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John Keegan: The face of battle. London: Cape 1976. 352 S.

Der Autor dieses Buches über die Schlachten von Agincourt (1415), Waterloo (1815) und an der Somme (1916) war sich sehr wohl der Tatsache bewußt, wie fragwürdig es selbst für den »rei- nen« Militärhistoriker sein muß, Schlachten - »Entscheidungsschlachten« wie es früher zu hei- ßen pflegte - zum Gegenstand seines Erkenntnisinteresses zu machen. In einer langen Einlei- tung (S. 15-78), die unser Interesse in besonderem Maße beanspruchen darf, legt sich Keegan Rechenschaft ab einmal über seine sehr persönlichen Motive für die Wahl des Themas, zum an- dern versucht er Defizite, aber auch Chancen und Möglichkeiten der Militärgeschichte zu erläu- tern.

Zum ersteren: es ist ein durchaus sympathieerweckender Zug, daß sich ein Lehrer an der Kgl.

Militärakademie von Sandhurst Gedanken darüber macht, welchen Stellenwert routinemäßig gelehrte Inhalte für junge Offiziere eigentlich in unserer Zeit noch haben können; sehr viel schwieriger zu beantworten, in der Beantwortung auch viel problematischer, sind seine Überle- gungen zur Methode und Zielsetzungen der modernen Militärgeschichte. Denn Keegan will nicht den Kontext sozialer, ökonomischer und politischer Entwicklungen in den Mittelpunkt auch der Militärgeschichtsschreibung stellen, d. h. militärische Auseinandersetzungen begrei- fen als einen Untersuchungsgegenstand, der nur aus diesem Kontext heraus wirklich erhellbar ist (ungeachtet der zugegebenermaßen wichtigen Untersuchung auch der Militärtechnik und ih- rer Wandlungen, auch der Feldzüge und Schlachten), sondern er insistiert darauf, daß Schlach- tengeschichte einen Primat in der Militärgeschichtsschreibung behalten müsse. Die Begründung für diese Ansicht ist freilich wenig überzeugend und läßt sich darauf reduzieren, daß Ge- schichtsschreibung in ihrer ältesten Form Geschichte von Schlachten gewesen sei. So angreifbar diese Argumentation ist, so wichtig sind die methodischen Überlegungen, die Keegan für die Untersuchung des Schlachtengeschehens entwickelt. Zum einen verlangt er zu Recht von der Militärgeschichtsschreibung eine genauere Auswertung des vorhandenen Quellenmaterials, eine Abkehr von einer eher stereotypen, häufig romantisierenden Darstellung gerade mittelal- terlicher und frühneuzeitlicher Schlachten, zum andern glaubt er, daß Schlachten nicht adäquat als Auseinandersetzungen zwischen Feldherren - oder höchstens noch höheren Offizieren - be- schrieben werden können, sondern daß endlich auch diejenigen, die die Last der militärischen Auseinandersetzungen zu tragen hatten, die Soldaten, ihr Leiden, ihre Anstrengungen, ihre Lei- stungen und ihr Versagen in den Mittelpunkt gerückt werden müssen.

Beide Zielsetzungen löst Keegan in seiner minutiösen Rekonstruktion des tatsächlichen Ge- schehens auf den Schlachtfeldern von Agincourt (S. 79-116), von Waterloo (S. 117-203) und an der Somme (S. 204-284) unter behutsamer Auswertung des Quellenmaterials weitgehend ein, wenngleich es frappierend für einen nichtbritischen Leser ist, daß ihn im Grunde nur die engli- sche bzw. britische Seite der Angelegenheit interessiert. Die Gegner, aber auch die Verbündeten (wie bei Waterloo und an der Somme), werden in die Darstellung nur eher zufällig, keineswegs systematisch einbezogen. Außerdem ist noch ein Einwand zu erheben; so verdienstvoll die sorgfältige Analyse der militärtechnischen Fragen (Waffen, Kampftechnik der verschiedenen Truppengattungen), der physikalischen Gegebenheiten des Schlachtfeldes und der sonst meist unterdrückten Probleme, was mit den Verwundeten geschah, ist, so begibt sich Keegan bei der Erörterung der psychischen Kondition der ah der Schlacht Beteiligten doch auf sehr wenig sicheren Grund und nimmt auch die methodischen Bedenken, die gegen die meist ex post ent- standenen Berichte zu erheben sind, zu wenig ernst und verfällt in eine Form psychologisieren- der Geschichtsschreibung, die nur wenig erkenntnisfördernd ist.

In einem abschließenden Kapitel (S. 285-336) diskutiert Keegan die Zukunft der Schlacht als Form militärischer Auseinandersetzung und kommt dabei mit gutem Grund zu dem Ergebnis, daß sie zumindest in ihrer traditionellen Form zukünftig nicht mehr möglich sein werde.

Peter-Christian Witt

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René Potier: Le génie militaire de Vercingétorix et le mythe Alise-Alésia. Clermont-Fer- rand: Volcans 1973. 367 S.

Das Buch soll einerseits Korrektur der bisher gängigen Lokalisation der letzten großen Schlacht zur Unterwerfung Galliens durch Caesar, des Kampfes um Alesia, sein, anderseits aber von hier ausgehend (bes. S. 8) das Bild von Caesars Gegner, Vercingetorix, zurechtrücken und ihn als ei- nen Meister der großen Strategie darstellen. Scheint ersteres eindringlich gelungen, für den zweiten Aspekt bleiben bzw. ergeben sich bei aller Würdigung des Taktikers, ja des Heerfüh- rers, Fragwürdigkeiten gerade aus dieser Lokalisation. Sie scheinen weniger in seiner Person zu liegen als vielmehr in den allgemeinen Umständen und in der Situation seines Auftretens - sie zwingen jedoch zu neuer Überprüfung dessen, was hinter dem rein Militärischen liegt und wohl auch dem, was unsere Quellen berichten. Vercingetorix selbst hat im Rahmen der in erster Linie topographischen Untersuchung lediglich Komponente zu sein. Um sein Bild als Ganzes deut- lich zu machen, müßte zwangsläufig weiter ausgeholt werden. Und es scheint, dies gelte auch für Caesar, für die römische Armee und alle anderen an diesem Ereignis beteiligten Kräfte.

Der Verfasser ist zu dem Ergebnis gekommen, bei dem Alesia von 52 v. Chr. könne es sich kei- neswegs um das seit den allzusehr forcierten Forschungen der Zeit Napoleons III. (S. 132) fast in allen einschlägigen Arbeiten postulierte Alise Sainte Reine in Burgund handeln (bes. S. 17), sondern nur um einen Platz näher den Allobrogern und dem Genfer See. Angeregt durch (frei- lich mehr indirekt geäußerte, S. 22) Zweifel Jullians, allerdings auch bereits eines Napoleon I., wendet er sich damit auch gegen neuere Forschungen und deren wichtigste Vertreter wie Carco- pino, Rambaud1, Thevenot und besonders Harmand (s. dazu das Lit. Verz. S. 9 ff.). Die Ergeb- nisse Potiers gelangten offensichtlich erst nach bestätigenden Erwägungen A. Berthiers zur Ausarbeitung.

Nach Potier und Berthier kommt für Alesia nur das Bergmassiv Le Cornu südlich Champagnole am Zusammenfluß von Saône und Lemme an der Straßenverbindung von Längres und Genfer See in Frage (Karte S. 208), ein schon deshalb für die Fortführung des begonnenen Krieges stra- tegisch wichtigerer als der burgundische Ort, dessen fragwürdige Lage zuletzt Harmand noch zu Zweifeln an den Angaben der Überlieferung zwang, und ihn an der alten These festhalten ließ. Den Verfasser hingegen veranlaß ten neben Dio Cass. 40,39 und Plut. Caes. 26 (bes. S. 230) besonders Untersuchungen zur Sprache Caesars zur Lokalisation von Alesia im Sequanerge- biet2. Anderes kommt hinzu. Zwar wird die Frage nach der Glaubwürdigkeit Caesars bezüglich seiner Zahlen- und Maßangaben besonders angesichts nicht zu verkennender Propagandaab- sichten nie erschöpfend zu beantworten sein. Nimmt man sie ernst, so scheinen die Dimensio- nen des Auxois für das Oppidum Alesia einfach zu klein und damit alle weiteren Argumentatio- nen gegenstandslos. Hingegen entsprächen ihnen nach Potiers Forschungen die des Le Cor- nu-Massivs aufs genaueste: In der Ebene von Syam südwestlich seines Abhanges wäre das von Caesar mehrfach erwähnte Angriffsfeld der Gallier zu sehen, das Nordlager und damit der schwer umkämpfte Zentralpunkt der letzten Schlacht am Ausläufer des Forêt de Côte Poire zu suchen, an dessen Südabhang gegenüber dem Oppidum die umkämpften praerupta zu lokalisie- ren sind: Das Operationsfeld von Caesar und Labienus, um den Angriff des Vercassivelaunus auf das Nordkastell zunichte zu machen, wäre demnach die Ebene von Crans; deren Stoßrich- tung zielte auf die Côte Poire von Osten her (Skizze S. 304). Plausibel hatte während der letzten Schlacht der Ausfall durch die praerupta die Verbindung mit der gallischen Entsatzarmee zum Ziel (zur fragwürdigen Strategie am Auxois s. Karte S. 102) und wäre schon angesichts der Ge- ländeverhältnisse als Verzweiflungsakt zu verstehen.

Dem Verfasser gelingt es, für Lokalisierung (Alise Sainte Reine3) wie zeitliche Fixierung die Beweiskraft archäologischer Zeugnisse soweit zu entkräften, daß für den Namen eigentlich vor dem Zeugnis von 864 nichts mehr an brauchbaren Hinweisen übrigbleibt; Zweifel an der Mar- tialisinschrift (S. 91 ff.) als Kriterium für die Schlacht ergeben sich m. E. allein schon aus der Häufigkeit des Ortsnamens. Im übrigen läßt eine Reihe fotografischer Aufnahmen auch aus der Umgegend des Bergmassivs Le Cornu Spuren von Befestigungsanlagen erkennen; ob Caesar überdies die ganze Festung mit dem berühmten System von Contra- und Circumvallation (S. 63 ff.) umgeben hat, ist zweifelhaft, ebenso ob die geschilderten Details für jede Stelle zutrafen.

