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(1)

ZUR BILDUNG DER VERBALSTÄMME

IN DEN ÄGYPTISCH-ARABISCHEN DIALEKTEN:

DER n. UND DER HI. STAMM.

Von Manfred Woidich, Amsterdam.

In dem vor einiger Zeit erschienenen Dialektatlas von Ägypten (Behnstedt-

Woidich (1985)) sind eine Reihe interessanter Karten zu allen Gebieten der

Grammatik und des Lexikons des Ägyptisch-Arabischen enthalten. Zu den

wichdgsten Karten auf dem Gebiet der Morphologie zählen hierbei diejenigen zur Bildung der Verbalstämme (Nr. 226-261), zeigen sie doch, daß in Ägypten

eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Bildung derselben zu fmden ist. Hier

sollen nun diese kurz beschrieben und dann ihre Verteilung auf die Dialeküand- schaften des Niltals und des Nildeltas näher betrachtet werden. Dabei soll auch die Frage diskutiert werden, ob die dialektgeographische Verteilung etwas über

die historische Entwicklung aussagen kann. Ausgegangen wird bei der Klassi¬

fizierung der Systeme vom II. Stanmi, der, wie sich zeigt, einen Angelpunkt darstellt, von dem aus sich eine Reihe weiterer Fakten ableiten lassen.

Welche Kriterien werden herangezogen, um die Bildung des II. Stammes zu

beschreiben? Es sind deren zwei, einerseits die AUomorphie der Flexions¬

basen, und zwar deren Art überhaupt, sowie die Zahl der Allomorphe, und an¬

dererseits die Implikationen, die sich aus der Art der AUomorphie ergeben. Was

die AUomorphie betrifft, so stellen wir dazu die folgenden Fragen: Gibt es

Allomorphe, die sich dadurch voneinander unterscheiden, daß die Endsilbe der

Flexionsbasis ein lad-, bez. ein Hl enthält? Wenn ja, hat diese Alternation eine

morphologische Konditionierung, d.h. dient sie dazu ein Perfektallomorph von

einem Imperfektallomorph zu unterscheiden? Gibt es eine andere Konditio¬

nierung? Erstreckt sich die AUomorphie auch auf die erste Silbe der Flexions¬

basis, so daß sich mehr als zwei Allomorphe ergeben? Was die Implikationen betrifft, so lautet hier die Frage: In wie weit lassen sich, die Kennmis der Formen

des II. Stammes vorausgesetzt, die Formen anderer Verbalstämme vorher¬

sagen?

BeQ"achten wir unser Dialektmaterial aus Ägypten (s. Tabelle) und teilen es gemäß den obigen Fragen ein. Wenn wir die Formen des III. Stainmes gleich mit

berücksichtigen, kommen wir zu den folgenden sechs Gmppen von Dialekten

(s. Karte):

A: kallam - yikallim, also zwei Allomorphe mit der Altemation la,i) in der End¬

silbe, und zwar laj beim Perfekt und /// beim Imperfekt. Die beiden

Allomorphe sind morphologisch konditioniert. Dies impliziert beim III.

Stamm seine ebensolche AUomorphie mit morphologischer Konditionie-

(2)

VERBALSTAMME 11 UND in (t-11, t-ffl)

n ffl

kallam battal säfar

yikallim yibattil yisäfir

itkallam itxänag

yitkallam yitxänag

kallim yikallim

itkallim yitkallim^

battal yibattal

säfir yisäfir

itxäni' yitxäni'

killim yikillim

itkillim yitkillim

battali yibattali

] itkassari yitkassar

"allim yikallim

itkallim yi"tallim

säfir yisäfir

itxänig yitxanig

wieC -I- fUlag säfir

yifiUag yisäfir

itfillag yitfillag

kallam yikallam

itkallam yitkallam

säfir yisäfir

itxäni' yitxäni'

