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Als Möghchkeit allerdings nur, wie sogleich einzuschränken ist, deim die aus der Vergangenheit auf uns gekommenen Worthülsen waren bzw

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Projektionen eigener Leitvorstellungen in fremde Denkmuster *

Von Walter Slaje, Halle

Wer sich in Auseinandersetzung mit einer außereuropäischen Hochkultur um ein

adäquates Verständnis ihrer - mehr oder minder fremd anmutenden - Ideenwelt

bemüht, kann sich als Indologe auf vergleichsweise reichhaltig überliefertes Textmate¬

rial stützen. Ein Privileg gleichwohl, über das andere altertums- bzw. kulturkundliche

Disziplinen nicht immer im selben Umfange verfugen. Mit dieser vergleichsweise

reichhaltigen Überlieferung der aufgezeichneten Vorstellungen und Gedanken Indiens ist uns daher ein - wermgleich mittelbarer, so dermoch - sehr direkter Kontakt zu alten, ja ältesten Gedankenwelten sowie zu den auf ihnen beruhenden Kulturen als Möglich¬

keit an die Hand gegeben. Als Möghchkeit allerdings nur, wie sogleich einzuschränken

ist, deim die aus der Vergangenheit auf uns gekommenen Worthülsen waren bzw. sind

ja von Inhalten erfüllt, die den unsem zwar oft ähneln mögen - was Übersetzungen prinzipiell ermöglicht -, die sich aber im Sinne einer lexikographischen Univozität nur

selten völlig decken - was explikative Ergänzungen zu nahezu jedem übersetzten

Begriff beinahe unumgänglich macht.

Den aus diesem Sachverhalt zu ziehenden Schluß hat bereits Paul Hacker allzu

treffend formuliert, um ihn nicht zu zitieren; wenn er, wo in solchen Fällen uns etwas fremd erscheinen sollte, den Verdacht darauf gelenkt wissen will, daß hier eine fremde

Sprachgemeinschaft sich die Weh anders anverwandelt' habe. Gelänge es aber, das Wo

und Wie dieses Andersseins richtig zu erkennen, gewönnen wir nicht nur ein zutreffen¬

des Bild anderer Kultiu-en, sondem wir hätten ims auch - bis zu einem gewissen Grade

- vom Weltbild der eigenen (muttersprachlichen) Kultur freigemacht und anderen

Betrachtungsweisen Raum gegeben, die Welt gewissermaßen mit den Augen anderer

-ja sogar auch längst vergangener - Zivilisationen betrachtet.

Diese von Philologen entwickehe und geübte Kunst des kulturellen Brillenwechsels

* Ausarbeitung und Vortrag des vorhegenden Beitrags erfolgten mit finanzieller Unterstützung des von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wien) eingerichteten APART-Forschungs- programms (Austrian Programme for Advanced Research and Technology).

' P. Hacker: Zur Methode der philologischen Begriffsforschung. In: ZDMG 115 (1965), S. 304. = Paul Hacker: Kleine Schriften. Hrsgg. von L. Schmithausen. Wiesbaden 1978 (Glasenapp-Stiftung.

15.), S. 28.

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hat durchaus weitreichende Implikationen. Denn so manche zunächst unverständlich

wirkende Erscheinung in den Gebräuchen fremder Völker wird für uns erst vor dem

richtig erkannten Hintergrund ihrer ideenweUlichen - in ihrem historischen Wachstum i

häufig sogar beobachtbaren - Voraussetzungen klar. Eine der latenten Gefahren für

Mißverständnisse liegt mm in der - wohl nur psychologisch begründbaren - Neigimg,

die Inhahe fremder Begriffe auch dem eigenen Verständnis möglichst umgehend

dadurch zu erschließen, daß man einen lexikalisch für adäquat erachteten Begriff der

eigenen Sprache aufzuspüren sucht, dessen Inhalt unter all den bekannten und von

daher auch als allein möglich angesehenen Inhalten am passendsten erscheint.