Näheres wird erst durch intensive Detailuntersuchung von Boden und Gelände zu erwarten 238 sein, für die mit gefundenen Uberresten von lilia nahe dem Nordlager (1972, s. S. 181) ein An-

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fang gemacht wurde. Erhärtet werden zudem die Argumente des Verfassers durch die Möglich- keiten einer Lokalisation der Ebene von Crotenay in ca. 16 km Entfernung als Platz des Über- falls (Caes. BG 7,67,5) am Tage vor Belagerungsbeginn. Ich nehme an, Caesar hat den Marsch die Lemme aufwärts in Richtung auf den Genfer See von vornherein geplant, während das an diesem Wege gelegene Alesia dementsprechend lange zuvor ebenfalls von Vercingetorix in seine Strategie eingeplant war.

Das Buch verwendet sehr viel Raum auf Widerlegung der Gegenthese, woraus sich die eigene denn eigentlich ganz von selbst ergibt. Verzicht auf Behandlung anderer Lokalisationsversuche schien dabei wohl um so mehr angebracht, als keinem ein wirkliches Nachleben beschert war.

Allgemeine strategische und politische Reflexionen sind in die Darstellung eingestreut, um die Thesen des Verfassers verständlich zu machen; zwangsläufig wichtiger waren freilich Exkurse und Detailuntersuchungen anderer Art. Wesentliche Hilfe bedeutet die Verwendung von Faust- und Kartenskizzen, Lageplänen und Croquis in erfreulich großer Zahl. Für den Leser ohne ge- nauere Ortskenntnis wäre freilich eine Karte etwa im Format eines Meßtischblattes mit den notwendigen Eintragungen nötig gewesen. Für die fotografischen Abbildungen wünscht man sich genauere Lokalisierung. Vor allem fehlt ein umfassender Namen- und Sachindex.

Der Historiker, besonders bei der Behandlung militärischer Probleme und damit einem nach wie vor der wichtigsten Zweige historischer Forschung, ist auf Topographie und Archäologie angewiesen, und analog zu diesen gelangt er nur selten zu wirklich letzter Klärung der Dinge4. Die Frage nach Kriegführung, Kriegszielen und letztlich die nach dem génie militaire des Ver- cingetorix ist mit einer Studie wie der vorliegenden wohl kaum ganz zu beantworten. Sicher in- des bei allen möglichen Vorbehalten ist, daß von diesem Buch ausgehend die Diskussion neue Perspektiven und neue Impulse erhalten wird. Gerhard Wirth

1 Zitiert werden sollte M. Rambaud: L'art de la déformation historique dans les commentaires de César.

Paris 1953 allerdings nach der 2. Aufl. 1966; sie enthält S. 426 einen bis auf dieses Jahr fortgeführten Uberblick über einschlagige Lokalisationshypothesen.

2 Zu Zweifeln an Carcopinos Verschiebung der Sequanergrenze nach Westen s. Rambaud, S. 430 ff.

3 Die Identifikation mit Alise Sainte Reine übernimmt auch M. Geizer, R E VIIIA 995ff., indes ohne Prüfung der Argumentation.

4 Versuch, dies nachzuholen in der Rez. von A. Wartelle: Le génie militaire de Vercingétorix et l'Alésia de César. In: Revue historique des armées. 2 (1975) N o . 3: 7-12, hier S. 9, wenngleich zwangsläufig bloß Verwendung nur einer Karte 1 :50 000. Eine Publikation der S. 12 verzeichneten Ausgrabungskampa- gnen ist bisher nicht zugänglich gemacht worden, gleiches gilt für die dort erwähnte Auswertung durch général d'armée C. Blanc.

Lukas de Blois: The policy of the Emperor Gallienus. Leiden: Brill 1976. X, 242 S.

( = Studies of the Dutch archaeological and historical society. 7.)

Diese englische Ubersetzung einer 1974 abgeschlossenen Dissertation der Freien Universität Amsterdam unternimmt es, das Material über Gallienus erneut zu sammeln und von ihm aus zu einer neuen Wertung zu gelangen. Wichtig ist die umfassende Bibliographie, die an einschlägiger Literatur alles bis zum Zeitpunkt des Erscheinens enthält. Das lückenlose Bild, das auf solche Weise entstanden ist, konsultiert man gerne, mag man im einzelnen auch anderer Ansicht sein.

Schade ist freilich, daß der Verfasser über den Abriß von Institutionen und Maßnahmen, sach- lich gegliedert, hinaus auf eine historiographische Darstellung im eigentlichen Sinne verzichtet, in die und deren Kausalitäten eingeordnet einzelnes erst wirklich Sinn und Rang erhielte. Eine solche Darstellung müßte wohl biographischen Charakters sein; angesichts dessen, was nun- mehr vorliegt, erscheint sie als geradezu dringend erwünscht.

Mit Recht warnt der Verfasser vor allzu vorschnellen Mißdeutungen zu Lebensbild und Le- benswerk gerade dieses Kaisers, wie diese sich bereits in den antiken Quellen allzu lästig be- merkbar machen. Die Prüfung besonders epigraphischen und numismatischen Materials hat für

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ihn das Ergebnis, daß Neues in der Regierungszeit des Gallienus in kaum einem Bereich geleistet wurde, dort aber, wo sich Reformen und bewußte Wandlungen andeuteten, mehr als eine pragmatische Anpassung an gegebene Verhältnisse kaum festzustellen sei. Sie mündet demnach in die Verurteilung einer Mittelmäßigkeit, die freilich denn angesichts der ausgebreiteten Mate- rialfülle doch auch wieder fraglich wird, besonders aber zur Vermutung drängt, ein Kaiser, der sich in der Mitte des 3. Jahrhunderts über anderthalb Jahrzehnte an der Macht zu halten in der Lage war, müsse noch andere Qualitäten besessen haben als die, die sich aus - zweifellos sachli- cher und nüchterner - Prüfung des Materials in der vorliegenden Weise ergeben können. Im- merhin ist Gallienus es gewesen, der die große Wende des 3. Jahrhunderts nach einer Jahrzehnte währenden Katastrophe einzuleiten vermochte, Augustus und Vespasian (vgl. S. 23 ff.) als Vor- bild, das immer wieder hervorgehoben wird, bedeuten vielleicht mehr als das: Sie sind Pro- gramm, von dem aus die Fülle an sich belangloser Einzelmaßnahmen, Hinweise und Angaben doch einen anderen Sinnzusammenhang findet. Den eigentlichen Zugang zu Gallienus in diesem Zusammenhang vermitteln, das wird aus der Stoffanordnung der Arbeit klar, die heerespoliti- schen Maßnahmen, und der gewählte Terminus Militarisierung, obzwar moderner Sprech- und Anschauungsweise entnommen, scheint die antiken Verhältnisse einigermaßen zutreffend zu umreißen. Freilich, gerade er deutet zugleich auch das Ubergreifen des Militärischen auf andere Bereiche an. In der Tat ist schon die Schaffung eines mobilen Operationsheeres, vorwiegend aus Kavallerieverbänden mit der Operationsbasis Mailand als Verwirklichung einer neuen Verteidi- gungskonzeption zu verstehen. Dazu nun gehört als Novum die Einbeziehung auch des weiteren Hinterlandes in diese Konzeption, Ausbau von Städten zu Festungen nach dem Zu- sammenbruch des linearen Limessystems an den Nordgrenzen, und selbst die Organisation des Steuer- und Abgabesystems vornehmlich zu Zwecken verbesserter Heeresversorgung. Die Nachfolger, besonders ein Diokletian, haben zwar das Vorbild, das Gallienus für ihre Reformen bedeutete, nie erwähnt: daß sie auf ihm fußten, ist nicht zu bezweifeln. Seine Markomannenan- siedlung in Pannonien zur Verstärkung der Reichsverteidigung, und zwar in einer Großzügig- keit, die selbst einen Ehevertrag und die Heirat einer Häuptlingstochter durch den Kaiser ein- schließt, könnte sich selbst noch auf die Westgotenbehandlung durch Theodosius d. Gr. ausge- wirkt haben.

Bedeutet aber die Neugestaltung von Heer und Verteidigungswesen stärker, als der Verfasser

annimmt, einen Bruch zum Bisherigen, so konnten derartige Ansätze zu einer inneren Reform

des Imperiums nur Erfolg haben, wenn sie sich allmählich und stetig auf die gesamte wirtschaft-

liche und soziale Struktur des Reiches auswirken konnten. Dafür, daß es vorerst nicht so weit

kam, ist der Kaiser allein kaum verantwortlich zu machen. Der hierzu vorgesehene Weg solcher

Reform ist indes gut noch zu erkennen. So scheint die Schaffung eines permanenten Generalsta-

bes (S. 26 f.) zu Operation und Planung gleichsam das Gebot der Stunde: Wichtiger aber noch

ist die damit verbundene Förderung militärischen Praktiker- und Spezialistentums und dessen

Folgen, neue, erweiterte Verwendungs- und Beförderungsmöglichkeiten zu verstärkter sozialer

Mobilität unterer Führungseliten wie zugleich das Einströmen militärischer Elemente in die ent-

scheidenden Positionen ziviler Verwaltung. Sie erst sind es, die das Schlagwort von der Militari-

sierung in ihren Voraussetzungen wie Folgen rechtfertigen. Mit Recht wird die vielfach gerügte

Ablösung etwa senatorischer Kräfte aus personalpolitischer Notwendigkeit heraus erklärt, die

mit persönlichen Aversionen des Kaisers nichts zu tun hat. Galliens fragwürdige Münzpolitik,

aus Notwendigkeiten der Heeresversorgung mit schnell verfügbaren Geldmitteln gedeutet, ist

in solchem Zusammenhang Novum, für das Parallelen aus anderen Epochen römischer Kaiser-

geschichte zu suchen wären. Wohl auch die Münzpropaganda ließe sich dann, ähnlich wie ande-

res, selbst die Deutung eigener Herrschaft und Herrscherrolle und nicht zuletzt die Religions-

politik, am ehesten vor dem militärhistorischen Hintergrund verstehen: Führt von der Militari-

sierung ein zwangsläufig gerader Weg zur allgemeinen Kräfteaktivierung, so war es unmöglich,

etwa religiöse Minderheiten weiterzuverfolgen, deren Potential dringend benötigt wurde. Re-

formierung der Verteidigung, des Wehrpotentials und in ihrer Folge des ganzen Staatswesens

war unabdingbar, um die Katastrophe zu überwinden, die die Jahre vor Gallienus kennzeich-

net. Sie verlangte indes Behutsamkeit, Revolutionierung mußte angesichts gegebener Lage zu

neuer Gefährdung führen. Dies erkannt zu haben macht wohl nicht zuletzt den Stellenwert des

Gallienus in der Geschichte des 3. Jahrhunderts und des Übergangs von Kaiserzeit zur Spätan-

tike mit aus. Gerhard Wirth

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Die Römer an Rhein und Donau. Zur politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ent- wicklung in den römischen Provinzen an Rhein, Mosel und unterer Donau im 3. und 4.