F

kallam (wie E)

yikallam itkallam yitkallam

säfar yisäfar

itxänag yitxänag

(3)

rung: säfir-yisäfir. Beide Stämme verhalten sich also gleich. Desgleichen impliziert das, daß die Reflexiv-Passiv-Stämme (r-Stämme) nicht unmittel¬

bar aus II und IH abgeleitet werden können, da sie keine AUomorphie ken¬

nen und in Perfekt wie Imperfekt nur laj auftritt: kallsn - itkallam, aber yikallim -yitkall&n, bez. säftg-- itxänag, aber yisäfir - yitxänag (Karten 238-241). Um diese mangelnde Altemation zu beschreiben, ist eine zusätz¬

liche Regel notwendig'. Femer ist auch eine solche AUomorphie beim r-1-

Stamm impliziert: itkatab -yitkatib -yitkitib (Karten 242-252), während

sich bei X keine Implikation erkennen läßt, denn dieser verhält sich bei

einem Teil der Dialekte wie II, bei einem anderen wie f-ll (Karte 254). A ist im Prinzip das System, das wir auch aus dem klassischen Arabisch kennen,

und in dem die Altemation der Flexion zuzurechnen ist.

B : kallim - yikallim, battal - yibattal, also zwei Allomorphe mit der Altema¬

tion la,il in der Endsilbe, aber in Abhängigkeit von der phonologischen

Umgebung. Wir sprechen daher von phonologischer Konditioniemng. Die¬

se impliziert, daß der III. Stamm ebensowenig eine morphologische Kondi¬

tioniemng kennt, genauso aber auch keine phonologische, denn er ist über¬

all einallomorphig und enthält ausschliesslich /// in der Endsilbe des Basis-

allomorphs: s^ir- yisäfir. Die entsprechenden f-Stämme können einfach

durch die jeweiligen Präfixe ohne Verändemng der Vokale abgeleitet wer¬

den (s. Tabelle und Karten 238-241). t-\ ist nicht vorhersagbar, X verhält sich wie II (Karte 254). Die Altemation liegt hier auf Derivationsebene vor.

C: Hier liegt im Prinzip das System B vor, doch altemiert mit phonologischer Konditioniemng auch die erste Silbe des Basisallomorphs des II. Stammes.

Und zwar dann, wenn in der Endsilbe Hl vorliegt: battal - "allim - killim. / il finden wir in der ersten Silise bei vorderen Konsonanten, lal dagegen,

wenn die Umgebung emphatische oder hintere Konsonanten enthält. Die

Zahl der Allomorphe erhöht sich auf drei. Die Implikationen sind wie in B, doch sind die Formen von t-\ insofem vorhersagbar, als stets die gleiche

Vokalisiemng wie beim Gmndstamm vorliegt: misik - itmisik, katab -

itkatab (Karte 245). Der X. Stamm besitzt die gleiche Vokalisiemng in der Endsilbe wie der II. Stamm.

D. System D verhält sich wie C, doch finden wir die Altemation la,il in der

ersten Silbe unabhängig davon, welchen Vokal die Endsilbe aufweist: battal - 'allim - killim - fillag. Damit beläuft sich die Zahl der Allomorphe auf vier,

die ImplUcationen sind jedoch die gleichen wie bei C.

E: Hier liegt keine Altemation la,il vor, sondem nur ein AUomorph mit lal in

der Endsilbe der Flexionsbasis. Die Implikationen sind wie bei B, also zeigt

1 Daraus ergeben sich Strukturgrenzen, d.h. daß in zwei Gebieten eine Form gleichlautet, diese jedoch wegen ihrer unterschiedlichen Beziehung zu anderen Gliedern des Systems je¬

weils anders beurteilt werden muß, s. Behnstedt-Woidich (1985) Band 1, S. 35 f.

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der III. Stamm stets ein///: kallam-yikallam, säfir-yisäßr. r-I jedocli zeigt morphologische Altemation: itmasak-yitmisik.

F: Schließlich sei noch der Fall erwähnt, daß sich II wie bei E verhält, und daß auch III nur laj zeigt: kallam - yikallam, säfar - yisäfar. t-\ ist hier jedoch im Gegensatz zu E einaUomorphig: iddarab - yiddarab.

