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Die Sammlung Prinzhorn - Anstaltskunst mit Weltgeltung

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Die Sammlung Prinzhorn

Thomas Röske

Hans Prinzhorn (1886-1933)

Andere Weitsicht: So stellte der ehemalige Kaufmann Heinrich Grebing (1879-1940) um 1920 sein imaginäres Handelsimperium dar.

- Anstaltskunst mit Weltgeltung

O

Die Sammlung Prinzhorn

Die Sammlung Prinzhorn geht zurück auf ein Sammelprojekt nach dem Ersten Weltkrieg, das der Kunsthistoriker und Mediziner Hans Prinzhorn (1886-1933,

► Bild) leitete. Grundstock des berühmten Besitzes bilden mehr als 5000 Werke, die Insassen deutschsprachiger Psychiatrien zwischen 1850 und 1930 schufen. Seit den 1980er Jahren sind weitere ca.

12.000 Werke Psychiatrie-Erfahrener aus der Zeit von 1900 bis heute hinzugekom­

men. 2001 wurde ein eigenes Museum in einem umgebauten Hörsaalgebäude des späten 19. Jahrhunderts eröffnet (► Bild).

Die Sammlung Prinzhorn Q an der Kli­

nik für Allgemeine Psychiatrie des Uni- versitätsklinikums Heidelberg ist weltbe­

rühmt für ihren historischen Fundus von Anstaltskunst. Die mehr als 5000 Zeich­

nungen, Gemälde, Skulpturen und Textil­

arbeiten stammen aus der Zeit zwischen 1850 und 1930 aus einer Vielzahl psychia­

trischer Heilanstalten, Kliniken und Sa­

natorien vor allem deutschsprachiger Länder. Sie wurden zum Großteil Anfang der 1920er Jahre nach Heidelberg ge­

sandt, und zwar auf einen Aufruf des Kunsthistorikers und Mediziners Hans Prinzhorn hin.

Geschichte der Sammlung Prinzhorn Hans Prinzhorn war 1919 vom damaligen Leiter der Psychiatrie, Karl Wilmanns (1873-1945), als Assistenzarzt nach Hei­

delberg berufen worden, um eine von Emil Kraepelin (1856-1926) zwischen 1890 und 1903 begonnene kleine Lehr­

sammlung zu erweitern und in einer wis­

senschaftlichen Studie auszuwerten.

Prinzhorns Buch „Bildnerei der Geistes­

kranken“ erschien 1922. Der ungewöhn­

lich aufwändig produzierte und reich il­

lustrierte Band weckte die Neugier vieler Kunstinteressierter für die bisher kaum beachteten, oft verblüffend originellen Bildwerke von Menschen, die als „Ver­

rückte“ marginalisiert worden waren. Als Klassiker wurde diese Pionierarbeit bis heute mehrfach wieder aufgelegt.

Nach Prinzhorns Weggang 1921 leitete der Oberarzt Hans Gruhle die Sammlung.

Er nahm weitere Schenkungen an und or­

ganisierte Ausstellungen im ln- und Aus­

land. Zwischen 1933 und 1945 waren ei­

nige der Heidelberger Werke nur bei einer Gelegenheit zu sehen, als „Vergleichsma­

terial“ zu den als „entartet“ diffamierten Kunstwerken in der Wanderausstellung

„Entartete Kunst“, die zwischen 1937 und 1941 in mehreren deutschen Städten ge­

zeigt wurde.

Museum der Sammlung Prinzhorn in Heidelberg

Nach Kriegsende erwachte das Interesse an der Sammlung erst wieder 1963, als der Schweizer Ausstellungsmacher und Museumsleiter Harald Szeemann (1933- 2005) in der Berner Kunsthalle 250 Leih­

gaben aus Heidelberg vorstellte. Ab 1966 kümmerte sich die Psychiaterin Maria Rave-Schwank um die Sammlung und or­

ganisierte weitere kleine Ausstellungen, bis 1973 für die Ärztin Inge Jarchov, spä­

ter Jädi, eine eigene Kustodenstelle ge­

schaffen wurde. Unter ihrer Leitung wur­

den die Kunstobjekte mit Hilfe der Volks- wagenStiftung konserviert und wissen­

schaftlich erfasst. Im Jahr 1980 fand die erste große Wanderausstellung statt, mit der die Sammlung in Deutschland wieder bekannt wurde. Weitere Wanderausstel­

lungen waren 1984/85 und 2000 in US- amerikanischen sowie 1996/97 in europä­

ischen Städten zu sehen.

Die Sammlung heute

Erst im Jahr 2001 wurde in einem umge- bauten Hörsaalgebäude aus dem späten

19. Jh. ein eigenes Museum eröffnet, dessen Leitung man 2002 dem Autor übertrug. Seither hat sich die Situation grundlegend verändert. Jährlich werden nun zwei bis drei wechselnde Ausstellun­

gen zu Themen aus dem Bereich psychi­

sche Krise und Kunst gezeigt, zumeist mit Exponaten aus der historischen Sammlung Prinzhorn. Begleitend finden Tagungen, Vorträge, Lesungen, Konzerte und Performances statt. Und mehr noch als früher wird auf die Nachfrage von anderen Museen und Ausstellungsinsti­

tutionen eingegangen. So sind nun Wer­

ke des Fundus immer wieder auch im Ausland zu sehen, entweder in Ausstel­

lungen, die exklusiv der Heidelberger Sammlung gewidmet sind, oder in the-

Subjektive Sicht auf die Psychiatrie: Franz Kleber, Lageplan der Anstalt Regensburg, Karthaus Prüll, ca. 1880-1896

J

Wissenschaftsatlas Heidelberg

Originalveröffentlichung in: Meusburger, Peter ; Schuch, Thomas (Hrsgg.): Wissenschaftsatlas der Universität Heidelberg, Knittlingen 2011, S. 244-245

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matischen Ausstellungen als Leihgaben neben anderen. Die Karte Q macht deutlich, dass in den letzten Jahren das Haus auch auf diese Weise seinen Ruf als international bedeutendes Museum ausbauen konnte.

