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Gute Arbeit muss drin sein!

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Academic year: 2022

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Ingrid Sehrbrock

Rede

stellvertretende DGB-Vorsitzende

Gute Arbeit muss drin sein!

Rede zum 1. Mai in Krefeld

BITTE BEACHTEN SIE:

SENDESPERRFRIST: 1. Mai 2008, Redebeginn

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wo Berti Vogts heute ist, weiß ich nicht.

Aber sein stehender Satz: wir müssen in der Spitze breit sein, der gilt auch für die Gewerkschaften.

Wir müssen wieder in die Offensive und dazu brauchen wir viele. So haben wir es übrigens im letzten Jahr im Europäischen Gewerkschaftsbund in Spanien beschlossen. 82 Mitgliedsverbände aus 36 Ländern, die 60 Mio.

Gewerkschaftsmitglieder vertreten.

Gewerkschaften und Arbeitnehmer in die Offensive. Das ist die Botschaft nicht nur für Deutschland sondern für Europa.

Die Konjunktur in Europa und bei uns läuft erstmals seit Jahren besser: die Wachstumsraten steigen, der Export läuft auf Hochtouren, die Auftragslage besonders im Maschinenbau ist optimal, auch in der Stahlproduktion gibt es Zuwächse. Hoffnung keimt auf.

Es gibt wieder Tariferhöhungen: im öffentlichen Dienst, in der Chemie, die Metall- und Elektroindustrie schließt gut ab.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer atmen etwas durch. Wie lange es hält, weiß niemand. Gerade erwischt die Finanzkrise auch die „normalen“ Banken, die bisher meinten, sie würden mit einem blauen Auge davonkommen.

Noch ist die Stimmung halbwegs positiv. Und die Langfristprognosen auch.

Das war dringend nötig.

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denn,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

unsere Gesellschaft hat sich massiv verändert. Die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter aufgegangen. Die Zahl der Menschen, die in Armut leben muss, wächst. Die Superreichen sind nicht nur mehr, sondern auch noch reicher geworden.

Die Steuereinnahmen sind so positiv wie schon lange nicht mehr. Die Neuverschuldung der öffentlichen Hände konnte abgebaut werden. Renten- und Arbeitslosenkassen wurden gut gefüllt. Die Arbeitslosigkeit sank.

Arbeitsplätze wurden geschaffen, wenn auch nicht ausreichend unbefristete, sozialversicherungspflichtige Jobs, die wir dringend brauchen.

Anfang des letzten Jahres stand Deutschland plötzlich außerordentlich positiv da. Nur noch Lob über die Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

Deutschland an der Spitze der erfolgreichen Wirtschaftsnationen, neben Amerika, China und Indien. Das hatten wir zwar schon einige Male von ausländischen Experten gehört. Nur geglaubt hatte es eigentlich niemand so recht.

Plötzlich war alles ganz anders: Der Tenor der Wirtschaftskommentare war wie ausgewechselt.

Lebenssituation junger Leute alles andere als rosig 1. Bildung – Ausbildung

Allerdings, machen wir uns nichts vor, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, gerade auch für junge Menschen ist die Lage längst nicht so rosig. Noch für meine Generation war es so, dass die Lebensbedingungen immer besser wurden.

Der Einstieg in die Erwerbsarbeit ist heute ungleich schwerer.

Ein Ausbildungsplatz löst heute oft Freudenfeiern in Familien aus, wenn es endlich geschafft ist. Viele Jugendliche drehen Warteschleifen in Maßnahmen und Ausbildungszentren.

Wer hätte vor Jahren gewusst, was Altbewerber sind? Ein junger Mann vor den Toren Berlins hat nach fast 200 Bewerbungen einen Ausbildungsplatz bekommen. Ein sensibler und erfahrender Geschäftsführer eines Autohauses gab ihm eine Chance. Jetzt ist er der beste in seinem Jahrgang. Und das, obwohl er schon geglaubt hatte, irgendwas stimme mit ihm nicht.

2. Praktika

Wer hätte gedacht, dass das Praktikumsunwesen um sich greift? Keine Frage, Praktika können sehr nützliche Stationen sein, auch für junge

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Menschen mit Studienabschluss. Aber der systematische Einsatz gut ausgebildeter junger Menschen, bei schlechter Bezahlung oder ganz ohne Bezahlung ist ein Rückschritt. In manchen Firmen arbeitet die ausscheidende Praktikantin die nächste ein. Wenn reguläre Arbeit unentgeltlich geleistet werden muss, dann ist das nicht unser Modell.