Ich möchte die Problematik einer solchen - weitgehend unbewußt vorausgesetzt

3

werdenden - Annahme von begrifflich-semantischer Deckungsgleichheit am Beispiel j

eines altindischen Wortes ganz knapp und unter Verzicht auf die philologische Beweis- ftihrung, welche anderswo erbracht dort nachprüfbar ist,^ demonstrieren.

Der Inhalt dieses Begriffes, insofem er zunächst einmal im weitesten Sinn dem

Bedeutungsfeld von Fmchtbarkeit und Nachkommenschaft zugeordnet werden kann,

betrifft durchaus eine existentielle Dimension des Menschseins. Es handelt sich um das I

1

altindische Wort rtü- sowie um zwei von diesem abgeleitete, substantivierte Zuge- j

hörigkeitsadjektive, nämlich rtv(i)ya- und ärtavä-, wofür die Wörterbücher in spezi- i

* }

fischen Kontexten "Menstmationsregel" als Bedeutung anzugeben pflegen. An dieser '

vor allem von der vedistischen Forschung mehrheitlich akzeptierten Bedeutung began¬

nen sich aber Zweifel aufzutun, als eine Untersuchung^ der Entstehungsgründe eines j

unter dem Namen "Tobiasnächte" bekanntgewordenen" und lange Zeit hindurch sogar |

als altindogermanisch angesehenen indischen Brauches, die ersten drei Nächte nach \

der Hochzeit in Keuschheit zuzubringen, über diese Begriffe führte. Es erwies sich

nämlich, daß diese keusch verbrachten Hochzeitsnächte ursprünglich bloß die ersten

drei von weiblicher Blutung charakterisierten (Menstmations-)Nächte rituell nach¬

ahmten, um einerseits zwar die (blutige) Defloration anläßlich der Hochzeit zu verdek- i

ken, andererseits aber, um zugleich auch eine Empföngnis zu gewährleisten. Wie aber

^ W. Slaje: rtü-, ftv(i)ya-, ärtavä-: Weibliche "Fertilität " im Denken vedischer Inder ". In: Joumal of j

the European Ayurvedic Society 4 (1995), S. 109-148. j

' W. Slaje: Zur Erklärung der sog. "Tobiasnächte " im vedischen Indien. In: Studien zur Indologie und |

Iranistik 21 (1997), im Druck. i

' Dies ist in der Tat auch besonders signifikant hinsichtlich des einleitend Gesagten, nämlich daß man 1 fremde Erscheinungen zunächst einmal vor dem Hintergrund des (aus dem eigenen Kulturkreis) bereits !

Bekannten verstehen und auch vor diesem Hintergrand verständlich machen möchte. Das Fremde wird j

gewissermaßen in das Eigene hereingeholt, ganz wie Eigenes gedeutet, wobei ihm der Charakter dieses i ursprünglich "Fremden" zugleich genommen wird. Die drei altindischen Keuschheitsnächte wurden auf |

diese Weise durch eine Benennung in Anlehnung an das Buch Tobit des Alten Testaments in den 1

Verständnishorizont des eigenen Kulturkreises hereinzuholen versucht, und kaum anders stellt sich der Versuch dar, sie als trinoctium nach altrömischem Privatrecht - und damit nach antiken Vorbildem - zu deuten! Vgl. dazu SLAJE: op.cit (Anm. 3)

m

(3)

ließe sich letzteres mit "Menstruation" nach imserer Auffassung vereinbaren?

Die Grundbedeutung des fraglichen Wortes rtü- ist zwar etymologisch nicht völlig

geklärt, doch steht ein ursprünglich semantischer Zusammenhang mit Zuteilungen, in

der Folge sodann auch mit (zeitlichen) Abgrenzungen bzw. Perioden, was ja zum

Ansatz "Menstruationsperiode" verleitete, immerhin außer Zweifel. Ein Beleg dafiir, daß das davon abgeleitete rtviya- klärlich eine direkte Beziehung zu Nachkommen¬

schaft aufweist, liegt in einer ausflihrlich gehahenen Stelle der vedischen Textüberiie¬

ferung (Taittiiiyasamhitä II 5,1.5) vor, die für unseren Zweck hier bloß verkürzt

wiedergegeben zu werden braucht:

rtviyät prajä m vindämahai; rtviyät striyah prajä nt vindante ...

