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Künstlerische Reaktionen auf die Sammlung Prinzhorn

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Academic year: 2022

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Links: FRANZ KARL BüHLER, ohne Titel (Fabeltiere), zwischen 1906 und igiß

Rechts: ALFRED KUBIN „Angriffauf Bayern", 1978

Künstlerische Reaktionen auf die

S A M M L U N G P R I N Z H O R N

Künstler waren immer schon unter den ersten, die sich für Kreativität abseits vom Kunstmarkt interessiert ha­

ben. Sie gehörten u m 1900 genauso zu den Entdeckern der so genannten Stammeskunst aus Afrika und Ozeani­

en wie der Kinderzeichnungen oder der Naiven. Und sie waren auch gleich zur Stelle, als in Heidelberg nach dem Ersten Weltkrieg z u m ersten Mal eine große Samm­

lung Zeichnungen, Malereien, Skulpturen und textiler Werke von Insassen psychiatrischer Anstalten aus allen deutschsprachigen Ländern zusammen getragen wurde.

HANS PRINZHORN ( 1 8 8 6 ­ 1 9 3 3 ) , d e r als p r o m o v i e r t e r Kunsthistoriker und Mediziner 1919 von der psychiat­

rischen Universitätsklinik für dieses Projekt angestellt worden war, hatte zusammen mit dem Direktor der Klinik, KARL WILMANNS ( 1 8 7 3 ­ 1 9 4 5 ) , e i n e n A u f r u f a n sämtliche Anstalten, Kliniken und Sanatorien verfasst, Patientenwerke zur Begründung eines „Museums für pathologische Kunst" zu schicken. Bis zu seinem Aus­

scheiden aus der Klinik 1921 n a h m er nahezu alles an, was eintraf ­ m e h r als 5000 Werke von großer Vielfalt

Künstlerische Reaktionen auf die S a m m l u n g Prinzhorn 14

Originalveröffentlichung in:Liebmann-Wurmer, Susanne ; Loemke, Tobias (Hrsgg.): IN/OUTsider Art - Kunstpädagogisches Modellprojekt mit der Sammlung Prinzhorn, Nürnberg 2012, S. 14-17

(2)

I

a n A u s fü h r u n g u n d I n h a l t a u s d e n J a h r z e h n t e n seit Mitte d e s 19. J a h r h u n d e r t s . V o n d i e s e m r e i c h e n B e s t a n d g i n g PRINZHORN in s e i n e r S t u d i e Bildnerei der Geistes­

kranken (1922) a u s . W e n n e r d a v o n a u f d e n 187 z u m Teil f a r b i g e n A b b i l d u n g e n i m Text u n d a u f 2 0 Tafeln

de s 350 S e i t e n s t a r k e n B a n d e s a u c h n u r e i n e n B r u c h t e i l

Z ei g t e , s o w a r d a s d o c h m e h r als j e m a l s v o n „ I r r e n k u n s t "

Publiziert w o r d e n war. O h n e Ü b e r t r e i b u n g lässt sich

s ag e n , d a s s PRINZHORN d a s G e b i e t d a m i t z u m e r s t e n

1 HANS PRINZHORN, Bildnerei der Geisteskranken. Ein Beitrag zur Psychologie und Psychopathologie der Gestaltung, Berlin 1922.

Mal s i c h t b a r m a c h t e . U n d da i h m z u d e m w e n i g e r a n m e d i z i n i s c h e n A s p e k t e n , s o n d e r n a n d e r Ä s t h e t i k d e r W e r k e lag, w u n d e r t e s nicht, d a s s d a s B u c h s c h n e l l u n t e r K u n s t l i e b h a b e r n u n d K ü n s t l e r n b e k a n n t w u r d e u n d e i n f l u s s r e i c h blieb ­ z u m a l es m i t d e r E i n r i c h t u n g e i n e s e i g e n e n M u s e u m s n o c h bis 2 0 0 1 d a u e r t e .

PRINZHORNS V e r h ä l t n i s z u r K u n s t s e i n e r Z e i t w a r a m ­ bivalent. S p ä t e s t e n s seit s e i n e m S t u d i u m in M ü n c h e n 1 9 0 6 ­ 1 9 0 8 h a t t e er b e g e i s t e r t A n t e i l a n n e u e n Entwick­

<5 T H O M A S Rö S K E

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lungen in Musik u n d bildender Kunst genommen. Er v e r e h r t e VINCENT VAN G O G H , u n d d e r E x p r e s s i o n i s m u s bot ihm zweifellos wesentliche Orientierung für sein ästhetisches Bewerten der Patientenwerke.

Aber die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs hatten ihn z u m kulturellen „Nihilisten" werden lassen. Wie viele Kulturschaffende damals in Europa suchte er nach Mög­

lichkeiten eines Neuanfangs ­ u n d fand ihn im „inneren Afrika" der westlichen Industriegesellschaften: in den künstlerischen Werken aus psychiatrischen Anstalten.