Das ist oft genug schlichte Ausbeutung unerfahrener junger Leute. Eltern sehen sich genötigt, weiter Unterhalt für ihre Kinder zu bezahlen. Umzüge, Zweitwohnungen und anderes müssen ja irgendwie finanziert werden.

Für Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, ist ein riesiges Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildungsbetrieben entstanden:

aus schulischen Angeboten, aus Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, aus Einstiegsqualifikationen, Berufsgrundbildungsjahren und Trainingsmaßnahmen unterschiedlicher Art. Mehr als 300.000 Jugendliche gelten inzwischen als Altbewerber, die sich schon vor zwei, drei oder mehr Jahren beworben haben. Und machen wir uns nichts vor, je älter sie werden, umso schlechter sind sie vermittelbar.

Gerade die großen Betriebe haben sich ausgeklinkt. Die DAX-Unternehmen haben auch bei den Ausbildungsplätzen gekniffen. Ihre Ausbildungsquoten liegen im Durchschnitt bei 5,8 Prozent, von 8,4 Prozent bei Metro bis zu 2 Prozent bei Adidas (Mai 2006), weil systematisch die Ausbildungskapazitäten abgebaut wurden.

Der DGB hat sich für 50.000 Ausbildungsplätze stark gemacht, die die Bundesagentur für Arbeit übergangsweise und zeitlich befristet in außerbetrieblichen Einrichtungen finanziert. 27.000 sind bewilligt. Aber das darf nicht die Regel werden. Die Betriebe sind und bleiben verantwortlich.

Die Bundesregierung hat sich jetzt u. a. für Altbewerber auf ein Bonussystem für Betriebe verständigt, die mehr ausbilden, als in den vergangenen drei Jahren. Das ist sicherlich nur die zweitbeste Lösung. Aber die Parlamentarier nehmen offenbar unsere Anregung auf und legen eng gefasste Kriterien an.

Denn wir wollen keine Mitnahmeeffekte und keine Belohnung der Betriebe, die bisher Ausbildung auf Sparflamme fuhren, aber jetzt das Geld in die Tasche stecken wollen.

Da sind wir uns sogar mit den Arbeitgebern einig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

niemand hat mir allerdings bisher erklären können, was eigentlich dagegen spricht, Ausbildungsplätze solidarisch von allen Betrieben zu finanzieren.

Denjenigen, die ausbilden, soll ein Teil ihrer Ausbildungskosten erstattet werden. Wo liegt das Problem?

Wir halten auch Branchenlösungen für gut. So wie sie seit 30 Jahren im Baubereich bestehen und funktionieren ohne die Branchen zu ruinieren.

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3. Jugend und Familie

Jungen Menschen ist heute Familie wieder wichtig. Das ist schon erstaunlich, galt doch zu meiner Zeit Familie als Repressionsinstanz. Was das ist, wissen die 68-er noch gut, aber heute kaum mehr einer. Im Klartext hieß das, in der Familie wird man unterdrückt. Das hat sich ziemlich verändert. Zum einen ist

„Hotel Mama“ sehr attraktiv, kostengünstig, bequem. Eltern werden nicht mehr so kritisch gesehen wie in meiner Jugendzeit.

Zum andern ist es hoch im Kurs, eine eigene Familie zu gründen. Die Rollenbilder ändern sich gerade. Der Ansturm der Männer auf das Elterngeld ist erstaunlich groß. Erwerbsarbeit und Familie ist für viele das Ziel. Und die Politik unterstützt Familie derzeit mutig und nachhaltig: mit Elterngeld und massiver Förderung der Kinderbetreuung.

Klar, dass noch nicht alles rund läuft. Und es ist erst der Anfang. Es sind die berühmten ersten Schritte, aber ich finde, sie gehen in die richtige Richtung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Jahr 2007 hat der DGB den Index „Gute Arbeit“ eingeführt. Was macht eigentlich gute Arbeit aus? Das wollen wir Gewerkschaften wissen. Wir haben 15 Fragen gestellt: gute Bezahlung, Weiterbildung, gutes Betriebsklima, Anerkennung, Entscheidungsfreiheit, Kollegialität, sicherer Arbeitsplatz?

