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Archiv "Was wird die Empfehlungsvereinbarung wert sein" (21.08.1975)

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72. Jahrgang/Heft 34 21. August 1975 Postverlagsort Köln

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5023 Lövenich Postfach 14 30 Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

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DEUTSCHES

Die Information:

Bericht und Meinung

ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Was wird

die Empfehlungsvereinbarung wert sein

Hans Wolf Muschallik

Eine abschließende Wertung der auf Bundesebene zwischen Kran- kenkassen und Kassenärzten jetzt zum zweiten Mal zustande ge- kommenen Empfehlungsvereinbarung, die erstmals die honorarver- traglichen Beziehungen für zwei Jahre regelt, wird natürlich erst nach Ablauf des gesamten Vertragszeitraumes möglich sein. Den- noch läßt sich heute schon feststellen, daß diese Empfehlungsver- einbarung, die primär an ihrer politischen Bedeutung gemessen werden muß, in der Öffentlichkeit und im politischen Raum richtig verstanden wurde.

Die Kassenärzteschaft, die schon Anfang dieses Jahres im Zusam- menhang mit der Diskussion über die sogenannte Kostenexplosion im Gesundheitswesen ihre Bereitschaft erklärt hat, zusammen mit allen anderen, die an den Ausgaben der Krankenkassen beteiligt sind, ihren Beitrag zur Kostenstabilität zu leisten, hat mit dem Ab- schluß der heute vorliegenden Empfehlungsvereinbarung diese ihre Zusage realisiert.

Angesichts der schlechten allgemeinen Wirtschaftslage und der nicht zu leugnenden Finanzmisere der gesetzlichen Krankenver- sicherung haben die Kassenärzte unter verantwortungsvoller Aus- schöpfung des ihnen und den Krankenkassen gesetzlich übertra- genen Selbstverwaltungsspielraums eine politische Entscheidung getroffen, die vernünftig ist und die verdeutlicht, wie polemisch und falsch es war und ist, den deutschen Kassenarzt — der ja in letzter Zeit fast als Buhmann Nr. 1 für alles und jedes herhalten mußte — als einen rücksichtslosen Egoisten darzustellen.

Die deutschen Kassenärzte haben in dieser schwierigen Situa- tion bewiesen, daß sie sich nicht nur ihrer Verantwortung für das Ganze — für den einzelnen Versicherten wie für unsere Gesell- schaft — bewußt sind, sondern sie haben mit ihrem konjunktur- bewußten Verhalten auch ein Signal gesetzt, welches, wie sich schon heute erkennen läßt, bei allen anderen ein gleiches Verhal- ten auslösen muß.

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 34 vom 21. August 1975

2337

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Die Information:

Bericht und Meinung

Der Wert der Empfehlungsvereinbarung

In diesem Zusammenhang verdie- nen die Äußerungen des DGB-Vor- sitzenden Vetter besondere Beach- tung, in denen dieser — wenige Tage nach Bekanntwerden unserer Empfehlungsvereinbarung mit den Krankenkassen — es als durchaus denkbar bezeichnete, daß auch die Arbeitnehmer in der nächsten Tarif- runde auf eine Reallohnsteigerung vorübergehend verzichten könnten.

In Hessen hat der dortige Sozial- minister, unser Kollege Horst Schmidt, im Zusammenhang mit einer ersten Kostenüberprüfung in Krankenhäusern eine Pflegesatz- senkung und eine Überarbeitung des Krankenhausbettenplanes un- ter Vornahme kräftiger Streichun- gen angekündigt. Auch bei aller ge- botenen Zurückhaltung darf man sicher feststellen, daß sich parallel zu unserem Verhalten auch in an- deren Bereichen des Gesundheits- wesens Wirkung zeigt.