Aus diesen sechs Systemen lassen sich mittels der Kriterien morpho¬

logische, phonologische und keine Altemation bei II und HI die folgenden drei Gmppen zusammenfassen:

I. Morphologische Altemation

II. Phonologische Altemation ^ C

■— h

III. Keine Altemation D

Es ist deutlich, daß der entscheidende Faktor ist, ob morphologisch

konditionierte Altemation vorliegt oder nicht. Daraus ergeben sich die

Implikationen für den III. Stamm und die t-Stämme. Morphologische

Altemation beim II. Stamm impliziert solche beim III. und femer, daß die t-

Stämme wegen des lal der Imperfektbasen nicht direkt abgeleitet werden

können. Liegt bei II phonologische Altemation oder keine vor, so ist letzteres sehr wohl der Fall, d.h. direkte Ableitung ist möglich, indem einfach ein liti

präfigiert wird. Der III. Stamm besitzt in diesem Fall nur ein AUomorph, er

kennt in keinem der hier behandelten Dialekte eine phonologische Altemation,

wie sie analog zu II zu erwarten wäre. Dies deutet darauf hin, daß seine

historische Entwicklung anders verlaufen ist als die des II. Stammes^. Gemäß

2 Der III. Stamm ist noch vordem II. zu einem einallomorphigen System mit/i/in der Endsilbe umgestaltet worden. Dies geschah mit einer heute noch nachzuweisenden a-Elisionsregel (Woidich (1980) 213), die *s^aru zu säfru werden Hess. Zu dieser a-Elision s. auch die Karten 72, 185, 270 im Dialektadas. Aus stfru, sctfrit wurde die 3. Sg.m. analog zum Imperfekt (yisäfru-yisäfir) das Perfekt si^r zurückgebildet, sodaß sich II kattab-yikattib und III s^r - yisäfir gegenüberstanden. Zwar ist ein solcher Dialekt im heutigen Ägypten nicht mehr zu belegen, doch existiert er in Tunesien (Süsa): II rakkab-yirakkib, III 'ärük -yi'ärük, s. Talmoudi (1980) 98 f.. Im LIbrigen folgt die Entwicklung zum einallmorphigen System einer allgemeinen Regel, dem sogenannten ikonischen Prinzip „one meaning, one form", dessen Formuliemng letztendlich auf W. von Humboldt zurückgeht (Koefoed (1978) 31,44 ff., Anuila (1972) 98,100 f.).

(5)

Kairo

Bani Swef

ilFasn

iUÖjija

*?yut

Verbalstämme:

II, und III. Stamm

M

^

^

A kallam - yikallim sifir-yisifir B kallim yikallim

ba((al-yiballal s^r - yisäfir C badal-yibattal

'allim - yikallim killim - yikillim sifir - yisäfir

D wieC +

fillag - yifillag

E kallam - yikallam s^r - yisäfir

F kallam-yikallam säfar-yisäfar

West- u. Zentral-Dakhla:*

killäm - yikillem Ost-Dakhla: kalläm - yikallem

ilBahariyya

alFar^ira D

adDäxila

A A

g ilXäria

IQI BarlsIDüS F

Gina

♦III: S(4är-yis<4ir

(6)

diesen ImplUcationen verlaufen auch die entsprechenden Isoglossen parallel und liefem für ü, III und die r-Stänmie ein recht einheitiiches Kartenbild (Kar¬

ten 238 und 240).

Wir haben so, wie es scheint, eine klare synchronische Enteilung der ver¬

schiedenen Typen erreicht, wo sich jede Stufe aus einer anderen entwickeln läßt. Die Frage stellt sich, ob so eine Einteilung mehr als eine bloße Gmppie-

mng der Dialekte nach irgendwelchen Gesichtspunkten liefert. Wie verhält sie

sich zur geographischen VerteUung der Dialekte? Sagt sie etwas über die hi¬

storische Entwicklung aus? Um diesen Fragen nachzugehen, wollen wir zu¬

nächst einen Blick auf die Karte werfen. Wie sieht die geographische Vertei¬

lung aus?

A: Morphologische Altemation finden wir in der Östlichen Sarqiyya, im Niltal etwa ab der Stadt ilMinya bis hinauf nach Assuan, femer im Norddialekt der

Oase Kharga und in der ganzen Oase Dakhla.