Wir fragen bundesweit repräsentativ was die Menschen sich wünschen und vergleichen es mit der Realität.

Und niemand wird sich wundern, dass zwischen Wünschen und Wirklichkeit erhebliche Lücken klaffen.

Vor 30 Jahren erzählte mir meine Cousine, sie zögen jetzt nach Bayern. Ihr Mann habe dort eine gute Arbeit gefunden. Wer redet heute noch von guter Arbeit?

Die erwachsenen Kinder unserer Freunde haben sich lange nach ihrer Ausbildung mit Praktika, Werkverträgen oder befristeten Jobs herumgeschlagen. Bernhard hat jetzt Arbeit, sagte mir seine Mutter. Von guter Arbeit war nicht die Rede - Hauptsache ein Job.

So wandeln sich die Zeiten.

Jetzt ist das Thema wieder auf der Tagesordnung. Es war höchste Zeit.

Denn es kann nicht um Arbeit gehen um jeden Preis. Wir sagen: Gute Arbeit muss drin sein.

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Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben heute nicht nur Menschen ohne Ausbildung. Längst greift die Sorge um den Job bis weit hinein in die Mittelschichten. Arbeitslos zu werden kann jeden treffen. Die beste Leistung, Weiterbildung, hohes Engagement reichen oft nicht aus.

Wenn ganze Betriebe geschlossen und ins östliche Europa verlagert werden, trifft es alle.

Dazu kommt, dass die Arbeitsbelastungen seit Jahren steigen. Wer redet noch von der 38,5 Stunden-Woche? Die Menschen, die am Band arbeiten vielleicht. Aber die sind durch ausgeklügelte Schichtsysteme belastet.

Andere klotzen permanent Überstunden. Denn die reguläre Arbeitszeit spielt kaum eine Rolle. Entscheidend ist, dass die Arbeit rechtzeitig abgeliefert wird. Der Druck wächst. Alles soll immer noch schneller gehen.

Über lange Jahre waren die Fragen rund um gute Arbeit aus den politischen Debatten verschwunden. Man hatte vermeindlich andere Sorgen. Aber Gewerkschaften und DGB haben das Thema „Gute Arbeit“ wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Denn es ist eine Tatsache: die Arbeitsbedingungen sind um einiges härter geworden. Ein Diplomingenieur, der die Entwicklung der vergangenen Jahre beschrieb, beschrieb es mir gegenüber so: Heute müssen wir in kürzerer Zeit und mit weniger Geld und weniger Mitarbeitern bessere Leistungen erbringen.

„Aber ist das nicht einfach das, was man Rationalisierung nennt?“ fragte eine Wirtschaftsjournalistin neulich. Ja, das stimmt.

Aber kann man unbegrenzt rationalisieren? Kann man immer noch mehr auf den oder die Einzelne packen?

Kann man immer noch mehr Verantwortung erwarten, Schichten, die noch stärker belasten, längere Arbeitszeiten - ohne zu berücksichtigen, was Menschen verkraften?

Ich denke, es ist an der Zeit, genau diese Fragen zu stellen. Mit dem Index

„Gute Arbeit“ haben wir ein Instrument, das zeigt, welche Erwartungen Menschen an ihre Arbeitsbedingungen haben und was davon im Betrieb oder in der Branche an „guter Arbeit“ Wirklichkeit ist.

Denn: es kann nicht genügen Arbeit zu haben. Gute Arbeit muss drin sein.

Wir wollten uns auch nicht einfach damit zufrieden geben, dass Führungskräfte regelmäßig befragt werden, was sie von der wirtschaftlichen Entwicklung halten. Wir wollen eine Bewertung der Arbeit durch Beschäftigte.

Wir wollen öffentlich machen wie es in den Betrieben tatsächlich aussieht.

Und wer, wenn nicht die Gewerkschaften kann das tun?

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn man heute in die Medien schaut und die Themen auflistet, um die es da geht, fällt auf. Es sind sehr viel stärker „unsere“ gewerkschaftlichen Fragen, die auf der Tagesordnung stehen: Sicherung der Tarifautonomie, Einführung von Mindestlöhnen, Beseitigung von Ungerechtigkeit, Investitionen in Bildung und Qualifizierung, Integration von Minderheiten, Alterssicherung für Geringverdiener.

Selbst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf Seite drei finden sich Themen, die vor Jahren dort noch nicht denkbar gewesen wären.