Jahrhundert. Autoren-Kollektiv: Burkhard Böttger . *. . unter Ltg von Rigobert Gün- ther und Helga Köpstein. Kt. : Konrad Kunz. Wien, Köln, Graz: Böhlau 1975. 517 S.

( = Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR. 3.)

Das Interesse an römischer Präsenz in den Gebieten um Rhein und obere Donau zwischen dem 1. und 4. Jahrhundert hat nicht vor der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eigentliche Gestalt gewonnen. Die Tatsache, daß die Spuren römischer Anwesenheit in Quantität wie Qualität hin- ter denen anderer Randzonen des Imperiums zurückbleiben, erklärt sich nicht zuletzt aus dem Vorfeldcharakter, der sich wohl nie ganz verlor. Zeugnisse römischer Zivilisation und von An- passung an das wirtschaftliche oder soziale Gefüge des Imperiums vermögen den militärischen Charakter dieser Romanisierung gleichsam als Verstärkung des Schutzwalles für Gallien nicht zu verdecken, die Bedeutung Rätiens vor den Alpen beruht auf seiner Funktion als Verbin- dungsglied zu den wesentlich wichtigeren Donaugebieten und deren Hinterland.

So ist das Unternehmen zu begrüßen, einen ebenso umfassenden wie auf das Wesentliche kon- zentrierten Uberblick über die bisher gewonnenen Erkenntnisse zu geben und zugleich mit dem Versuch einer Einordnung in den Kosmos des Imperiums auch die Möglichkeiten aufzuzeigen, die die einschlägige Forschung hier besitzt oder nicht besitzt1. Obwohl gleichsam als Sammel- band nach einzelnen Sachgebieten geordnet und unter Mitwirkung profilierter Forscher ent- standen, bildet das Werk eine Einheit von seltener Geschlossenheit und Ausgewogenheit der Akzente. Die Beschränkung auf das 3. und 4. Jahrhundert, d. h. auf die Krisenzeiten römischer Geschichte, angesichts überall berücksichtigter Notwendigkeit, auf Ursprünge und Anfänge zurückzugehen, erweist sich als belanglos. Wie naheliegt, nimmt die Darlegung wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse mit ihren Problemen den größten Raum ein, sind sie allein es doch, die - aus den archäologischen Zeugnissen erschlossen - über das rein Literarische hinaus weiterhel- fen und das Detail erkennen lassen. So läßt nichts so sehr die Integration erkennen wie der Auf- bau des römischen Villensystems mit offensichtlich vorgeplanter Territoriengröße (S. 139)2. Zu ihm passen inschriftliche Zeugnisse für soziale Abhängigkeitsverhältnisse einerseits, zugleich aber auch für Prosperitäts- und Stabilitätsfragen, deren Behandlung seit der Besetzung des De- kumatlandes offensichtlich Gegenstand offiziellen Interesses war3. Den Zeugnissen nach aller- dings ist im Rheingebiet auf stärkere Romanisierung als in Rätien zu schließen, wie sie sich ne- ben verschiedener Intensität und verschiedenen Absichten nicht zuletzt wohl auch aus dem Na- tionalcharakter einheimischer Bevölkerungssubstrate erklärt.

Vom Militärischen her ist die Geschichte römischer Präsenz die eines Sicherungssystems mit starker Einbeziehung des Hinterlandes über Hunderte von Kilometern. Stärker als in irgendei- nem anderen Teil des Imperiums erscheint die Armee als Faktor der Romanisierung und ist die Absicht einer Stärkung des militärischen Potentials durch Zivilisierung deutlicher ausgeprägt;

im Vergleich zu dieser Aufgabe wohl ist die vieldiskutierte rechtliche Mobilität römischer La- gerstädte von zweitrangiger Bedeutung. Gerade diese Verwobenheit der Bereiche ermöglicht ein Höchstmaß von Aktivierung einheimischer Bevölkerungselemente wie auch die Ankurbe- lung der Wirtschaft. Was etwa über Metall-, Keramik- und Glasproduktion bekannt wurde (S.

189 ff.), läßt Ansätze vermuten, die - in militärischer Regie und zu militärischen Zwecken be- gonnen - sehr bald ein Eigenleben begannen, das auch über die räumlichen Imperiumsgrenzen hinauswirkte.

Läßt sich demnach die Erhebung der rheinischen Grenzgebiete zu eigenen Provinzen (S. 51) noch im 1. Jahrhundert als Folge solcher Emanzipation hin zur Eigenständigkeit verstehen, so ist offensichtlich die Notwendigkeit einer umfassenden Sicherungspolitik nach außen zu spät und erst angesichts eines bereits gefährlichen Überdrucks von germanischer Seite erkannt wor- den. Neben den wohl immer nur als Provisorium gedachten Maßnahmen wie Truppendisloka- tion und Limesaufbau erhält die Romanisierungs- und Bevölkerungspolitik eine neue Funktion, bisher allzu leer gebliebene Räume zu füllen und so diesen Druck mit abzufangen. In den Rah- men solcher Politik gehört, vielleicht stärker als das bisher gesehen wurde, auch die Intensivie- rung wirtschaftlicher Möglichkeiten mit dem Ziel der Expansion in jene Barbarengebiete. Be- deuten im 3. Jahrhundert dann die Invasionen germanischer Stämme den Verlust jenseits von

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Rhein und Donau gelegener Vorfeldzonen4, hinter den Grenzen stabilisierte sich, wenngleich auf niederer Ebene, das Leben schnell wieder (vgl. S. 30, 180 ff.), jetzt freilich unter legalem (zu den Laetenkolonien - S. 186 ff.) und illegalem Eindringen von Barbarengruppen. Das Ende des römischen Abschnittes der Geschichte liegt sicher nicht im Abzug römischer Truppen unter Sti- licho oder in früher Bildung germanischer Staaten oder Pseudostaaten auf römischem Territo- rium, wie sie übrigens für die Politik eines Theodosius (382) modellhaft gewirkt haben könnte:

eigentliche Ursache ist der Mangel an Integrationsmöglichkeiten für diese Ankömmlinge ange- sichts einer Entvölkerung aus vielen Ursachen. Er ist es, der sie gleichsam gegen ihren Willen zwingt, zu bleiben, was sie sind, und bedingt weitgehend erst die Bildung jener germanischen Staaten auf römischem Boden. Mit Eroberung aber hat Landnahme unter solchen Bedingungen nichts zu tun. War Constantius II. offensichtlich an verstärktem Einsickern etwa in Gallien in- teressiert, Julian und Valentinian versuchten im Gegensatz zu ihm Abriegelung der Grenze und Kontrolle in traditioneller Form. In Rätien wiederum scheint der Einsickerungsprozeß nicht unterbrochen zu sein; Funde lassen dort soziale Differenzierung germanischer Gruppen erken- nen, die demnach neben Resten einheimischer Bevölkerung lebten. Die Notitia Dignitatum kennt Stationierung und wohl auch Rekrutierung in diesen Grenzgebieten, was sicher weitere Barbarisierung bedeutet.

Zu fragen bleibt nach den sozialen Veränderungen und deren Hintergründen, die nach den Ka- tastrophen des 3. Jahrhunderts andere gewesen sein müssen als im übrigen Imperium. Klarheit ist kaum zu gewinnen. Läßt sich inschriftlichen Zeugnissen der Colonat als landwirtschaftliche Produktionsform auch hier entnehmen, Hinweise für die Auswirkung äußerer Katastrophen auf den sozialen Aufbau sind anderseits doch derart fragwürdig, daß über Vermutungen hinaus kaum zu gelangen sein wird. Wohl läßt sich für Übergänge und Ablösungen innerhalb des Impe- riums, besonders in Gallien, einigermaßen ein Uberblick erstellen - dafür indes, wie durch N o t und allgemeine Bedrohung sich im Sozialen die Grenzen verwischen konnten, ist die Severins- vita ein drastisches Zeugnis. Der Ubergang zur Feudalgesellschaft aber hat seine Wurzel in poli- tischer und sozialer Struktur germanischer Formationen, denen sich die Residuen römischer Präsenz anpassen.

Die im Anhang gegebenen 66 Inschriften bieten eine ausgezeichnete Materialsammlung (S.

401 ff.). Sie kann nicht alles beweisen, ist aber, sorgfältig ausgewählt und entsprechend kom- mentiert, eine Dokumentation, wie man sie sich nicht besser wünschen könnte. Gleiches gilt für die fotografischen Reproduktionen. Eine umfassende Zeittafel und ein Literaturverzeichnis runden das Ganze ab, der Index genügt allen Ansprüchen. Zu begrüßen ist die Verwendung von Zeichnungen und Skizzen, doch ließe sich hier noch mehr tun. Gerhard Wirth

1 Forschungsstand und -problematik jeweils in den Text eingearbeitet und in den Fußnoten hervorgeho- ben. Daß dies einen besonderen Vorteil für den Benutzer bietet, braucht nicht eigens betont zu werden.

2 Nachgewiesene Centurieneinteilung läßt auf Besiedlungsplanung von vornherein schließen. Sie erklärt sich wohl aus dem militärischen Charakter römischer Präsenz. Ähnliches ist auch f ü r das rätische D o - naugebiet anzunehmen.

3 Nachrichten bei Tacitus zufolge bedeutet Besetzung und Besiedlung des Dekumatlandes zugleich Venti- lierung gallischer Bevölkerungsteile und damit sozialpolitische Maßnahme.

4 Erstes Auftreffen germanischer Stöße auf den Limes im rätischen Raum zeigt deutlich die Stärkeverhält- nisse römischer Verteidigung, deren Augenmerk seit Augustus offenkundig über Gebühr auf den nieder- germanischen Bereich konzentriert war.

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Bodo Ebhardt: Der Wehrbau Europas im Mittelalter. Versuch einer Gesamtdarstellung der europäischen Burgen. Unveränderter Nachdr. der Aufl. von 1939. Bd 1. Mit 127 Bildtaf. und mehr als 800 Grundrissen, Schnitten, Ansichten und Handzeichnungen des Verfassers. Frankfurt a. M.: Weidlich 1977. 670 S.