Die Übersetzer dieser Stelle, da sie einem von rtü- abgeleiteten und so als zutref¬

fend erachteten Bedeutungsansatz "Menstruation" folgten, interpretierten auf der

Grundlage des zur Selbstverständlichkeit gewordenen Wissensschatzes ihrer Zeit,

wonach Frauen nämlich stets nach - doch nicht aufgrund - ihrer Blutung empfangen,

den sonst vorwiegend einen Ursprung oder Grund bezeichnenden Ablativ (rtviyät) als

temporal gebrauchten. Daher "Zeit nach der Monatsblutung"'! Als unbewußt wirken¬

der Parameter für diese Interpretation diente ersichtlich die im eigenen Kulturkreis vorherrschende, z.T. ja auch naturwissenschaftlich begründete Auffassung von derlei humanbiologischen Vorgängen.

Die weitere Verfolgung dieses Textstückes veranschaulicht nun, wozu eine so

geartete erste und - wie sich noch zeigen wird - unzulängliche Deutung fiihren konnte.

Der letzte Teil des in Rede stehenden Abschnitts nämlich wurde demgemäß nun so

übertragen bzw. gedeutet, als handle er vom Verbot von Geschlechtsverkehr mit

Frauen sowohl während der Zeit ihrer Menses als auch unter ganz besonderen Um¬

ständen, etwa während sie sich badeten, den Körper einölten, sich kämmten, die Augen

schminkten, die Zähne putzten, die Nägel schnitten, spannen. Seile drehten, aus

Blättem oder zerbrochenen Gefäßen tranken usw. Dies alles wäre nach Ansicht jener

Philologen im alten Indien als praktizierbar gedacht und - infolgedessen - auch

untersagt worden!

Quellen aus spätvedischer Zeit, die das rituelle Verfahren der Angehörigen häusli¬

cher Gemeinschaften regeln (Grhyasütra) ermöglichen demgegenüber, einen etwas

wirklichkeitsnäheren Begriff von dem, was die genaimten Observanzen tatsächlich

' Z.B. A. B. Keith: The Veda ofthe Black Yajus School entitled Taittiriya Sanhitä. Part 1: Kändas I-III.

Transi. from the original Sanskrit prose and verse. Cambridge/Mass. 1914 (Harvard Oriental Series.

18.), S. 189: "let us obtain offspring^om after the menses; therefore women obtain offspring from after the menses"; J. Gonda: Notes on Atharvaveda-Sarnhitä Book 14. In: IIJ 8 (1964/65), S. 14: "... from the period after the menses"; K. Mylius; Älteste indische Dichtung und Prosa. ... Wiesbaden 1981, S. 117:

"In der Zeit nach der Monatsblutung ... Nachkommenschaft empfangen

(4)

meinten, zu entwickeln. Aus diesen Quellen geht nämlich unmißverständlich hervor, daß einer Ehefrau wälirend der Zeit ihrer Menses, die an einem blutbefleckten Kleid,

das sie zu fragen hatte (malavadväsas), erkennbar gemacht werden mußten, drei Tage

lang in der Tat jeder Kontakt mit ihrem Mann untersagt war, und daß sie während

dieser Zeit der Blutung weder Körperpflege befreiben noch die anderen eben angeführ¬

ten Tätigkeiten ausfütu-en durfte, um, wie es heißt, ihre Nachkommenschaft zu schüt¬

zen. Dies mutet zunächst vielleicht eigenartig an, zumal für die vierte Nacht nach

Einsetzen der Blutung bereits ein ehelicher Verkehr vorgeschrieben wurde. Ver¬

ständlich werden diese Vorschriften erst, werm wir uns von dem Begriff der Men¬

struation im heutigen Sinne frei machen imd versuchen, das Phänomen dieser Blutung mit den Augen einer Kultur zu sehen, zu deren Merkmalen es gehört, auch archaische Vorstellungen auf ihre Weise fraditionell zu bewahren.