Es geht um Menschen, die arm sind trotz Arbeit, Es geht um Leiharbeiter und Stammbelegschaften Es geht um Tarifpluralität und Tarifeinheit.

Die Indienreise der Kanzlerin wird mit mehreren Berichten über die extreme Armut begleitet;

Die Soziale Marktwirtschaft wird als Exportmodell diskutiert;

Regeln für die internationalen Finanzmärkte sind kein Tabu mehr;

das Pendel, das jahrelang zum Neoliberalismus ausgeschlagen hatte, schlägt wieder langsam zurück.

Ich denke, es war höchste Zeit für eine Umkehr. Auch wenn es noch kein stabiler Trend ist.

Soziale Sicherung 1. Rente/Altersarmut

Noch ist es ein Randphänomen. Und von der jetzigen Generation der Alten kann man sagen, sie sind kaum betroffen. Aber es deutet sich an: die Altersarmut kehrt zurück.

Jürgen Rüttgers hat ausgesprochen, was viele denken und die Fachleute wissen. Erwerbsbiografien sehen heute bunt aus: Zeitarbeit, Befristung, Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen und Praktika, Solo-Selbständigkeit werden immer mehr zur Normalität im Lebenslauf. Der so genannte Eckrentner mit seinen 45 Versicherungsjahren stirbt aus!

Das Normalarbeitsverhältnis wird aber weiterhin vorausgesetzt, um aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente zu erhalten, die wenigstens ansatzweise dem ehemaligen Verdienst entspricht. Michael Sommer hat es kürzlich vorgerechnet. aus jedem Jahr Hartz IV Bezug gibt es eine Monatsrente von 2.19 .

Der Staat zieht sich aus seiner Verantwortung in der Altersvorsorge immer mehr zurück. Wie lange wollen wir uns um die Probleme herumdrücken?

Diejenigen, die schon aus der gesetzlichen Rentenversicherung wenig zu erwarten haben sind auch diejenigen, die privat nicht vorsorgen können.

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Es ist doch ein Irrwitz, dass diejenigen, die die Rentenreformen mit einer Absenkung des Niveaus massiv betrieben haben, jetzt überrascht tun, dass Altersarmut droht. Kein Wunder bei den Rentenbiografien, nicht nur im Osten: ABM, Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne.

Es gibt noch andere Einschnitte bei der Rente. Schul- und Studienzeiten werden auf die Rente nicht mehr angerechnet.

Die Folge: Viele werden mit ihren Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und ihrer Riesterrente noch nicht einmal das Niveau der Grundsicherung erreichen.

Wir sagen: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr Leben lang gearbeitet haben, müssen sich darauf verlassen können, dass sie eine gesetzliche Rente bekommen, von der sie leben können.

So wie die Schere bei den Gehältern immer weiter auseinander geht, wird sie auch bei den Alterseinkünften immer stärker auseinanderklaffen.

2. Reallohnentwicklung

In den vergangenen Monaten haben uns Managergehälter und hohe Abfindungen erfolgloser Vorstände reichlich beschäftigt.

Das Thema ist nicht neu, aber die Politik hat sich endlich damit beschäftigt.

Dies offenbar auch vor dem Hintergrund, dass nach einer jüngeren Allensbachumfrage mehr als 80 Prozent der Bevölkerung der Auffassung sind, dass es in diesem Land nicht gerecht zugeht.

Angela Merkel hat beim Arbeitgebertag im Dezember 2007 - unter dem Raunen der Teilnehmer - den Anwesenden geraten, die Sache nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Wenn der Unmut in der Bevölkerung wächst, könne dies auch der Politik nicht gleich sein.

Die Managergehälter sind explodiert. Alle haben begriffen, dass sie in dieser Höhe nicht Ausdruck besonderer Leistung sein können. Wer erbringt schon 500mal so viel Leistung wie ein Durchschnittsverdiener, oder hat 500mal so viel Verantwortung? Das sind doch die Maßstäbe, an denen gemessen werden muss, Und da ist schon seit langem etwas faul. Die USA können, wie in vielen anderen Feldern, nicht der Maßstab sein.

Ich begrüße es deshalb, dass mein Kollege Dietmar Hexel an einer Empfehlung für Aufsichtsräte arbeitet. Modelle für vernünftige leistungsorientierte Vergütungssysteme müssen auf den Tisch des Aufsichtsrats. Alle Bestandteile der Vergütung, Pensionszusagen, Abfindungen, Aktienoptionen müssen transparent sein. Das hat nichts mit Neid zu tun, aber viel mit Fairness und Anstand.