Werner Meyer: Europas Wehrbau. Frankfurt a. M.: Weidlich 1973. 159 S.

Comité international d'histoire de l'art. Burgen und feste Plätze. Der Wehrbau vor Ein- führung der Feuerwaffen. Mit Anh. : Kriegsgeräte und schwere Waffen. Châteaux-forts

et places fortes. L'architecture militaire avant l'introduction des armes à feu. Avec suppl. : Attirails de guerre et armes lourdes. Wiss. Komm. : Otto von Simpson u. a. Red. : Rudolf Huber und Renate Rieth. 2. verm. Aufl. Tübingen: Niemeyer 1977. 280 S. (= Glossa- rium artis. 1.)

Die zumeist unter dem allgemeinen Begriff »Burg« recht ungenau zusammengefaßten Wehran- lagen des Mittelalters im weitesten Sinne haben seit dem Beginn der Romantik nicht nur zahlrei- che unkritische Liebhaber gefunden, sondern auch in starkem Maße die Aufmerksamkeit vieler Wissenschaften, wie der Geschichte, der Bau- und Kunstgeschichte und der Wehrkunde auf sich gezogen. In den letzten Jahrzehnten haben sich außer der Mittelalterarchäologie besonders die Landes-, Rechts-, Sozial- und Verfassungsgeschichte mit diesem Gegenstand befaßt. Dabei konnten natürlich die Formen im einzelnen nicht übergangen werden. Das Schwergewicht wandte sich jedoch nun neben deren Ausgestaltung der historischen Entwicklung und vor allem der verfassungsrechtlichen Funktion der Burgen zu. Wenn von der Archäologie abgesehen wird, so haben die Bau- und Kunstwissenschaft bisher die Ergebnisse dieser historischen For- schungen noch recht wenig in ihre Überlegungen einbezogen. Namen wie Dannenbauer, Schle- singer und viele andere findet man in den Literaturverzeichnissen kunsthistorischer Monogra- phien über diesen Gegenstand bisher nicht erwähnt. Dabei beschränkt sich dessen Bedeutung doch keinesfalls auf architektonische und fortifikatorische Aufgaben. Auch darf die Burg nicht isoliert gesehen werden. Erst zusammen mit Wirtschaftshof, Burgmühle und Burgstadt sowie dem dazugehörigen Territorium zeigt sich die bedeutende Rolle der Burg in der Geschichte.

Daher ist vieles nicht mehr in vollem Maße gültig, was von Seiten der rein baugeschichtlichen Forschung publiziert wird.

Dies gilt auch für die Monographie von Bodo Ebhardt. Infolge des Krieges ist dieses Werk sei- nerzeit nur wenig beachtet worden. Band 1 war bald vergriffen, Band 2 erschien aus dem Nach- laß 1959. Der Verfasser war in seiner Zeit ein nicht unbekannter Architekt und Restaurator zahl- reicher Burgen und Burgruinen. Als solcher wandte er seine ganze Liebe diesen Bauten zu und wurde zum Gründer der Vereinigung der Burgenfreunde, die viel für das Verständnis und die Erhaltung dieser Baudenkmäler getan hat. Besonders bekannt ist er geworden, weil er im Auf- trage des damaligen Kaisers die Hohkönigsburg im Elsaß wiederhergestellt hat. Diese Leistung ist auf viel Kritik gestoßen. Doch steht sie hoch über ähnlichen Arbeiten in der Zeit der Roman- tik oder etwa dem problematischen Wiederaufbau der Burg Trifels in der Pfalz in unserer Zeit.

Ebhardt hat außer Rußland weite Teile Europas bereist und dabei zahlreiche Burgen untersucht und ihre erhaltenen Reste vermessen, in künstlerischer Form gezeichnet und aufgenommen.

Das von ihm gesammelte, sehr umfangreiche Material hat er anhand der Literatur vervollstän- digt. Ursprünglich galt sein Interesse vorwiegend unter architektonischen Gesichtspunkten den

»burglichen« Anlagen, d. h. nach eigener Formulierung den Steinbauten, die als fester Sitz eines

»erlauchten« Geschlechts gedient haben sollen. Trotz dieser Zielsetzung sind von ihm später auch Kaiser- und Königspfalzen, Kloster-, Ordens- und Kirchenburgen berührt worden. Selbst Stadtburgen und Geländebefestigungen werden gestreift. Allerdings werden im Prinzip alle nicht in Stein errichteten Bauten weggelassen, wodurch eine sachlich unberechtigte Einschrän- kung des Themas vorgenommen wird.

Die Ausgangsposition des Verfassers hat daher zu einer einseitigen Sicht geführt. Der nicht im- mer sehr glücklich angelegte Aufbau des Buches und die sprachlichen Formulierungen befriedi- gen oft nicht und führen zu Wiederholungen. Da das Hauptinteresse Ebhardts der architektoni- schen Ausgestaltung gilt, kommen geschichtliche Gesichtspunkte und sozial- und verfassungs- rechtliche Aufgaben dieser Anlagen nur verschwommen zum Ausdruck. In dem hier zu behan- delnden 1. Band werden die Burgen Englands, Frankreichs, Belgiens, der Niederlande, 243 Deutschlands, Österreichs und der Schweiz manchmal sehr ungleichmäßig behandelt, während

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der 1959 erschienene Band sich den nördlichen, südlichen und östlichen Ländern ohne Rußland, aber mit Einbeziehung Griechenlands und der Türkei widmet. Die Hauptaufmerksamkeit gilt dabei den Höhenburgen, während beispielsweise die Niederungsburgen wohl der Rheinlande und Westfalens, Nord- und Nordostdeutschlands aber nur in geringem Maße beachtet wurden.

Als Veranlasser der Burgen werden weitgehend Angehörige der germanischen Rassen angese- hen, wie denn überhaupt Gedankengänge aus der Entstehungszeit des Werkes immer wieder zutage treten. Ebhardt hat sich aufgrund des von ihm gesammelten immensen Materials für be- rechtigt gehalten, einen solchen Uberblick zu wagen, der jedoch infolge des damaligen For- schungsstandes von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Er wäre übrigens auch heute kaum mit Erfolg zu versuchen, da beispielsweise die Inventarisierung der Burgen und Pfalzen sowie ihre genaue archäologische Untersuchung mit Hilfe von Ausgrabungen erst in den letzten Jahr- zehnten intensiver begonnen hat. Trotzdem wird man die Neuauflage des Werkes begrüßen, weil so das äußerst umfangreiche Plan- und Abbildungsmaterial zugänglicher wird, das der Ver- fasser in einem langen Leben, auch aus Gegenden, die bis dahin von der Burgenforschung kaum beachtet wurden, gesammelt hat. Allerdings muß man bedenken, daß es sich bei den Plänen und Bildern weitgehend um den derzeitigen Zustand handelt, der bekanntlich so nur teilweise Aus- kunft über die früheren Stufen der Entwicklung geben kann. Leider haben offenbar die zahlrei- chen Abbildungen einen so stolzen Preis verursacht, daß dem Werk wohl auch in der 2. Auflage kaum die Verbreitung zuteil werden wird, die es als kaum zu übertreffende Materialsammlung an sich verdienen würde.

Fast unter dem gleichen Titel wie das soeben besprochene Werk behandelt Werner Meyer in mehr populärer Form den gleichen Gegenstand in einer Publikation des gleichen Verlages. Er ergänzt damit bereits früher von ihm herausgegebene Werke, ebenfalls populären Charakters, über Burgen, die wiederum meist bei Weidlich erschienen sind. Der vorliegende Band unter- scheidet sieh allerdings insofern von seinen Vorgängern, weil Meyer der Meinung ist, daß zwar

»Rekonstruktionen aufgrund genauer Forschungen uns mit hohem Grad an Wahrscheinlichkeit gut orientieren, . . . im Aussagewert doch weit hinter solchen Darstellungen zurück(-bleiben), die nach natürlichen Vorbildern geschaffen wurden oder bei denen den Künstler selbst erlebte lebendige Eindrücke inspirierten«. Diesen Grundsatz mag man als berechtigt ansehen, wenn man das Typische einer mittelalterlichen Burg und nicht das Individuelle in solchen Darstellun- gen erkennen will. Es sei jedoch nicht übersehen, daß solche älteren Abbildungen, wie auch der Verfasser gelegentlich zugeben muß, nicht nur im Mittelalter, sondern sogar noch im Zeitalter des Barock und der Romantik oft eher Wunschbilder darstellen als Wirklichkeit. Aufgrund des reichen Materials an einschlägigen älteren Werken, das die Studienbibliothek in Dillingen auf- zuweisen hat, bietet Meyer anschließend eine - übrigens sich in einigen wenigen Fällen wieder- holende - Sammlung von zeitgenössischen Abbildungen von Burgen und anderen Wehrbauten bis ins 18. Jahrundert. Diese umfaßt Europa einschließlich Rußland und - was der Titel nicht sagt - auch Beispiele europäischen Festungsbaus in Afrika und Amerika. Zu jedem Bild werden ein kurzer Kommentar sowie Fundort und Datierung gegeben.

Insgesamt handelt es sich also um eine nützliche Zusammenstellung teilweise schwierig zu fin- dender oder zu erreichender Abbildungen. Einzelne Bilder sind allerdings so stark verkleinert, daß man bei vorliegendem Bedürfnis doch wohl besser auf das Original zurückgreifen muß.

Dem Ganzen wurde eine komprimierte Zusammenfassung über die Entwicklung des Wehrbaus in den europäischen Ländern vorangestellt, die dem derzeitigen Forschungsstand eher angepaßt ist, als die manchmal recht wenig befriedigende Darstellung des zuvor besprochenen Werkes.

Die oben angedeutete Intensivierung der Forschung über Burgen und feste Plätze erfordert auch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit und damit die Verwendung fremdsprachiger Li- teratur. Dabei stellt sich die Ubersetzung bzw. richtige Deutung der hier besonders zahlreich verwendeten älteren und neueren Spezialausdrücke als großes Hindernis in den Weg. Deshalb kann es nur begrüßt werden, wenn das Comité international de l'histoire de l'art wenigstens für die deutschen und französischen Fachausdrücke im mittelalterlichen Wehrbau ein entsprechen- des Glossarium durch eine Kommission von Fachleuten hat zusammenstellen lassen, das von R.