B: Phonologische Altemation wie in Kairo, d.h. im Standardägyptischen, fin¬

den wir nicht nur in dieser Stadt, sondem auch im ganzen Westen und im

Zentmm des Deltas.

C: ist auf zwei weit auseinander liegenden Gebieten anzutreffen, in den Dialek¬

ten an der Mittelmeerküste oben im Norden, und im Süden der Provinz Bani

Swef südlich der Stadt ilFaSn inmitten eines geschlossenen Areals von E.

D: beschränkt sich auf die Oasen ilBahariyya und alFar^ra.

E: tritt auf in einem schmalen Streifen in der westhchen Sarqiyya und der öst¬

lichen Qalyubiyya, femer im Niltal von Gizeh bis etwa zur Stadt ilFaSn im

Süden der Provinz Bani Swef, im Fayyüm und in einem kleinen Areal im

Norden der Provinz ilMinya, das C von A trennt.

F: ist auf den Süden der Oase Kharga beschränkt (Barls, DüS).

Nur in den Oasen zu finden sind also D und F. Die anderen vier sind so über

Ägypten verteilt, daß sich daraus keine Zusammehänge, wie sie die obige

Reihenfolge nahelegt, erkennen lassen. Diese läßt sich zwar als historische

Entwicklung interpretieren: ausgehend von der morphologischen Altemation

in A, was naheliegt, dann deren Zusammenbmch zu einer phonologischen Al¬

temation mit zwei Varianten wie in B, sodann eine Gabelung der Entwicklung,

einerseits eine weitere Vereinfachung durch Abbau der Zahl der Allomorphe zu

E,F, andererseits die Ausbreitung der Altemation aus auf die erste Silbe wie in

C,D, Entwicklungen, deren Endpunkte jeweils in den Oasen lägen. Doch bringt

ein solches Szenario erhebliche Schwierigkeiten der Begründung mit sich, auf

die an anderer Stelle eingegangen werden solP. Jedenfalls stützt die Karte

3 So ist, nimmt man einen Llbergang von B nach E an, schwer zu erklären, warum sich das a- AUomorph durchsetzte, und nicht das mit /(/ wie z.B. in einigen qsltu-Dialekten (Diyar-

(7)

dergleichen Theorien nicht. Sonst wäre eine Stufenlandschaft zu erwarten, wie

sie die bekannten Beispiele des Rheinischen Fächers und der Limburger Sibi¬

lanten zeigen", und die den skizzierten historischen Abläufen entspricht, oder

die etwa anhand der Zahl der Allomorphe kontinuierlich aufgebaut wäre. A hat

kaum Kontaktzonen mit B, sondem wird überall durch E begrenzt, C im Süden

grenzt wiedemm nicht an B sondem ebenfalls an E.

Wir wollen nunmehr anders vorgehen und nicht versuchen das Abbild eines

präkonzipierten Schemas in der Dialektlandschaft wiederzufinden, sondem

Methoden der Interpretation anwenden, wie sie die Dialektgeographie und die

Areallinguistik entwickelt haben. Zweck aller dieser Verfahren ist es, die

sprachhistorischen Bezüge zwischen den Dialektgebieten festzustellen und

herauszufinden, in welche Richtung sich sprachgeographische Verschiebun¬

gen abspielen (Goossens (1977) 81 ff., Goossens (1980) 449). Was läßt sich hier für das Stammbildungssystem der ägyptisch-arabischen Dialekte feststellen?

Drei Betrachtungsweisen bieten sich an:

1. die Unterscheidung zwischen distinktiven und nicht-distinktiven Isoglos¬

sen.

2. die Raumnormen der Areallinguistik.

3. bestimmte Arealformen, d.h. von den Isoglossen gebildete geometrische

Figuren.

