• Keine Ergebnisse gefunden

Gute Arbeit muss drin sein!

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Gute Arbeit muss drin sein!"

Copied!
10
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

DGB-Bundesvorstand Web: http://www.dgb.de Henriette-Herz-Platz 2 Tel.: 030 / 240 60 - 0

Michael Sommer

Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Rede

Gute Arbeit muss drin sein!

Rede zum 1. Mai 2008 in Mainz

BITTE BEACHTEN SIE:

SENDESPERRFRIST: 1. Mai 2008, Redebeginn

Es gilt das gesprochene Wort!

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute vor 75 Jahren, am 1. Mai 1933, demonstrierten die freiheitlich-sozialistischen Gewerkschaften, die christlichen Gewerkschaften und die liberalen Gewerkschaften gemeinsam mit den Nazis am deutsch-völkischen Tag der Arbeit.

Die freien Gewerkschaften gaben sich damals der Illusion hin, sie könnten gemeinsam mit den Faschisten das Los der Arbeiter in Deutschland zum Besseren wenden. Manch einer glaubte auch, die eigene Organisation vor den SA-Schergen retten zu können.

Einen Tag später, am 2. Mai 1933, rächte sich diese Illusion bitter. Die Gewerkschaftshäuser wurden gestürmt, die Gewerkschaften zerschlagen, ihre führenden Frauen und Männer verhaftet, in KZs geworfen, zur Emigration gezwungen.

Nach dem Ermächtigungsgesetz und dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, mit dem Juden aus dem öffentlichen Dienst entfernt worden waren, war dies für die Nazis eine der wichtigsten Etappen zur Errichtung ihres Terror-Regimes.

Wir alle wissen, was folgte: Die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden und ein Weltkrieg mit 50 Millionen Toten.

(2)

Weg räumten. Wir, die Interessenvertreter der Arbeiter, Angestellten und Beamten, waren die nächsten, uns folgten Dichter und Denker, katholische Preister und mutige Männer und Frauen der evangelischen Kirche. Sie räumten Demokraten und Humanisten beiseite und dann gab es kein Halten mehr - weder für die Ausrottung sogenannten menschenunwürdigen Lebens, noch für die Verfolgung von Minderheiten und auch nicht für den organisierten Massenmord in den Konzentrationslagern.

Wenn wir heute und morgen an diese bittere historische Erfahrung erinnern, dann verneigen wir uns vor den Opfern und bewahren allen ein ehrendes Gedenken, die im Großen und im Kleinen Widerstand geleistet haben.

Sie haben mit ihrem Widerstand dafür gesorgt, dass die Ideen von Freiheit und Demokratie zwölf Jahre Nazi-Terror überlebt haben. Ihnen haben wir es zu verdanken, dass Deutschland überhaupt wieder in den Kreis der zivilisierten Völker aufgenommen wurde.

Ihrem Kampf sind wir bis heute verpflichtet. Nie wieder Faschismus - nie wieder Krieg, das ist und bleibt unser Auftrag.

Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass landauf und landab die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter überall an erster Stelle stehen, wenn es darum geht, den alten und neuen Nazis die Stirn zu bieten, ihre menschenverachtende Propaganda zu bekämpfen und ihr Einsickern in unser Gemeinwesen zu verhindern.

Wir tun dies Gott sei Dank nicht allein. An unserer Seite sind die demokratischen Parteien, die jüdischen Gemeinden, die Kirchen - die gesamte demokratische Gesellschaft.

Ich sage aber auch: Ich erwarte von unserem demokratischen Staat, dass er sich wirklich als wehrhaft erweist und dem Spuk der NPD und anderer Neo-Faschisten in deutschen Landtagen und Kommunalparlamenten endlich ein Ende bereitet.

Es ist nicht hinnehmbar, dass Justiz und Verwaltungen nicht in der Lage sind, Nazi- Provokationen an unserem 1. Mai zu verhindern.

Es ist und bleibt unerträglich, dass die Nazis über die Parteienfinanzierung auch noch Steuergelder abräumen können. Letztendlich müssen wir damit ihre Hetze und Wühlarbeit mitfinanzieren.

Es ist und bleibt mir unverständlich, warum solche Parteien und Organisationen nicht aufgelöst werden. Konkret: Die NPD muss verboten werden - und zwar jetzt.