Huber und R. Rieth redigiert worden ist. Es ist systematisch gegliedert und für den praktischen

Gebrauch gedacht. Daher enthält es neben zahlreichen für die Erläuterung wichtigen Abbildun-

244 gen auch einen deutschen und einen französischen Index. Eine Bibliographie der Wörterbücher

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zur Kunst, der Fachliteratur zum Wehrbau sowie zu den Kriegsgeräten und den Waffen füllt 24 Seiten. Sie enthält oft in Deutschland weniger bekannte Werke bis in die jüngste Zeit, läßt frei- lich historische Arbeiten meist außer Betracht. Die Schwierigkeit des Ganzen dürfte allerdings darin bestanden haben, daß manche Ausdrücke im Fachjargon durchaus nicht so eindeutig und klar angewandt werden, wie dies für die knappe Formulierung eines Glossariums erforderlich wäre. Beispielsweise wird Donjon und Wohnturm im Deutschen meist gleichbedeutend ver- wendet, muß sich aber nicht in jeder Hinsicht miteinander decken. Diesen Schwierigkeiten hat man durch zahlreiche Verweise zu entgehen versucht. Schade, daß dieses sich sicher als sehr nützlich erweisende Werk zwar Beispiele angibt, sich natürlich auf die Zitierung sphriftlicher Belege aus dem Mittelalter leider nicht einlassen kann. B. Schwineköper

Das Rittertum im Mittelalter. Hrsg. von Arno Borst. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1976. 501 S. (= Wege der Forschung. 349.)

Josef Fleckenstein: Zum Problem der Abschließung des Ritterstandes. In: Historische Forschungen für Walter Schlesinger. Hrsg. von Helmut Beumann. 1. Köln, Wien: Büh- lau 1974, S. 252-271.

Hans Georg Reuter: Die Lehre vom Ritterstand. Zum Ritterbegriff in Historiographie und Dichtung vom 11. bis zum 13. Jahrhundert. 2. bearb. Aufl. Köln, Wien: Böhlau 1975. 175 S. (= Neue Wirtschaftsgeschichte. 4.)

»Es gibt zur Zeit im Bereich der mittelalterlichen Geschichte wohl kaum ein anderes Feld, auf dem die Forschung von unterschiedlicheren Ansätzen aus betrieben, auf voneinander abwei- chenderen Ebenen verfolgt und mit widersprüchlicheren Thesen verfochten wird.« Mit diesem Wort Fleckensteins charakterisiert Borst in der Einleitung zu Das Rittertum im Mittelalter1 den Stand der Forschung. Der vorliegende Band aus einer Reihe, die sich längst einen festen Platz im Wissenschaftsbetrieb gesichert hat, verdient aus mehreren Gründen Beachtung. In seiner ge- haltvollen Einleitung charakterisiert Borst den Gang der Forschung nicht nur für die Jahrzehn- te, denen die in diesem Band enthaltenen Beiträge entstammen (1921-1976), er verfolgt den Gang der Forschung vielmehr weit, bis ins 16. Jahrhundert zurück. Es wird deutlich, daß es sich hier um ein international bestelltes Forschungsfeld handelt; Borst schreibt ein Stück europäische Forschungsgeschichte, in der eine Vielfalt von Erkenntniszielen und Sozialbindungen deutlich wird. Eine detaillierte, zeitlich weit ausholende, umfangreiche Bibliographie ergänzt den Band auch im Hinblick auf Gebiete, aus denen keine Beiträge aufgenommen wurden. Ein Wort- und Sachregister erschließt den Band in vorteilhafter Weise. Hiermit sei einmal mehr der Wunsch vorgetragen, daß die künftigen Bände dieser Reihe ebenfalls durch Bibliographie und Register bereichert werden.

Oberblickt man die Beiträge insgesamt, so werden die Schwierigkeiten deutlich, die Flecken- stein zu der eingangs zitierten Feststellung bewogen haben. Da ist einmal die ungewöhnliche Fülle verschiedenartiger Quellen, die berücksichtigt werden müssen: Theologische Traktate und liturgische Texte, Laudes und religiöse Friedensgebote, Quellen zur Finanzgeschichte und königliche Haushaltsrechnungen, Zeremoniell und Ritterpatronate, Gesetze und Urkunden sowie der große Bereich der erzählenden Quellen müssen erschlossen und kritisch ausgewertet werden. Kritisch deshalb, weil bei Werken der Dichtung die Gefahr des Zirkelschlusses beson- ders groß ist, wie Kuhn betont (S. 193): »Für die Dichtung ist Fiktion ihre Realität.« In seiner Einleitung macht Borst darauf aufmerksam, daß eine Quellengattung noch kaum erschlossen ist, die seitens der Kunstgeschichte bislang vernachlässigte Ikonographie des Rittertums (S. 16).

Bei allen unterschiedlichen Bewertungen besteht Einmütigkeit mit Josef Fleckenstein darüber, daß der Stand der Ritter - wie der Stand der Kleriker - eine gesamteuropäische Erscheinung war, eine »sozial gehobene Schicht« mit gemeinsamem Ethos, gemeinsamen Aufgaben und Pflichten (S. 257, 263).

Deren Erforschung verlangt sowohl hochspezialisierte Einzelstudien als auch das interdiszipli- näre Gespräch zwischen Rechts-, Sprach-, Literatur-2, Mentalitäts- und Militärgeschichte.

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Neue Erkenntnisse sind zu gewinnen durch Fallstudien wie die systematische Untersuchung ei- nes Raumes (Duby) oder durch die Verbindung verfassungsgeschichtlicher mit soziologischen Methoden bei der Analyse des Verhältnisses von Ritter, Söldnerführer und Offizier zu ihrem jeweiligen obersten Herren (Wohlfeil). Da das Rittertum einzelner Länder (z.B. Englands, Spaniens) bislang nur lückenhaft erforscht ist, stößt die wünschenswerte internationale Erörte- rung auf erhebliche Schwierigkeiten; von der systematischen Erforschung möglicher Interde- pendenzen zwischen europäischem Rittertum, islamischem Rittertum, griechischem Adel, ja- panischen Samurai ist man noch weit entfernt.

Geistes-, Sozial- und Verfassungsgeschichte mühen sich seit Jahrzehnten, das Rittertum in den Griff zu bekommen als Institution, Ideal und soziale Gruppe. Nicht strittig ist, daß das Ritter- tum auch auf Kampf und Schlacht ausgerichtet war; gerade deshalb ist zu bedauern, daß kein Beitrag dem militärischen Aspekt gewidmet ist. Der Abschnitt D in der Bibliographie kann diese Lücke nur zum Teil schließen: Rittertum im Krieg (S. 449-453), Kriegskunst und Kriegs- recht, Söldnerwesen, Rüstung und Waffen, Wappen und Heraldik, Turnier und Zweikampf, Burgen. Auf diese Weise bleiben Taktik und Strategie, Vorteile von Angriff und Verteidigung, Bedeutung von Burg und Fernwaffen, Revolutionierung der Kriegskunst als Folge der Entwick- lung durchschlagskräftiger Fernwaffen (Armbrust, später Feuerwaffen) unerörtert. Gelegentli- che Hinweise auf die Bedeutung des sich erst im Hochmittelalter durchsetzenden Steigbügels oder auf die Kosten eines Kettenhemdes (Gegenwert eines mittleren Landgutes, S. 219) betonen geradezu den Mangel dieses Bandes. Die schmerzlich empfundene Lücke darf auch deshalb be- tont werden, weil Wohlfeil es in seinem Beitrag als »bezeichnend« hingestellt hatte, »daß Arno Borst in seiner Skizze über das Rittertum im Hochmittelalter die Auseinandersetzung Verbrug- gens mit Delbrück [um die militärische Bedeutung des Rittertums] nicht einmal angedeutet hat«

(S. 319) - eine Skizze, so wird man indessen hinzufügen dürfen, die besticht durch die unkon- ventionelle Sprache, das Ausleuchten von Schattenseiten, den Blick auf den Alltag, die Einbe- ziehung auch der geistlichen Ritterorden.

In seiner ebenfalls geistesgeschichtlich orientierten Arbeit stützt sich Hans Georg Reuter vor- nehmlich auf erzählende Quellen; die die rechtliche Situation des Ritters spiegelnden Urkunden und die außerdeutsche Forschung bleiben fast völlig unberücksichtigt. Zu Recht fordert er, daß Belege aus verschiedenen Quellengattungen nicht unbesehen nebeneinandergestellt werden dürfen, zu Recht warnt er davor, Literatur als Reflex der gesellschaftlichen Zustände zu werten.

Ob sein Ergebnis, »daß man von den Rittern oder dem Ritterstand nicht sprechen kann«, daß die Lehre vom Ritterstand »sich als Übertragung der konkreten Ständevorstellungen des 19.

Jahrhunderts auf das Mittelalter« zeigte, »wobei die jeweiligen Bezugspunkte der einzelnen mit- telalterlichen Ausdrücke außer acht gelassen wurden« (S. 125), ob diese Ergebnisse bleibender Besitz der Forschung werden, soll dahingestellt sein; man vergleiche auch die von Reuter aufge- führten Rezensionen (S. 170 Anm. 1).

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß es sich hier um ein nachlässig gemachtes Buch handelt, und man weiß nicht, ob man die zahllosen Fehler eher dem Autor oder dem Verlagslektorat ankrei- den soll. Eine zweite Auflage ist im allgemeinen die Gelegenheit, Fehler der ersten auszumer- zen; nicht nur, daß die meisten Fehler übernommen wurden, es wurden noch zahlreiche weitere Fehler in die zweite Auflage hineingebracht. Von der - euphemistisch gesprochen - eigenwilli- gen Sprache abgesehen, fehlt fast keine Fehlerart: Eigennamen und Titel sind falsch geschrieben, Zitate gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit entstellt, ganze Wörter fehlen, Siglen sind nicht auf- gelöst.

Wer sich über den Gang der Erforschung des Rittertums informieren, die Methoden zur Er- schließung des Materials, die Schwerpunkte und Lücken der bisherigen Forschung kennenler- nen will, der wird zu dem von Borst herausgegebenen Band greifen; die Zusammenfassung der bisherigen Forschung regt zu weiteren gezielten, fâcher- und länderübergreifenden Arbeiten an.