Eine distinktive Isoglosse liegt z.B. dann vor, wenn zwei Phoneme zusam¬

menfallen, in einem benachbarten Gebiet aber erhalten bleiben (Goossens

(1969) 52). D.h., wenn eine 1:2 Entsprechung vorliegt, oder sonst die Ein-

eindeutigkeit nicht gewahrt ist. Besteht eine solche, so handelt es sich um eine nicht-distinktive Isoglosse, bei der einem Phonem auf der einen Seite auch nur ein Phonem auf der anderen entspricht. Man kann also einfach durch Ersetzen zum andere Dialekt gelangen. Distinktiv ist z.B., wenn in der Gegend von Sohag 1^1 mit Idi zu Idi zusammenfällt, einem Sohager Idi in benachbarten Dialekten also/iJ7 und/^7 gegenüberstehen. Nicht distinktiv ist dagegen die Isoglosse/g,^7

bei Bani Swef, da jedem Igi nur ein Igi entspricht. Nach Goossens (1969) 52 f ist bei distinktiven Isoglosen zu erkennen, an welcher Seite der Grenze sich eine

Neuemng vollzogen hat, nämlich dort, wo Homonymie vorkommt. Die Be¬

griffe distinktiv und nicht-distinktiv wurden bisher nur an lautlichen Entwick¬

lungen exemplifiziert. Übertragen auf die Morphologie könnte man sagen, daß

in den Gebieten ohne morphologische Konditionierung beim II. Stamm die

Opposition Perfekt-Imperfekt bei den Flexionsbasen aufgehoben und insofem

bakir, Sürt, Daragözü), s.O. Jastrow,Die Mesopotarrüsch-Arabischen qallu-Dialekte. Band I: Phonologic und Morphologie. Wiesbaden 1978, S. 169 ff.

4 S. dazu Niebaum (1983) 50 f., Francis (1983) 182 f.

(8)

eine Homonymie lierbeigefüiirt ist. Daraus wäre zu schließen, daß die nicht¬

morphologische Konditionierung das neuere System darstellt, die morpho¬

logische dagegen das ältere. Können wir daraus schon folgern, daß sich die

Systeme B bis F aus den Dialekten mit A entwickelt haben? Derartige

Erörterungen von Isoglossen setzen voraus, daß man es mit einem sprach¬

geographischen Raum zu tun hat, der ehedem homogen war und in dem sich im

Laufe der Zeit aus extralinguistischen Gründen, von einem innovations¬

freudigen, Prestige und Macht besitzenden Zentrum aus, sich die heute

vorhandenen Isoglossen ausbildeten'. Wir können nicht davon ausgehen, daß

diese Verhältnisse im Niltal und im Nildelta immer vorgelegen haben. Die

Übemahme des Arabischen vollzog sich gewiß nicht auf einen Schlag sondem

in Etappen und ungeregelt durch Erwachsene. Es ist auch nicht auszuschließen,

daß das Arabische nicht nur duckt von Arabem weitergegeben wurde, sondem

auch von Gmppen, die das Arabische als Umgangssprache bereits früher

adoptiert und dabei modifiziert hatten. Dabei können durchaus - je nach Aus¬

gangssituation - verschiedene Dialekte entstanden sein. Auch die Bevölkemng war keineswegs stabil, sondem bis in die neueste Zeit dem Zuzug von Beduinen

ausgesetzt. Insbesondere im 18. und 19. Jh. wurden viele Landstriche von

Beduinen mit ihren andersgearteten Dialekten besiedelt. Darauf weisen z.B. die

Ortsnamen hin. In besonderem Maße gilt das für die ösdiche Sarqiyya, wo die

AUomorphie des II. Stammes morphologisch konditioniert ist, die aber erst sehr spät durch Beduinen besiedelt wurde (Abul Fadl (1961) 4 ff)*. Sie stellt auch ein relativ geschlossenes Dialektgebiet dar, durch das keine Isoglossen laufen, was daraufhinweist, daß sie relativ jung besiedelt sein muß (Chambers-Tmdgill

(1980) 108)'. Ähnhches ist für Mittelägypten festzustellen, wo A (morpho¬

logisch konditionierte Altemation) ebenfalls an E (keine Altemation) grenzt.

Historisch ältere sprachliche Formen können auch durch Siedlung in die

geographische Nähe jüngerer Formen gerückt sein. Die Isoglosse kann also

auch so entstanden sein und nicht nur dadurch, daß ein Teil einer zunächst

sprachlich homogenen Bevölkemng eine Neuemng vollzog, während der

andere Teil bei den alten Formen beharrte. Man kann daher die distinktiven Iso¬

glossen nur dann fih historische Aussagen heranziehen, wenn die Sied¬

lungsgeschichte vorher abgeklärt ist.