(3)

75 Jahre nach dem Ermächtigungsgesetz sage ich aber auch: Es schadet unserer Gesellschaft, dass der freiheitlich-demokratische Rechtstaat unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung immer mehr demokratische Freiheiten einschränkt.

Es darf nicht sein, dass er den Datenschutz seiner Bürger verletzt, die demokratischen Grundrechte wie Unverletzlichkeit der Wohnung oder das Post- und Telekommunikationsgeheimnis immer mehr beschädigt und sogar Daten über die Mitgliedschaft in Gewerkschaften an den großen Bruder in Washington weiterleiten will.

Zu diesem Skandal werden wir nicht schweigen. Genauso wenig werden wir es hinnehmen, dass - wie in Heiligendamm bereits geschehen - der Bundeswehreinsatz im Inneren schleichend eingeführt wird.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

dieser 1. Mai ist nicht nur ein Tag der Erinnerung. Er ist unser Kampftag für eine gerechtere Welt, für Menschenwürde und Menschenrechte, für das Recht auf Arbeit - für gute Arbeit - in Deutschland und Europa.

Wenn führende Repräsentanten einer großen Volkspartei in Deutschland die Parole ausgeben: „Sozial ist, was Arbeit schafft“, dann ist dies nicht nur verkürzt, sondern eine unsoziale Verlogenheit.

Denn weder der 1-Euro-Job für Langzeitarbeitslose ist sozial, noch der Stundenlohn von 3,50 für eine Friseurin, einen Wachmann oder eine Forstarbeiterin. Aber auch 5 Euro für einen Lastwagenfahrer oder 6,20 Euro für eine Kollegin im Call-Center haben nichts mit guter Arbeit zu tun. Denn davon kann man nicht leben - selbst wenn man zehn Stunden am Tag arbeitet.

Wir warnen seit Jahren vor amerikanischen Verhältnissen, bei denen man zwei oder drei Jobs braucht, um überleben zu können. Heute machen viele die bittere Erfahrung, dass , wir diese amerikanischen Verhältnisse auch bei uns haben.

Über eine Million Menschen, die einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen, bekommen so wenig Lohn, dass sie ergänzende Sozialhilfe - Hartz IV genannt - brauchen, um sich und ihre Familie über die Runden bringen zu können.

Über zweieinhalb Millionen Menschen bekommen weniger als 7,50 Euro Stundenlohn. Sieben Millionen Menschen erhalten weniger als die Hälfte des Durchschnittslohns in Deutschland. Wie gesagt: Ich spreche von Deutschland - einem der reichsten Länder dieser Erde.

(4)

Wenn Millionen Menschen in unserem Land die elementarste Grundlage für ein menschenwürdiges Leben vorenthalten wird, dann sind alle zum Handeln verpflichtet.

Und dort, wo die Tarifautonomie versagt, ist die Gemeinschaft gefordert, diesen notleidenden Menschen zu ihrem Recht, nämlich zu einem gerechten Lohn, zu einem auskömmlichen Arbeitseinkommen zu verhelfen.

Unsere Botschaft ist einfach, klar, verständlich und machbar: Arbeit darf nicht arm machen - Deutschland braucht den Mindestlohn.

Deutschland braucht ihn genauso, wie ihn zwanzig andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union schon haben. Selbst in den USA hat man schon 1938 erkannt, dass das Wenigste, das man für die Menschen tun kann, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist.

Es ist also kein Neuland, das wir betreten. Die Umsetzung unserer Forderung ist überfällig!

Natürlich verweigern wir uns Zwischenschritten nicht. Dort wo das Entsendegesetz helfen kann, nutzen wir es genauso wie wir an der Novellierung des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen konstruktiv mitarbeiten.

Aber niemand sollte sich täuschen: Unser Ziel bleibt ein gesetzlicher Mindestlohn von mindestens 7,50 Euro in der Stunde. Dafür werden wir kämpfen, bis wir ihn durchgesetzt haben. Und je länger wir dafür kämpfen müssen, desto mehr werden wir die Marke von 7,50 Euro auf das Normalmaß europäischer Industriestaaten anheben müssen.