Norbert Ohler

1 J. Huizinga : Die politische und militärische Bedeutung des Rittergedankens am Ausgang des Mittelalters (1921); S. Painter: Die Ideen des Rittertums (1935); C. Erdmann: Fortbildung des populären Kreuzzugs- gedankens (1935); D. Sandberger: Die Aufnahme in den Rittersund in England (1937); E. Otto: Von der Abschließung des Ritterstandes (1940); F. L. Ganshof: Was ist das Rittertum? (1947); O. Brunner: Die 2 4 6 ritterlich-höfische Kultur (1949); G. Fasoli: Grundzüge einer Geschichte des Rittertums (1958); C. M.

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Mor: Das Rittertum (1964); J. Bumke: Der adlige Ritter (1964); E. Köhler: Die Rolle des niederen Ritter- tums bei der Entstehung der Trobadorlyrik (1966); J. M . van Winter: Die mittelalterliche Ritterschaft als

»classe sociale« (1971); J. Fleckenstein: Friedrich Barbarossa und das Rittertum. Zur Bedeutung der gro- ßen Mainzer Hoftage von 1184 und 1188 (1972); J . Johrendt: »Milites« und »Militia« im 11. Jahrhundert in Deutschland (Originalbeitr.).

2 Vgl. J . Bumke: Ministerialität und Ritterdichtung. Umrisse der Forschung. München 1976. ( = Edition Beck.)

Herbert Schwarz: Gefechtsformen der Infanterie in Europa durch 800 Jahre. 2. Aufl.

Ausarbeitung der Stellpläne: Joachim Schlegel f . Nebst Ani. (171 Zeichn.) München:

Selbstverl. 1977. 507 S.

Man könnte hier vielleicht fragen, was über dieses Thema denn noch zu schreiben sei, nachdem doch Wilhelm Rüstow in seiner berühmten, erstmals 1857 veröffentlichten Geschichte der Infanterie darüber alles schon gesagt habe. Nun, ein Blick in das Quellen- und Literaturver- zeichnis der Arbeit von Schwarz läßt die Menge an Material erkennen, die seit Rüstow hinzuge- kommen ist. Im übrigen konzentrierte sich Rüstow auf die Herausarbeitung der Grundzüge der Infanterietaktik seit der Antike, während sich Schwarz, der erst im Mittelalter ansetzt, auch sehr eingehend mit den infanterietaktischen Unterschieden zwischen den einzelnen Armeen befaßt.

Schwarz ist eine Autorität auf dem Gebiet der Heereskunde und speziell der Taktik dieses Zeit- raumes, wie bereits frühere Arbeiten von ihm bewiesen. Sein immenses Detailwissen imponierte schon in seinen Gefechtsformen der Infanterie und ihre Entwicklung in Mitteleuropa (1962), die er in erweiterter und verbesserter Auflage, bei der er auch das verlegerische Risiko trägt, vor- legt. Verbessert ist das Werk vor allem insofern, als der Stoff auch innerhalb der einzelnen Kapi- tel sorgfältiger als vorher untergliedert worden ist. Wenn die Darstellung auch jetzt noch nicht frei von zeitlichen Vorgriffen, Wiederholungen und den Gedankengang unterbrechenden Ein- schüben ist, dann ergibt sich das großenteils daraus, daß historischer, taktischer und waffen- technischer Aspekt nicht immer leicht in Einklang zu bringen sind. Die Aufmachung ist wesent- lich anspruchsvoller als vorher, dürfte also auch einen größeren Leserkreis als nur die Speziali- sten ansprechen. Es sind auch viele Textillustrationen hinzugekommen. Sie sind sehr gut ausge- wählt, nur einige von ihnen sind leider etwas unscharf wiedergegeben, womit sich deren Infor- mationswert einschränkt. Der Textband wird ergänzt durch eine Mappe mit einer Fülle von

»Stellplänen«, als Grundrissen der Gefechtsformen, die alle im gleichen Maßstab gezeichnet sind.

Dr. Schwarz hat es verstanden, die Abschnitte der taktischen Entwicklung mit den historischen Epochen in Einklang zu bringen. Er greift die Thematik von Grund her auf, setzt also keine Vorkenntnisse voraus. Besonders interessant sind seine Ausführungen da, wo er sich gegen ein- gefahrene, offenbar schwer auszurottende Vorurteile wendet. So stellt er schon gleich einmal fest, daß die Gefechtsformen in erster Linie nicht - wie oft behauptet wird - auf waffentechni- sche, sondern auf weltanschauliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedingungen zurück- zuführen seien. Das Fußvolk entstand im Zusammenhang mit dem freien Söldnertum und dem Wiederaufkommen der Geldwirtschaft, also bereits im hohen Mittelalter und nicht erst mit den Angriffsblöcken der Schweizer zur Zeit der Renaissance. Ob man die freien Söldner, wie es Schwarz tut, bereits als Berufssoldaten bezeichnen kann, mag dahingestellt sein. Auf jeden Fall aber waren sie »Profis«, die ihr Handwerk verstanden und es ebenso geschickt wie tapfer ausüb- ten. Die Gewalthaufen der Landsknechte waren keineswegs plump und ungefüge, wie man im- mer wieder lesen kann, sondern aus einzelnen Schichten oder Treffen von Trägern verschieden- artiger Blankwaffen höchst differenziert zusammengesetzt, daher auch elastisch und verände- rungsfähig. Die drei Gewalthaufen der Schlachtordnung, aber auch jeder einzelne für sich, stell- ten die zeitentsprechende Form der geschlossenen, der Verlorene Haufen die der zerstreuten Ordnung dar. Das Verhältnis von geschlossener und zerstreuter Ordnung ist ein Grundmotiv 247 der Darstellung.

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Formal fand der Gewalthaufen seine Fortsetzung seit Mitte des 16. Jahrhunderts im Tercio, der auf Seiten katholischer Mächte bis fast zum Ende des Dreißigjährigen Krieges die taktische Grundform der Infanterie darstellte. Es irritiert daher zunächst, daß Schwarz von der üblichen Reihenfolge abweicht und noch vor dem Tercio die flacheren Aufstellungen der Hugenotten, Niederländer und Schweden behandelt. Als Grund dafür führt er an, daß die rapide Vermeh- rung der Feuerwaffenträger zur Mitte des 16. Jahrhunderts viel wichtiger war als dieser formale Zusammenhang, und sich zunächst an den flacheren Aufstellungen vollzog. Dies war für die weitere Entwicklung der Infanterietaktik ein entscheidender Vorgang, durch den die bis dahin zerstreut fechtenden Schützen durch Angliederung an den Kern der Nahwaffenträger zu festen Bestandteilen der geschlossenen Ordnung wurden. Freilich wird auf diese Weise die Darstel- lung des formal kontinuierlichen Entwicklungsvorgangs unterbrochen, der von den flacheren, da immer flacher werdenden Aufstellungen zur schließlich nur noch aus drei Gliedern beste- henden Aufstellung der Lineartaktik des 18. Jahrhunderts führte.

Mit der Herausstellung der Bedeutung der auch sozial höher gestellten Pikeniere als des festen Kerns der taktischen Einheit, zumindest bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, korrigiert Schwarz die falsche Vorstellung, die sich auf das abwertende Urteil von Grimmelshausen über den Spieß- träger im Simplicissimus stützt. Die, nach heutigem Begriff, taktischen Einheiten - anfäng- lich meist sehr große Gefechtskörper - wurden zu dieser Zeit eigens für den Kampf zusammen- gestellt, und zwar aus den administrativen Einheiten, den Kompanien. Schwarz nennt letztere

»organisatorische« Einheiten, was nicht richtig ist, da ja auch die taktischen Einheiten Teile ei- ner Organisation - nur eben der taktischen und nicht der verwaltungsmäßigen - darstellten.

Im Zusammenhang mit der erwähnten Vermehrung der Feuerwaffenträger stellt der Verfasser fest, daß bei Abhandlungen über die historischen Formen der Taktik meist die interessanten Ubergangszeiten nicht berücksichtigt werden - eine nicht nur leider zutreffende, sondern auch wichtige Feststellung. So ist es zu begrüßen, daß er den Ubergängen zur Lineartaktik des 18.

und dann wieder zur Kolonnentaktik des 19. Jahrhunderts ganze Kapitel widmet.

Schwarz' genaue Erläuterungen der Gefechtsformen korrigieren nicht nur falsche, sondern auch einseitige Vorstellungen - und damit auch gelegentlich Auffassungen über historische Zusam- menhänge, die über die der Taktik hinausreichen. Es stimmt natürlich, daß die Kolonnentaktik erst seit der Französischen Revolution in der Kriegspraxis angewendet (eigentlich müßte man sagen: wieder angewendet) wurde, denn die Gewalthaufen des 16. Jahrhunderts sind ja auch schon Angriffskolonnen gewesen. Es stimmt natürlich auch, daß sich, wie man immer wieder lesen kann, die Kolonne als Grundgefechtsform besser für den Kampf mit kurz ausgebildeten Soldaten eignete als die besonders intensiven Drill erfordernden linearen Gefechtsformen. Bei der Charakterisierung der Kolonne als revolutionärer Gefechtsform wird jedoch leicht überse- hen, daß es im 18. Jahrhundert, besonders in Frankreich, schon lange vor der Revolution Be- strebungen gab, die Infanterietaktik auf eine tiefer gegliederte, stabilere, beweglichere, offensi- vere Grundform zu stellen, als sie die zerbrechliche, störanfällige Linie darstellte, eben die Grundform der Angriffskolonne. Daß sie sich in dieser Zeit noch nicht durchsetzte, lag einmal daran, daß die Lineartaktik Ausdruck des Zeitgeistes war, der durch den Hang zur Systematisie- rung gekennzeichnet war. Nach dem Siebenjährigen Krieg kam ein weiterer Grund hinzu:

Preußen, das auch von seinen ehemaligen Gegnern als das große Vorbild angesehen wurde, hatte seine Schlachtsiege mit der Lineartaktik erfochten. Tatsächlich orientierte man sich dabei aber nur an Äußerlichkeiten, denn weder konnte Friedrich der Große als Feldherr einfach nachge- ahmt werden, noch lag die taktische Vorbildlichkeit Preußens speziell in den Linearformen, sondern - wie Schwarz betont - überhaupt in der einfachen, praktikablen Form und der unbe- dingten Vorschriftentreue. Selbst noch das französische Reglement von 1791 basierte auf der Lineartaktik, die dann von den Franzosen in der Kriegspraxis freilich kaum noch angewandt wurde. War die Lineartaktik ihrem Wesen nach defensiv und lag bei ihr deshalb das Schwerge- wicht auf dem Feuer, so war die Kolonnentaktik dem Wesen nach offensiv mit dem Schwerge- wicht auf der Bewegung. Aber im Gegensatz zu den Angriffskolonnen der Landsknechte, den Gewalthaufen der Blankwaffenträger, bestanden die Angriffskolonnen des 19. Jahrhunderts nun durchweg aus Feuerwaffenträgern, wenn auch schon Anfang des 18. Jahrhunderts der Spieß recht unvollkommen durch das aufgepflanzte Bajonett ersetzt worden war. Die Frage 248 war, wie konnte in der Kolonnentaktik jetzt die Bewegung mit dem Feuer verbunden werden?