Aus der Art seiner Verwendung in den Texten wird erkennbar, daß rtü- mehr

bedeuten muß, als was semantisch mit Begriffen, die die bloße Tatsache des monatli¬

chen Blutflusses direkt bzw. umschreibend ausdrücken (rajas/rajas-valä,

malavadväsas), zur Deckung zu bringen ist. rtü- erweist sich stets als ein weiterer Begriff, der, die engeren Begriffe der eigenthchen "Menstruation" umfassend, diese in sich einschließt und somit die - worauf ja auch die Etymologie hinweist - regelmäßig

wiederkehrende, gesamte Periode bezeichnet, in der eine Frau im alten Indien als

empfängnisfähig angesehen wurde. Das Einsetzen des Blutflusses aber galt als Merk¬

mal bloß für den Beginn einer solchen empfängnisgeeigneten Periode. Der Unterschied

zu unserer Auffassung liegt demnach zunächst einmal darin, daß der Blutfluß Teil

dieser fruchtbaren Zeit ist! Wie es zu einer solchen Auffassung kommen koimte,

darüber lassen sich bloß Vermutungen anstellen. Einen hohen Grad an Wahrscheinlich¬

keit dürfte m. E. die Erklärungsmöglichkeit beanspruchen, daß bei einer halbnomadi¬

sierenden Viehzüchtergesellschaft, wie die fiühvedische es war, aus Natur- und Tier¬

beobachtung gezogene Analogieschlüsse nicht ausbleiben konnten. Es war mit Si¬

cherheit allgegenwärtiger Gegenstand der Beobachtung, daß Kühe beim ersten Auf¬

treten von Brunstschleim, Hündinnen beim Einsetzen des Abblutens besprungen

wurden, imd daß die weiblichen Tiere bald darauf trächtig wurden. Nun schreiben die

altindischen Ritualtexte eine Kopulation in jeder zweiten Nacht, und zwar von der

vierten bis zur sechzehnten Nacht nach Beginn der Regelblutung, vor. Dies aber

bedeutet, daß der jeweils erste Verkehr sich zu einem Zeitpunkt ereignen mußte, wo

eine Blutung noch sichtbar vorhielt. Es gibt Zeugen, die die Tatsache dieser älteren,

archaisch anmutenden Praxis zwar durchaus bestätigen, aber doch bereits auch ein

Unbehagen an ihr artikulieren.' Damit weisen sie auf eine spätere Zeit, wo die

'Vgl. Gobhilagrhyasütra with Bhattanäräyana's comm. crit ed. ... by CH. Bhattacharya. Calcutta 1936 (Calcutta Sanskrit Series. 17.): "Einige [lehren] die Vereinigung nach [Ablauf von] drei Nächten."

(5)

Dharmasästras den ersten Verkehr erst aufdie fünfte Nacht nach Beginn der Blutung

verschieben. In diesem Zusammenhang keimt natürlich der Verdacht auf, daß es sich

bei solch frühem Verkehr um den Versuch einer optimalen Nutzung der weiblichen

Fertilität - und zwar unter einem ganz besonderen Gesichtspimkt - gehandelt haben

wird. Deim hinter einer solchen rituellen Praxis muß doch eine ganz gewisse Vor¬

stellung gestanden haben. Den Weg zu dieser weisen ims jüngere Quellen, die über die

Ursachen der Zeugung reflektieren. Nach dem bemerkenswerten Testimonium der

ärztlichen Schriften erklärte man sich diese Ursachen aus dem Zusammenwirken von

Sperma als männlichem, und ("Menstruar'-)Blut (ärtavä-) als weiblichem Zeugungs¬

stoff. Die damit zusammenhängende Lehre nun, daß an geraden Tagen innerhalb einer

Fertilitätsperiode (rtu) männliche, an ungeraden aber weibliche Nachkommenschaft

erzeugt werde, begründen nicht nur die Mediziner mit einer je höheren Quantität an