Der Grad der Schwierigkeiten, in der nicht nur die gesetzliche Kran- kenversicherung, sondern unsere gesamte Volkswirtschaft steckt, ist anders auch gar nicht zu überwin- den. Die heutige Rezession ist we- sentlich stärker und tiefgreifender als 1967/68. Die Zahl der Arbeitslo- sen wird als bedrohlich bezeichnet, und es soll abzusehen sein, daß die bundesdeutsche Wirtschaft ei- nen Wachstumsverlust von etwa 20 Milliarden DM erleiden wird. Es wird von manchen vorausgesagt, daß das Bruttosozialprodukt 1975 um 3,5 Prozent schrumpfen wird, und für 1976 wird die Möglichkeit eines weiteren Absinkens einkalku- liert. Die Ausgaben der gesetzli- chen Krankenkassen entwickeln sich antizyklisch; Beitragssätze von mehr als 11 Prozent sind keine Seltenheit mehr. Bei einer nüchter- nen Betrachtung dieser Gegeben- heiten, für die sich zumindest kurz- und mittelfristig keine grundlegen- de Änderung abzeichnet, wird sich, dessen bin ich sicher, auch kein Arzt der Einsicht in die Notwendig- keit der jetzt getroffenen Empfeh- lungsvereinbarung verschließen — so bitter sie manchen auch ankom- men mag.

Dies also sind die Gründe, welche die Kassenärzteschaft zu einem so starken — bis an die Grenze des Zumutbaren gehenden — Entge- genkommen veranlaßt hat. Aber auch die Krankenkassen sind mit dem nunmehr erzielten Ergebnis weit über ihr Ausgangsangebot hinausgegangen. Es ist ein ge- meinsamer Schritt, den Kranken- kassen und Kassenärzte getan ha- ben; er bewahrt den sozialen Frie- den und stellt die Stabilität und das verantwortungsbewußte Funktio- nieren der den Krankenkassen und den Kassenärzten gesetzlich über- tragenen Selbstverwaltung in einer außerordentlich schwierigen Zeit unter Beweis.

Auch im Zusammenhang mit den anstehenden parlamentarischen Beratungen zur Änderung und Wei- terentwicklung der Reichsversiche- rungsordnung wird sich dieses Verhalten der deutschen Kassen- ärzte und der Krankenkassen — das hoffe ich zuversichtlich — po- sitiv für die Erhaltung der Grundzü- ge des Kassenarztrechts und da- mit unseres Systems ambulanter ärztlicher Versorgung der Bevölke- rung durch freipraktizierende Ärz- te auswirken.

Die Auswirkungen für die Kassen und für den einzelnen Arzt

Neben diesen politischen Gesichts- punkten wird der Wert dieser Emp- fehlungsvereinbarung aber auch daran gemessen werden, ob und in welchem Umfang den Krankenkas- sen im Bereich der Ausgaben für die ambulante ärztliche Versor- gung — die zur Zeit etwa 18 Pro- zent des Ausgabenkatalogs betra- gen — eine finanzielle „Ver- schnaufpause" ermöglicht wurde.

Exakt wird sich auch dies erst nach Abläuf des Vertragszeitraums beantworten und beurteilen lassen.

Mit Nachdruck möchte ich aber in diesem Zusammenhang, erneut und immer wieder, auf die Tatsa- che hinweisen, daß die Ausgaben der Krankenkassen durch eine bis heute ständig zunehmende Zahl von Krankheitsfällen, durch die

sich verändernde Altersstruktur der Bevölkerung mit einem zunehmen- den Prozentsatz von Rentnern, durch ein ausgeprägteres Gesund- heitsbewußtsein sowie durch eine parallel zum Wohlstand steigende Krankheitsgefährdung notwendi- gerweise und zwangsläufig bela- stet werden. Die hierdurch beding- ten — sicher auch zukünftig stei- genden — Ausgaben der Kranken- kassen für ambulante ärztliche Lei- stungen dürfen daher nicht, wie in der bisherigen Diskussion manch- mal geschehen, den Ärzten angela- stet werden, die verpflichtet sind, eine gleichmäßige ärztliche Versor- gung nach modernen medizini- schen Erkenntnissen sicherzustel- len.