Wir werden auch denen nicht auf den Leim gehen, die uns sagen, Kombilöhne würden helfen. Denen sage ich in aller Deutlichkeit: Die Steuerzahler sind nicht dafür da, den Betrieben die Lohnzahlung abzunehmen. Hartz IV ist Sozialhilfe, kein Arbeitsentgelt.

Nun gibt es noch einen weiteren Grund, Mindestlöhne in Deutschland einzuführen.

Das ist die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes und die möglicherweise 2009, spätestens 2011 kommende völlige Freizügigkeit für Arbeitnehmer in der Europäischen Union.

Wer nicht will, dass Kolleginnen oder Kollegen aus Lettland, Irland, Zypern oder Rumänien in Deutschland als Lohndrücker mißbraucht werden, der muss sie und die Beschäftigten hier mit gesetzlichen Mindestlöhnen schützen vor Lohndumping, Ausbeutung und Entrechtung.

(5)

Allerdings reicht das allein auch nicht - denn wir mussten erfahren, dass die Marktradikalen in Europa nach unserem gewonnenen Kampf gegen eine ausbeuterische Dienstleistungsrichtlinie noch lange nicht aufgegeben haben.

Sie sitzen in der Europäischen Kommission, sie haben die Mehrheit im Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs und sie nutzen jetzt den Europäischen Gerichtshof, um dem sozialen Europa den Garaus zu machen.

In den vergangenen Monaten hat der Europäische Gerichtshof drei Mal gesetzliche Arbeitnehmer-Schutzrechte mit Hinweis auf die Freiheit des Binnenmarktes in Europa außer Kraft gesetzt.

Die Richter nehmen sich die Freiheit, finnisches Recht auf finnischen Fähren, schwedisches Tarifrecht auf schwedischen Baustellen und jüngst das niedersächsische Landesvergabegesetz zur Einhaltung von Tarifnormen bei öffentlichen Aufträgen für nichtig zu erklären.

Das ist eine unglaubliche Frechheit.

Die meisten Menschen wissen davon noch gar nichts. Deshalb ist es gerade unsere Aufgabe, dies öffentlich zu machen, anzugreifen und die Politik in Deutschland und Europa zu zwingen, diesem neoliberalen Treiben ein Ende zu bereiten.

Am 24. April, also vor wenigen Tagen, hat der Deutsche Bundestag den Lissaboner Vertrag zur Vertiefung der Europäischen Union ratifiziert. Der Bundesrat wird dies am 23. Mai tun.

Zur Erklärung: Der Lissaboner Vertrag ist das Rudiment, das vom Projekt der Europäischen Verfassung übrig geblieben ist. In ihm sind sogar die sozialen Grundrechte verankert - allerdings nur als Protokoll-Erklärung.

Da muss die Frage schon erlaubt sein, ob dieser Vertrag ausreicht, ein weiteres Aushöhlen der sozialen Rechte der Europäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verhindern. Ich glaube das nicht.

Der Lissaboner Vertrag muss dringend ergänzt werden um eine soziale Fortschrittsklausel, um die Verbindlichkeit der sozialen Grundrechte für die Rechtssprechung des EuGH und das politische Handeln von Europäischem Rat, Kommission und Parlament sicher zu stellen.

Aber das ist Technik. Im Prinzip geht es um mehr.

(6)

Finanzspekulanten und Manchester-Kapitalisten entwickelt. Oder ob wir an einem Europa des sozialen Fortschritts für 360 Millionen Menschen bauen.

Europa steht am Scheideweg. Es war für uns der Schlüssel für eine Friedensordnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist für uns die Hoffnung auf dauerhaften Frieden, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.

Aber Europa darf nicht zur neoliberalen Binnenmarktordnung verkommen, der sich alles unterzuordnen hat: Menschenwürde, Arbeitnehmerrechte oder auch bürgerliche Freiheiten.

Wenn ein Europäischer Gerichtshof die Binnenmarktordnung über die Menschenrechte setzt, wenn er Arbeitnehmer-Schutzrechte dem Freihandel unterordnet, dann sind wir auf einer sehr schiefen Ebene.

Wir, die Gewerkschaften, werden alles tun, dass diese schiefe Ebene ganz schnell wieder verlassen wird. Europa wird sozial sein, oder es hat keine Zukunft. Die Menschen akzeptieren ein unsoziales Europa nicht.