Sperma bzw. weiblichem Blut, wie sie von dem betreffenden Eltemteil an solchen

Tagen produziert werde. Die von uns so genannte "Menstruation" wurde im alten Indien daher als eine die fhichtbare Periode einleitende, sichtbare Überproduktion

weiblichen Zeugungsstoffes angesehen, mithin als ein quantitatives Vorherrschen

weiblichen Stoffes. Sollte es während dieser aus indischer Sicht bereits fhichtbaren

Zeit zu einer von den Medizinem ausdrücklich als möglich erachteten Konzeption

kommen, so barg diese die Wahrscheinlichkeit - ja sogar erhebliche Gefahr - der

Erzeugung von schwächlicher/weiblicher Nachkommenschaft. Zieht man nun in

Betracht, daß die Intensität des Blutflusses gegen den vierten Tag hin bereits beobacht¬

bar nachläßt, bis er schließlich äußerlich nicht mehr in Erscheinung tritt, so kann diese Auffassung von der besonderen Natur zeugungskräftigen weibhchen Blutes tatsächlich

den Gmnd für die Vorschrift abgegeben haben, sich bereits in der vierten Nacht als

dem ehest möglichen Zeitpunkt für die Zeugung männlicher Nachkommenschaft, wo

nämlich die Quantität des Sperma gegenüber der des weiblichen Stoffes wieder zu

überwiegen beginnt, der Gattin geschlechtlich zu nähem. Selbstverständlich braucht der hier sichtbar werdende Ideen-Strang nicht notwendig zu allen Zeiten und in allen

Regionen Indiens allein bestimmend gewesen zu sein. Wir wissen ja auch von Berüh-

mngsangst aufgmnd von Bluttabu und der damit zusammenhängenden Furcht vor

Veranreinigung bzw. Kontamination durch die im Blut enthalten geglaubten schädli¬

chen Stoffe. Die Tatsache aber, daß der hier geschilderte Strang im textarchäologi¬

schen Scherbenmaterial tatsächlich erhahen geblieben ist, beweist hinlänglich seine einstige Existenz.

Kehren wir nun nochmals zum oben beispielhaft zitierten Beleg zurück, und setzen

"[Wir dagegen lehren:] Dann ist die Zeit für die Vereinigung [gekommen], wenn der Blutfluß der [Gattin, die ihren]/«« hat, aufgehört hat." (11,5.7-8: ürdhvam triräträt sambhava ity eke jlj yadartumati bhavaty uparatas'onitä tadä sambhavakätah ||8||)

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wir die vor allem aus den medizinischen Texten gewonnene, aber durchaus auch anderswo nachweisbare Bedeutung von rtviya- als zur weiblichen Fertilitätsperiode

gehörigem Zeugungsstoff in die sprachlich ältere, vedische Überlieferung ein. Da

erweist sich dann in der Tat, daß die besonderen Vorschriften - vor dem Hintergrund archaisch-indischen Denkens allerdings, das gewissen Handlimgen magisch-äquivalen¬

te Wirkungen zuschreibt - sinnvoll und auch für ims verständlich werden. Für den

alten Inder signalisierte die vermehrte Absonderung dieses weiblichen Stoffes den

emeuten Beginn der Empfängnis- bzw. vielleicht präziser: "Zeugungs"-fähigkeit seiner Frau. Zur Benennung dieser regelmäßig auftretenden Periode diente der Begriff rtü-,

der die Regelmäßigkeit periodischer Zeitläufe schlechthin und damit sowohl die von

Jahreszeiten als auch von weiblichen Fertilitätsperioden zum Inhalt hat. Bezeichnen¬

derweise verwendeten die Mediziner - in Weiterführung der jahreszeitlich-botanischen Metapher - für das Regelblut auch den Ausdmck puspa ("Blüte"), für das Ergebnis dieses "Blühens" aber phala ("Fmchf )!