Fragt man nach dem Wert der ge- troffenen Empfehlungsvereinba- rung, so verbindet sich damit aber auch die Frage, wie sie sich für den einzelnen Arzt auswirken wird.

Neben den prozentualen Zuschlä- gen auf die bisherige Gesamtver- gütung der Kassenärzte, die im er- sten Halbjahr 1975 um 1,3 Prozent und im zweiten Halbjahr 1975 — ausgenommen die Laborleistungen

— um weitere 2,4 Prozent angeho- ben werden, kommt der ab Januar 1976 nun auch bei den RVO-Kran- kenkassen eintretenden Struktur- veränderung im Laborbereich, die, gemessen am Gesamtvolumen dieses Leistungsbereiches, eine Senkung um durchschnittlich 24 Prozent ausmacht, eine entschei- dende Bedeutung zu. Auf die Ge- samtheit der Kassenärzteschaft ge- sehen, ist diese Senkung auf dem Leistungssektor Labor — sorgfältige Kostenanalysen im Einzellabor wie in Laborgemeinschaften liegen ihr zugrunde — nur tragbar, wenn ent- sprechend der jetzigen Empfeh- lungsvereinbarung, und das gilt selbstverständlich auch für die Zu- kunft, die Gebührensätze für spe- zifisch ärztliche Leistungen so er- höht werden, daß der Arzt mehr als bisher von seiner ärztlichen Kunst leben kann, ohne auf Einnahmen aus mehr technischen Leistungen über Gebühr angewiesen zu sein.

Dieser Weg ist schon in der jetzi- gen Vereinbarung dadurch vorge-

2338 Heft 34 vom 21. August 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Die Information:

Bericht und Meinung

zeichnet, daß neben der Erhöhung aller Besuchsgebühren auch eine Erhöhung der Gebührensätze der kleinen Wundversorgung sowie ei- niger spezifisch dermatologischer Leistungen erfolgt. Die eingehende psychiatrische Untersuchung ist deutlich angehoben und jetzt auch neben einer eingehenden neurolo- gischen Untersuchung berech- nungsfähig. Eine starke Anhebung der Gebühren erfolgte für die ärzt- lich so verantwortungsvolle Erstel- lung eines Belastungselektrokar- diogramms sowie in der Phonokar- diographie. Diese Entwicklung, und

darin stimmen wir mit den Kran- kenkassen überein, soll und muß mit dem Ziel weitergeführt werden, die spezifisch ärztlichen Leistungs- positionen, und dazu gehört auch, das Beratungsgespräch mit dem Patienten angemessen zu honorie- ren.

Dieser Weg der Umstrukturierung des BMÄ (Bewertungsmaßstab Ärz- te) entspricht einer jahrzehntealten Forderung der Ärzte, aber auch der Patienten und der Öffentlichkeit.

1976 tritt also neben einer Senkung bei den Laborgebühren eine Hö- herbewertung einiger spezifisch ärztlicher Leistungen in Kraft, und es erfolgt auf alle Positionen des am 1. Januar 1976 geltenden neuen Bewertungsmaßstabes Ärzte, bezo- gen auf die Quotienten des Jahres 1975, ein weiterer linearer Zuschlag von 2,35 Prozent. (Siehe dazu auch DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 31/1975, Seite 2197 ff.)