Weil er davon ausging, dass sie rein aus dem Unbewuss­

ten psychisch kranker u n d aus der Gesellschaft wegge­

schlossener Individuen stammten („sie wissen nicht, was sie tun") , hielt er sie für ursprünglicher, „echter"

als Werke, die professionelle Ausstellungskünstler schaffen. Auch wenn diese sich u m ähnliche Authen­

tizität bemühten, erreichten sie „fast nur intellektuelle Ersatzkonstruktionen", da sie in ihrer Bildung u n d ih­

rem Kalkül gefangen seien. Bedenkt m a n diese Zweifel PRINZHORNS an der Kunst seiner Zeit, wird der vorsich­

tig gewählte Terminus „Bildnerei" im Titel z u m Signum für die Absicht des Autors, die Hervorbringungen von Anstaltsinsassen als Gegenkunst zu propagieren.

Bestätigung fand PRINZHORN in der Reaktion von Künst­

lern. In Bildnerei der Geisteskranken berichtet er über diese spezielle Gruppe von Besuchern der Heidelberger Sammlung: „Unter den Künstlern gaben sich die einen (darunter sehr Gemäßigte u n d andererseits extreme Expressionisten) einem ruhigen Studium der Besonder­

heiten hin, bewunderten zahlreiche Stücke rückhaltslos und verwarfen andere, ohne an eine Scheidung von ge­

sund u n d krank im mindesten zu denken. Andere aber, wiederum ganz verschiedenen Richtungen angehörig, verwarfen das ganze Material als Nichtkunst, widmeten sich jedoch trotzdem allen Nuancen mit großer Lebhaf­

tigkeit. Und eine dritte Gruppe schließlich war bis zur

2 BETTINA BRAND-CLAUSSEN, „ P r i n z h o r n s B i l d n e r e i d e r G e i s t e s k r a n k e n

­ e i n s p ä t e x p r e s s i o n i s t i s c h e s Manifest", in: Vision und Revision einer Entdeckung, A u s s t e l l u n g s k a t a l o g S a m m l u n g P r i n z h o r n , H e i d e l b e r g 2 0 0 1 , S e i t e I I ­ J X .

3 HANS PRINZHORN, „ D i e e r d e n t r ü c k b a r e Seele", in: Der Leuchter 8 , 1927, S e i t e 2 7 7 ­ 2 9 6 , h i e r S e i t e 2 7 8 .

4 P R I N Z H O R N 1 9 2 2 , S e i t e 3 4 3 . 5 Ebd., S e i t e 3 4 8 .

6 THOMAS RöSKE, Der Arzt als Künstler. Ästhetik und Psychothera­

pie bei HANS PRINZHORN, B i e l e f e l d 1 9 9 5 , S e i t e 5 5 ­ 6 1 .

Haltlosigkeit erschüttert, glaubte in dieser Schaffens­

weise den Urvorgang aller Gestaltung zu erkennen, die reine Inspiration, nach der m a n letzten Endes einzig trachte, u n d geriet z u m Teil in ernsthafte Entwicklungs­

krisen, aus denen sie sich zu klareren Meinungen über sich selbst u n d ihre Produktion hinausfand."

Wir kennen namentlich kaum Künstler, die damals die Sammlung besuchten. Zu den Erschütterten gehörte a b e r z w e i f e l l o s ALFRED KUBIN ( 1 8 7 7 ­ 1 9 5 9 ) , d e r s i c h 1920 in Heidelberg hatte Werke vorlegen lassen.

Darüber gibt sein Artikel „Die Kunst der Irren" Aus­

kunft, der 1922, im selben Jahr wie Prinzhorns Buch, in der Zeitschrift Das Kunstblatt erschien. Sein „stärkster Eindruck" waren die Malereien „phantastisch­visionärer D i n g e " v o n FRANZ KARL BüHLER, e i n e m e h e m a l i ­

gen Schlosser, der n u n in der Anstalt Emmendingen lebte. Diesen „Meister ersten Ranges" schätzte auch PRINZHORN b e s o n d e r s . B e i KUBIN k o m m t a b e r s i c h e r l i c h hinzu, dass BüHLERS Werke von den T h e m e n wie von der expressiven Zeichenweise Ähnlichkeit mit eigenen Werken haben.