Daran aber, daß die ftir eine Frau während der Zeit ihrer Fertilitätsperiode geltenden rituellen Verbote sich nicht zu schminken usw.' ausdrücklich zum "Schutz der [sich entwickelnden] Nachkommenschaft" gedacht waren, wird schließlich ersichtlich, daß eine Frau während der Produktionsperiode ihres Zeugungsstoffes (rtviya-) bereits als

potentiell schwanger angesehen worden sein mußte. Daher auch die Furcht vor der

Gefahr einer durch äußere Handlungen und Umstände negativen Beeinflussung der im

weiblichen Zeugungssekret keimhaft präexistierend gedachten Fmcht! In dem oben

angeführten Textstück der Taittiriyasarnhitä artikuliert sich demnach der Wunsch, "aus dem zur fhichtbaren Periode gehörenden [Zeugungsstoff] (rtviyät)" Nachkommen¬

schaft zu gewinnen. Und dies setzt doch etwas völlig anderes voraus als wir unter "in der Zeit nach der Menstruation " verstehen.

Damit ist ein aussagekräftiges Beispiel für ein sogar mehrdimensionales kulturelles

Mißverstehen gewonnen: Die semantische Extension des indischen Begriffes rtü-

schließt zwar das, was wir Menstmation nennen, durchaus mit ein, führt jedoch gleich¬

zeitig darüber hinaus. Die Projektion der Semantik des europäischen Begriffs von einer weiblichen "Blutungs-Periode" (Menstmation) in den der indischen "Fertilitäts¬

periode" (rtü) provozierte eine nur vordergründig begriffliche Deckung, die so keines¬

wegs gegeben sein kann. Aber gerade durch diese Projektion wurde auch jede Mög¬

lichkeit verbaut, etwas für uns Fremdes im indischen rtü- auszumachen. Dieses Frem¬

de liegt - neben der erweiterten Semantik von Fertilität - auch im besonderen Charak¬

ter, den man dem Blut zuschrieb und das, anders als nach neuerem europäischen

' Anders als nach Ansicht so mancher Philologen, die durchaus nichts Außergewöhnliches daran fmden wollten, besagen diese Verbote aber gewiß nicht, daß während des Schminkens, Nägelschneidens usw.

ein Geschlechtsverkehr zu unterlassen sei!

(7)

Wissen* - doch auffallend ähnlich der aristotelischen sowie mittelalterlich-alchemisti-

schen Auffassung - als eine Art von Überproduktion weiblichen Zeugungsstoffes den

Beginn emeuter Fmchtbarkeit verhieß. Die Gründlichkeit des Mißverstehens wird

weiters auch anhand der Bewertung des Charakters des Ereignisses deutlich. Dies zeigt

das folgende Beispiel der Übersetzung einer RV-Stelle, wo die in Europa vorherr¬

schende Bewertung des Wesens einer Menstmations-Periode als eines krankheits¬

artigen, schmerzhaften Vorgangs auf die völlig andersgeartete indische als des Eintritts

einer willkommenen, Nachkommenschaft verheißenden Periode übertragen und mit ihr

gleichgesetzt wiu-de: "... wie du am eigenen Leibe zur Zeit der Regel Not littest"^.

Ich denke, daß bereits aus der eben demonstrierten Untersuchung eines simplen -

und damit meine ich: eines von beispielsweise philosophisch komplizierteren Kon¬

notationen freien - Begriffs klar hervorgeht, wie schwierig es sein kann, sich mögli¬

cher unbemerkt wirkender Leitvorstellimgen der eigenen Kultur überhaupt erst einmal

bewußt zu werden, um sich von diesen gegebenenfalls auch fi-eimachen zu können.

Andemfalls werden derlei Vorstellungen bei der Konfrontation mit dem Fremden

weiterhin "leitend" in dem Sirme wirken, daß zunächst eiiunal nur anderswo "ent¬

deckt" wird, was aus dem eigenen kulturellen Umfeld ohnehin bereits bekannt ist. Die

Erforschung fremder Kulturen läuft damit aber Gefahr, zum Versuch einer bloßen Auf¬

deckung vertrauter Phänomene aus dem eigenen Kulturkreis zu verkommen, zum

Aufspüren von dem Grunde nach bekaimten Konzeptionen, die man in das Fremde erst

projiziert, um fest daran glauben zu köimen, es richtig verstanden zu haben. Fremde Kodiemngen werden dabei sprachlich so weit entschlüsselt, bis einer erfolgreichen

konzeptionellen Parallelisierung nichts mehr im Wege steht. Dies mag sich zwar bei

verschiedenen Sprachen eines mehr oder wemger einheitlichen, gemeinsamen Wurzeln

verpflichteten Kulturkreises gut bewähren. Bei der Auseinandersetzung mit fremden.