Vor wenigen Tagen hat die SPD ein Konzept auf den Tisch gelegt, das die steuerliche Absetzbarkeit von Abfindungen einschränkt.

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Niemand wird glauben, dass man Vorstandsgehälter gesetzlich regeln kann.

Das ist wahr. Und es stimmt auch, dass die Aufsichtsräte die Vorstandsvergütungen beschließen.

Und das heißt: Arbeitnehmervertreter müssen sich auf der anderen Bank Mitstreiter suchen. Hier sind wir als Gewerkschafter besonders gefordert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

es hat sich herumgesprochen, dass es vielen Unternehmen gar nicht so schlecht geht. Die inflationsbereinigten Bruttolöhne sind seit Mitte der 90er Jahre nicht mehr gestiegen, in einigen Jahren sogar gesunken.

Niedrig- und Niedrigstlöhne stellen zunehmend ein gesellschaftliches Problem dar. Oft wird dann behauptet, diejenigen, die so geringe Löhne beziehen, wären unqualifiziert.

Das stimmt nicht. 70 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Niedriglohnbereich verfügen über eine ordentliche Qualifizierung! Und ich habe gerade ganz bewusst „Arbeitnehmerinnen“ gesagt: denn 75 Prozent der Niedriglöhner sind Frauen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Gewerkschaften haben es sich nicht leicht gemacht mit den Mindestlöhnen. Als ich 2000 zum DGB kam, waren wir noch weit entfernt von einer entsprechenden Forderung. 2002 auf dem DGB-Kongress konnten wir uns nicht einigen und haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt.

Eine Verabredung gelang uns erst 2006 und bestand aus drei Punkten:

Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, Ausweitung des Entsendegesetzes auf weitere Branchen und gesetzliche Mindestlöhne, wo dies nicht gelingt. Ich weiß, dass die IGBCE hier eine eigene Position vertritt.

Natürlich wäre es besser, wenn wir alles tariflich regeln könnten. Aber immer weniger Menschen sind gewerkschaftlich gebunden, immer weniger Unternehmen sind Mitglied von Arbeitgeberverbänden. Wenn wir wollen, dass Löhne nicht ins Bodenlose fallen, dann bleibt nichts Anderes, als Mindestlöhne auf die eine oder andere Weise festzulegen. Ein Geschäftsmodell, das nur funktioniert, wenn Dumpinglöhne bezahlt werden, siehe PIN-Group - hat in diesem Land nichts verloren.

Was die Große Koalition jetzt vereinbart hat, ist zwar nicht haargenau das, was wir wollten. Aber das Entsendegesetz wird ausgeweitet. Und das Gesetz über die Mindestarbeitsbedingungen soll für die Branchen angewendet werden, für die es keine tariflichen Löhne gibt.

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Die CDU/CSU war zunächst überhaupt nicht bereit, sich auf eine dieser drei Lösungen einzulassen. Hier hat die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Politik so funktioniert, wie ich mir das wünsche:

ernsthafter Informationsaustausch und Argumentationshilfe. Ich kann nur hoffen, dass das auch in anderen Bereichen, die für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wichtig sind, so funktioniert.

Zukunft der Gewerkschaften 1. Mitgliederentwicklung

Gerade sind aktuelle Zahlen über die Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften auf den Tisch gekommen. Gute Nachrichten, wenn auch noch nicht zufrieden stellend. Der Mitgliederrückgang ist eindeutig gebremst.

Das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen können. Aber eines ist klar. Noch vor Jahren sagte die Mehrheit der Bevölkerung – von Allensbach befragt – der Einfluss der Gewerkschaften müsse zurückgedrängt werden.

Heute zeichnen Umfragen ein ganz anderes Bild. Die Befragten sind mehrheitlich der Auffassung, der Einfluss der Gewerkschaften gehe massiv zurück. Das aber sehen sie mit großer Sorge.

Junge Leute sehen übrigens die Gewerkschaften viel positiver als die ältere Generation, auch ihre Einflussmöglichkeiten. 30 Prozent der Neumitglieder sind junge Leute.