Damit bietet er ein erstes Beispiel für ein Phänomen, das sich bei fast allen Künstlern beobachten lässt, die ihm in ihrer Begeisterung für Werke der Heidelberger Samm­

lung gefolgt und oft sogar davon in ihrem eigenen Schaf­

fen anregt worden sind. Ihre Zahl ist groß und reicht von ADOLF HOLZEL u n d MAX ERNST ü b e r RICHARD LINDNER, GEORG BASELITZ u n d ARNULF RAINER b i s i n d i e G e g e n ­ wart. Doch gleichgültig welche spezifische Haltung zu den Werken und z u m Thema Wahnsinn und Kunst die Künstler haben, sie werden fast ausnahmslos angezogen von Bildern, Zeichnungen, Textilien oder Skulpturen, in denen sie etwas Verwandtes zu ihrem eigenen künstle­

rischen Entwicklungsstand entdecken. Das Werk, mit dem sie sich auseinandersetzen, erhält dann oftmals die Funktion eines Katalysators für ihre persönliche

7 P R I N Z H O R N 1 9 2 2 , S e i t e 3 4 6 .

8 S i e h e d a z u BErriNA BRAND­CLAUSSEN, „ ' l a s s e n s i c h n e b e n d e n b e s t e n E x p r e s s i o n i s t e n s e h e n ' ­ ALFRED KUBIN, W a h n s i n n s ­ B l ä t t e r u n d d i e . K u n s t d e r Irren'", in: Expressionismus und W a h n s i n n , A u s s t e l l u n g s ­ k a t a l o g S C H L E S W I G ­ H O L S T E I N I S C H E L A N D E S M U S E E N , S C H L O S S G O T T O R F , SCHLESWIG, MüNCHEN 2 0 0 3 , S e i t e 1 3 6 ­ 1 4 9 .

9 R ö S K E 1 9 9 5 , S e i t e 1 4 5 .

10 I m H e r b s t 2 0 1 2 w i r d e i n e b r e i t e Ü b e r s i c h t z u m T h e m a u n t e r d e m Titel „ u n g e s e h e n u n d u n e r h ö r t ­ K ü n s t l e r r e a g i e r e n a u f d i e S a m m l u n g

P r i n z h o r n " i m V E R L A G D A S W U N D E R H O R N , H E I D E L B E R G , e r s c h e i n e n .

Kü n s t l e r i s c h e Reaktionen a u f die S a m m l u n g P r i n z h o r n 16

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Entwicklung. Im Fremden neben dem wiedererkannten Eigenen erkennen die Künstler, oft mehr unbewusst als bewusst, ein herausforderndes Potential.

Lange waren die Nutznießer der Begegnung mit der Heidelberger Sammlung allerdings nicht bereit, ihre Werke z u s a m m e n mit den Anregungen auszustellen.

Als erste haben die Surrealisten diese Scheu mit anderer ..Irrenkunst" in einigen ihrer großen Gruppenausstel­

lungen seit den 1930er Jahren durchbrochen. Doch als

ART BRUT ( a b 1 9 4 5 ) u n d a l s OUTSIDER ART ( a b 1 9 7 2 ) b l i e ­

ben die Werke von Psychiatrie­Erfahrenen dann wieder weitgehend unter sich im Ausstellungsbetrieb. Erst in den letzten Jahren wuchs das Interesse an der Mischung, auch mit Beständen aus Heidelberg.

Offenbar haben m e h r und mehr Menschen das Bedürf­

nis, sich mit den originellen Artefakten von Menschen mit psychischen Ausnahmeerfahrungen zu beschäftigen, gerade auch weil diese oftmals nicht oder nicht in erster Linie als Kunst gemeint sind, sondern als existentielle Vehikel dienen, etwa die Realität besonderer Wahrneh­

m u n g e n belegen oder magisch auf die Realität einwir­

ken sollen. War der Gegensatz solchen „Irrsinns" zur bürgerlich wirtschaftsrationalen Welt in früheren Zeiten Grund für Ablehnung und Vernichtung der Werke ge­

wesen, kann m a n sie heute, in einer Zeit, da sich wie nie zuvor der soziale „Irrsinn" des Spätkapitalismus zeigt, als Ausdruck einer scheiternden Einpassung in oder ein Aufbegehren gegen gesellschaftliche Machtverhältnisse nachvollziehen.

Dieses Interesse spiegelt sich auch in jüngs­

ten Reaktionen von Künstlern auf Werke der SAMMLUNG PRINZHORN, von denen viele im Sinne künstlerischer Forschung die gleichzeitige Präsenz der Ausgangswerke erfordern. Werden dabei die existentiel­

len Anliegen der Außenseiter ernst genommen, ist die

Gefahr einer bloß ästhetischen „Verkunstung", vor der PETER GORSEN seit den 1990er Jahren mit Recht gewarnt hat, sicherlich gering.' Sie ist aber stets wieder bei der Frage nach angemessener Präsentation der Begegnung zu bedenken. Die Integration von Werken Psychiatrie­

Erfahrener in den Kunstbetrieb ist eine anhaltende Herausforderung.

THOMAS RöSKE

n S i e h e e t w a PETER GORSEN, „Der D i a l o g z w i s c h e n K u n s t u n d P s y c h i a t r i e heute", in: Von Chaos und Ordnung der Seele.

Ein interdisziplinärer Dialog über Psychiatrie und moderne Kunst, h g . v o n O T T O B E N K E R T u n d P E T E R G O R S E N , B E R L I N e t a l . 1 9 9 0 , S e i t e 1 - 5 3 , h i e r S e i t e 2 6 ff.

1 7 T H O M A S R ö S K E

Referenzen

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