' Man braucht hier nicht zu betonen, daß auch unser "Wissen" sehr jung ist. Noch im 18. Jh. herrschte in Europa größte Unsicherheit über die Natur des Menstmalblutes. Die wissenschaftliche opinio communis neigte sich zu dieser Zeit dahin, daß das Blut dem Kind im Mutterleib als Nahmng diente - was aus seinem Ausbleiben während der Schwangerschaft erschlossen wurde! In ähnlicher Weise, nämlich durch Analogieschlüsse aufgmnd von Tierbeobachtung, dürften auch die vedischen Inder von der zeugungskräftigen Natur des weiblichen Regelblutes "gewußt" haben. Vgl. oben, S. 20.

' K. F. Geldner: Der Rig-Veda, aus dem Sanskrit ins Deutsche übers. 4 Bde. Cambridge/Mass. 1951 (Harvard Oriental Series. 33-36.), Rgveda X 183,2b: sväyäni tanu rtvye nädhamänäm. Vielmehr müßten wir die Stelle verstehen als: "... [sah dich,] für deinen Leib im Hinblick auf den zur Fmchtbar- keitsperiode gehörenden [Zeugungs]stoff 'Not leiden"', nädhamänäm ist hier im Sinne der auch von K.

Hoffmann: Aufsätze zur Indoiranistik. Hrsgg. von J. Narten. Bd 1. Wiesbaden 1975, S.271 f., eingeräumten Möglichkeit aufzufassen, daß, wer in Not geraten, auch hilfsbedürftig, (um Hilfe) flehend sein kann, und daß das Wort wohl schon in rgvedischer Zeit mit näth "Zuflucht suchen bei (Lok.)"

verwechselt wurde. Somit scheint mir die Stelle "im Hinblick auf / - des Zeugungsstoffes wegen 'Not leiden'" als "diesen Stoff heftig erwartend / ihn erflehend" - im übrigen auch auf Gmnd der Beweislast der sonstigen einschlägigen rfii-Stellen - interpretiert werden zu müssen. Vgl. auch SLAJE: op.cit.

(Anm. 2), S. 139.

(8)

unabhängig voneinander gewachsenen Kulturen wird jedoch dadurch allein das wahr¬

haft Neue - im Sinne des noch Unbekannten, erst zu Entdeckenden - noch keineswegs in das Blickfeld gerückt. Dies mag durchaus gänzlich und imerwartet "anders" sein, so daß ein Rückgriff auf eine bereits bekannte Entsprechung nicht möglich ist. Man kann somit nicht immer sicher sein, was zu fmden sein würde, aber man sollte stets dessen

gewärtig sein, daß dennoch etwas da sein könnte, das noch unerkannt ist, und das es

erst richtig zu fassen gilt. Dies allerdings will - um Paul Hacker ein weiteres Mal zu zitieren'" - vom Philologen "bemerkt" sein imd "erfordert Selbstbeobachtung". Ein

einigermaßen adäquates Bild der Ideenwelt fremder und alter Kulturen läßt sich auf

einer anderen Grundlage wohl kaum erarbeiten. Das Problem liegt hierbei bekannt¬

lich" ja auch weniger im Bereich der lautgesetzlich verfahrenden, grammatisch¬

etymologischen Wortanalyse, als vielmehr in dem der Exegese, die ja den Sinn aus

Zusammenhängen zu erschließen hat. Dieser Aufgabe muß der historische Philologe

sich stellen, der, will er firemde Kulturen mit deren Augen erkunden, um angemessen

beschreiben zu köimen, wie sie die Welt sahen bzw. möglicherweise immer noch

sehen, sich die Sensibilität fur die Tatsache bewahren muß, daß es zahllos mehr und

vor allem auch andere Weisen als nur die imsere gibt, sich die Welt gedanklich und

sprachlich "anzuverwandeln"^^ Denn andemfalls könnte er allzu leicht der Gefahr erliegen, dieses "andere" - ohne dessen überhaupt je gewahr geworden zu sein - in die eigenen kulturellen Vorstellungen "umzuverwandeln "\