2. Jugendprojekte

Ich denke, mit unseren Jugendprojekten liegen wir da genau richtig:

Dr. Azubi als Beratungswebsite mit individueller Hilfe für Auszubildende hat sich bewährt. Mir stehen die Haare zu Berge, wenn ich lese, mit welchen Problemen junge Azubis konfrontiert sind: zu viele Überstunden, keine vernünftige Anleitung, kein Ausbilder in Sicht, alleinige Verantwortung für einen ganzen Laden, vergessene Anmeldung bei der Krankenversicherung, Sorge, die Prüfung nicht zu bestehen. „Hilfe, ihr müsst mir helfen, ich weiß nicht mehr weiter“, steht da fast täglich. Und wir beraten innerhalb von 48 Stunden.

Mit unserem Projekt „students at work“ beraten wir Studenten, die nebenbei jobben – mehr als 60 Prozent tun das. Lohnfortzahlung bei Kündigung, Urlaubsansprüche, Krankenversicherung, Überstunden stehen ganz vorne auf der Beratungsliste.

Und mit den Berufsschultouren gehen wir in Klassen, um Auszubildende über gewerkschaftliche Themen und arbeitsrechtliche Fragen zu informieren.

Damit erreichen wir auch die Jugendlichen in Klein- und Mittelbetrieben, wo es oft weder Gewerkschaften noch Betriebsräte gibt. Auch hier sind die Rückmeldungen positiv.

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Ich denke, DGB und Gewerkschaften sind gut beraten, nah an den Problemen der Menschen zu sein. Tarifpolitik ist wichtig, auch die Mitbestimmung erweist sich immer wieder als besser als ihr Ruf.

Aber die konkreten Probleme sind mindestens genauso wichtig. Wer Hilfe erfährt, wenn er oder sie durch die Prüfung rasselt oder den Betrieb wechseln muss, weiß aus der Praxis, was Solidarität bedeutet. Und darauf kommt es gerade heute an: Wir können etwas tun gegen die Ellbogengesellschaft und gegen die Devise: Jeder ist sich selbst der Nächste.

Wenn uns Jugendliche nach einer Beratung schreiben: „Ihr macht einen guten Job, das wollte ich euch mal sagen“, ist das ein Lob, das uns bestärkt weiterzumachen. Übrigens werben wir so auch eine nicht unbeträchtliche Zahl von neuen Mitgliedern.

Die jungen Leute, die die Beratung schnell und kompetent machen, tun das mit großem persönlichem Engagement. Sie hören zwar jetzt nicht zu, aber - das kann man auch in Krefeld sagen - sie haben meine ganze Anerkennung.

Kolleginnen und Kollegen,

ich denke, es war an der Zeit, dass sich die Gewerkschaften wieder um diese Fragen kümmern. Die Qualität von Arbeit muss wieder auf die Tagesordnung. Wenn nur 12 Prozent der Beschäftigten in Deutschland gute Arbeit haben, 34 Prozent schlechte Arbeit und 54 Prozent mittelmäßige Arbeits- und Einkommensbedingungen (das war das Ergebnis der ersten Befragung 2007) dann besteht Handlungsbedarf.

Am meisten wünschen sich die Menschen übrigens - wen wundert das - Arbeitsplatzsicherheit, bessere Information und Respekt.

Der Index kann übrigens für einzelne Betriebe und für ganze Branchen angelegt werden. Wer es machen will, braucht allerdings etwas Geld. Aber es lohnt sich ohne Zweifel, sich Klarheit zu verschaffen – und für Abhilfe zu sorgen.

Ich bin sicher, dass wir hier ein großes Fass aufgemacht haben, aber da ist auch viel drin. Für die Beschäftigten, um die Zufriedenheit und die Motivation zu erhöhen, aber sicher auch, um die Innovationsfähigkeit und die Produktivität zu verbessern oder zu erhalten.

Globalisierung

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das alte Modell des „Rheinischen Kapitalismus“, die Soziale Marktwirtschaft wird heute wieder verteidigt. So schlecht sind wir damit nicht gefahren. Selbst diejenigen, die sie früher als Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse

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abgelehnt haben, setzen sich für sie ein. Er habe sich nicht vorstellen können, dass er sich einmal für die Soziale Marktwirtschaft stark machen müsse, sagte z. B. Jürgen Peters vor einiger Zeit. Damals tat er’s. Vehement.

Es waren es früher die Unternehmer, die die handelnden Akteure in den Betrieben waren,. Viele sind nach Fusionen oder Börsengängen durch Manager ersetzt worden.