Auch mit Blick auf die Europa-Wahl im nächsten Jahr sage ich allen demokratischen Parteien in Deutschland: Die Zeit für Europa-Lyrik ist vorbei.

Deutschland ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich mächtigste Land in Europa. Schon deshalb haben wir Einfluß. Und die Bundesregierung muss ihn endlich nutzen zum Wohle der Menschen, statt achselzuckend oder mit klammheimlicher Freude den Abbau von Arbeitnehmerrechten hinzunehmen oder zu betreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wir haben diesen 1. Mai unter das Motto der „guten Arbeit“ gestellt, um deutlich zu machen, welch zentralen Stellenwert Arbeit im Leben der Menschen hat.

Dabei geht es zu allererst darum, Arbeitslosigkeit zu überwinden. Wir werden uns auch mit 3,6 Millionen Arbeitslosen nicht abfinden.

Unser Ziel bleibt Vollbeschäftigung und deshalb erwarten wir von den Unternehmern unter anderem eine Investitionspolitik, die auf die Sicherung und Schaffung von Beschäftigung gerichtet ist.

Und wer als Politiker von Vollbeschäftigung redet, der muss auf den Feldern handeln, auf denen er tatsächlich handeln kann - von den öffentlichen Investitionen,

(7)

über die Förderung von Bildung und Weiterbildung bis hin zur Regulierung von Energiepreisen.

Und wer von Vollbeschäftigung redet, der darf beim Thema Ausbildung die rund 300.000 Altbewerber nicht links liegen lassen, die sich seit mehreren Jahren vergeblich um einen Ausbildungsplatz bemühen.

Ihnen hilft kein Ausbildungspakt, ihnen wäre geholfen, wenn wir endlich eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage hätten. Denn es bleibt wahr: Wer nicht ausbildet, soll zahlen - und da immer weniger ausbilden, müssten immer mehr zahlen.

Ohne Ausbildung haben diese jungen Menschen keine echte Chance auf Arbeit - schon gar nicht auf gute Arbeit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Arbeitslosen drastisch gesunken und das ist gut so. Aber der Aufbau von Beschäftigung hat nicht überall zur Schaffung von sicheren, dauerhaften Arbeitsplätzen geführt.

Vielmehr ist die Zahl der Leiharbeitnehmer drastisch gestiegen. Auf diesem Umweg ist vieles für die Unternehmer möglich geworden: Heuern und Feuern, miese Bezahlung, Spaltung der Belegschaften.

Es ist niemandem zu erklären, warum der Bandarbeiter in der Automobilfabrik auf der einen Seite des Bandes 15 Euro Stundenlohn bekommt und der auf der anderen Seite nur die Hälfte.

Es ist ungerecht, wenn die Krankenschwester als Leiharbeiterin niemals das Gehalt erreichen wird, das ihre fest angestellte Kollegin völlig zurecht erhält.

Es ist eine ganz klare Strategie der Unternehmen, Leiharbeit einzusetzen, um gute Arbeit weitgehend zu unterlaufen. In vielen Fällen zielt der Einsatz von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern auf das Drücken von Löhnen, auf die Tunnelung von Tarifen, auf die Aushöhlung von Mitbestimmung.

Und weil wir für gute Arbeit kämpfen, haben wir etwas gegen die Spaltung der Beschäftigten in Rand- und Kern-Belegschaften.

Sicher, für einzelne Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kann Zeitarbeit sinnvoll sein. Sicher, für das Abfangen von Produktionsspitzen kann Zeitarbeit sinnvoll sein.

(8)

Massenphänomen und zum zentralen Instrument von Lohn- und Sozialdumping wird. Deshalb fordern wir: Gleicher Lohn und gleicher Schutz für gleiche Arbeit.

Denn: Gute Arbeit ist sichere Arbeit, ist gut bezahlte Arbeit.

Arbeit, die Sinn stiftet und in der man sich entfalten kann.

Arbeit, die nicht krank macht.

Arbeit, in der man nicht behandelt wird wie ein Mensch zweiter Klasse.

Kurz: Gute Arbeit ist menschenwürdige Arbeit.

Dafür streiten und arbeiten die Gewerkschaften, die Betriebsräte, Personalräte und Vertrauensleute Tag ein, Tag aus. Dafür engagieren sich Menschen in Gewerkschaften. Dafür müssen wir im Notfall auch kämpfen.