P. Hacker: op.cit. (Anm. 1), S. 295 f. (= Kl. Sehr. S. 19 f.)

" Vgl. dazu auch P. Thieme: Brähman. In: ZDMG 102 (1952), S. 91fr. = PAUL THIEME: Kleine Schriften. Hrsgg. von G. BUDDRUSS. Teil 1. Wiesbaden 1971 (Glasenapp-Stiftung. 5.1.), S. 100 ff.

" Vgl. oben, Airai. 1.

(9)

Überlegungen zur Bewertung vorislamischer indischer Historiographie*

Von Christiane Schnellenbach, Gelsenkirchen

In indologischen und geschichtswissenschaftlichen Veröffentlichungen zur vorisla¬

mischen Historiographie Indiens' werden bis in die Gegenwart bestimmte Urteile und

Erklärungsmuster in beinahe stereotyper Weise wiederholt.

Seit dem 19. Jh. wird nahezu einhellig die Auffassung vertreten, im sogenannten

"alten" Indien habe es keine oder nur in sehr geringem Umfang Geschichtsschreibimg gegeben. So schrieb C. Lassen in seiner 1852 in erster Auflage erschienenen Indischen Alterthumskunde:

"Man durfte ... erwarten, dass in dieser Zeit bei einem Volke, welches frühe eine hohe Stufe der Kultur erstiegen und auf anderen Gebieten der geistigen Thätigkeit so grosse Schöpflmgen hervorgebracht hat, auch eine historische Litteratur sich zu bilden begon¬

nen habe ... Diese Erwartimg wird jedoch getäuscht, und statt einem Reichthume an historischen Werken zu begegnen, entdecken wir bei den Indem eine grosse Armuth an ihnen, auch wenn das Wort historisch in weniger strengem Sinne genommen wird."^

Die historiographische Qualität des vorhandenen Materials wurde in der Regel

gering geschätzt; H. Oldenberg sprach 1910 im Zusammenhang mit indischer Ge¬

schichtsschreibung sogar von "ungewöhnlicher Lückenhaftigkeit und Verwirrtheit des Wissens" und vom "widerstandslosen Walten von Phantasie und Wunderglauben"^

Daß eine solche Auffassung keineswegs nur kennzeichnend für westliche Forschung

ist, zeigt das vernichtende Urteil, das die beiden indischen Indologen S. N. Dasgupta und S. K. Dey 1947 in ihrer History of Sanskrit Literature über die Puränas" und über

' Der vorliegende Beitrag basiert auf Überlegungen, die ich im Rahmen meiner Dissertation Geschichte als "Gegengeschichte"? Historiographie in Kalhanas Räjatarangini. Marburg 1996, näher ausgefiihrt habe.

' Die Mehrzahl der Veröffentlichungen bezog sich auf Texte aus der Zeit vor der ersten islamischen Eroberung und der Etabliemng des Delhi-Sultanats; regionale Traditionen späterer Jahrhunderte fanden dagegen nur selten Beachtung.

^ C. Lassen: Indische Alterthumskunde. Bd. 2: Geschichte von Buddha bis zum Ende der älteren Gupta- Dynastie. Nebst Umriss der Kulturgeschichte dieses Zeitraums. Leipzig M874, S. 1.

' H. Oldenberg: Geschichtsschreibung im alten Indien. In: DERS.: Aus dem alten Indien. Drei Aufsätze über den Buddhismus, altindische Dichtung und Geschichtsschreibung. Berlin 1910, S. 97.

' Puränas sind heterogene Textsammlungen mit umfangreichen genealogischen Bestandteilen.

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