Die Raumnormen der Areallinguistik, die teilweise Allgemeingut der

historischen Dialektologie sind (Anttila (1972) 294,297; Chambers-Tmdgill (1980) 183; Lang (1982) 116 ff; Coseriu (1979) 22 f , 42 ff), lauten wie folgt:

1. Die ältere Form ist in den isolierteren Arealen erhalten.

5 So das Szenario, wie es De Saussure (1965) S. 272 f. entwirft.

6 S. ferner Murray (1935) 276, 294; Ammar (19449 1, 11-43, II, Karten 9 und 10.

(9)

2. Laterale Areale an der Peripherie bewahren oft die ältere Form.

3. Wenn eine Form üijer ein größeres Gebiet verbreitet ist als eine andere, dann ist erstere älter.

Mit Recht äußert sich Coseriu (1979) 42 ff. kritisch über diese Arealnormen und stellt mitdem italienischen Indogermanisten V. Pisani fest, daß ein größerer Bereich auch das Ergebnis einer Neuerung sein kann. Das gilt z.B. auch für die

Ausbreitung von B im Niltal, sicher eine von Kairo ausgehende Neuerung, die

bereits den ganzen Westen und das zentrale Delta umfaßt. Chambers-Trudgill (1980) 109 und auch Anttila (1972) 294 haben die zweite Norm der Randzonen präzisiert und festgestellt, daß man besonders dann mit Reliktformen rechnen muß, wenn ein solches Areal in kleinere aufgesplittert ist. Wie steht es dann mit

C (s. Karte), das in zwei verschiedenen Randzonen auftritt, aber sprach¬

historisch gesehen sicher kein Relikt, sondem eine Neuemng darstellt? Die

Karte legt allenfalls nahe, daß C sich gegenüber B (Kairoer System) und

wahrscheinlich auch gegembtrE (Fayyüm, B.Swef) im Rückzug befindet. Und

dies, obwohl es gegenüber B ein sprachhistorisch neueres System darstellt. Man

muß hier m.E. zwei verschiedene Begriffe von „Neuemng, Innovation" aus¬

einanderhalten, einmal die Neuemng im diachronischen Sinne einer mensch¬

lichen Fortentwicklung und einer Vorstufe, dann eineNeuemng an einem be¬

stimmten Ort, d.h. die Übemahme sprachlicher Formen durch die Bevölkemng.

Beides braucht nicht zu koinzidieren, wie die Ausbreitung sprachlich alter¬

tümlicher Formen zeigt, z.B. in der Toskana (Lang (1982) 121) oder in Spanien

die Region um Burgos (Coseriu (1979) 46). Auch die Situation des Systems C

im Delta scheint dafür ein Beispiel zu sein. Isolierte Areale schließlich enthalten

mindestens so oft sprachliche Neuemngen wir Reliktformen, wie ein Blick etwa

auf die ägyptischen Oasen zeigt, die ja nun gewiß isoliert sind. Die Normen der Arealhnguistik, bei denen es dämm geht, aus der geographischen Verteilung die relative Chronologie zu erschießen (Coseriu (1979) 10), sind jedenfalls mit der

größten Vorsicht anzuwenden (s. auch Wolf (1975) 65), zumal der Vorl?ehalt

der Siedlungsgeschichte auch hier gilt

Wenig Auffschluß über sprachliche Bewegungen geben offensichüich auch

die Arealformen, deren es in der Dialektologie eine ganze Reihe gibt (Löffler

(1974) 150 ff, Goossens (1980) 449 f) wie Trichter, Ring, Schlauch, Kreis,

Enklave, Staffellandschaft Diese sagen an sich nur aus, daß etwas in Bewegung ist, nicht aber in welche Richtung sich die Ausbreitung vollzieht. Man kann sie

daher nur als „Stütze in einer Beweisfühmng" (Goossens (1980) 449)

heranziehen, die sich im Übrigen auf andere intem- wie extemlinguistische

Argumente aufbauen muß. So können wir etwa den schmalen Streifen mit dem

System E im Delta als einen Reliktschlauch bezeichnen, eine Gebilde das

entsteht, wenn ein Areal von zwei Seiten bedrängt wird (Löffler (1974) 152).