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Dies konnte in geschlossener Formation nach wie vor durch den Übergang zur Linie geschehen.

Schon allein diese Tatsache beweist, daß auch zur wirkungsvollen Anwendung der Kolonnen- taktik noch immer stramm einexerzierte stereotype Formveränderungen mit entsprechend fest- gelegten Bewegungsabläufen notwendig waren, die ja im übrigen auch zur Bildung der An- griffskolonne aus der Marschkolonne und umgekehrt notwendig waren. Drill konnte also auch in der Kolonnentaktik nicht einfach durch patriotischen Enthusiasmus ersetzt werden - so wichtig der nun auch als kämpferischer Antrieb wurde. Gewiß wurde das geschlossene Massen- feuer gegenüber der Lineartaktik mit ihren ungemein komplizierten Feuerabläufen, deren ver- schiedene Arten Schwarz eingehend vor Augen führt, wesentlich vereinfacht, aber damit war noch längst nicht der Exerzierplatz überflüssig geworden. Die allmähliche Auflösung der festen Gefechtsformen konnte erst mit der waffentechnischen Revolution seit der Mitte des 19. Jahr- hunderts erfolgen.

Die andere, gleichzeitige Möglichkeit einer Verbindung von Feuer und Bewegung bestand in ei- ner Koppelung geschlossener und zerstreuter Ordnung, also der Verwendung von lockeren Schützenschwärmen oder -ketten vor den festgefügten Kolonnen. Vor allem mit der sogenann- ten Tirailleurtaktik verbinden sich einseitige, aber auch völlig falsche Vorstellungen, denen Schwarz die nüchternen Tatsachen entgegenstellt. Es ist natürlich richtig, daß das Schützenge- fecht größeren Stils auch im Großkampf erst wieder seit dem amerikanischen Unabhängigkeits- krieg und der Französischen Revolution praktiziert wurde und in diesem revolutionären Zu- sammenhang kriegerischer Ausdruck politischen Freiheitswillens war. Der Soldat, der sein Va- terland verteidigte, war zuverlässiger als der gepreßte Söldner und für das Schützengefecht brauchte man Soldaten, die es nicht als Gelegenheit zur Desertion benutzten. Andererseits ist es aber falsch, zu glauben, daß das Schützengefecht erst mit der Allgemeinen Wehrpflicht möglich wurde - es fand sich schon, ausgehend vom Verlorenen Haufen der Landsknechte, bei den freien Söldnern des 16. Jahrhunderts. Außerdem bestand die Linieninfanterie des 18. Jahrhun- derts keineswegs nur aus »unsicheren Kantonisten«. Aber auch im 18. Jahrhundert hatte es ne- ben der schweren auch eine leichte Infanterie gegeben, die nicht überall so unbedeutend und minderwertig war wie in Preußen während des Siebenjährigen Krieges. Trotzdem blieb der Kampf im allgemeinen auf den - allerdings immer wichtiger werdenden - Kleinkrieg, allenfalls auf die Peripherie des Großkampfes beschränkt, war eine wirkliche Kombination von geschlos- sener und zerstreuter Ordnung nicht möglich. Der Grund war die Lineartaktik: Um ihren mög- lichst engen Zusammenhang zu wahren, waren die Bataillone innerhalb der rangierten Schlacht- ordnung nur durch schmale Intervalle getrennt, größere Mengen davor eingesetzter Schützen konnten also nach Erledigung ihres Auftrages nicht wieder aufgenommen werden. Das wurde erst möglich, als der enge Zusammenhang der gesamten Schlachtordnung aufgegeben wurde.

Für die nun selbständiger werdenden, noch immer geschlossen auftretenden taktischen Einhei- ten bildeten die zerstreut fechtenden Schützen die notwendige Ergänzung. Damit wird der Be- griff Tirailleurtaktik fragwürdig. Im Kleinkrieg war das Tiraillieren ein Teil der Guerillataktik, im Großkampf der Kolonnentaktik. Erst mit der Zerstückelung und dem Zerfall der massiven Gefechtsformen seit ungefähr der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde das gesamte Infante- riegefecht mehr und mehr zum Schützengefecht.

Damit hatte sich seit dem 17. Jahrhundert die leichtere gegenüber der schwereren Infanterie-

gattung durchgesetzt: Die Pikeniere waren von den Feuerwaffenträgern verdrängt worden, die

zur Linieninfanterie des 18. Jahrhunderts wurden, ergänzt durch die leichte Infanterie, deren

Kampfweise vom Kleinkrieg allmählich in den Großkampf übergriff und den Infanteriekampf

schließlich bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts vollkommen bestimmte. Um einen derart weit

gespannten Prozeß in den einzelnen Stufen und Erscheinungsformen erkennen zu können, be-

darf es aber einer so umfassenden und gleichzeitig detaillierten Darstellung, wie sie in Schwarz'

Werk vorliegt. V. Regling

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Brian Manning: The English people and the English Revolution 1640-1649. London:

Heinemann 1976. X , 390 S.

Vor allem die Forschungen Christopher Hills haben die Aufmerksamkeit der Historiker auf das revolutionäre Element jener Epoche gewaltsamer Umwälzungen der 40er und 50er Jahre des 17.

Jahrhunderts gelenkt, deren Charakter lange Zeit reichlich und undifferenziert als »puritanische Revolution« umschrieben wurde. Ungeachtet der heftigen Forschungskontroversen über lang- und kurzfristige Ursachen der englischen Revolution galt das Interesse der Historiker den Mit- gliedern der Oberschichten, primär der Gentry. In der neueren Forschung ist sogar ein unüber- sehbarer Trend zu beobachten, die Rolle der Aristokratie verstärkt hervorzuheben1. Jüngste englische und amerikanische Untersuchungen haben sich zudem bestimmten Wirt- schaftskreisen zugewandt, deren gruppenspezifische Interessenlage in ideologischem und poli- tischem Einklang mit den Zielen der sogenannten Independenten stand2.

Einer der führenden Parlamentsgenerale, der Earl of Manchester, bemerkte einmal: »If we beat the King ninety and nine times, yet he is King still . . . but if the King beat us once, we shall all be hanged.« Dieses Problem hatte sich mit der Exekution Karls I. gelöst. Nach wie vor aber standen durch den Konflikt aufgeworfene und intensivierte Fragen verfassungsrechtlicher und sozialer Art an, an denen die 1649 entstandene Republik schließlich scheitern sollte.

An eben diesem Punkt setzt das vorliegende Buch des Hill-Schülers Manning ein. Der Autor wendet sich entschieden gegen die beherrschende Präsenz der Oberschichten in Geschichtsbü- chern und Spezialstudien zur englischen Revolution. Denn Sorgen, Nöte und Aktionen des Volkes hätten die eigentlich bewegende Kraft hinter den Geschehnissen des Bürgerkrieges dar- gestellt. Dabei begreift Manning unter Volk nicht die zahlreichen Armen und Abhängigen, son- dern die Masse kleiner, landhaltender Bauern und selbständiger Handwerker, »the middle sort of people« (S. V). Der Verfasser räumt zwar einleitend ein, daß die von ihm gewählte Interpreta- tion nur eine von mehreren Möglichkeiten darstellt. Er macht aber deutlich, daß er eben »im Volk« die entscheidende Kraft und Ursache der Revolution sieht.

Roter Faden und zugleich Kernthese des Buches ist die Behauptung, Anfang der 40er Jahre hät- ten sich im Parlament zwei Parteien gebildet, eine popular party und eine party of order. Unter anderem in Berufung auf Clarendon schreibt Manning dann erstere den Anhängern des Parla- ments im Bürgerkrieg zu, während sich der Großteil der herrschenden und besitzenden Schich- ten den Kräften und vermeintlichen Garanten der Ordnung, und damit dem Königtum, ver- schrieben hätten. Auf die dieser These innewohnende Problematik des Parteienbegriffes mag hier, zunächst ganz ohne Vorwurf, nur hingewiesen werden. Manning liegt zweifellos richtig, wenn er betont, daß vor allem in London den Mittelschichten (auch dies ein problematischer Begriff) wesentliche politische Bedeutung zukam. Doch es bleibt zu fragen, ob sich diese auf- grund ihrer politischen Organisationsmöglichkeiten wirklich originär und entscheidend poli- tisch artikulieren konnten, oder aber, ob nicht der Faktor Masse von den Führern der parlamen- tarischen Opposition um Pym benutzt wurde? Die Ergebnisse der neueren Forschung, beson- ders der Arbeiten Valerie Pearls und Robert Brenners, unterstützen eher die letztere Sicht, aller- dings ist der entscheidende Einfluß der den aufstrebenden Mittelschichten entstammenden New Men nicht zu verkennen. Auch ist unbestritten, daß die Jahre 1646-49 wesentlich von sozialem Konfliktstoff mitbestimmt wurden. Doch die von Manning konstruierte grundlegende Feind- schaft »des Volkes« gegen die herrschenden Klassen mit dem Ziel, eine neue Sozialordnung zu schaffen, kann nicht als solche übergangslos in Bezug mit der Opposition von Volkspartei und Ordnungspartei gesetzt werden. Denn schließlich kam der soziale Zündstoff nicht von ungefähr erst nach der Beendigung des militärischen Konflikts auf, also zu einem Zeitpunkt, in dem die integrierende Feindfigur des Königs als Gegner nicht mehr präsent war.

Daß die New Model Army sich vorwiegend aus den Mittelschichten rekrutierte, ist seit langem bekannt und als maßgeblicher Faktor der Dynamik der Ereignisse von 1646-49 anerkannt.