Und dass wir erfolgreich sein können, beweisen wir in diesen Tagen immer wieder auf‘s Neue. Von der Stahlindustrie bis zur Chemie, vom öffentlichen Dienst bis zur Post zeigen wir, was wir können. Und dass wir uns durchsetzen können am Verhandlungstisch - und wenn nötig auch mit Arbeitskampf.

Gute Arbeit ist übrigens auch die Voraussetzung für ein gutes Leben im Alter. Es ist gut, dass die meisten Rentner heute ein einigermaßen auskömmliches Alterseinkommen haben, obwohl auch sie seit Jahren reale Einkommensverluste verkraften müssen.

Aber: Die diversen Rentenreformen seit Ende der 70er Jahre, die Rente mit 67, langanhaltende Zeiten von Arbeitslosigkeit, Armutslöhne und unbezahlte Praktika und natürlich auch die demographische Entwicklung in Verbindung mit der Absenkung des allgemeinen Rentenniveaus werden dazu führen, dass schon in wenigen Jahren Millionen Rentner auf zusätzliche Sozialhilfe angewiesen sein werden.

Wer heute als Arbeitsloser ein Jahr lang Hartz IV bezieht, bekommt dafür später 2,19 Euro Rente im Monat. Wer heute nach dem Studium für ein halbes Jahr bei der Werbeagentur umsonst schuftet, bekommt dafür später überhaupt keine Rente.

Und wer mit 5 Euro Stundenlohn nach Hause geht, kann heute davon nicht leben und später davon nicht in Würde alt werden.

Deswegen widert es mich an, wenn heute die Boulevard-Presse, gut verdienende Manager, ahnungslose Jungpolitiker und blasierte Professoren so tun, als ob das drohende Schicksal der Altersarmut von Millionen eine freie Erfindung der Gewerkschaften wäre.

(9)

Es widert mich an, dass kaum ein Abend ohne eine Talk-Show vergeht, in der nicht ein vermeindlicher Konflikt zwischen jung und alt herbei geredet wird. Den Menschen soll offensichtlich eingeredet werden, die wahre Trennlinie in unserem Land verlaufe zwischen jung und alt.

Da verläuft sie aber nicht - sie verläuft zwischen arm und reich.

Die Schere zwischen arm und reicht wird immer größer.

Wenn die Managergehälter nach oben ganz offensichtlich keine Grenze finden, die Niedriglöhne aber im freien Fall sind, wenn die Zahl der ganz Reichen etwas wächst, die Zahl der ganz Armen aber dramatisch steigt, und es immer weniger einigermaßen gut gestellte Normalverdiener gibt, dann ist das ein Alarmsignal, das wir nicht länger übersehen dürfen.

Dort, wo wir handeln können mit tarifpolitischen Mitteln, dort handeln wir. Aber wir sind nicht allein gefordert. Wenn die Manager-Kaste nicht von sich aus begreift, dass es keinen Menschen gibt, dessen Arbeit hundert Mal mehr wert ist als die des anderen, dann muss der Gesetzgeber handeln.

Und zwar dort, wo er tatsächlich handeln kann. Er muss mit einer Reichen-Steuer dafür sorgen, dass sich die Bestverdiener in diesem Land wenigstens ein bisschen an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen.

Und er muss dafür sorgen, dass mit der unseligen Spekuliererei an den Finanzmärkten Schluß gemacht wird!

Die Eliten, die heute wie selbstverständlich das zigfache eines normalen Arbeitnehmers für sich als Einkommen reklamieren, sind es doch, die mit ihren unverantwortlichen und undurchsichtigen Finanzgeschäften die Weltwirtschaft in eine ungeheure Krise gestürzt haben.

Eine Krise, von der wir noch nicht wissen, wie tiefgreifend sie auch unsere Volkswirtschaft erschüttern wird. Wir werden nicht Ruhe geben, bis von der deutschen Politik und der internationalen Staatengemeinschaft wirksame Regulierungen gegen das Treiben der Finanzspekulaten durchgesetzt worden sind.

Von Transparenzregeln bis zum Verbot von spekulativen Unternehmenskäufen.