Aus naheliegenden Gründen können wir annehmen, daß B als das System des

(10)

Kairenischen Prestigedialekts von Westen her E zurückdrängt, während von

Osten her die ösdiche Sarqiyya mit ihren beduinischen Elementen (Abul Fadl

(1961) S . 4 f .) sich yörschiebt. Sicher besaß E ursprünglich größere Verbreitung

im Delta. Ein interessanter Fall ist die Dumyäter Enklave im Nordosten des

Deltas, d.h. die Stadt Dumyät und ihr Umland, die bis zum Wiederaufsdeg

Alexandrias zu Beginn des 19. Jh. der Mittelmeerhafen der Hauptstadt Kairo

war. Es verwundert daher nicht, wenn diese Enklave das System B besitzt wie

Kairo auch, und dies in einer Umgebung von Dialekten mit C. Man kann hier

von punktueller Strahlung sprechen (Löffler (1974) 153,Goossens(1977)79f)

Doch ob dies nun für Dumyät eine Neuerung oder ein Relikt darstellt, läßt sich an der Enklavensituation allein ohne weitere Information über die historischen sprachlichen Verhältnisse nicht erkennen. Wurde hier aufgrund der punktuellen

Strahlung Kairos ein Dialekt mit C verdrängt, was eine Innovation wäre, oder

beharrte Dumyät wegen seines Kontakts zu Kairo auf dem System B und machte

die Entwicklung von B nach C seiner Umgebung nicht mit (Relikt)? Was die

Form des Areals von B auf der Karte betrifft, so kann man darin ein trich¬

terförmiges Gebilde sehen, das sich von Kairo aus als Ausgangspunkt ins Delta hineinschiebt. Dies entspricht einer häufigen Interpretation dieses Kartenbildes

(Goossens (1977) 81f.)' und läßt sich mit der übermächtigen Stellung Kairos

erklären.

Aus dieser Diskussion der verschiedenen dialektgeographischen Verfah¬

ren, die nur als erster Versuch in diese Richtung verstanden werden will, wird deutlich, daß diese nur bedingt einen Beitrag zum Verständnis der historischen Entwicklung der ägyptisch-arabischen Dialekte liefem. Sie können allenfalls unterstützend bei der Argumentation herangezogen werden, darüber ist sich die neuere dialektologische Literatur weitgehend einig. Das heißt jedoch nicht, daß

das Wort von Ferdinand de Saussure (1965) 271 „La diversity geographique

doit etre traduite en diversity temporelle" damit ad acta gelegt werden kann,

vielmehr soll dieser Fordemng im Rahmen einer umfangreicheren Arbeit

nachgekommen werden.

Literaturverzeichnis

Abul Fadl (1961) f. Abul Fadl, Volkstümliche Texte in arabischen Bauerndialekten der ägyp¬

tischen Provinz Sarqiyya mit dialektgeographischen Untersuchungen zur Lautlehre. Dis¬

sertation Münster 1961.

Ammar (1944) A.M. 'Ammar, The People ofSharqiya. Vol. I und II. Kairo (1944).

Anttila (1972) R. Anttila, An Introduction to Historical and Comparative Linguistics. New York 1972.

7 Femer ist die östliche Sarqiyya vom restiichen Delta durch einen breites Isoglossenbündel geü-ennt, s. Karte 555 in Behnstedt-Woidich (1985) Band II.

8 S. femer Niebaum (1983) 46.

9 S. ferner Niebaum (1983) 48.

(11)

Behnstedt-Woidich (1985) P. Behnstedt u. M. Woidich, Die ägyptisch-arabischen Dialekte.

Band 1: Einleitung und Anmerkungen zu den Karten. Band 2: DialektaUas von Ägypten.

Wiesbaden 1985.

Chambers-Trudgill (1980) J.K. Chambers u. P. Trudgill, Dialectology. Cambridge 1980.

Coseriu (1979) E. Coseriu, Die Sprachgeographie. Tübingen 1979.

