D
urch das „Zweite Ge- setz zur Änderung scha- densersatzrechtlicher Vorschriften“ ist es mit Wir- kung zum 1. August 2002 zu einer Reform der Arzneimit- telhaftung gekommen.Die bis- herige Regelung der §§ 84 ff.AMG datierte aus dem Jahre 1976 und war eine Reaktion des Gesetzgebers auf die Con- tergan-Fälle. Anlass für die jetzige Reform waren Scha- densfälle, die durch Kontami- nation von Spenderblut und den daraus hergestellten Blut- produkten mit dem HI-Virus verursacht wurden, worunter insbesondere Hämophilie-Pa- tienten zu leiden hatten. In diesen Fällen wurde es als be- sonders misslich angesehen, dass die geschädigten Patien- ten die Kausalität des Arznei- mittels für die bei ihnen auf- tretenden Gesundheitsbeein- trächtigungen darlegen und beweisen mussten. Da nach der bisherigen Arzneimittel- haftung Beweiserleichterun- gen – wie zum Beispiel bei der Arzthaftung – keinen Raum fanden, führte dies häufig da- zu, dass die geschädigten Pa- tienten keine Ansprüche ge- genüber den pharmazeuti- schen Unternehmern durch- setzen konnten.
Um den geschädigten Pa- tienten in dieser Situation zu helfen, sieht § 84 Abs. 2 AMG nun Folgendes vor:
„Ist das angewandte Arznei- mittel nach den Gegebenhei- ten des Einzelfalles geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arz- neimittel verursacht ist. Die Eignung im Einzelfall beur- teilt sich nach der Zusam- mensetzung und der Dosie- rung des angewendeten Arz- neimittels, nach der Art und Dauer seiner bestimmungs- gemäßen Anwendung, nach dem zeitlichen Zusammen- hang mit dem Schadensein- tritt, nach dem Schadensbild und dem gesundheitlichen Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Anwendung so- wie allen sonstigen Gegeben- heiten, die im Einzelfall für oder gegen die Schadensver- ursachung sprechen.“
Der geschädigte Patient muss nach dem neuen Recht zunächst begründen, dass das Arzneimittel im konkreten Fall geeignet war, den Schaden zu verursachen. Ferner muss er darlegen, dass das Arzneimit- tel von ihm auch tatsächlich und bestimmungsgemäß ange- wandt wurde. Ist es dem ge- schädigten Patienten gelun- gen, das Gericht vom Vorlie- gen dieser Voraussetzungen zu überzeugen, so greift zu seinen Gunsten die Kausalitätsver-
mutung ein. Der pharmazeuti- sche Unternehmer kann einer Haftung nun nur noch dadurch entgehen, dass er seinerseits die Kausalitätsvermutung wi- derlegt. Hierzu kann er zum Beispiel einwenden, dass im Einzelfall ein „anderer Um- stand“ den Schaden verur- sacht hat (§ 84 Abs. 2, Satz 3 AMG). Ein „anderer Um- stand“ liegt nach dem Gesetz aber grundsätzlich nicht „in der Anwendung weiterer Arz- neimittel, die nach den Ge- gebenheiten des Einzelfalles geeignet sind, den Schaden zu verursachen“ (§ 84 Abs. 2, Satz 4 AMG). Bei Anwendung
mehrerer Präparate muss der pharmazeutische Unterneh- mer, also die konkrete Kausa- litätseignung des anderen Arz- neimittels für den Schaden be- weisen, um die ihm gegenüber geltende Kausalitätsvermu- tung zu widerlegen.
Ein weiteres Problem be- stand für den Geschädigten nach bisher geltendem Recht darin, dass er beweisen muss- te, dass die schädlichen Aus- wirkungen des Arzneimittels ihre Ursache im Bereich von
Herstellung und Forschung hatten. Auch diese Hürde ist nach dem neuen Gesetz entfal- len. Nach § 84 Abs. 3 AMG muss der pharmazeutische Un- ternehmer den Entlastungsbe- weis antreten und beweisen, dass die schädlichen Wirkun- gen des Arzneimittels ihre Ur- sache nicht im Bereich der Entwicklung und Forschung haben.
Darüber wird die Geltend- machung von Schadensersatz- ansprüchen gegen den phar- mazeutischen Unternehmer durch einen neu geschaffenen Auskunftsanspruch erleichtert (§ 84 a AMG). Dieser Aus-
kunftsanspruch war erforder- lich, weil Ansprüche nach dem AMG unter anderem voraussetzen, dass das Arz- neimittel „bei bestimmungs- gemäßem Gebrauch schädli- che Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnis- sen der medizinischen Wis- senschaft vertretbares Maß hinausgehen“ (§ 84 Abs. 1, Nr.
1 AMG), so genanntes un- vertretbares Arzneimittel.Wo genau die Grenze für dieses Maß liegt, können nur Ärz- te beurteilen, da umfassende Kenntnisse über den thera- peutischen Nutzen sowie das Vorkommen von Neben- oder Wechselwirkungen verlangt werden. Der Geschädigte selbst hat keinen Zugang zu diesen Informationen, wohl aber der pharmazeutische Un- ternehmer, der das Arznei- mittel selbst entwickelt oder in Lizenz herstellt und somit umfangreichen Dokumenta- tions- und Mitteilungspflich- ten unterliegt (§§ 22, 28, 29 AMG). Vor diesem Hinter- grund ist es konsequent, wenn
§ 84 a Abs. 1 AMG nun dem Geschädigten einen Anspruch auf Auskünfte einräumt, der
„sich auf dem pharmazeuti- schen Unternehmer bekann- te Wirkungen, Nebenwirkun- gen oder Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewor- dene Verdachtsfälle von Ne- benwirkungen und Wechsel- wirkungen und sämtliche wei- tere Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können“ er- streckt.
Es ist festzustellen, dass durch Einführung des Kausa- litätsnachweises der Beweis- lastumkehr für den Fehlerbe- reich sowie der Einführung des Auskunftsanspruches die schwersten Hürden für den Geschädigten bei der Arznei- mittelhaftung beseitigt wor- den sind. Es bleibt daher ab- zuwarten, ob auch in der Pra- xis tatsächlich die Fälle aus dem Bereich der Arzneimit- telhaftung deutlich zuneh- men werden und es zu einer Ausweitung der Arzneimit- telhaftung kommt.
Dr. jur. Hansjörg Haack,Osnabrück V A R I A
A
A56 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 1–26. Januar 2003
Arzneimittelhaftung
Beweislast umgekehrt
Schwächen der bisherigen Arzneimittelhaftung werden nun durch gesetzliche Vermutungen und Auskunftsansprüche beseitigt.
Wirtschaft
Bisher musste der Patient beweisen, dass das genommene Arzneimit- tel für auftretende Gesundheitsschäden verantwortlich ist.Foto: Peter Wirtz