Doch beweist dies noch lange nicht, daß die Opposition gegen den König sich von Anfang an in sozialer Unzufriedenheit gründete. Manning verkennt ganz offensichtlich das Gewicht der Po- litik. Der Versuch des presbyterianischen, von gemäßigten und konservativen Kräften be- herrschten Parlaments 1647 und 1648, die Früchte des durch das Heer errungenen Sieges über 250 den König zu genießen, gleichzeitig aber dieses Heer ohne Entgelt und noch nicht einmal Aus-

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Zahlung der erheblichen Soldrückstände abzuservieren, war eben ein grundlegender politischer Irrtum. Zu den Momenten, die eine solche politische Entscheidung maßgeblich mitbestimmten, gehörte allerdings unzweifelhaft auch, das Vorhandensein veränderter sozialer Gruppierungen zur Kenntnis zu nehmen und verfassungsmäßig so umzugießen, daß Konflikte sich auf anderem als dem Wege der Gewalt hätten lösen lassen können. Ganz offensichtlich verkennt Manning auch, daß durch den Bürgerkrieg an sich das Aufkommen und die Artikulierung sozialer Anlie- gen aus den Unterschichten vorangetrieben wurden.

Spezielle Demokratisierungswünsche der westlichen Welt und des 20. Jahrhunderts lassen es zwar verständlich erscheinen, in der Vergangenheit nach Vorläufern und Vorbildern zu suchen.

Daß langfristige soziale Veränderungen die englische Geschichte seit Heinrich VIII. (Aufkom- men der Gentry, beginnende Parlamentarisierung) bestimmten, kann von keiner ernsthaften hi- storischen Forschung mehr bestritten werden. Die von den im Parlament vertretenen sozialen Gruppen beanspruchten Rechte mußten zwangsläufig eine egalisierende Tendenz in sich tragen.

Der wachsende politische Anspruch der middling sort kann daher überhaupt nicht übersehen werden. Der gegenüber dem König behauptete emanzipatorische Anspruch des Parlaments, be- sonders des Unterhauses, mußte diese Tendenzen beleben. Daß der englische Bürgerkrieg in eine Revolution einmündete, muß daher mit eben dieser Problematik begründet werden. Doch auch die Einsicht ursprünglich gemäßigt oppositioneller Parlamentarier, wie etwa Edward H y - des, daß der Anspruch der Oberschichten gegenüber der Monarchie auf weitergehende politi- sche Rechte bzw. Macht eine soziale Lawine in Gang setzen würde, und ihr daher konsequent vollzogener Rückzug zu den Königlichen, kann doch nicht die politische Existenz einer sozia- len Bewegung der Unter- und Mittelschichten belegen; denn es darf nicht übersehen werden, daß die eigentlichen Macher des Konflikts mit der Monarchie von wesentlich begrenzteren In- tentionen ausgingen. Daß sie sich zur Durchsetzung ihrer Ziele der Massen bedienten, spricht also eher dafür, daß die führende Opposition unter Pym offensichtlich nicht bereit oder fähig war, die möglichen Konsequenzen eines solchen Schrittes zu bedenken. Auch wurden die herr- schenden Klassen, ganz entgegen Mannings einschlägiger Behauptung (S. 317), nicht über den Haufen geworfen. Zwar hatten die Bürgerkriegsjahre und insbesondere der Dienst in der New Model Army vermehrte Aufstiegschancen auch für Menschen niedrigster Herkunft gebracht.

Doch auch der religiöse und in der Konsequenz auch soziale Enthusiasmus Cromwells wollte letztlich nicht die Zugehörigkeit zu einer »gottgewollten« herrschenden Klasse verleugnen. Ge- rade der »Junker« Cromwell aber mag als prominentestes Beispiel dafür dienen, daß die gleich- macherische Dynamik puritanischer Rhetorik von denen, die sie so kraftvoll handhabten, un- terschätzt wurde.

Die Deftigkeit abschätziger Bemerkungen von Royalisten wie Parlamentariern in ihrem Er- schrecken über die Tatsache, die keine war, »the basest and vilest of the nation, the lowest of the people have got the power into their hands« gibt zwar treffend das vorhandene Gefühl der Be- drohung unter den Eliten des Landes wieder, ändert aber doch nichts daran, daß die bestehende Ordnung nicht »auf den Kopf gestellt wurde«. Wenn die 1649 begründete Republik sich als nicht lebensfähig erwies, so hatte dies seine Ursache vornehmlich darin, daß das von der purita- nischen Opposition bzw. ihren Führern für selbstverständlich gehaltene oligarchische Herr- schaftsprinzip durch die Ereignisse der 40er Jahre schon weitgehend unterminiert war - die Folge war die Militärdiktatur.

Die Echtheit der von Manning reichlich angeführten Zitate soll hier überhaupt nicht bestritten werden, der Gegenstand seines Interesses mag modern und stimulierend sein, doch seine in ei- nem Guß gebotene Darstellung verstellt den Blick auf die Wirklichkeit. Die faszinierende Ak- tualität der brisanten sozialen Probleme und Bestrebungen der Revolutionszeit (seine beiden ab- schließenden Kapitel über die Leveller gehören mit zum Besten, was hierzu bislang geschrieben wurde 3) hat ihn offenbar dazu verleitet, eigene politische Vorstellungen massiv für das 17. Jahr- hundert zu reklamieren. Das vorliegende Buch ist solchermaßen eine Schatzkiste für den histo- risch Interessierten und ergänzt vor allem die Forschungen Hills über Ziele und Vorstellungen der Unterschichten der middling sort, es dürfte zu den Standardwerken der sozialen Frage in der englischen Revolution zu zählen sein. Es gibt jedoch keine bzw. eine falsche Antwort sowohl auf die Frage nach den Ursachen als auch den auslösenden Momenten der englischen Revolu- 251 tion. Vermutlich hat wohl eher die Enttäuschung über den Fehlschlag der von ihm gewünschten

(16)

»Revolution des Volkes« Mannings Geschichtsbild bestimmt, weniger aber die tatsächliche

»politische« Existenz einer solchen Bewegung. Hans-Christoph Junge

1 Siehe dazu etwa J. E. Farneil: The aristocracy and leadership of Parliament in the English "Civil Wars. In:

Journal of modern history. 47 (1975) 79-86.

2 Unter anderem R. Brenner: Commercial change and political conflict The Merchant Community in Civil War London. Princeton, N. J., Diss. 1970; J. E. Farnell: The politics of the City of London, 1649-1657.

Chicago, Diss. 1963; vgl. auch V. Pearl: London and the Puritan Revolution. City government and na- tional politics, 1625-1643. Oxford 1961 (ein zweiter Band für die restlichen Bürgerkriegsjahre ist in Be- arbeitung).

3 Dies das Urteil J. P. Coopers in Times Lit. Suppl. v. 3. 9. 1976, S. 1072.

Jörg Calließ: Militär in der Krise. Die bayerische Armee in der Revolution 1848/49.

Boppard a. Rh.: Boldt 1976. VI, 224 S. (= Wehrwissenschaftliche Forschungen. Abt.

Militärgeschichtliche Studien. 22.)

Der bayerischen Armee wurde in der konstitutionellen Ordnung des 19. Jahrhunderts (Verfas- sungs-Urkunde von 1818) zwar eine verfassungsrechtliche und politische Sonderstellung zuge- billigt, doch spielte das Heer-zumindest bis 1866-71 -keine zentrale Rolle in Staat und Gesell- schaft. Als soziales System betrachtet, waren Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften ge- genüber der gesellschaftlichen Umwelt kaum abgegrenzt und im Inneren nur unvollkommen in- tegriert. Ebenso wie die Masse der Soldaten kann man die militärische Führungsschicht als für ihre eigentlichen Aufgaben mangelhaft qualifiziert bezeichnen. Die politischen Auseinander- setzungen in Bayern und Deutschland zwischen 1830 und 1850 wirkten sich, begünstigt durch die formale Struktur des Heeres und die Mentalität seiner Mitglieder, in erheblichem Umfang in der Armee aus. Im Verlaufe der Revolution von 1848/49 erwies sie sich nicht als eine verläßliche Stütze des monarchischen Prinzips; im Gegenteil: ihr Zustand und das Verhalten der Soldaten lähmten den Widerstandswillen der Vertreter der bestehenden Ordnung und ermunterten zu- gleich die Träger der revolutionären Bewegung zu weiterer Aktivität.

Ein Prozeß sozialorganisatorischer Auflösung kennzeichnet die Entwicklung der militärischen Macht in Bayern vom Höhepunkt der Lola-Montez-Affäre bis zum Auslaufen der revolutionä- ren Ereignisse im Jahre 1849. Zwar treten Insubordination, Zersetzung von Disziplin und Ord- nung, Autoritätsschwund und Fraternisierungen vornehmlich bei Mannschaften und Unterof- fizieren auf, doch macht sich auch in den oberen Rängen eine wachsende Vertrauenskrise, ein Entfremdungsprozeß zwischen König und Offizierkorps bemerkbar; vereinzelt führt dies zu einem deutlichen Loyalitätsverlust. Die Vorgänge in der Pfalz sind dafür ein überzeugendes Bei- spiel. Die Unterschiede zur preußischen Armee und deren Verhalten in der Revolution 1848/49 sind unübersehbar. Die innenpolitische Funktion des Stehenden Heeres und seine Rolle im Deutschland des 19. Jahrhunderts können somit nicht durch eine Verallgemeinerung der am preußischen Beispiel gewonnenen Forschungsergebnisse beschrieben werden. Die landesge- schichtliche Fragestellung ermöglicht ein exakteres, ein differenzierteres Bild.

Dies sind die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung von J. Calließ, die 1973 von der Philosophisch-Sozialwissenschaftlichen Fakultät der TU Braunschweig als Dissertation angenommen worden ist. Die auf ausgedehnten Studien in bayerischen staatlichen und städti- schen Archiven basierende Arbeit ist gekennzeichnet durch eine quellennahe, konzentrierte und auf Wiederholungen konsequent verzichtende Darstellung, durch scharfsinnige Analysen und Erklärungen politischer, gesellschaftlicher, militärischer und organisatorischer Zustände und Vorgänge, wobei Erkenntnisse, Theorie, Modelle und Methoden der modernen Organisations- soziologie für die historische Forschung fruchtbar gemacht werden, und durch ausgewogene, den komplexen Problemen angemessene Urteile. In einer Schlußbetrachtung (S. 194-205) wird die Rolle der Armee in Bayern 1848/49 mit dem Verhalten des preußischen Militärs in derselben 252 historischen Situation verglichen.

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