De Saussure (1965) F. de Saussure, Cours de Linguistique generale. Paris 1965.

Francis (1983) W.N. Francis, Dialectology . London and New York 1983.

Goossens (1969) J. Goossens, Strukturelle Sprachgeographie. Heidelberg 1969.

Goossens (1977) J. Goossens, Deutsche Dialektologie. Berlin 1977.

Goossens (1980) J. Goossens, Areallinguisiik. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik.

Hrsg. von H.P. Althaus e.a., 2. Aufl. Tübingen 1980. S. 445^53.

Koefoed (1978) G.A.T. Koefoed, Taalverandering in het licht van taalverwerving en taal- gebruik. In: G.A.T. Koefoed u. J. van Marie, Aspecten van taalverandering. Groningen 1978. S. 11-70.

Lang (1982) J. Lang, Sprache im Raum. Tübingen 1982.

Löffler (1974) H. Löffler, Probleme der Dialektologie. Darmstadt 1974.

Murray (1935) G.W. Murray, Sons oflshmael. A Study of the Egyptian Bedouin.Lcmdon 1935.

Niebaum 81983) H. Niebaum, Dialektologie. Tübingen (1983).

Talmoudi (1980) F. Talmoudi, The Arabic Dialekt of Susa (Tunisia). Göteborg 1980.

Woidich (1980) M. Woidich, Die ägyptisch-arabischen Dialekte. In: W. Fischer u. O. Jastrow, Handbuch der arabischen Dialekte. Wiesbaden 1980.

Wolf (1975) L. Wolf, Aspekte der Dialektologie. Tübingen 1975.

(12)

Leitung: W. Heinz

DEUTSCHE PROFESSOREN

AM ISTANBULER DÄRÜLFÜNÜN (1915-1918)

Von Klaus Kreiser (Bamberg)

„Tief unbefriedigt muß jeder deutsche Offizier das Land verlassen haben."

Dieser Satz steht in der Schrift des Generals von Seeckt über Die Gründe des

Zusammenbruchs der Türkei. Herbst 1918K Seeckt war Chef des türkischen

Generalstabs und zog auf einem Schiff im Schwarzen Meer die bittere Bilanz

der deutschen MUitärmission im Osmanischen Reich. Die Tätigkeit der deut¬

schen Offiziere und Soldaten während des Ersten Weltkriegs in der Türkei ist

verhältnismäßig gut bekannt, so daß sich die negative Sicht des Generals viel¬

fach bestätigen läßt.

Zehn Jahre später urteilt der von der Bildungsfront gleichzeitig mit von

Seeckt zurückgekehrte Franz Schmidt über sein Tätigkeitsfeld: „Fragt man nun

nach dem Ergebnisderdreijährigen Wirksamkeit der deutschen

Professoren an der Universität in Konstantinopel, so war dies weder an sich

tiedeutend noch für sie selber befriedigend. Keinen Einsichngen kann dies

wundernehmen."^

Was aber ist aus vergrößertem Abstand von der bisher intensivsten Phase

offizieller deutsch-türkischer Wissenschaftsbeziehungen zu halten?

Die Rede soll sein von den an die alte Istanbuler Universität berufenen

deutschen Professoren, über deren Tätigkeit bisher nur sehr wenig bekannt war.

Die Kürze der Zeit zwischen 1915 und 1918 und das fast ganz ausgebliebene

Echo in türkischen Quellen rechtfertigt meines Erachtens nicht das

Schweigen in der Literatur zum türkischen Bildungswesen insgesamt', um

1 Zitiert bei J.L. Wallach Anatomie einer Militärhilfe. Die preußisch-deutschen Militär¬

missionen in der Türkei 1835-1919 (Düsseldorf 1976) S. 261.

2 F. Schmidt und O. Boelitz (Hrsg.) Aus deutscher Bildungsarbeit im Auslande. Erlebnisse und Erfahrungen in Selbstzeugnissen aus aller Welt (Langensalza 1928) Bd. 2, S. 34-61.

3 Vgl. aber H. Widmann Exil und Bildungshilfe (Bern/Frankfurt 1973) S. 35-37 und die dort

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