Bild eines Karzinoms), Darm und Peritoneum (mit schwer- sten Kachexien und chronischen Ileuszuständen) sowie Knochen und Gelenke, besonders auch die Wirbelsäule mit Gibbus-, Abszeß- und Fistelbildungen. (Die Spondy- litis tuberculosa behandeln wir hier konservativ.)

Lepra

und Rehabilitation

Bei den spezifischen Erkrankungen darf die Lepra nicht vergessen werden, die durch die Möglichkeit verschiedener Eingriffe zur Rehabi- litation und kosmetischen Korrek- tur (und damit zur Wiedereingliede- rung in die Gesellschaft) auch zu einer chirurgischen Erkrankung geworden ist. So werden bei den durch Peroneusparese entstehen- den Fallfüßen Sehnenverpflanzun- gen durchgeführt, um die Streckfä- higkeit wiederherzustellen. Die an- ästhetischen Füße mit ihren tiefen, schwer heilenden trophischen Ul- zera müssen oft und lange mit Gips immobilisiert werden. Gele- gentlich müssen bei uns auch or- thopädische Probleme gelöst wer- den, so etwa bei alten, unbehan- delten Luxationen, Folgen von Po- liomyelitis u. a., wobei es dann manchmal gilt, in Ermangelung von orthopädischen Werkstätten ent- sprechende Hilfsmittel auf einfache Weise zu konstruieren.

Die Urolithiasis ist bekanntlich in den asiatischen Ländern seit Jahr- tausenden verbreitet. Auffallend ist die Häufigkeit bis hühnereigroßer Blasensteine bei hiesigen Kindern im Alter von 4 bis 8 Jahren. Ur- sächlich wäre zu denken an Zu- sammenhänge mit Wasser und Er- nährung. Nierenbecken- und Ure- tersteine mit schwersten, zur Ne- phrektomie zwingenden Nieren- schädigungen sind häufig.

In Ermangelung anderer Fachärzte in ganz Mittel-Kalimantan gehören natürlich auch — wie bereits am

Anfang geschildert — gynäkologi- sche und geburtshilfliche Eingriffe zu unserem „chirurgischen" Alltag.

Außer Kaiserschnitten (infolge) Quer- lage, Placenta praevia, Mißverhält- nis zwischen Kopf und Becken u.

a.) gehören dazu die Fälle von ex- trauteriner Gravidität. So mußte einmal nachts eine Frau mit 5g°/0 Hb und schwerstem Blutungs- schock im fünften Schwanger- schaftsmonat operiert werden; ge- rade in jener Nacht fehlten Licht und Saugapparat infolge Stromaus- falls. Nach kurzfristigem Herzstill- stand während der Narkoseeinlei- tung konnte jedoch die Operation beendet werden, und jene Patientin hat sich dann überraschend gut er- holt. Blasenmolen sind häufig, ebenso die Fälle von Uterus myo- matosus, manchmal von riesenhaf- tem Ausmaß. Besonders erwäh- nenswert sind in diesem Zusam- menhang die in den Entwicklungs- ländern noch vorkommenden ex- trem großen Ovarialkystome, die auch bei uns operiert werden.

Nach Absaugen des Inhalts (bis 10 I Flüssigkeit) lassen sie sich erfreuli- cherweise oft recht gut entfernen, obwohl wir auch weit fortgeschrit- tene, inoperable Ovarialtumoren se- hen.

Als „Deutsche lnitiativhilfe in Übersee" versuchen wir in unse- rer medizinischen und sonstigen Aufbauarbeit, die Einheimischen allmählich dahin zu führen, daß sie sich selber helfen. So verrichtet in unserem Krankenhaus schon eine ganze Reihe von Pflegern und Schwestern zufriedenstellend den Dienst in der operativen Abteilung, ein einheimischer Pfleger ist für die Narkose zuständig. Da unser Einsatz in Übersee bei der weltpo- litischen Lage von vornherein als befristet angesehen werden muß, soll er in der Hauptsache „Hilfe zur Selbsthilfe" sein. Er wird auf Kali- mantan so lange dauern, bis die Arbeit einmal von einem indonesi- schen Chirurgen übernommen wer- den kann.

Anschrift der Verfasserin:

Dr. med. Elisabeth Bartholomäus Kotak Pos 30, Palangka Raya Kalimantan Tengah, Indonesia DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 14 vom 6. April 1978 849

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