Ausbau der Sammlung

Seit 1980 kommen auch wieder Werke zur Sammlung hinzu, oft als Schenkun­

gen, manchmal als Dauerleihgaben, sel­

ten als Erwerbungen. 2001 hatte sich der Bestand bereits um mehr als 10.000 Wer­

ke vergrößert, die hauptsächlich aus den

Jahren 1960 bis 2000 stammen. Seither wächst das Museum um bis zu 100 Werke im Jahr. Zum einen gilt es, den Anschluss an Entwicklungen der Gegenwart zu hal­

ten, um den Fundus nicht im Histori­

schen erstarren zu lassen. Zum anderen wird verstärkt darauf geachtet, auch die Jahrzehnte zwischen 1930 und 1960 mit künstlerischen Werken zu repräsentieren.

Seit der Eröffnung des eigenen Hauses entstehen auch mehr Publikationen mit neuen Ergebnissen kulturgeschichtlicher Erforschung des Bestandes, vor allem in Form von ausstellungsbegleitenden Kata­

logen. Daneben ist das Interesse von aus­

wärtigen Forschem verschiedener Diszip­

linen gewachsen. Uber den Heidelberger Fundus und seine Geschichte entstanden in den letzten Jahren Dissertationen und Examensarbeiten sowie andere Publikati­

onen aus der Kunst- und Kulturgeschich­

te, Medizin, Psychologie, Germanistik und anderen Fächern. Daneben setzen sich bildende Künstler, Literaten und Komponisten mit Werken oder Werk­

gruppen der Sammlung auseinander und lassen sich zu künstlerischen Reaktionen anregen.

Ausblick

Aufgrund dieser Entwicklungen in den letzten Jahren wird ein Erweiterungsbau immer dringlicher. Neben größeren De­

potflächen soll er auch Platz bieten für eine Dauerausstellung von Klassikern, für einen Grafikraum, in dem Besucher sich Werke vorlegen lassen können, für eine Spezialbibliothek und eine Spezialbuch­

handlung zum Thema Outsider Art. Da­

mit könnte die Sammlung Prinzhorn auch in Zukunft den steigenden Ansprüchen an sie als Ausstellungshaus und For­

schungseinrichtung gerecht werden. ♦

o Weltweite Ausstellungsorte der Sammlung Prinzhorn 1921 -2011

2003 Schleswig Q

Saimasee 1981

1990 2000 2003 2004 2008/09 Berlin

Weißer Päijänne See

2007 Hamburg

ATLANTISCH ER Mälarsee

illmensee

\Peipus- iVänerx see

Iseef 2010

3 Hannover 2002 1992

2003 2008 - s 2005 Bochum 2008/09 Düssei-Herford -i 971 doH/ipOl986 (B 989 VA Hemer 2C 996 1071O 2009 O Cöln \Marburg

Bonn S 200'

1967 Wiesbaden £-£3^ 200.

1930 DarmstadflBr ■ 201) y^Wrranl 1986 Ludwigshafeni 'vätter-

1999 2006/07 2011 (Dresden 2006

O Newcastle 2007 Manchester

f^eme/

Chemnitz Weimar

2003/04 2005/06 2006/07

^ 2007 2006

2007 O Bexhill-on-Sea

Mannheim

1953 1967 1980 1986 1986 1996 1996 ab 2001 * 2002/03 2006 2006/07 2007 Heidelberg Waldenburg

1993/94 2009 Offe^burg Rotten-

•(siehe—» # • vergrößerten 2009 1Jusschnitt) Praha

Mönchen, Charleroi

Kaufbeuren 2002

2005-07 2006 Stuttgart

Salzburg (Asowsches

Meer ( 2010

St. Gallen Dauerausstellung

2009 Admont Golf

von Biscaya

Platter

Maßstab 1: 12 500000 Genöve

Kaspisches Meer

Donau

Ligurisches Meer J 1908

2006 Madrid (])

2001 \

Barcelona

Vansee \Urmiasee

2011

Thessaloniki'

(Saloniki) TuzQ.

Gönü Tyrrhenisches

Meer

Maßstab 1 : 22 500 000

1998/99 Katonah 1995

New York

^ ^ Philadelphia

\ Baltimore 2004 Washington

J © Leibniz-Institut für Länderkunde 2010

■ Kartenredaktion: H. Kirschner

■ Kartographie: H. Kirschner, V. Schreiner Autor: T. Röske

Anzahl der Ausstellungen mit Exponaten der Heidelberger Sammlung

© 3 O 1

Jahr der Ausstellung (Auflistung entspricht der Reihenfolge der Kreissektoren)

Zeiträume, in denen Ausstellungen stattfanden als Exklusivausstellungen als Leihgaben in Sonder­

ausstellungen

o -4 1921-1933 1929

-4 1938-1941 O <0 1953-2000 OO 1963-2000

O <3 ab 2001 O o ab 2001

Die Sammlung Prinzhom - Anstaltskunst mit Weltgeltung

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Referenzen

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