Man darf über Kasino-, Raubtier- oder KarawanenKapitalismus nicht nur schwadronieren, man muss etwas gegen das unselige Treiben von Hedgefonds, Investement-Banken, Rating-Agenturen, gierigen Anlegern und unfähigen Managern in öffentlichen und privaten Banken etwas tun.

(10)

von diesen Damen und Herren als wenig lohnend abgewertet werden und dieselben Leute dann, wenn sie die Krise produziert haben, nach dem Staat rufen.

Wenn in Großbritannien, dem internationalen Zentrum der Geldwäsche, eine Großbank verstaatlicht wird, um das britische Finanzsystem zu retten,

wenn in den USA, dem Zentrum des Kapitalismus, der Staat als weißer Ritter für eine marode Immobilien- und Finanzbranche einspringen muss,

und wenn in Deutschland führende Bankiers ein aktives Eingreifen des Staates fordern, um Banken vor der Pleite zu bewahren, in die sie sich ganz allein hineinmanövriert haben, dann ist dies nichts anderes als die ganz alte Platte von der Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich wage eine Prognose: Wenn die Krise einmal vorbei ist, dann werden dieselben Damen und Herren wieder den Staat schlecht reden,

dann werden sie noch lauter nach Steuersenkungen rufen,

dann werden sie den Staat auffordern, sich aus der Wirtschaft heraus zu halten, dann werden sie weitere Privatisierungen fordern und Subventionen einstreichen, um sich anschließend trotzdem aus dem Staub zu machen und Zehntausende von Menschen in Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit zu stürzen.

Wir vergessen weder den Fall IBM in Mainz, noch AEG in Nürnberg, Samsung in Berlin oder Nokia in Bochum. Und deswegen sage ich: Ja, in der konkreten Krise werden sich auch die Gewerkschaften weder konkreten staatlichen Hilfen noch tariflichen Sonderregelungen versagen.

Aber wir wollen auch politische Folgen sehen: Bessere Aufsichtsmöglichkeiten, härterer Zugriff der Regulierungsbehörden und nicht zuletzt mehr Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen.

Kolleginnen und Kollegen,

gute Arbeit muss drin sein. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft sind wir davon noch weit entfernt. Doch in zahlreichen Unternehmen und Betrieben haben wir gute Arbeit durchsetzen können. Das macht uns zuversichtlich:

Die Gewerkschaften sind und bleiben das Stärkste, was die Schwachen haben.

75 Jahre nach der Zerschlagung der Gewerkschaften können wir mit Stolz feststellen: Niemand kann uns dauerhaft zerstören, die Idee der freien Gewerkschaften ist allemal stärker als das Joch von Unterdrückung und Tyrannei.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

im Rahmen von Ermächtigungen am Ärztlichen Bereit- schaftsdienst teilnehmen möchten, sind zum Zwecke der Qualitätssicherung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes zur Teilnahme

Die Mitglieder des PDCI hatten viele Vorschläge für konkretes Regierungshandeln: (i) Instrumente für eine Risikominimierung bereitstel- len, (ii) stabile

Dabei sind die rund 2,3 Millionen Beschäftigten, für die die Gewerkschaften – allen voran ver.di – jetzt eine gerechte Entlohnung erkämpfen wollen, nach wie vor im

Klimaschutzprogramm 2030: Ein Preis allein reicht nicht.. „Wir leben heute nicht nachhaltig“, mit diesen Worten stellte Kanzlerin Merkel das Klimaschutzprogramm 2030 (KSP)

Und wer nicht gerade mit einem silbernen Löffel im Mund geboren wird und wo Vater oder Mutter aus der Türkei, Italien, Griechenland oder woher auch immer zugewandert sind, der

Wir streiten für Arbeit, die nicht krank macht Für glei- ches Geld für gleiche Arbeit Und nicht zuletzt für mehr Mitbestimmung bei der Arbeit Gute Löhne – müssen drin sein...

So sehr die Gewerkschaften und der DGB für bessere Bedingungen in Deutschland kämpfen, für mehr Respekt, für soziale Gerechtigkeit und für gute Arbeit, so

Wir brauchen gleichen Lohn für gleiche Arbeit und Mindestlöhne, damit nicht weiter Millionen Menschen arm trotz Arbeit sind.. Die Gewerkschaften kämpfen in den Tarifrunden dafür, dass