Daß diese Entwicklung nicht dazu führen soll und darf, daß das Pra- xislabor ausstirbt, betone ich mit Nachdruck. Jeder in freier Praxis tätige Arzt — vor allem der Allge- meinarzt und der Internist — wird heute und morgen ohne die Mög- lichkeit, laborärztliche Befunde, d. h. blutchemische Untersu- chungsergebnisse in ausreichen- dem Umfang und schnell zur Verfü- gung zu haben, nicht nach moder- nen medizinischen Erkenntnissen arbeiten können. Dieser Notwen- digkeit beispielsweise durch einen

falschen beziehungsweise zu nied- rigen Honoraransatz bei medizi- nisch-technischen Leistungen nicht Rechnung zu tragen würde einer medizinischen Demontage gleich- kommen. Eine solche Gefahr sehe ich allerdings angesichts der durchgeführten Kostenanalysen so- wie im Hinblick auf den heutigen Stand der Technik in diesem Lei, stungsbereich als gering an. Neben dem notwendigen Praxislabor des einzelnen Arztes bietet zudem — in

ZITAT

Stunde der Wahrheit

„Es besteht überhaupt kein Grund, in der ,Stunde der Wahrheit`, in der ein solider Weg in die Zukunft gefunden werden muß, nur über die Kostenexplosion im Gesund- heitssektor, aber nicht über die automatischen Regelbe- förderungen, die überpropor- tional ansteigende Zahl der Ministerialbeamten und die praktische Unkündbarkeit al- ler Arbeitnehmer im öffentli- chen Dienst zu reden. Wenn sozialpolitischer Wildwuchs beschnitten werden muß, dann natürlich nicht nur bei Arbeitern und Angestellten, sondern auch bei den Beam- ten und nicht zuletzt bei den Politikern, die das sozialpoli- tische Netz mit den allzu vie- len Versuchungen für den einzelnen geknüpft haben."

Kurt Naujeck in: Rheinische Post vom 23. Juli 1975

der Annahme, daß zu erwartende höchstrichterliche Entscheidungen dem nicht entgegenstehen werden

— die gemeinsame Nutzung von medizinisch-technischen Appara- ten (Laborgemeinschaften) durch eine überschaubare Zahl von Ärz- ten, die in regionaler Nachbar- schaft wirken, einen medizinisch sinnvollen und auch ökonomisch

vernünftigen Weg. Darüber hinaus stehen, speziell in Ballungsräumen, freipraktizierende Ärzte für Labora- toriumsdiagnostik zur Erbringung solcher Leistungen zur Verfügung.

Sicher ist es müßig, heute eine langfristige Prognose darüber zu stellen, ob und mit welchen Wei- terentwicklungen es gelingt, die bekanntlich in der ganzen Welt, unabhängig vom jeweiligen Sy- stem, steigenden Kosten im Ge- sundheitswesen endgültig in den Griff zu bekommen. Eine Patentlö- sung ist bisher niemandem einge- fallen, dennoch erkennen heute alle Beteiligten die untrennbaren Zusammenhänge zwischen umfas- senden sozialen Leistungen und der gesamtwirtschaftlichen Ent- wicklung. Es wird darauf ankom- men, das bei uns so umfassende Netz der sozialen Sicherung zu er- halten. Alle werden aber mit einem spitzeren Bleistift rechnen müssen, und vor Einführung neuer Leistun- gen wird zu prüfen sein, ob die da- mit zwangsläufig verbundenen Ko- sten bezahlbar, beziehungsweise ob und in welchem Ausmaß für den Arbeitnehmer steigende Sozialab- gaben zumutbar sind.

Auf diesem Hintergrund muß man die heutige Empfehlungsvereinba- rung, bei der niemand, auch nicht die Kassenärzteschaft, einen Grund zum Jubilieren hat, sehen und als ein Ganzes werten. Dabei muß man erkennen, daß ihr eine über die Vereinbarung von Hono- rarzuwachsraten hinausgehende Bedeutung mit erheblicher politi- scher Tragweite zukommt. Mit die- ser Empfehlungsvereinbarung wird man aber in der Praxis weiterarbei- ten können, und in der Politik wird sie, des bin ich gewiß, zur Erhal- tung unseres ärztlichen Freiheits- raumes wesentlich beitragen.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hans Wolf Muschallik Erster Vorsitzender

der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 5 Köln 41 (Lindenthal) Haedenkampstraße 3

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 34 vom 21. August 1975 2339

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