Aber wer nicht mit seinem privaten Kapital haftet, übernimmt auch nur begrenzt Verantwortung für das, was sich aus seinen Entscheidungen ergibt.

Wer einen Teil seines Entgelts in Aktienoptionen erhält, dem ist ein hoher Aktienkurs wichtig.

Mit Nikon in Bochum haben wir gerade wieder ein Beispiel für eine weitere Lebenslüge der Politik. Subventionen schaffen und erhalten Arbeitsplätze.

Mitnichten. 90 Mio. Euro sind an öffentlichen Geldern in das Unternehmen geflossen und so wie die Schamfrist der Bindung abgelaufen ist, suchen die Betriebe das Weite. Samsung in Berlin ist ein vergleichbares Beispiel.

Länder und Kommunen stellen günstig Grundstücke und Infrastruktur zur Verfügung, verzichten auf Gewerbesteuer, stellen Forschungsgelder zur Verfügung, siedeln Fachhochschulen in der Nähe an, Europa legt noch einiges oben drauf – und doch hilft es nichts.

Die Politik muss hier ernsthaft Einhalt gebieten. Die vagen Ankündigungen aus Brüssel höre ich wohl – allein mir fehlt der Glaube. Regierungen in Europa dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, das ist das Mindeste, was man erwarten kann.

Kolleginnen und Kollegen,

der Chor der Kritiker eines ungezügelten Kapitalismus wird vielstimmiger und lauter. Globalisierung hat in den letzten beiden Jahrzehnten zwar Fortschritte für die Schwellenländer gebracht, für Brasilien, Chile, China, Indien und Mexiko. Aber viel zu viele Menschen werden in der Welt zurückgelassen.

Ihre angeblichen Kostenvorteile durch niedrige Löhne erweisen sich bei näherem Hinsehen auch dort als Hungerlöhne.

Adidas ist dafür nur ein Beispiel. Nur 0,4 Prozent der Produktionskosten landen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Schuhe für diese Firma herstellen. Deren Löhne sind weit entfernt von Existenz sichernden Einkommen, oft ohne jegliche soziale Absicherung. Keine Rentenversicherung, keine Krankenversicherung, keine Arbeitslosenversicherung, nichts dergleichen. Als Maßstab für entwickelte Industrieländer können sie nicht gelten, aber auch nicht als faire Löhne im Land selbst.

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Die Unterschiede zwischen den reichsten und den ärmsten Nationen sind so groß wie nie zuvor. Fast drei Milliarden Menschen versuchen mit weniger als zwei Dollar am Tag zu überleben. Sie brauchen bessere Chancen für die Zukunft.

So sehr die Gewerkschaften und der DGB für bessere Bedingungen in Deutschland kämpfen, für mehr Respekt, für soziale Gerechtigkeit und für gute Arbeit, so wenig dürfen wir vergessen, dass soziale Gerechtigkeit eine globale Herausforderung ist.

Juan Somavia, der Direktor der internationalen Arbeitsorganisation, hat mit dem Programm für „menschenwürdige Arbeit“ vor Jahren die richtigen Akzente gesetzt.

Und bei allem, was man an den G8 kritisieren kann. Ich finde, es war ein Erfolg für die deutsche Präsidentschaft, dass der Beschluss von Heiligendamm erstmals eine Verabredung enthält, dass die internationalen Organisationen, wie Weltbank und Welthandelsorganisation menschenwürdige Arbeit befördern und die wichtigen Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation beachten sollen.

Gerade die letzte Forderung haben Gewerkschaften seit vielen Jahren auf der Tagesordnung.

Wir müssen weltweit ein Interesse daran haben,

dass Menschen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und ein Einkommen erzielen, - von dem sie und ihre Familien leben können,

dass sie bei Krankheit durch ein finanzierbares Gesundheitswesen abgesichert sind,

dass sie im Alter über ein Einkommen verfügen, das den Lebensunterhalt garantiert,

dass sie für sich selbst und ihre Kinder eine vernünftige Aus- und Weiterbildung durchlaufen können.

Das sind die wesentlichen Punkte des Programms „menschenwürdige Arbeit.

Kolleginnen und Kollegen,

Menschen haben mehr verdient: Mehr Respekt. Soziale Gerechtigkeit. Gute Arbeit. Weltweit! Gute Arbeit muss drin sein.

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